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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
C 264/04 
 
Urteil vom 20. Juli 2005 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin Berger Götz 
 
Parteien 
B.________, 1972, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Paul Hollenstein, Stockerstrasse 39, 8027 Zürich, 
 
gegen 
 
Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen, Davidstrasse 21, 9001 St. Gallen, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
(Entscheid vom 28. Oktober 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1972 geborene B.________ war seit 6. März 2000 als Projektmanagerin für die Firma C.________ AG tätig gewesen. Diese Firma wurde auf den 1. Januar 2001 von der Firma P.________ AG übernommen und B.________ setzte ihre Arbeitskraft ab 1. Januar 2001 ebenfalls für die neue Gesellschaft ein. Am 18. Dezember 2003 wurde über die Firma P._______ AG der Konkurs eröffnet. B.________ erhielt erst am 22. März 2004 Kenntnis von der Konkurseröffnung und arbeitete bis am 26. März 2004 weiter in ihrem bisherigen Betätigungsbereich. R.________ ehemaliger (einziger) Verwaltungsrat der Firma P._______ AG, bestätigte am 7. April 2004 unterschriftlich, dass er für die seit Konkurseröffnung geschuldeten Löhne von Fr. 19'521.- als Privatperson einstehe. 
 
Am 6. April 2004 stellte B.________ Antrag auf Insolvenzentschädigung und verwies bezüglich der Höhe der nicht bezahlten Gehälter auf die Forderungseingabe an das Konkursamt des Kantons St. Gallen vom 6. April 2004, worin entgangene Löhne für die Zeit von November 2002 bis Dezember 2003 im Gesamtbetrag von Fr. 101'590.- geltend gemacht werden. Die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen lehnte das Begehren mit der Begründung ab, die Versicherte sei ihrer Schadenminderungspflicht nicht genügend nachgekommen, indem sie die seit November 2002 bestehenden Lohnausstände erstmals am 15. Dezember 2003 schriftlich bei ihrer ehemaligen Arbeitgeberin eingefordert habe (Verfügung vom 14. Mai 2004). Daran hielt die Arbeitslosenkasse auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 21. Juni 2004). 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 28. Oktober 2004 ab. 
C. 
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der Anspruch auf Insolvenzentschädigung sei zu bejahen. 
 
Die Arbeitslosenkasse und das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Im vorinstanzlichen Entscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch auf Insolvenzentschädigung (Art. 51 Abs. 1 AVIG), zu dessen Umfang (Art. 52 Abs. 1 AVIG in der seit 1. Juli 2003 geltenden, hier anwendbaren Fassung) sowie zu den Pflichten des Arbeitnehmers im Konkurs- oder Pfändungsverfahren (Art. 55 Abs. 1 AVIG; BGE 114 V 59 Erw. 3d; ARV 2002 Nr. 8 S. 62 ff. und Nr. 30 S. 190 ff., 1999 Nr. 24 S. 140 ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
Zu ergänzen ist, dass auf den 1. Januar 2003 das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten ist, welches im Hinblick darauf, dass Verfügung (14. Mai 2004) und Einspracheentscheid (21. Juni 2004) nach diesem Zeitpunkt ergangen sind, auf den vorliegenden Fall grundsätzlich anwendbar ist, auch wenn sich der massgebende Sachverhalt teilweise schon vor Inkrafttreten des ATSG verwirklicht hat (Art. 82 Abs. 1 ATSG). Bezüglich der hier streitigen Frage nach einer Verletzung der Schadenminderungspflicht enthält das ATSG - mit Ausnahme von Art. 21 Abs. 4 - indessen keine Bestimmungen (vgl. Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, S. 17 Rz 34). 
2. 
2.1 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wiederholt die Beschwerdeführerin den bereits im vorinstanzlichen Verfahren erhobenen Einwand, für eine Schadenminderungspflicht im Sinne von Art. 55 Abs. 1 AVIG auch ausserhalb des Konkurs- oder Pfändungsverfahrens bestehe keinerlei Grundlage. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Zwar bezieht sich die in Abs. 1 der Bestimmung statuierte Pflicht des Versicherten, alles zu unternehmen, um seine Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, dem Wortlaut nach auf das Konkurs- und Pfändungsverfahren. Die Norm bildet jedoch Ausdruck der allgemeinen Schadenminderungspflicht, welche der versicherten Person in reduziertem Umfang schon vor der Auflösung des Arbeitsverhältnisses obliegt, wenn der Arbeitgeber der Lohnzahlungspflicht nicht oder nur teilweise nachkommt und mit einem Lohnverlust zu rechnen ist. Das Ausmass der vorausgesetzten Schadenminderungspflicht richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Vom Arbeitnehmer wird in der Regel nicht verlangt, dass er bereits während des bestehenden Arbeitsverhältnisses gegen den Arbeitgeber Betreibung einleitet oder eine Klage einreicht. Er hat jedoch seine Lohnforderung gegenüber dem Arbeitgeber in eindeutiger und unmissverständlicher Weise geltend zu machen (ARV 2002 Nr. 30 S. 190). Zu weitergehenden Schritten ist die versicherte Person dann gehalten, wenn es sich um erhebliche Lohnausstände handelt und sie konkret mit einem Lohnverlust rechnen muss. Denn es geht auch für die Zeit vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht an, dass die versicherte Person ohne hinreichenden Grund während längerer Zeit keine rechtlichen Schritte zur Realisierung erheblicher Lohnausstände unternimmt, obschon sie konkret mit dem Verlust der geschuldeten Gehälter rechnen muss (Urteile G. vom 14. Oktober 2004, C 114/04, und G. vom 4. Juli 2002, C 33/02). 
2.2 Aus den Akten geht hervor, dass die Beschwerdeführerin - abgesehen von zwei Teilzahlungen von Fr. 6'500.- im Februar 2003 und von Fr. 6'000.- im Juli 2003 - für die Zeit von November 2002 bis Dezember 2003 (dem Monat der Konkurseröffnung über die ehemalige Arbeitgeberin) keine Lohnzahlungen mehr erhalten hat. Sie hat die geschuldeten Monatsgehälter für die Zeit ab November 2002 ihren Angaben zufolge wiederholt mündlich geltend gemacht. Am 15. Dezember 2003 hat sie die Bezahlung der ausstehenden Monatsgehälter im Gesamtbetrag von Fr. 77'671.20 erstmals schriftlich gemahnt. In diesem Schreiben an die Arbeitgeberin und in einem weiteren Brief an die Arbeitslosenkasse SYNA, Zürich, vom 28. April 2004 schildert sie, R.________ habe auf ihre vorgängigen mündlichen Anfragen jeweils glaubhaft versichert, dass eine Finanzierung oder ein Investment kurz bevorstehe und damit ihre Lohnforderungen beglichen werden könnten. Dass sie sich zunächst mit diesen ebenfalls mündlichen Zusicherungen ihres Vorgesetzten begnügt hat, mag insbesondere mit Blick darauf, dass sie in einem Kleinbetrieb tätig war und mehrere Stunden am Tag mit ihrem Vorgesetzten zusammenarbeitete, als verständlich erscheinen. Zu einem Verzicht auf konkrete Mass-nahmen zur Realisierung der Lohnansprüche bestand aber spätestens ab März 2003, als der Monatslohn nach der Teilzahlung im Februar 2003 (welche ungefähr einem Monatslohn entsprach und die seit November 2002 bestehenden Ausstände bei weitem nicht deckte) wiederum ausblieb, kein Anlass mehr. Es musste der Beschwerdeführerin klar sein, dass sie allein mit mündlichen Nachfragen keine ordnungsgemässe Lohnzahlung mehr erreichen konnte und nachhaltigere Schritte gefordert waren, um einen Lohnverlust zu verhindern. Entgegen ihrer Auffassung hätte sich in jenem Zeitpunkt eine schriftliche Mahnung durchaus geeignet, den Druck auf die damalige Arbeitgeberin, ihren Lohnzahlungspflichten wieder nachzukommen, zu erhöhen. Mit zunehmendem Zeitablauf wurde es immer unwahrscheinlicher, dass die Firma noch über Mittel verfügte, um ihre Schulden begleichen zu können. Indem die Versicherte aber ausser den mündlichen Nachfragen keinerlei Schritte zur Einforderung der ausstehenden Löhne unternommen und die ehemalige Arbeitgeberin erstmals am 15. Dezember 2003, somit über ein Jahr seit Beginn der Lohnausstände im November 2002, schriftlich zur Zahlung aufgefordert hat, ist sie - wie Vorinstanz und Verwaltung zu Recht erwogen haben - der arbeitslosenversicherungsrechtlichen Schadenminderungspflicht nicht nachgekommen. 
2.3 Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobenen Einwände vermögen daran nichts zu ändern. Soweit die bereits im kantonalen Gerichtsverfahren entkräfteten Rügen wiederholt werden, kann auf die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Entscheides verwiesen werden. Wird der Arbeitgeber zahlungsunfähig, so kann der Arbeitnehmer gemäss Art. 337a OR das Arbeitsverhältnis fristlos auflösen, sofern ihm für seine Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis nicht innert angemessener Frist Sicherheit geleistet wird. Dem Arbeitnehmer steht mit der obigen Bestimmung die Möglichkeit offen, zu verhindern, dass er dem Arbeitgeber auf unbestimmte Zeit Kredit gewährt und das Risiko trägt, die Gegenleistung nicht zu erhalten (BGE 120 II 212 Erw. 6a). Es kann von ihm jedoch nicht unter dem Titel der Schadenminderungspflicht (BGE 129 V 463 Erw. 4.2, 123 V 233 Erw. 3c mit Hinweisen) verlangt werden, diesen Schritt zu machen (Urteil N. vom 15. April 2005, C 214/04). Wie die Beschwerdeführerin somit zu Recht festhält, war sie zur fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht verpflichtet, und es existiert im Arbeitslosenversicherungsgesetz auch keine Sanktion für eine nicht bestehende Pflicht. Um zu verhindern, dass der Arbeitnehmer beliebig lange ohne Lohn beim bisherigen Arbeitgeber bleibt, hat der Gesetzgeber in Art. 52 Abs. 1 AVIG eine zeitliche Limite für die Bezugsdauer der Insolvenzentschädigung gesetzt. Spätestens nach vier Monaten ohne Lohn ist es dem Arbeitnehmer demnach aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht nicht mehr zumutbar, das Arbeitsverhältnis mit dem insolventen Arbeitgeber weiterzuführen (Urteil N. vom 15. April 2005, C 214/04). Verbleibt er ohne Lohnbezug über diesen Zeitraum hinaus beim bisherigen Arbeitgeber, anstatt sich nach einer neuen Beschäftigung umzusehen, handelt er auf eigenes Risiko. Dem Schutzzweck der Insolvenzentschädigung entsprechend sollen nicht Unternehmensrisiken abgedeckt, sondern soziale Härten der Arbeitnehmer vermieden werden (Urs Burgherr, Die Insolvenzentschädigung, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers als versichertes Risiko, Diss. Zürich 2004, S. 120). Die Beschwerdeführerin hatte im Zeitpunkt der Konkurseröffnung - abgesehen von zwei Teilzahlungen im Februar und Juli 2003 - bereits während mehr als einem Jahr keinen Lohn mehr erhalten. Es kann ihr nach dem Gesagten nicht zum Nachteil gereichen, dass sie das Arbeitsverhältnis trotzdem weiterführte. Sie muss sich jedoch vorwerfen lassen, dass sie zu lange mit konkreten Schritten zur Lohneinforderung zugewartet hat. Entgegen ihrer Ansicht lässt sich dabei nicht generell festlegen, welche Massnahmen die Arbeitnehmer einzuleiten haben, damit sie ihrer Schadenminderungspflicht nachkommen. Dies hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (Erw. 2.1 hiervor). Vorliegend hätte die Beschwerdeführerin auf Grund der seit November 2002 ausstehenden Löhne zumindest nach Ausbleiben des Märzgehaltes 2003 merken müssen, dass mündliche Lohnnachfragen keinen Erfolg zeitigten. Mit Blick auf die ausserordentlich hohen Ausstände über eine sehr lange Zeit wäre sie deshalb nach einer allenfalls fruchtlosen schriftlichen Mahnung - trotz noch fortdauerndem Arbeitsverhältnis, abweichend von der Regel (Erw. 2.1 hiervor) - gehalten gewesen, Lohnklage zu erheben oder direkt die Betreibung einzuleiten. Soweit sie vorbringt, es bestehe kein qualitativer Unterschied zwischen mündlicher und schriftlicher Geltendmachung der ohnehin bestehenden Lohnforderung, ist auf die offenkundige Tatsache hinzuweisen, dass Schuldner oftmals erst unter dem Druck einer schriftlichen Aufforderung ihren Zahlungspflichten nachkommen. Auf mündliche Zusicherungen hätte sich die Beschwerdeführerin jedenfalls nicht während der Dauer eines ganzen Jahres verlassen dürfen, weil die Wahrscheinlichkeit eines Lohnverlustes mit dem Zeitablauf stetig zunahm. Schliesslich kann entgegen den Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht angenommen werden, dass der Schaden (Lohnverlust) auch bei pflichtgemässem Handeln nicht zu vermeiden gewesen wäre. Denn es ist nicht auszuschliessen, dass bei sofortiger Androhung oder Einleitung der genannten Massnahmen noch eine Zahlung erfolgt wäre. Demzufolge besteht kein Grund, die Rechtmässigkeit der Leistungsverweigerung mangels einer Kausalität des pflichtwidrigen Verhaltens der Versicherten zu verneinen. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Amt für Arbeit, St. Gallen, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. 
Luzern, 20. Juli 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: