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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_333/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 3. November 2016  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Sozialversicherungsamt Schaffhausen, 
AHV-Ausgleichskasse, 
Oberstadt 9, 8200 Schaffhausen, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Späti, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Obergerichts des Kantons Schaffhausen 
vom 15. April 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ meldete sich im März 2013 beim Sozialversicherungsamt Schaffhausen, AHV-Ausgleichskasse (nachfolgend: SVA), zum Bezug von Ergänzungsleistungen zur IV-Rente an. Bei deren Berechnung für die Jahre 2013 und 2014 berücksichtigte das SVA insbesondere Finanzanlagen bei der in Deutschland domizilierten B.________ AG & Co., die sie im Betrag von Fr. 262'202.- unter dem Titel "Darlehen an Dritte" als Vermögen betrachtete und jeweils mit Fr. 15'084.- als anrechenbare Einnahmen veranschlagte. Beim resultierenden Einnahmenüberschuss von Fr. 10'201.- resp. Fr. 10'309.- verneinte das SVA mit Verfügung vom 21. Januar 2014 einen Anspruch auf jährliche Ergänzungsleistung für die Jahre 2013 und 2014. Daran hielt es mit Einspracheentscheid vom 17. Juni 2014 fest. 
 
B.   
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hiess die dagegen erhobene Beschwerde gut, hob den Einspracheentscheid vom 17. Juni 2014 auf und wies die Sache zur Neuentscheidung im Sinne der Erwägungen an das SVA zurück (Entscheid vom 15. April 2016). 
 
C.   
Das SVA beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, der Entscheid vom 15. April 2016 sei aufzuheben und das in Deutschland im Fonds der B.________ AG & Co. angelegte Vermögen in Höhe von Fr. 262'202.- sei als anrechenbares Vermögen bei der Berechnung der Ergänzungsleistung zu berücksichtigen. In prozessualer Hinsicht ersucht es darum, die Beschwerde vorgängig dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) zur Stellungnahme zu unterbreiten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Das kantonale Gericht hat das SVA angewiesen, die Ergänzungsleistung ohne Einbezug des "Darlehens an Dritte" (Fr. 262'202.-) neu zu berechnen, und die Sache zu neuer Verfügung in diesem Sinne an die Verwaltung zurückgewiesen. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich somit, formell betrachtet, um einen Rückweisungsentscheid, der nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 oder 93 BGG beim Bundesgericht anfechtbar ist. Da indessen die Rückweisung lediglich noch der Umsetzung des von der Vorinstanz Angeordneten dient, wobei der Verwaltung kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt, liegt in Wirklichkeit ein Endentscheid nach Art. 90 BGG vor (SVR 2015 EL Nr. 5 S. 13, 9C_620/2014 E. 1.2; Urteil 8C_183/2015 vom 17. November 2015 E. 1). 
 
2.   
Wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, ist die Sach- und Rechtslage klar. Ein Schriftenwechsel ist nicht erforderlich (Art. 102 Abs. 1 BGG), weshalb auch kein Anlass besteht, die ohne nähere Begründung beantragte Stellungnahme des BSV einzuholen. 
 
3.   
Die jährliche Ergänzungsleistung entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 9 Abs. 1 ELG [SR 831.30]). Was zu den anerkannten Ausgaben gezählt wird, ist in Art. 10 ELG geregelt, was zu den anrechenbaren Einnahmen in Art. 11 ELG. Vermögenswerte sind nach Massgabe von Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG als Einnahmen zu veranschlagen. Da Ergänzungsleistungen die Deckung der laufenden Lebensbedürfnisse bezwecken, dürfen nur tatsächlich vereinnahmte Einkünfte und vorhandene Vermögenswerte berücksichtigt werden, über die der Leistungsansprecher ungeschmälert verfügen kann. Vorbehalten bleibt der Tatbestand des Verzichts auf Einkünfte oder Vermögenswerte (Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG; BGE 127 V 248 E. 4a S. 249; Urteil 9C_901/2014 vom 16. März 2015 E. 3.4.1). Das anrechenbare Vermögen ist nach den Grundsätzen der Gesetzgebung über die direkte kantonale Steuer für die Bewertung des Vermögens im Wohnsitzkanton zu bewerten (Art. 17 Abs. 1 ELV [SR 831.301]). 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hat (verbindlich; Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) festgestellt, bei dem als "Darlehen an Dritte" bezeichneten Vermögen handle es sich um eine 2004 getätigte Finanzanlage, "offenbar gleichsam zur Altersvorsorge". Die fraglichen Beteiligungen seien nicht belehnbar und erst auf Ende 2019 bzw. Ende 2020 kündbar. Bis dahin könne der Beschwerdegegner nicht darüber verfügen. Weiter hat sie erwogen, bei der Vermögensanlage liege weder ein (anrechenbarer) Vermögensverzicht noch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beschwerdegegners vor. Die Anrechnung der Anlage als Vermögen bei der Berechnung der Ergänzungsleistung sei demnach im hier interessierenden Zeitraum unzulässig.  
 
4.2. Streitig und zu prüfen ist einzig die (Rechts-) Frage, ob das bei der B.________ AG & Co. angelegte Vermögen für die Ergänzungsleistungen anrechenbar ist. Das SVA macht im Wesentlichen geltend, der Beschwerdegegner habe das Geld freiwillig - ohne gesetzliche Verpflichtung - so angelegt, dass er für eine bestimmte Zeit darauf nicht mehr zugreifen könne; dies sei nicht in einer anerkannten Anlageform für die Altersvorsorge erfolgt. Die Situation sei daher mit einem Vermögensverzicht vergleichbar. Zudem sei das interessierende Vermögen auch deswegen anzurechnen, weil es in steuerlichen Veranlagungsprotokollen entsprechend der Selbstdeklaration ausgewiesen sei.  
 
4.3.  
 
4.3.1. In Rz. 3443.01 ff. der Wegleitung des BSV über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL) wird dem Grundsatz, dass nur vorhandene und verfügbare Vermögenswerte in die Ergänzungsleistungsberechnung einzubeziehen sind, Rechnung getragen: So werden etwa Lotteriegewinne, Rückkaufswerte von Lebensversicherungen mit Rückgewähr sowie ratenweise ausbezahltes Kapital berücksichtigt (Rz. 3443.02 WEL). Demgegenüber sind insbesondere Guthaben aus der zweiten und dritten Säule, die noch nicht bezogen werden können (Rz. 3443.03 und 3443.06 WEL), Liegenschaften, soweit sie mit einer Nutzniessung oder einem Wohnrecht belastet sind, sowie im Ausland liegende und nicht nach der Schweiz transferierbare oder sonstwie nicht verwertbare Vermögensstücke (Rz. 3443.06 WEL; vgl. auch Rz. 3444.06 WEL) von der Anrechnung ausgenommen.  
 
4.3.2. Der Umstand, dass ein Vermögenswert angelegt wurde und deswegen während einer bestimmten Dauer darüber nicht verfügt werden kann, kommt nicht per se einem Vermögensverzicht (ohne rechtliche Verpflichtung und ohne adäquate Gegenleistung; vgl. BGE 140 V 267 E. 2.2 S. 270; 134 I 65 E. 3.2 S. 70; 131 V 329 E. 4.2 S. 332 mit Hinweisen; Urteil 9C_904/2011 vom 5. März 2012 E. 4.1) gleich. Vielmehr ist die Situation vergleichbar mit einigen der soeben (E. 4.3.1 in fine) genannten Tatbestände. Auch die Äufnung von Vorsorgeguthaben im Rahmen der zweiten und dritten Säule - ausserhalb des BVG-Obligatoriums - beruht nicht auf einer gesetzlichen Vorgabe und kann vollkommen freiwillig erfolgen. Die Einräumung einer Nutzniessung oder eines Wohnrechts auf einem Grundstück ist eine Eigentumsbeschränkung, die weder die Altersvorsorge bezweckt, noch eine diesbezüglich anerkannte Anlageform ist, und zudem ebenfalls freiwillig (vertraglich) geschieht. Vermögensstücke im Ausland entsprechen naturgemäss nie einer nach schweizerischem Recht anerkannten Altersvorsorge, auch wenn ihre Verfügbarkeit ähnlich eingeschränkt sein kann. Dass vorhandenes, aber nicht verfügbares Vermögen nicht in die Berechnung der Ergänzungsleistungen einbezogen wird, setzt daher weder eine gesetzliche Verpflichtung noch einen bestimmten Anlagezweck voraus.  
 
4.3.3. Die Berücksichtigung des fraglichen Vermögenswertes mit Blick auf eine Verzichtshandlung und (analoge) Anwendung von Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG fällt aber auch aus einem anderen Grund ausser Betracht: Das anrechenbare Verzichtsvermögen ist ein nicht (mehr) vorhandener, rein hypothetischer Wert, der nach Art. 17a Abs. 1 ELV jährlich (seit dem Verzicht) um einen hypothetischen Vermögensverzehr von Fr. 10'000.- vermindert wird, bis er, genügend Zeit vorausgesetzt, vollständig amortisiert ist resp. den Freibetrag gemäss Art. 11 Abs. 1 lit. c ELG erreicht. Davon ist ein anlagemässig vorhandenes, aber (zurzeit) nicht verfügbares Vermögen zu unterscheiden. Die Anlage eines Vermögens ist grundsätzlich kein Vermögensverzicht. Im Gegenteil ist es normal, dass Vermögen angelegt wird. Auch die Gewährung eines Darlehens ist für sich allein keine Verzichtshandlung, da ein Anspruch auf Rückzahlung besteht. Ein Verzichtstatbestand ist jedoch anzunehmen, wenn bei einer Geldanlage oder einem Darlehen unter den konkreten Umständen von Anfang an damit gerechnet werden muss, dass das Geld nicht zurückbezahlt wird (Urteil 9C_180/2010 vom 15. Juni 2010 E. 5.2 mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung). Dies wird in concreto von keiner Seite geltend gemacht.  
 
4.4. Soweit sich das SVA auf Art. 17 Abs. 1 ELV (E. 3) resp. auf die Konkretisierung dieser Bestimmung in Rz. 3444.01 WEL beruft, kann es nichts für sich ableiten: Diese Regelungen befassen sich nach ihrem klaren Wortlaut lediglich mit der Bewertung von  anrechenbarem Vermögen (vgl. E. 3 vorne), solches hier - wie soeben dargelegt - nicht gegeben ist: Aus der steuerrechtlichen Behandlung eines Vermögenswertes kann nicht auf dessen ergänzungsleistungsrechtliche Relevanz geschlossen werden, ist doch bei dieser die Liquidität resp. Verfügbarkeit des fraglichen Vermögenswertes für den Lebensunterhalt entscheidend.  
 
4.5. Es gibt somit keinen Grund, bei der Ergänzungsleistungsberechnung das vorübergehend nicht verfügbare Vermögen zu berücksichtigen. Insbesondere ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht, dass die konkrete, im Ausland liegende Vermögensanlage im hier interessierenden Zeitraum (2013 und 2014) transferier- oder verwertbar gewesen sein soll (vgl. E. 4.3.1 in fine) oder aber rechtsmissbräuchlich erfolgte. Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
5.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat das SVA die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 3. November 2016 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Glanzmann 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann