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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_200/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 16. September 2013  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Q.________, vertreten durch Rechtsdienst Integration Handicap, 
Schützenweg 10, 3014 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,  
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 1. Februar 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1957 geborene Q.________ meldete sich am 16. Februar 2010 wegen seit 2003 bestehender Sarkoidose, rezidivierenden depressiven Episoden mit chronischen Schmerzen sowie einer Trigeminusneuralgie und chronischen Kopfschmerzen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern veranlasste eine Begutachtung durch das Institut X.________ vom 2. Februar 2012 und eine Haushaltsabklärung vor Ort (Abklärungsbericht Haushalt vom 2. April 2012). Mit Verfügung vom 26. September 2012 lehnte die IV-Stelle Bern den Anspruch auf eine Invalidenrente ab. 
 
B.   
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 1. Februar 2013 ab. 
 
C.   
Q.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei der Sachverhalt in medizinischer Hinsicht neu abzuklären und hernach neu über den Rentenanspruch zu entscheiden; ferner liess sie ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege stellen. 
 
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
 
2.1. Das kantonale Gericht hat die Rechtsgrundlagen über die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), den Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG; Art. 28a Abs. 1 IVG) und den Rentenanspruch (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie zum Beweiswert von Arztberichten (BGE 135 V 465 E. 4.3 S. 468 ff.; 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
2.2. Nach den vorinstanzlichen Erwägungen ist zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit auf das Gutachten des Instituts X.________ abzustellen. Demnach ist die Versicherte in einer körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeit seit September 2006 zu 100 % arbeitsfähig. Ausgehend davon liess das kantonale Gericht offen, ob die Versicherte als Gesunde teilweise oder voll erwerbstätig wäre, da in jedem Fall ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad resultiere.  
 
2.3. Beschwerdeweise wird geltend gemacht, das Gutachten des Instituts X.________ tauge nicht als Beweisgrundlage, da die (aktuell und vormals) behandelnden Ärzte Frau med. pract. S._________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Frau Dr. med. B.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, sowie Prof. Dr. med. L.________, Leitender Arzt am Spital Y.________, Universitätspoliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, eine posttraumatische Belastungsstörung mit Einschränkung der Arbeitsfähigkeit diagnostizierten. Es sei deshalb der medizinische Sachverhalt neu abzuklären, insbesondere in psychotraumatologischer Hinsicht.  
 
2.4. Streitig und zu prüfen ist demnach einzig, ob die Beschwerdeführerin aufgrund ihres psychischen Leidens Anspruch auf eine Invalidenrente hat.  
 
3.   
 
3.1. Im bundesgerichtlichen Verfahren dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Diese Bestimmung zielt auf Tatsachen ab, die erst durch den angefochtenen vorinstanzlichen Entscheid rechtserheblich werden. So darf sich die beschwerdeführende Person auf neue Tatsachen berufen, wenn sie der Vorinstanz eine Verfahrensverletzung vorwirft. Dasselbe gilt, wenn sich der Entscheid der Vorinstanz auf ein neues rechtliches Argument stützt, mit dem die Parteien zuvor nicht konfrontiert worden waren. Schliesslich gehören dazu auch Tatsachen, die erst für das bundesgerichtliche Verfahren erheblich werden, z.B. die Einhaltung der Beschwerdefrist. Unzulässig ist hingegen das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel, die bereits der Vorinstanz hätten unterbreitet werden können (BGE 136 III 123 E. 4.4.3 S. 129; Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001 4339 f. Ziff. 4.1.4.3). Vor Bundesgericht unzulässig ist ferner die Berufung auf Tatsachen oder Beweismittel, die sich nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder die danach entstanden sind (echte Noven; BGE 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f. mit Hinweisen; zum Ganzen: Urteil 5A_115/2012 vom 20. April 2012 E. 4.2.2).  
 
3.2. Die letztinstanzlich eingereichten Stellungnahmen, welche nach dem vorinstanzlichen Entscheid vom 1. Februar 2013 verfasst wurden, sind als echte Noven im vorliegenden Verfahren daher unbeachtlich.  
 
4.   
 
4.1. Nach eingehender Würdigung des Gutachtens des Instituts X.________ wie auch der Berichte der Frau Dr. med. B.________ vom 4. Dezember 2010 und vom 17. Juni 2012, des Prof. Dr. med. L.________ vom 26. September 2011 und vom 24. Oktober 2012 sowie der Frau med. pract. S._________, welche die Versicherte seit dem 19. Januar 2012 psychiatrisch betreute und in der Folge auch auf eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) durch Frau lic. phil. D.________ abklären liess, vom 12. Juni 2012 und vom 17. Oktober 2012 hat das kantonale Gericht erkannt, dass insbesondere auch in psychiatrischer Hinsicht auf die Einschätzung der Gutachter des Instituts X.________ abzustellen sei.  
 
Die bundesgerichtliche Überprüfung der vorinstanzlichen Beweiswürdigung hat sich darauf zu beschränken, ob mit Blick auf die vorgebrachten Rügen die Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid offensichtlich unrichtig ist oder eine Rechtsverletzung, namentlich hinsichtlich der Regeln über den Beweiswert von ärztlichen Berichten, vorliegt (vgl. E. 1). Zu beachten ist hier der Grundsatz, dass das Gericht Gutachten externer Spezialärzte, welche von Versicherungsträgern im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholt wurden und den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechen, vollen Beweiswert zuerkennen darf, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4 S. 227; 135 V 465 E. 4.4 S. 470; 125 V 351 E. 3b/bb S. 353). 
 
4.2. Im psychiatrischen Teilgutachten hielt Dr. med. W.________ gestützt auf seine Untersuchung vom 11. Januar 2012 fest, die Versicherte leide an einer leichten depressiven Episode (ICD-10: F32.0), einer phobischen Störung mit vor allem Dunkelangst (ICD-10: F40.2) und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10: F45.4), ohne dadurch in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt zu sein. Das Ausmass ihrer Schmerzen am Bewegungsapparat lasse sich nicht durch die somatischen Befunde objektivieren, sondern vielmehr bestünden mit dem Flüchtlingsschicksal der im Jahr 1999 aus Afghanistan in die Schweiz eingereisten Versicherten, der Unmöglichkeit, hier ihren in der Heimat erlernten Beruf als Ärztin auszuüben, dem Scheitern ihrer Ausbildung zur Kleinkinderzieherin sowie der angespannten finanziellen Situation ausgeprägte psychosoziale und emotionale Belastungsfaktoren, die sich im Sinne einer Abwehr auch in Schmerzen ausdrücken würden. Die psychischen Störungen seien jedoch nicht hinreichend schwer, um die Arbeitsfähigkeit einzuschränken. Nach Auffassung des Gutachters waren keine Suizidalität, Konzentrationsstörungen oder unbewusste Konflikte, kein primärer Krankheitsgewinn oder sozialer Rückzug in allen Bereichen des Lebens, aber auch keine deutlich auffälligen Persönlichkeitszüge festzustellen. Weiter setzte sich der Gutachter eingehend und nachvollziehbar mit der Einschätzung der behandelnden Psychiaterin Frau Dr. med. B.________ hinsichtlich der zumutbaren Überwindung des Leidens auseinander.  
 
4.3. Die späteren Stellungnahmen der behandelnden Ärzte vermögen keine hinreichenden Indizien zu begründen, die gegen die Zuverlässigkeit des Gutachtens des Instituts X.________ sprechen würden. So ist der Stellungnahme der Frau med. pract. S._________ vom 12. Juni 2012 erstmals zu entnehmen, dass die Versicherte an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) leide. Erst nach verschiedenen Abklärungen und Ausschluss einer Tuberkulose und einer generalisierten Tumorerkrankung habe im Jahre 2003 die Diagnose einer Sarkoidose gestellt werden können (im Jahr 2006 remittiert). Die Versicherte habe mit depressiven und Verhaltensstörungen reagiert. Die Bedrohung durch die Erkrankung habe frühere Traumata aktiviert. Die Ärztin verweist diesbezüglich auf frühere Schilderungen in den Akten. Wie dem Bericht der Frau Dr. med. B.________ vom 4. Dezember 2010 zu entnehmen ist, sei die Beschwerdeführerin in der Schule und im Studium wiederholt von Terrorakten betroffen gewesen; mehrere Lehrerinnen und Schulfreundinnen seien bei solchen Angriffen umgekommen, sie selber sei jedoch nie verletzt worden. Vor ihrer Flucht aus Afghanistan seien sie und ihr Ehemann mehrfach mit dem Tod bedroht worden. Dazu ist festzuhalten, dass die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gemäss ICD-10: F43.1 deren Auftreten mit einer Latenz von wenigen Wochen bis Monaten nach einem Ereignis mit aussergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmass voraussetzt, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren können die Schwelle zur Entwicklung dieses Syndroms zwar senken und den Verlauf erschweren, sind aber weder notwendig noch ausreichend, um dessen Auftreten erklären zu können (Dilling/Freyberger [Hrsg.], Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, 6. Aufl. 2012, S. 173-175). Auch in der aktuellen Ausgabe der ICD-10-Klassifikation, Version 2013 (abrufbar unter www.dimdi.de), wurde an dieser Definition und insbesondere an der Latenzzeit festgehalten (vgl. Urteil 9C_228/2013 vom 26. Juni 2013 E. 4; so auch ICD-10-GM 2014).  
Im vorliegenden Fall litt die Beschwerdeführerin gemäss Bericht ihres Hausarztes Dr. med. G.________ vom 3. Mai 2010, welcher sie seit 2002 betreute, erstmals 2006 und somit viele Jahre nach den von der Psychiaterin genannten Traumata unter psychischen, das heisst depressiven Beschwerden. Die Vorinstanz durfte demnach, ohne Bundesrecht zu verletzen, in antizipierter Beweiswürdigung von weiteren medizinischen Abklärungen, insbesondere einer Expertise in Psychotraumatologie, absehen. 
 
4.4. Das kantonale Gericht hat somit in willkürfreier, in allen Teilen bundesrechtskonformer Beweiswürdigung (BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400) auf das Gutachten des Instituts X.________ vom 2. Februar 2012 abgestellt und einen Rentenanspruch zu Recht verneint.  
 
5.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen anwaltlichen Verbeiständung durch den Rechtsdienst Integration Handicap; Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 BGG; BGE 135 I 1) kann gewährt werden, weil die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin geboten war. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Fürsprecherin Marianne Hänni vom Rechtsdienst Integration Handicap wird als unentgeltliche Anwältin bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
 
4.   
Der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 16. September 2013 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo