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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1458/2017  
 
 
Urteil vom 21. Juni 2018  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Ausstand; Nichtanhandnahme (versuchter [evtl. geringfügiger] Betrug), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 21. November 2017 (BK 17 430). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Rechtsanwalt X.________ erstattete Strafanzeige wegen versuchten (eventuell geringfügigen) Betrugs und Gehilfenschaft gegen zwei ehemalige Rechtspraktikantinnen. Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland nahm das Verfahren am 5. Oktober 2017 nicht an die Hand. Das Obergericht des Kantons Bern wies die Beschwerde von Rechtsanwalt X.________ am 21. November 2017 ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt Rechtsanwalt X.________, es sei ein Strafverfahren durchzuführen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung in einer auf Gesetz beruhenden Besetzung an das Obergericht zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und stellt ein Ausstandsgesuch gegen Bundesrichter Rüedi und Bundesrichterin Jametti. Ausserdem lehnt er die Besetzung des Spruchkörpers wegen Verstosses gegen Art. 6 EMRK insgesamt ab. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Privatklägerschaft ist nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wenn sie vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat und wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann. Sie hat vor Bundesgericht darzulegen, dass die Legitimationsvoraussetzungen erfüllt sind und unter Vorbehalt klarer, zweifelsfreier Fälle insbesondere zu erläutern, weshalb und inwiefern sich der angefochtene Entscheid im Ergebnis und aufgrund der Begründung negativ auf ihre Zivilansprüche auswirken kann (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Das Bundesgericht stellt an die Begründung strenge Anforderungen. Fehlt es daran, tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde nicht ein (BGE 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen). 
Der Beschwerdeführer hat einen versuchten Betrug in geringfügiger Höhe beanzeigt. Einen finanziellen Schaden macht er nicht geltend. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern sich der angefochtene Entscheid auf welche Zivilansprüche auswirken könnte. Der Beschwerdeführer ist daher nicht zur Beschwerde legitimiert und nicht zu hören, soweit er rügt, das Verfahren sei zu Unrecht nicht an die Hand genommen worden. Soweit er hingegen eine Verletzung des Rechts auf ein auf Gesetz beruhendes Gericht aufgrund der vorinstanzlichen Spruchkörperbildung rügt, ergibt sich sein rechtlich geschütztes Interesse aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen (sog. "Star-Praxis"; vgl. BGE 141 IV 1 E. 1.1). Auf die Beschwerde ist insoweit einzutreten. 
 
2.  
Vorab ist über die Gesuche betreffend das bundesgerichtliche Verfahren zu befinden. 
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 6 EMRK, weil die Besetzung des Spruchkörpers im Einzelfall nicht auf einem gesetzlichen Geschäftsverteilungsplan beruhe, sondern im Ermessen des Abteilungspräsidenten liege.  
 
2.1.1. Gemäss Art. 22 BGG regelt das Bundesgericht die Verteilung der Geschäfte auf die Abteilungen nach Rechtsgebieten, die Bildung der Spruchkörper sowie den Einsatz der nebenamtlichen Richter und Richterinnen durch Reglement. Art. 40 Abs. 1 des Reglements vom 20. November 2006 für das Bundesgericht (BGerR; SR 173.110.131) sieht vor, dass der Präsident oder die Präsidentin der zuständigen Abteilung den Spruchkörper bildet. Er oder sie berücksichtigt gemäss Art. 40 Abs. 2 BGerR neben den zwingenden gesetzlichen Bestimmungen namentlich folgende Kriterien und Umstände:  
a. Ausgewogenheit der Belastung der Richter und Richterinnen; dabei ist den funktionsbedingten Zusatzbelastungen (z. B. Bundesgerichtspräsidium) Rechnung zu tragen; 
b. Sprache; dabei soll soweit möglich die Muttersprache des Referenten oder der Referentin der Verfahrenssprache entsprechen; 
c. Mitwirkung von Mitgliedern beiderlei Geschlechts in Fällen, in denen es die Natur der Streitsache als angezeigt erscheinen lässt; 
d. spezifische Fachkenntnisse in einem bestimmten Bereich; 
e. Mitwirkung an früheren Entscheiden im gleichen Sachgebiet; 
f. Abwesenheiten, insbesondere Krankheit, Ferien usw. 
Seit 2012 bzw. 2013 hat das Bundesgericht zudem die EDV-Applikation "CompCour" zur automatischen Bestimmung der mitwirkenden Richter, ohne Präsident und Referent, eingeführt, welche die Bestimmung der Spruchkörper weiter objektiviert bzw. vom subjektiven Willen des Abteilungspräsidenten abstrahiert. Konnexe Fälle werden gemäss Art. 40 Abs. 4 BGerR in der Regel vom gleichen Spruchkörper beurteilt. Zur Gewährleistung der Transparenz und Kontrolle der Bildung der Spruchkörper sieht Art. 42 BGerR ergänzend vor, dass die Verwaltungskommission dem Gesamtgericht gestützt auf die Angaben der Abteilungen jährlich einen Bericht über die Einhaltung von Art. 40 BGerR erstattet (Urteile 1C_187/2017 vom 20. März 2018 E. 6.5; 6B_1356/2016 vom 5. Januar 2018 E. 2.2 zur Publ. vorgesehen; je mit Hinweisen). 
 
2.1.2. Im vorstehend erwähnten Urteil 6B_1356/2016 vom 5. Januar 2018 E. 2.1 ff. hat das Bundesgericht entschieden, dass die im einschlägigen Reglement vorgesehene Spruchkörperbesetzung mit Bundesverfassung und EMRK sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung vereinbar ist. Darauf kann verwiesen werden. Soweit der Beschwerdeführer die Spruchkörperbildung wegen Verstosses gegen Art. 6 EMRK ablehnt, ist das Gesuch unbegründet.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer lehnt die SVP-Bundesrichter/Innen Rüedi und Jametti ab. Wie er indes selber zutreffend ausführt, stellt die Parteizugehörigkeit eines Behördenmitglieds keinen Ausstandsgrund dar (Urteile 4A_264/2016 vom 26. Mai 2016; 1C_426/2014 vom 24. November 2014 E. 3.3; je mit Hinweisen). Sein Vorbringen, es bestehe die Gefahr, dass die genannten Richter nicht unbefangen über die Rüge der Verletzung von Art. 6 EMRK urteilen könnten, weil die SVP als Urheberin der "Selbstbestimmungsinitiative" "fremde Richter" resp. die EMRK ablehne, geht nicht über eine pauschale Ablehnung aufgrund der Parteizugehörigkeit hinaus. Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was konkret den Anschein der Befangenheit der von ihm abgelehnten Bundesrichter erwecken könnte. Der unter Hinweis auf verschiedene Zeitungsartikel geltend gemachte politische Druck aufgrund der Notwendigkeit einer Wiederwahl durch die Bundesversammlung und die von den politischen Parteien vorgesehene "Mandatssteuer" ändern daran nichts. Ausschliesslich an die Parteizugehörigkeit anknüpfende Ausstandsbegehren, die keine Gründe nennen, weshalb die betreffenden Richter in einem konkreten Fall befangen sein sollten, sind unzulässig (Urteil 1C_514/2010 vom 16. Februar 2011 E. 1.1 mit Hinweis). Darauf ist nicht einzutreten.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer rügt auch die vorinstanzliche Spruchkörperbesetzung als Verstoss gegen Art. 6 EMRK, weil sie im Ermessen des Abteilungspräsidenten liege. Er beantragt die Vereinigung des vorliegenden Verfahrens mit der ebenfalls vor Bundesgericht hängigen Beschwerde gegen den Beschluss, womit die Vorinstanz einen Verstoss gegen Art. 6 EMRK verneint (SK 17 437 vom 15. November 2017; Verfahren 1B_546/2017). 
 
3.1. Das Bundesgericht vereinigt mehrere Verfahren, wenn sie in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, namentlich wenn sie sich gegen denselben Entscheid richten und die gleichen Parteien sowie ähnliche oder gleiche Rechtsfragen betreffen (Art. 71 BGG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP; BGE 133 IV 215 E. 1; 126 V 283 E. 1; 113 Ia 390 E. 1). Die vorliegende Beschwerde richtet sich nicht gegen denselben Entscheid wie diejenige im Verfahren 1B_546/2017. Sie hat zudem in der Hauptsache eine Verfahrenseinstellung zum Gegenstand, während das Beschwerdeverfahren 1B_546/2017 ausschliesslich den Verstoss gegen Art. 6 EMRK betrifft. Es rechtfertigt sich daher, die Verfahren getrennt zu führen.  
 
3.2.  
 
3.2.1. Nach Art. 30 Abs. 1 BV hat jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Die Regelung will verhindern, dass Gerichte eigens für die Beurteilung einer Angelegenheit gebildet werden. Die Rechtsprechung soll auch nicht durch eine gezielte Auswahl der Richterinnen und Richter im Einzelfall beeinflusst werden können. Jede Besetzung, die sich nicht mit sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, verletzt die Garantie des verfassungsmässigen Richters gemäss Art. 30 Abs. 1 BV (BGE 137 I 340 E. 2.2.1). Das Bundesgericht hat ein gewisses Ermessen bei der Besetzung des Spruchkörpers sowie beim Entscheid über den Beizug von Ersatzrichtern nicht ausgeschlossen. Soweit das massgebliche Verfahrensrecht keine oder nur lückenhafte Regeln zur Besetzung des Spruchkörpers enthält, obliegt es danach dem Vorsitzenden, die Richterbank im Einzelfall nach objektiven Kriterien zu besetzen und das ihm dabei zustehende Ermessen pflichtgemäss auszuüben. Auch die europäische Praxis betont die Bedeutung einer regelorientierten Bestimmung der urteilenden Richter. Sie verlangt aber nicht nach einer gesetzlichen Festlegung, solange abstrakte Kriterien in transparenter Weise im Voraus definiert werden, was auch in Form einer gefestigten Praxis erfolgen kann. Dass jegliches Ermessen ausgeschlossen und die Festlegung rein regelgebunden ausgestaltet wird, ist ebenfalls nicht erforderlich (Urteile 1C_187/2017 vom 20. März 2018 E. 6.1, 6.6; 6B_1356/2016 vom 5. Januar 2018 E. 2.1 zur Publ. vorgesehen; je mit Hinweisen).  
 
3.2.2. Gemäss Art. 44 Abs. 1 und 2 des bernischen Gesetzes vom 11. Juni 2009 über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft (GSOG; BSG 161.1) führt die Abteilungspräsidentin oder der Abteilungspräsident des Obergerichts die Abteilung und ist verantwortlich für die Fallzuteilung und den Belastungsausgleich. Sie oder er entscheidet über den Beizug von Ersatzrichterinnen und Ersatzrichtern. Die Urteilsfindung erfolgt in Dreierbesetzung, soweit das Gesetz nichts Anderes bestimmt (Art. 45 Abs. 1 GSOG).  
 
3.2.3. Am Obergericht des Kantons Bern bestehen keine detaillierten gesetzlichen Kriterien, nach denen sich die Spruchkörperbildung zu richten hat. Auch das Organisationsreglement des Obergerichts vom 23. Dezember 2010 (OrR OG; BSG 162.11), welches in Art. 24 auf Art. 44 GSOG Bezug nimmt, enthält insoweit nichts Weiterführendes. Einziges Kriterium für die Geschäftszuteilung resp. die Besetzung des Spruchkörpers ist damit augenscheinlich der Belastungsausgleich nach Art. 44 Abs. 1 GSOG. Das Bundesgericht hat in einem den Kanton Basel-Stadt betreffenden Urteil vom 20. März 2018 (1C_187/2017 E. 7.2 f.) erwogen, dass die Verfügbarkeit also die Geschäftslast alleine die Spruchkörperbildung nur unvollkommen steuert und verfassungs- und konventionsrechtlichen Vorgaben jedenfalls dann nicht genügt, wenn die Spruchkörperbildung ganz an eine gerichtsinterne Instanz, etwa die Gerichtskanzlei, delegiert wird und dieser ein erhebliches Ermessen zukommt. Zwar ist im Kanton Bern der Abteilungspräsident und damit ein nicht weisungsgebundenes, demokratisch legitimiertes Organ für die Spruchkörperbildung zuständig. Es existieren indes, abgesehen von der Geschäftslastverteilung, keine abstrakten, im Voraus definierten transparenten und nachprüfbaren Kriterien, die das Ermessen des Abteilungspräsidenten bei der Spruchkörperbesetzung - ähnlich denjenigen für das Bundesgericht - in sachlicher Weise einschränken. Eine derartige Spruchkörperbildung erscheint äusserst problematisch und kann höchstens als Übergangslösung genügen (so auch Urteil 1C_187/2017 vom 20. März 2018 E. 8).  
 
4.   
Im Ergebnis ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Aufgrund der besonderen Umstände des Falles ist auf die Erhebung von Kosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Gesuche in Bezug auf das bundesgerichtliche Verfahren werden abgewiesen soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. Juni 2018 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt