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[AZA 0] 
1P.573/1999/boh 
 
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG 
********************************** 
 
3. Januar 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Féraud, 
Ersatzrichterin Geigy-Werthemann und Gerichtsschreiber Pfäffli. 
 
--------- 
 
In Sachen 
 
S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Martin Sterchi, Zeughausgasse 5, Postfach 333, Bern, 
 
gegen 
 
Generalprokurator-StellvertreterindesKantons Bern, 
ObergerichtdesKantons Bern, Anklagekammer, 
 
betreffend 
Entschädigung und Kostenauflage, hat sich ergeben: 
 
A.- Das Untersuchungsrichteramt II Emmental-Oberaargau führte gegen S.________ und zwei weitere Angeschuldigte eine Strafuntersuchung wegen verschiedener Delikte. Mit Beschluss der a.o. Untersuchungsrichterin 3 des Untersuchungsrichteramtes II Emmental-Oberaargau und der Staatsanwaltschaft II Emmental-Oberaargau vom 7./21. Juli 1999 wurde die Strafverfolgung gegen die drei Angeschuldigten teilweise aufgehoben. Bezüglich S.________ wurde die Strafverfolgung wegen unwahren Angaben über Handelsgesellschaften, ungetreuer Geschäftsführung, evtl. Veruntreuung, angeblich mehrfach begangen, und Urkundenfälschung bzw. Anstiftung dazu, unter Auferlegung der Verfahrenskosten von Fr. 1'400. -- und ohne Ausrichtung einer Entschädigung aufgehoben; wegen Erschleichens einer falschen Beurkundung wurde S.________ an das Kreisgericht V Burgdorf-Fraubrunnen überwiesen. 
 
B.- Gegen diesen Beschluss reichten S.________ und der mitangeschuldigte W.________ bei der Anklagekammer des Kantons Bern einen Rekurs ein mit dem Antrag, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben, soweit ihnen Verfahrenskosten auferlegt wurden und die Ausrichtung einer Entschädigung verweigert wurde. Die Anklagekammer wies mit Beschluss vom 19. August 1999 den Rekurs ab. 
 
C.- S.________ hat am 27. September 1999 staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Beschluss der Anklagekammer des Kantons Bern beim Bundesgericht eingereicht. Er stellt den Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. Er beruft sich auf Art. 6 Ziff. 2 EMRK und Art. 4 aBV (vgl. Art. 32 Abs. 1 der neuen Bundesverfassung, nBV) und macht geltend, der angefochtene Entscheid verstosse gegen die Unschuldsvermutung. 
 
D.- Die stellvertretende Generalprokuratorin des Kantons Bern stellt in ihrer Vernehmlassung den Antrag, die staatsrechtliche Beschwerde sei abzuweisen. Die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern beantragt unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid ebenfalls deren Abweisung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Beim angefochtenen Beschluss der Anklagekammer des Obergerichts handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG), der mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann. Der Beschwerdeführer ist durch die Kostenauflage und die Verweigerung einer Entschädigung in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt und somit zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG). Auf die form- und fristgerecht eingereichte staatsrechtliche Beschwerde ist daher einzutreten. 
 
2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die Kostenauflage und die Verweigerung einer Parteientschädigung in den Punkten, in denen die Strafverfolgung aufgehoben worden ist, verstosse gegen die sich aus Art. 6 Ziff. 2 EMRK und Art. 4 aBV (Art. 32 Abs. 1 nBV) ergebende Unschuldsvermutung. 
 
a) Nach der Praxis des Bundesgerichts ist es mit der Unschuldsvermutung nicht vereinbar, einem nicht verurteilten Angeschuldigten Verfahrenskosten aufzuerlegen oder ihm eine Parteientschädigung zu verweigern, gestützt auf den - direkten oder indirekten - Vorwurf, er habe sich strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein strafrechtliches Verschulden (BGE 120 Ia 147 E. 3b S. 155). Dagegen ist es zulässig, ihm die Kosten zu überbinden, wenn er durch ein unter rechtlichen Gesichtspunkten vorwerfbares Verhalten die Einleitung des Strafverfahrens veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. Bei der Kostenpflicht des Freigesprochenen oder aus dem Verfahren entlassenen Angeschuldigten handelt es sich nicht um eine Haftung für ein strafrechtliches Verschulden, sondern um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für ein fehlerhaftes Verhalten, durch das die Einleitung oder Erschwerung eines Prozesses verursacht wurde. Gemäss Art. 41 Abs. 1 OR ist zum Ersatz verpflichtet, wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit. Im Zivilrecht wird demnach eine Haftung dann ausgelöst, wenn jemandem durch ein widerrechtliches und - abgesehen von den Fällen der Kausalhaftung - schuldhaftes Verhalten ein Schaden zugefügt wird. Widerrechtlich im Sinne von Art. 41 Abs. 1 OR ist ein Verhalten dann, wenn es gegen Normen verstösst, die direkt oder indirekt Schädigungen untersagen bzw. ein Schädigungen vermeidendes Verhalten vorschreiben. Solche Verhaltensnormen ergeben sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung, unter anderem aus Privat-, Verwaltungs- und Strafrecht, gleichgültig, ob es sich um eidgenössisches oder kantonales, geschriebenes oder ungeschriebenes Recht handelt. Es ist mit Verfassung und Konvention vereinbar, einem nicht verurteilten Angeschuldigten die Kosten dann zu überbinden, wenn er in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine solche Verhaltensnorm klar verstossen und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (BGE 119 Ia 332 E. 1b mit Hinweisen). 
 
b) Wird eine Kostenauflage wegen Verletzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten, so prüft das Bundesgericht frei, ob der Text des Kostenentscheids direkt oder indirekt den Vorwurf einer strafrechtlichen Schuld enthält. Nur auf Willkür hin untersucht es dagegen, ob der Angeschuldigte in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm klar verstossen und durch dieses Benehmen das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (BGE 116 Ia 162 E. 2f S. 175). Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 125 II 129 E. 5b S. 134 mit Hinweis). 
 
3.- Die Anklagekammer hat den Rekurs gegen den Beschluss der a.o. Untersuchungsrichterin und der Staatsanwaltschaft mit der Begründung abgewiesen, eine für das Verfahren kausale zivilrechtliche Vorwerfbarkeit sei klar gegeben. Die Anklagekammer befasste sich zuerst mit dem Rekurrenten W.________ und hielt diesem verschiedene Geschäftspraktiken vor, die sie als widerrechtlich bezeichnete. Im Einzelnen handelte es sich dabei um die mit dem Beschwerdeführer vereinbarte Rückzahlung des Liberierungsbetrages sowie um angeblich verdeckte Entschädigungs- und Lohnzahlungen, welche W.________, der Beschwerdeführer sowie ein weiterer Angeschuldigter mit Hilfe eines fiktiven Leasingvertrages praktiziert hätten. Widerrechtliche Geschäftspraktiken dieser Art seien geeignet, ein Strafverfahren unter mehreren Aspekten zu veranlassen. Die fraglichen Sachverhalte seien deshalb auch kostenrelevant bei der Aufhebung der Strafverfolgung wegen Straftatbeständen, welche den Beschwerdeführer betreffen (unwahre Angaben über Handelsgesellschaften und ungetreue Geschäftsführung, evtl. Veruntreuung). 
 
Hinsichtlich der Aufhebung der Strafverfolgung wegen Urkundenfälschung bzw. Anstiftung dazu erwog die Anklagekammer, dass die Sachverhalte (Erstellenlassen von diversen fiktiven Dokumenten zwecks Vorteilserlangung beim Fiskus) eine Kostenauflage rechtfertigen würden, sei die Widerrechtlichkeit des Vorgehens doch offenkundig. 
 
4.- Im Folgenden ist zu prüfen, ob im Sinne der dargelegten Praxis (vgl. E. 2a) ein unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten vorwerfbares rechtswidriges Verhalten vorliegt. 
 
a) Der Beschwerdeführer hat anlässlich seiner Einvernahme vom 15. Mai 1995 zugegeben, dass er zur Gründung der Firma G.________ kurzfristig Fr. 50'000. -- zur Verfügung stellte. Aus den in den Akten liegenden Belegen geht hervor, dass per Valuta 9. März 1989 Fr. 50'000. -- auf das Aktienliberierungskonto der Firma G.________ bei der Bank A.________ einbezahlt wurden, dass am 12. April 1989 der Saldo des Aktienliberierungskontos von Fr. 50'000. -- auf ein Kontokorrentkonto der Firma G.________ übertragen wurde und dass die Firma G.________ am 5. Juli 1989 von diesem Konto Fr. 50'000. -- an den Beschwerdeführer überweisen liess. Dieser Sachverhalt führte zur Einleitung einer Strafverfolgung wegen unwahren Angaben über Handelsgesellschaften und ungetreuer Geschäftsführung, evtl. Veruntreuung. 
 
b) Gemäss Art. 680 Abs. 2 OR steht dem Aktionär ein Recht, den einmal eingezahlten Betrag zurückzufordern, nicht zu. Lehre und Praxis haben aus dieser Bestimmung ein Rückzahlungsverbot, welches auch die Gesellschaft bindet, entwickelt (Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 50 N 107). Der zwingende Charakter des Kapitalrückzahlungsverbots von Art. 680 Abs. 2 OR steht auch vertraglichen Vereinbarungen entgegen. Eine solche Vereinbarung ist nichtig und lässt, wenn sie trotzdem vollzogen wird, die Liberierungspflicht des Aktionärs wieder aufleben (Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, a.a.o., § 50 N 109). 
 
Mit seinem Verhalten hat der Beschwerdeführer vorsätzlich gegen eine der tragenden Kapitalschutzvorschriften und damit gegen eine grundlegende Bestimmung des schweizerischen Aktienrechts verstossen. Dadurch hat er die Einleitung einer Strafverfolgung verursacht. Trotz der Aufhebung der Strafverfolgung durften ihm insoweit die Verfahrenskosten auferlegt und eine Entschädigung verweigert werden. Dabei ist es vorliegend unerheblich, dass zum Zeitpunkt der Ausdehnung des Verfahrens auf den Vorwurf der unwahren Angaben über Handelsgesellschaften die Verjährung bereits eingetreten war, da durch diese zusätzliche Anschuldigung, die auf dem gleichen Sachverhalt wie der Vorwurf der ungetreuen Geschäftsführung, evtl. Veruntreuung beruht, keine zusätzlichen und ausscheidbaren Kosten entstanden sind; etwas anderes wird denn auch vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. 
 
c) Hinsichtlich eines Leasingvertrages über eine EDV-Anlage Macintosh im angeblichen Wert von Fr. 168'100. -- erklärte der Beschwerdeführer anlässlich seiner Einvernahme vom 15. Mai 1995, dass es sich nach seiner Ansicht um einen "total fingierten Vertrag" gehandelt habe. Der Gedanke sei gewesen, Geld aus der Firma zu holen und W.________ und Frau Z.________ zukommen zu lassen. Er selbst habe von diesem Geld nichts erhalten. Anlässlich seiner Einvernahme vom 8. April 1999 hat der Beschwerdeführer zugegeben, dass die Rechnung betreffend diese EDV-Anlage fingiert war und die Anlage nie geliefert wurde. Ferner hat er bestätigt, dass dieser Leasingvertrag im Betrag von Fr. 168'100. -- in seinem Auftrag fiktiv erstellt worden war. Dass mit dem fiktiven Leasingvertrag der Firma G.________ Mittel entzogen werden sollten, liegt auf der Hand und ist vom Beschwerdeführer zugestanden. Ob dem Beschwerdeführer selbst aufgrund des fiktiven Leasingvertrages Mittel zugeflossen sind, kann offen bleiben. 
 
Fiktive Verträge sind geeignet und in der Regel auch darauf ausgelegt, über einen Sachverhalt zu täuschen. Sie beruhen auf einem Missbrauch der Vertragsfreiheit und verstossen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr. Indem der Beschwerdeführer zugegebenermassen einen Auftrag zu einem fiktiven Vertrag erteilt hat, hat er vorsätzlich gegen eine grundlegende Verhaltensnorm verstossen und damit die Einleitung einer Strafverfolgung verursacht. Trotz der Aufhebung der Strafverfolgung durften ihm deshalb auch insoweit die Verfahrenskosten auferlegt und eine Entschädigung verweigert werden. 
 
5.- Hinsichtlich der Sachverhalte (Erstellenlassen von diversen fiktiven Dokumenten zwecks Vorteilserlangung beim Fiskus), welche zur Strafverfolgung wegen Urkundenfälschung bzw. Anstiftung dazu führten, erwog die Anklagekammer, beweismässig könne ohne weiteres von der Richtigkeit der Aussagen des Mitangeschuldigten M.________ ausgegangen werden, da diese mit den dazugehörigen Dokumenten korrelieren und sich ausserdem die These eines Racheaktes nicht mit der Tatsache vereinbaren lasse, dass sich M.________ mit seinen Aussagen selbst beanzeigt und belastet habe. 
 
Der Beschwerdeführer erachtet diese Beweiswürdigung als willkürlich, da die Anklagekammer ausschliesslich auf die Aussagen des Mitangeschuldigten M.________ abgestellt habe. Ausserdem habe die Kantonspolizei Bern in ihrem Schlussbericht weitere Beweiserhebungen für erforderlich gehalten. Die Vorbringen des Beschwerdeführers sind indessen nicht geeignet die Feststellungen der Anklagekammer als willkürlich erscheinen zu lassen, zumal der Beschwerdeführer anlässlich seiner Einvernahme vom 8. April 1999 selbst zur Erkenntnis kam, "dass das Ganze - also die Korrespondenz um die Leasingverträge - fiktiv erstellt worden war. " Im Übrigen bestand aufgrund des eingestandenen Vorgehens bezüglich des fiktiven Leasingvertrages über eine EDV-Anlage Macintosh (vgl. E. 4c) auch vorliegend Grund zur Annahme, dass der Beschwerdeführer weitere unzutreffende Verträge und Korrespondenzen erstellte oder erstellen liess. Mit diesem Vorgehen hat der Beschwerdeführer, wie in Erwägung 4c bereits festgestellt, vorsätzlich gegen eine grundlegende Verhaltensnorm verstossen und damit die Einleitung einer Strafverfolgung verursacht. Trotz der Aufhebung der Strafverfolgung durften ihm deshalb auch in diesem Punkt die Verfahrenskosten auferlegt und eine Entschädigung verweigert werden. 
 
6.- Zusammenfassend ergibt sich, dass die Kostenauflage und die Verweigerung einer Entschädigung weder willkürlich ist noch gegen die Unschuldsvermutung gemäss Art. 6 Ziff. 2 EMRK verstösst. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher abzuweisen. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000. -- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Generalprokurator-Stellvertreterin und dem Obergericht des Kantons Bern, Anklagekammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
 
Lausanne, 3. Januar 2000 
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Der Gerichtsschreiber: