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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
7B.226/2002 /bnm 
 
Urteil vom 18. Februar 2003 
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 
 
Bundesrichterin Escher, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl, 
Gerichtsschreiber Gysel. 
 
B.________, 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Patrick Stutz, Bahnhofstrasse 42, 5401 Baden, 
 
gegen 
 
Obergericht (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission) des Kantons Aargau als oberer Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau. 
 
Existenzminimum, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 23. September 2002. 
 
Die Kammer stellt fest und zieht in Erwägung: 
1. 
Am 17. Mai 2002 vollzog das Betreibungsamt Z.________ gegenüber B.________ zu Gunsten der zur Gruppe Nr. ... zusammengefassten Betreibungen eine Einkommenspfändung. Es ging von nicht pfändbaren Alimenten im Betrag von Fr. 1'500.-- und einem Krankentaggeld von Fr. 2'790.-- im Monat aus und setzte unter Berücksichtigung eines Notbedarfs von monatlich Fr. 3'250.-- die pfändbare Quote auf monatlich Fr. 1'040.-- fest. 
 
B._________ führte Beschwerde an das Gerichtspräsidium von Bremgarten als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen mit dem Antrag, die Pfändung vollumfänglich aufzuheben. Der Gerichtspräsident hiess die Beschwerde am 6. August 2002 teilweise gut und erhöhte das Existenzminimum auf Fr. 3'748.-- im Monat. 
 
Diesen Entscheid zog B.________ an das Obergericht (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission) des Kantons Aargau (obere Aufsichtsbehörde) weiter mit dem Rechtsbegehren, den Notbedarf um zusätzliche Fr. 19.15 im Monat zu erhöhen. Das Obergericht wies die Beschwerde am 23. September 2002 ab. 
 
Den Entscheid des Obergerichts nahm B.________ am 22. Oktober 2002 in Empfang. Mit einer vom 1. November 2002 datierten und noch am gleichen Tag zur Post gebrachten Eingabe führt sie (rechtzeitig) Beschwerde an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts und erneuert den vor der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde gestellten Antrag. Ausserdem ersucht sie darum, ihr für das bundesgerichtliche Verfahren in der Person ihres Anwalts einen unentgeltlichen Rechtsvertreter zu bestellen. 
 
Das Obergericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde. In seiner Vernehmlassung vom 28. Januar 2003 hat sich das Betreibungsamt zu der mit der Beschwerde aufgeworfenen Frage nicht geäussert. Die Gläubigerinnen haben sich nicht vernehmen lassen. 
 
Als Beilage zu einem am 6. Dezember 2002 aufgegebenen Schreiben hat die Beschwerdeführerin der erkennenden Kammer die Kopie eines Ausschnitts aus einem vom Obergericht (5. Zivilkammer) des Kantons Aargau im summarischen Verfahren gefällten Urteil vom 20. November 2002 zukommen lassen. 
2. 
Die ergänzende Eingabe vom 6. Dezember 2002 ist nach Ablauf der Beschwerdefrist zur Post gebracht worden und deshalb unbeachtlich. Im beigelegten Urteil war es im Übrigen ohnehin nicht um die Ermittlung der pfändbaren Quote im Betreibungsverfahren gegangen, sondern offensichtlich um die Festsetzung eines Unterhaltsbeitrags im Rahmen vorsorglicher Massnahmen in einem eherechtlichen Verfahren. 
3. 
3.1 Ihren Antrag begründet die Beschwerdeführerin damit, dass sie vollkommen arbeitsunfähig sei und ihre psychischen Probleme regelmässige Arztbesuche notwendig machten. Diese zwingenden Arztbesuche lösten regelmässig die Jahresfranchise von Fr. 230.-- aus. Diese Franchise habe mit dem ihr zustehenden Grundbetrag nichts zu tun und sei bei der Ermittlung des Notbedarfs deshalb gesondert zu berücksichtigen, was auf den Monat bezogen Fr. 19.15 ausmache. 
3.2 Die Vorinstanz weist darauf hin, dass in dem für die Ermittlung des Existenzminimums massgebenden Kreisschreiben der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des kantonalen Obergerichts vom 3. Januar 2001 ein Grundbetrag für Nahrung, Kleidung und Wäsche einschliesslich deren Instandhaltung, für Körper- und Gesundheitspflege, für den Unterhalt der Wohnungseinrichtung, für Kulturelles sowie für Beleuchtung, Kochstrom und/oder Gas festgelegt sei. Für die im Grundbetrag enthaltenen Aufwendungen dürften keine Zuschläge gewährt werden. Solche seien etwa vorgesehen für unmittelbar bevorstehende grössere Auslagen für Arzt und Arzneien, denen in billiger Weise durch vorübergehende Erhöhung des Existenzminimums Rechnung zu tragen sei. Wenn hier der von der Beschwerdeführerin zu Lasten des Notbedarfs beanspruchte Betrag von monatlich Fr. 19.15 als Anteil der Franchise für die Krankenpflegeversicherung als kleinere Auslage für die Gesundheitspflege und deshalb als im Grundbetrag berücksichtigt betrachtet und ein entsprechender Zuschlag verweigert worden sei, sei dies nicht zu beanstanden. 
4. 
Neben anderen Einkünften können auch Unterhaltsbeiträge, Pensionen und Leistungen jeder Art, die einen Erwerbsausfall oder Unterhaltsanspruch abgelten, soweit gepfändet werden, als sie nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie nicht unbedingt notwendig sind (Art. 93 Abs. 1 SchKG). Mit Beschwerde nach Art. 19 Abs. 1 SchKG kann in diesem Zusammenhang gerügt werden, dass bei der Ausübung des im Gesetz eingeräumten Ermessens, das Existenzminimum des Schuldners festzusetzen, sachfremde Kriterien berücksichtigt oder rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen worden seien (BGE 128 III 337 E. 3a mit Hinweisen). 
4.1 Das vom Obergericht herangezogene Kreisschreiben beruht offensichtlich auf den Grundsätzen der von der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz herausgegebenen Richtlinien (in der Fassung vom 24. November 2000 veröffentlicht in: BlSchK 2001 S. 14 ff.), die auch das Bundesgericht seinen Entscheiden verschiedentlich (stillschweigend) zugrunde gelegt hat (vgl. z.B. BGE 120 III 16 E. 2a S. 17). Hinsichtlich der Gesundheitskosten geht aus diesen Empfehlungen zunächst hervor, dass der in Ziff. I festgelegte monatliche (pauschale) Grundbetrag die Kosten für "Körper- und Gesundheitspflege" erfasst. Unter Ziff. II/8 (erster Absatz) sehen die Richtlinien sodann vor, dass unmittelbar bevorstehenden grösseren Auslagen für Arzt und Arzneien durch eine entsprechende zeitweilige Erhöhung des Notbedarfs Rechnung zu tragen sei. Bei unvorhergesehenen, etwa durch eine notfallmässige Behandlung verursachten Medizinalkosten bleibt selbstverständlich die Anpassung der Pfändung an die neuen Gegebenheiten vorbehalten (Art. 93 Abs. 3 SchKG; so ausdrücklich auch Ziff. II/8, zweiter Absatz, der Richtlinien). Ferner wird in Ziff. II/3 (erster Absatz) der erwähnten Richtlinien festgehalten, dass die Sozialbeiträge, darunter auch die Prämien für die (obligatorische) Krankenkasse im Sinne eines Zuschlags in der jeweiligen Höhe zum Grundbetrag zu berücksichtigen seien (dazu BGE 121 III 20 E. 3c S. 23 bezüglich der Situation vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung [KVG; SR 832.10]). 
4.2 Bei den von der Beschwerdeführerin beanspruchten Fr. 19.15 handelt es sich um die auf einen Monat bezogene gesetzliche (minimale) Jahresfranchise von Fr. 230.-- für die obligatorische Krankenpflegeversicherung (Art. 103 Abs. 1 KVV [SR 832.102] in Verbindung mit Art. 64 Abs. 2 lit. a KVG). Die Franchise bildet ein Element der Beteiligung der versicherten Person an den Kosten der für sie erbrachten Leistungen, für die allenfalls auch ein höherer als der hier in Frage stehende Betrag gewählt werden kann (vgl. Art. 93 Abs. 1 KVV). Bei der Ermittlung des betreibungsrechtlichen Notbedarfs fällt die Franchise naturgemäss nur insoweit in Betracht, als einschlägige Leistungen in Anspruch genommen worden sind. 
 
Für die Frage, wie die Jahresfranchise pfändungsrechtlich zu behandeln sei, steht auf Grund des Gesagten nicht ihre Höhe, sondern ihre Natur im Vordergrund. Der Auffassung der Vorinstanz (und des von ihr zitierten Obergerichts des Kantons Luzern [Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide 1984, Nr. 2 S. 6 oben]; vgl. auch Luca Guidicelli/Fernando Piccirilli, Il pignoramento di redditi ex art. 93 LEF nella pratica ticinese, Bellinzona 2002, S. 62, Rz. 203 f.), Franchisen in geringer Höhe seien im pauschalen Grundbetrag enthalten, ist deshalb nicht beizupflichten (im gleichen Sinne auch Alfred Bühler, Betreibungs- und prozessrechtliches Existenzminimum, in: AJP 2002 S. 652 lit. F). Wie übrigens auch die Systematik der Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten (und offensichtlich auch des Kreisschreibens des Aargauer Obergerichts) zeigt, rechtfertigt es sich nur bei Arzneien im Rahmen der üblichen Selbstmedikation (geläufige Schmerzmittel; Wundsalben), die Kosten - unter dem Titel Aufwand für Körper- und Gesundheitspflege, gleich wie etwa die Auslagen für Nahrung, Kleider und Wäsche - als in einem pauschalen Grundbetrag berücksichtigt zu betrachten. 
4.3 Die in Form der Jahresfranchise erbrachte Beteiligung an den Gesundheitskosten ist dem Betreibungsschuldner nach dem Gesagten wie die Arztkosten (Ziff. II/8 der Richtlinien) in voller Höhe zu Lasten des Notbedarfs zuzugestehen. Da solche Auslagen naturgemäss nur im Falle der Inanspruchnahme von Leistungen im Rahmen der Krankenversicherung entstehen, werden sie in der Regel im Sinne einer entsprechenden Anpassung der Einkommenspfändung nach Art. 93 Abs. 3 SchKG zu berücksichtigen sein. Leidet der Betreibungsschuldner an einer chronischen Krankheit, oder stehen aus einem andern Grund eine notwendige ärztliche Behandlung oder andere medizinische Leistungen bevor, die zum Schluss führen, er werde während der Pfändungsperiode in der vollen Höhe der Jahresfranchise an die Kosten beitragen müssen, kann der Betreibungsbeamte unter Umständen auch einem Begehren stattgeben, gleich bei der Ermittlung des Notbedarfs die auf einen Monat umgerechnete Franchise einzusetzen. 
5. 
Ob hier die Voraussetzungen für eine anteilsmässige Berücksichtigung der Jahresfranchise bei der Ermittlung des monatlichen Notbedarfs gegeben sind, ist den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht zu entnehmen. Die erkennende Kammer ist deshalb von vornherein nicht in der Lage, eine entsprechende Anordnung zu treffen. Die Beschwerde ist unter den gegebenen Umständen teilweise gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und das Betreibungsamt Z.________ anzuweisen, der Jahresfranchise im Sinne der Erwägungen Rechnung zu tragen. 
6. 
6.1 Das Beschwerdeverfahren ist grundsätzlich unentgeltlich (Art. 20a Abs. 1 erster Satz SchKG). 
6.2 Das Bundesgericht kann einer bedürftigen Partei, deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, nötigenfalls einen unentgeltlichen Rechtsbeistand bestellen (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG). Natur und Besonderheiten des betreibungsrechtlichen Beschwerdeverfahrens, in dem in gewissen Fällen von Bundesrechts wegen die Untersuchungsmaxime gilt, rechtfertigen es, an die Voraussetzungen, unter denen eine Verbeiständung durch einen Rechtsanwalt sachlich geboten ist, einen strengen Massstab anzulegen (BGE 122 I 8 E. 2c S. 10 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 122 III 392 E. 3c S. 394). In Anbetracht der persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin und der rechtstechnischen Frage, die der Beschwerde zugrunde liegt, erschien zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen eine anwaltliche Vertretung als erforderlich. Da in finanzieller Hinsicht die Voraussetzungen von Art. 152 Abs. 1 SchKG offensichtlich erfüllt sind, ist der Beschwerdeführerin in der Person ihres Anwalts ein unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen. 
Demnach erkennt die Kammer: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission) des Kantons Aargau als oberer Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen vom 23. September 2002 aufgehoben. 
1.2 Das Betreibungsamt Z.________ wird angewiesen, bei der gegenüber der Beschwerdeführerin zu vollziehenden Pfändung (Gruppe Nr. ...) die Jahresfranchise von Fr. 230.-- für die Krankenpflegeversicherung bei der Festsetzung des Notbedarfs im Sinne der Erwägungen zu berücksichtigen. 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführerin wird für das bundesgerichtliche Verfahren Rechtsanwalt lic. iur. Patrick Stutz, Bahnhofstrasse 42, 5401 Baden, als Rechtsbeistand beigegeben. 
2.2 Rechtsanwalt lic. iur. Patrick Stutz wird aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 800.-- ausgerichtet. 
3. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, den Beschwerdegegnerinnen, dem Betreibungsamt Z.________ und dem Obergericht (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission) des Kantons Aargau als oberer Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 18. Februar 2003 
Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: