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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.519/2003 /bmt 
 
Urteil vom 12. Dezember 2003 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Aeschlimann, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Parteien 
I.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Beat Rieder, 
 
gegen 
 
Untersuchungsrichteramt Oberwallis, Kantonsstrasse 6, 3930 Visp, 
Staat Wallis, 1950 Sitten, handelnd durch die Staatsanwaltschaft Oberwallis, Gebreitenweg 2, Postfach 540, 3930 Visp, 
Kantonsgericht Wallis, Strafkammer, Justizgebäude, 1950 Sitten 2. 
 
Gegenstand 
Entschädigung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil 
des Kantonsgerichts Wallis, Strafkammer, 
vom 7. August 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Untersuchungsrichteramt Oberwallis führte gegen I.________ eine Untersuchung wegen eines Jagdvergehens im Sinne von Art. 17 JSG. Es verdächtigte ihn, am unerlaubten Abschuss des am 25. November 1998 in Reckingen tot aufgefundenen Wolfes beteiligt gewesen zu sein. Im Zuge der Untersuchung wurde I.________ am 27. April 1999, um 09:15 Uhr in seiner Wohnung in X.________ verhaftet. Nach wiederholten Befragungen wurde er am Abend des gleichen Tages aus der Haft entlassen. 
 
Am 11. Mai 2000 eröffnete der Untersuchungsrichter gegen I.________ ein Strafverfahren und stellte dieses am 7. Dezember 2000 wieder ein. Am 6. September 2001 hiess das Kantonsgericht die Berufung des Staatsanwaltes gegen die Einstellung des Verfahrens gut und wies die Sache zur Wiederaufnahme des Verfahrens an den Untersuchungsrichter zurück. 
 
Am 13. Dezember 2002 stellte der Untersuchungsrichter das Verfahren erneut ein, nahm die Kosten auf die Staatskasse und verpflichtete den Kanton Wallis, I.________ eine Parteientschädigung von Fr. 6'246.50 zu bezahlen. 
B. 
Am 13. Februar 2003 beantragte I.________ mit einem Entschädigungsbegehren im Sinne von Art. 114 der Walliser Strafprozessordnung vom 22. Februar 1962 (StPO), der Kanton Wallis habe ihm eine Entschädigung für den Lohnausfall und den sonstigen materiellen Schaden in Höhe von Fr. 38'134.-- sowie eine Genugtuung von Fr. 20'000.-- zu bezahlen. 
 
Nach Einholung einer Vernehmlassung bei der Staatsanwaltschaft sprach die Strafkammer des Kantonsgerichts I.________ am 7. August 2003 eine Genugtuung von Fr. 1'200.-- zu und wies die weitergehenden Begehren ab. Es erhob keine Kosten und sprach ihm für das Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 300.-- zu. 
C. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 8. September 2003 wegen Verletzung von Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV beantragt I.________, diesen Entscheid der Strafkammer aufzuheben. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
Die Strafkammer und der Staatsanwalt verzichten auf Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Beim angefochtenen Entscheid der Strafkammer handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte zulässig ist (Art. 84 Abs. 1 lit. a, Art. 86 OG). Der Beschwerdeführer, dessen Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche weitgehend abgewiesen wurden, ist zur Beschwerde befugt (Art. 88 OG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten ist. 
2. 
Der Beschwerdeführer hatte vor Kantonsgericht geltend gemacht, er habe durch das Strafverfahren einen Schaden von Fr. 38'134.-- erlitten, welcher ihm nach Art. 114 StPO zu ersetzen sei. Ausserdem verlangte er eine Genugtuung von Fr. 20'000.-- für die immaterielle Unbill, die er durch das stark mediatisierte Verfahren erlitten habe. 
2.1 Die Strafkammer erwog im angefochtenen Entscheid, die dem Beschwerdeführer im eingestellten Strafverfahren erwachsenen Partei- und Anwaltskosten könnten nicht Gegenstand einer Entschädigungsforderung nach Art. 114 StPO sein, da diese bereits durch die im Einstellungsbeschluss zugesprochene Parteientschädigung abgegolten worden seien. Diese decke sämtliche Kosten der anspruchsberechtigten Partei ab, weshalb eine zusätzliche, nachträgliche Entschädigung im Rahmen von Art. 114 StPO ausgeschlossen sei. Soweit die Forderung mit derartigen Aufwendungen wie durch das Strafverfahren bedingten Lohnausfällen, persönlichen Aufwendungen und Auslagen begründet werde, sei sie unbegründet. 
Dies gelte auch, soweit der Beschwerdeführer eine Entschädigung für das Berufungsverfahren vor Kantonsgericht und die Rückerstattung der ihm im längst rechtskräftig gewordenen Urteil vom 6. September 2001 auferlegten Kosten verlange. In diesem Berufungsverfahren sei er unterlegen und dem Ausgang entsprechend kostenpflichtig geworden. 
2.2 Dagegen anerkannte die Strafkammer die Entschädigungsforderung des Beschwerdeführers wegen ungerechtfertigter Haft im Grundsatz, da er keinen Anlass zu seiner Verhaftung gegeben habe. Nach der allgemeinen Beweislastregel liege es indessen an ihm, den Schaden zu beweisen. Er beziffere den Schaden mit insgesamt Fr. 38'134.-- für den Lohnausfall zufolge des Verlusts seiner Arbeitsstelle bei der X.________ AG im Oktober 2001, Lohnausfalls wegen Teilnahme an Einvernahmen und Sitzungen bei Gerichten sowie aussergerichtlicher Aufwendungen. 
 
Für den Verlust seiner Arbeitsstelle bei der X.________ AG sei indessen das Strafverfahren nicht kausal. Zwar habe der Beschwerdeführer Spannungen zwischen ihm und dem Schwiegervater auf Grund des Strafverfahrens erwähnt, welche eine Weiterführung des Arbeitsverhältnisses undenkbar gemacht hätten. Als Grund für die Trennung habe er alsdann aber ausdrücklich Differenzen bezüglich der Erledigung von Aufträgen und Unterschiede in der Geschäftsmentalität genannt. Darauf sei er zu behaften. Ohnehin sei er nach seiner Trennung von der Firma des Schwiegervaters nicht arbeitslos gewesen, sondern habe bis zum 20. Dezember 2001 bei Y.________ gearbeitet. Die Strafuntersuchung sei somit einer anderweitigen Anstellung nicht im Wege gestanden, und der Verlust dieser Arbeitsstelle habe unbestrittenermassen mit dem Strafverfahren nichts zu tun gehabt. Der Staat hafte damit nicht für einen allfälligen Lohnausfall des Beschwerdeführers. 
 
Dieser sei zudem weder substanziiert noch belegt, da sich der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer weder zu den Leistungen der Arbeitslosenversicherung und den für seine Arbeit auf dem Flugplatz sowie einer weiteren kurzen Anstellung ausbezahlten Löhnen geäussert, noch die Abrechnungen der Arbeitslosenkasse und die Lohnausweise dieser Arbeitgeber beigebracht habe. Zudem seien seine Angaben zu seiner Erwerbstätigkeit auch widersprüchlich: so behaupte er in seinem Gesuch, seit Sommer 2002 ein eigenes Geschäft zu führen, wobei er für die Monate April bis Juli 2002 Lohnausfall geltend mache. Dem Untersuchungsrichter habe er demgegenüber am 2. Juni 2002 erklärt, er sei seit April 2002 selbständig erwerbend und die Auftragslage sei zufriedenstellend. Eine Entschädigung für Lohnausfall könne dem Beschwerdeführer daher auch mangels Substanziierung und Nachweis des Schadens nicht zugesprochen werden. 
2.3 Der Beschwerdeführer wirft der Strafkammer des Kantonsgerichts Gehörsverweigerung und willkürliche Beweiswürdigung vor. Ihr Schluss, es sei unbestritten, dass das Strafverfahren für den Verlust der Arbeitsstelle bei seinem Schwiegervater nicht kausal gewesen sei, sei unhaltbar. Hätte die Strafkammer an dem von ihm genannten Grund für den Verlust seiner Arbeitsstelle Zweifel gehabt, wäre sie nach Art. 171 Ziff. 1 StPO verpflichtet gewesen, entsprechende Erhebungen zu machen. Dies gelte ebenso in Bezug auf den ebenfalls willkürlichen Vorwurf, er habe seinen Schaden nicht substanziiert: er habe in seinem Entschädigungsgesuch diesbezügliche Beweisanträge - Edition von Lohnausweisen durch die X.________ AG, Befragung des Beschwerdeführers und seiner Frau - gestellt, doch sei die Strafkammer darüber hinweg gegangen. Sie habe es nicht einmal für nötig erachtet, ihm zur Wahrung des rechtlichen Gehörs eine Frist zur Stellungnahme des Staatsanwaltes vom 13. März 2003 einzuräumen. 
 
Die ihm zugesprochene Genugtuung von Fr. 1'200.-- rügt der Beschwerdeführer als unhaltbar tief, sei er doch während fast vier Jahren als "mutmasslicher Wolfsfrevler" ins Kreuzfeuer der Öffentlichkeit gekommen, was für ihn und seine Familie äusserst belastend gewesen sei. 
3. 
3.1 Unbestritten geblieben ist der Entscheid der Strafkammer insoweit, als der Beschwerdeführer die Ablehnung einer Entschädigung für die im Strafverfahren aufgelaufenen Partei- und Anwaltskosten (oben E. 2.1 Absatz 1) vor Bundesgericht nicht mehr anficht. Das Gleiche gilt für die Weigerung der Strafkammer, den Beschwerdeführer für das mit Urteil vom 6. September 2001 abgeschlossene Berufungsverfahren zu entschädigen bzw. die ihm dabei auferlegten Kosten zurückzuerstatten (oben E. 2.1 Absatz 2). 
3.2 Der Beschwerdeführer rügt die Feststellung der Strafkammer zu Recht als willkürlich, der Verlust seiner Arbeitsstelle bei seinem Schwiegervater sei unbestrittenermassen nicht auf das Strafverfahren, sondern auf vorbestehende Differenzen bezüglich der Erledigung von Aufträgen und unterschiedliche Geschäftsmentalitäten zurückzuführen gewesen. Es wäre denn auch geradezu widersinnig, wenn der Beschwerdeführer eine Entschädigung für Lohnausfall verlangt und gleichzeitig zugestanden hätte, das Strafverfahren und der Verlust des Arbeitsplatzes stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang. Und er hat dies entgegen der offensichtlich nicht haltbaren Auffassung der Strafkammer auch nicht getan, sondern das durch das Strafverfahren bewirkte Zerwürfnis mit dem Schwiegervater stets als Hauptursache und die "unterschiedlichen Geschäftsmentalitäten" als mögliche Mitursache des Arbeitsplatzverlustes dargestellt. Indem die Strafkammer das Entschädigungsbegehren mangels Kausalzusammenhangs abwies, verfiel sie in Willkür. 
3.3 Die Strafkammer hat nach Eingang des Begehrens bei der Staatsanwaltschaft eine Vernehmlassung eingeholt. In seiner Vernehmlassung legte der Staatsanwalt substanziiert dar, weshalb er die Forderungen des Beschwerdeführers für unbegründet bzw. weit überrissen hält. Die Strafkammer wäre daher schon aus diesem Grund verpflichtet gewesen, dem Beschwerdeführer zur Wahrung des rechtlichen Gehörs Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äussern (BGE 114 Ia 307 E. 4b). 
 
Das Bundesgericht hat zudem bereits im den Schwiegervater des Beschwerdeführers betreffenden Urteil 1P.657/2001 vom 16. Januar 2001 entschieden, dass es mit § 171 StPO nicht vereinbar ist, ein fristgerecht eingereichtes, in verschiedene Positionen aufgegliedertes Entschädigungsbegehren ohne weiteres mit der Begründung abzuweisen, es fehlten die Belege. In einem solchen Fall ist die Strafkammer sowohl auf Grund der erwähnten Bestimmung als auch auf Grund von Art. 29 Abs. 2 BV verpflichtet, den Beschwerdeführer aufzufordern, die fehlenden Belege nachzureichen, soweit sie dies für erforderlich hält (a.a.O. E. 4.3). Hier kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer die Einvernahme von Zeugen und Editionen beantragt hatte und dass diesen Beweisanträgen ohne Begründung keine Folge gegeben wurde. Indem die Strafkammer das Entschädigungsbegehren mangels Substanziierung und Nachweis des Schadens abwies, wandte sie § 171 StPO willkürlich an und verletzte das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers. 
4. 
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Strafkammer wird den Beschwerdeführer zu wahrheitsgemässen Angaben über sämtliche für den Schaden massgebenden Faktoren und zur Einreichung der entsprechenden Belege und Beweismittel aufzufordern haben, um dann die erforderlichen Beweise abzunehmen und neu über das Begehren zu befinden. Es erübrigt sich daher, die Rügen zu behandeln, die Genugtuung und die Parteientschädigung im Verfahren vor der Strafkammer seien willkürlich tief angesetzt. 
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 OG). Der unterliegende Kanton Wallis hat dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen. Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Der Kanton Wallis hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Untersuchungsrichteramt Oberwallis, dem Staat Wallis und dem Kantonsgericht Wallis, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 12. Dezember 2003 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: