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Urteilskopf

149 III 145


19. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen C.A. und D.A. sowie D.A. gegen A.A. und Mitb. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_425/2020 / 5A_435/2020 vom 15. Dezember 2022

Regeste a

Art. 241, 308 ff., 328 Abs. 1 lit. c ZPO; Rechtsmittel im Fall eines Klagerückzugs.
Zur Unterscheidung von Wirksamkeit und Wirkung des Klagerückzugs (Art. 241 ZPO) und zu den Folgen, die sich daraus für das zulässige Rechtsmittel - Revision (Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO) oder Berufung (Art. 308 ff. ZPO) - ergeben (E. 2.6 und 2.7).

Regeste b

Art. 2, 626 Abs. 2 ZGB; Ausgleichung lebzeitiger Zuwendungen; Durchgriff.
Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Ausgleichung nach Art. 626 Abs. 2 ZGB auch untersteht, was der Erblasser seinen Nachkommen über die von ihm beherrschte Aktiengesellschaft zugewendet hat (Durchgriff im erbrechtlichen Ausgleichungsstreit; E. 4.3-4.4.1).

Sachverhalt ab Seite 146

BGE 149 III 145 S. 146

A.

A.a B.A., C.A., A.A., D.A. und E.A. sind die Nachkommen von F.A. (1910-1997) und G.A. (1917-1982). Im Nachlass befindet sich unter anderem die H. AG. Deren Aktienkapital von Fr. 500'000.- ist in 1'200 Namenaktien mit einem Nennwert von Fr. 100.- (Stimmrechtsaktien) und in 380 Namenaktien mit einem Nennwert von Fr. 1'000.- (Stammaktien) aufgeteilt. F.A. war Alleinaktionär der H. AG.

A.b Am 30. Juni 1971 schlossen die Eltern mit den vier erstgenannten Kindern einen Erbvertrag ab. E.A. war beim Abschluss dieses Vertrags minderjährig und daran nicht beteiligt. In Ziffer II/B des Vertrags wurde unter anderem Folgendes festgehalten:
"4.
Das Aktienkapital der H. AG von CHF 500'000.- wird zu gleichen Teilen auf die überlebenden Kinder, bzw. Kindesstämme verteilt, d.h. die Aktien werden den Erben so zugewiesen, dass jeder kapitalmässig gleich beteiligt ist.
5.
Die im Geschäft mitarbeitenden Familienmitglieder (Nachkommen) erhalten jedoch stimmrechtsmässig die Aktienmehrheit."

A.c Mit Vertrag vom 26. Januar 1999 trat E.A. ihren Erbteil gegen Zahlung von Fr. 3,5 Mio. an C.A. ab.
BGE 149 III 145 S. 147

A.d Als der Erbvertrag (Bst. A.b) unterzeichnet wurde, betrieb F.A. in U. (AG) ein Hotel, ein Restaurant und eine Bäckerei. Das Einzelunternehmen wurde auf den 1. Januar 1978 in die Kollektivgesellschaft "I. & Co." umgewandelt. G.A. war bis zu ihrem Tod im Jahr 1982 Gesellschafterin, F.A. trat als Gesellschafter am 23. Januar 1985 aus. A.A. und B.A. sind bis heute Gesellschafter.

A.e Am 19. Mai 1997 starb F.A. (Erblasser). Am 10. Oktober 2001 verteilte der Willensvollstrecker die Aktien der H. AG wie folgt unter die Erben: C.A. erhielt (unter Berücksichtigung des von E.A. erworbenen Erbteils) 200 Stammaktien (Nominalwert Fr. 200'000.-) und D.A. deren 100 (Nominalwert Fr. 100'000.-). A.A. und B.A. erhielten je 40 Stammaktien und je 600 Stimmrechtsaktien (Nominalwert total je Fr. 100'000.-).

B.

B.a Am 7. Oktober 2003 reichten C.A. und D.A. beim Bezirksgericht Baden gegen A.A. und B.A. eine Erbteilungsklage ein. Die Kläger beantragten unter anderem, die Beklagten zu verurteilen, die Stimmrechts- und die Stammaktien in die Erbmasse einzuwerfen und der Klägerin je 2/5 und dem Kläger je 1/5 der beiden Aktienkategorien zuzuteilen (Antrag Ziff. 3). Subeventualiter sei festzustellen, dass die Stimmrechtsaktien einen Kontrollwert von Fr. 8 Mio. hätten. Unter Berücksichtigung ihrer Erbquoten von je 1/5 hätten die Beklagten je Fr. 2,4 Mio. auszugleichen. C.A. und D.A. seien gemäss ihrer jeweiligen Erbquote von 2/5 bzw. 1/5 Fr. 3,2 Mio. bzw. Fr. 1,6 Mio. zuzuweisen (Anträge Ziff. 4 und 5).

B.b Die Beklagten schlossen auf Abweisung der Klage. Sie beantragten festzustellen, dass die Aktienzuteilung des Willensvollstreckers (Bst. A.e) rechtsgültig erfolgte (Ziff. 1.1), die Zuteilung der auf den Erbteil von E.A. entfallenden 100 Stammaktien an C.A. einen Vorkaufsfall darstellt (Ziff. 1.2) und der ausgleichungspflichtige Betrag Fr. 476'075.- beträgt (Ziff. 1.3). Weiter verlangten die Beklagten, C.A. zu verpflichten, den das Vorkaufsrecht ausübenden Miterben je 25 Stammaktien der H. AG zur statutarischen Bewertung von Fr. 10'886.- pro Aktie zu übertragen (Ziff. 3.2). Sie stellten auch Anträge zu den Ausgleichsbeträgen, die sich die vier beteiligten Geschwister anrechnen zu lassen hätten (Ziff. 4).

B.c In der Folge bestätigten und ergänzten die Parteien ihre Anträge. A.A. und B.A. verlangten, die Zuteilung der Aktien der H. AG in dem Sinne vorzunehmen, dass die ursprünglich E.A. zustehenden
BGE 149 III 145 S. 148
100 Stammaktien zu gleichen Teilen auf die vier Miterben verteilt werden (Ziff. 3 der Duplikanträge).

B.d Am 17. Juni 2008 fällte das Bezirksgericht sein Urteil. Es verpflichtete C.A., 100 Stammaktien der H. AG in die Erbmasse einzuwerfen, und stellte fest, dass den Parteien gemäss dem Erbvertrag vom 30. Juni 1971 (Bst. A.b) davon je 1/4 unter Anrechnung an ihren Erbanteil zusteht (Dispositiv-Ziff. 1.1-1.3). Im Übrigen wies das Bezirksgericht die Begehren beider Parteien ab. Allfällige Ausgleichungsansprüche der Kläger aus der Zuweisung der Stimmrechtsaktien an die Beklagten behielt das Bezirksgericht einer gerichtlichen Begutachtung nach Rechtskraft seines Urteils über die Zuweisung der Aktien vor. Die Ausgleichungsansprüche der Kläger aus lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers an die Beklagten wurden abgewiesen.

B.e C.A. und D.A. erhoben beim Obergericht des Kantons Aargau je Appellation. A.A. und B.A. reichten je Anschlussappellation ein. Mit Urteil vom 16. September 2010 hiess das Obergericht die Appellation teilweise gut. Was die Ausgleichungsansprüche infolge der Zuweisung von Aktien angeht, wies es das Verfahren zum Entscheid über die Höhe des Anrechnungswertes der 25 neu zuzuweisenden Stammaktien und zur Beantwortung der Frage, ob und allenfalls in welcher Höhe die Stimmrechtsaktien einen Mehrwert haben, sowie zur Ausfällung eines entsprechenden Endentscheids an das Bezirksgericht zurück (Dispositiv-Ziff. 1). Im Übrigen wurden die Rechtsmittel abgewiesen, soweit darauf einzutreten war (Dispositiv-Ziff. 3). Das Obergericht bestätigte sowohl die von C.A. angefochtene Zuweisung der Stimmrechtsaktien an die beiden Beklagten als auch die von den Klägern angefochtene Verteilung der Stammaktien (vgl. Bst. A.e). Die Klagebegehren auf Ausgleichung lebzeitiger Zuwendungen des Erblassers an die Beklagten wies es ab, soweit es darauf eintrat.

B.f Auf die separat gegen dieses Urteil erhobenen Beschwerden der Kläger trat das Bundesgericht nicht ein (Urteil 5A_883/2010 / 5A_887/ 2010 vom 18. April 2011).

C.

C.a In der Folge ordnete das Bezirksgericht ein Gutachten zur Bestimmung des aktuellen Verkehrswerts der Stammaktien und des allfälligen Mehrwerts der Stimmrechtsaktien der H. AG an. Am 7. April 2017 erstattete Prof. Dr. oec. J. das Gutachten, mit Eingabe vom 11. Dezember 2017 äusserte er sich zu den Fragen der Parteien.
BGE 149 III 145 S. 149

C.b Bereits am 2. Dezember 2012 hatte C.A. mitgeteilt, dass D.A. seine Aktienbeteiligung von 20 % den Miterben zum Preis von Fr. 3,5 Mio. verkauft habe.

C.c In ihrer Stellungnahme vom 23. April 2018 erklärte C.A., ihre Ansprüche in der Erbteilungsklage vom 7. Oktober 2003, Ziff. 3, Antrag und Eventualantrag, zurückzuziehen; der Subeventualantrag werde aufrechterhalten (vgl. Bst. B.a). D.A. schloss sich dem Rückzug der Anträge betreffend Aktienzuteilung gleichentags an.

C.d Am 22. August 2018 fällte das Bezirksgericht sein neues Urteil. Die Begehren (Hauptantrag und Eventualanträge) gemäss Ziff. 3 der Klage (s. Bst. B.a) schrieb es zufolge Rückzugs als erledigt ab (Dispositiv-Ziff. 1). Laut Dispositiv-Ziff. 4 beträgt der Anrechnungswert einer Stammaktie Fr. 14'154.- für die Kläger und Fr. 28'308.- für die Beklagten; derjenige einer Stimmrechtsaktie beläuft sich auf Fr. 2'831.-. Soweit mehr oder anderes verlangt wurde, wies das Bezirksgericht die Begehren ab, soweit es darauf eintrat (Dispositiv-Ziff. 5).

C.e In ihrer Berufung verlangte C.A. unter anderem, die Anrechnungswerte abzuändern: Derjenige einer Stammaktie sei für die Kläger auf Fr. 32'000.-, jedoch auf maximal 50 % des Anrechnungswertes der Beklagten, und für die Beklagten auf mindestens Fr. 64'000.- festzusetzen, derjenige einer Stimmrechtsaktie auf mindestens Fr. 6'400.- zu bestimmen (Antrag Ziff. 3).
Auch D.A. erhob Berufung. Er beantragte festzustellen, dass ihm gegenüber ein Betrag von Fr. 1'918'211.- auszugleichen ist. Die Beklagten seien unter Berücksichtigung ihrer Erbquote von je 1/5 zu verpflichten, ihm gegenüber Fr. 962'315.60 (A.A.) und Fr. 955'895.40 (B.A.) auszugleichen (Antrag Ziff. 3).
A.A. und B.A. legten ebenfalls Berufung ein. In Aufhebung des bezirksgerichtlichen Urteils habe C.A. 150 Stammaktien in die Erbmasse einzuwerfen. Sie, die Beklagten, hätten je 25 Stammaktien einzuwerfen. In der Folge sei festzustellen, dass ihnen von den 200 Stammaktien je 1/3 unter Anrechnung an ihren Erbteil zustehe. Eventualiter beantragten die Beklagten, Dispositiv-Ziff. 1 des Urteils des Bezirksgerichts vom 17. Juni 2008 (Bst. B.d) zum Urteil zu erheben und C.A. zu verpflichten, 100 Stammaktien in die Erbmasse einzuwerfen. Infolgedessen sei festzustellen, dass davon jeder Partei 25 Aktien unter Anrechnung an den Erbteil zustehen (Antrag Ziff. 1). Auch Dispositiv-Ziff. 4 des erstinstanzlichen Urteils sei ersatzlos
BGE 149 III 145 S. 150
aufzuheben und das Klagebegehren Ziff. 3, Subeventualbegehren (Bst. B.a), abzuweisen. Dazu stellten sie eine Reihe von Eventualbegehren zum Anrechnungswert der Stamm- und Stimmrechtsaktien der H. AG (Antrag Ziff. 3).

C.f Mit Entscheid vom 31. März 2020 wies das Obergericht alle drei Berufungen ab, soweit es darauf eintrat.

D.

D.a Mit Beschwerde vom 26. Mai 2020 wenden sich A.A. und B.A. an das Bundesgericht (Verfahren 5A_425/2020). Am Folgetag reichte auch D.A. eine Beschwerde ein (Verfahren 5A_435/2020). C.A. hat den Berufungsentscheid (Bst. C.f) nicht angefochten. A.A. und B.A. werden fortan als Beschwerdeführer und Beschwerdeführerin oder - entsprechend ihren ursprünglichen Parteirollen (Bst. B.a) - als Beklagter und Beklagte, C.A. und D.A. als Beschwerdegegnerin und Beschwerdegegner oder als Klägerin und Kläger bezeichnet.

D.b Die Beschwerdeführer verlangen, den ihre Berufung abweisenden Rechtsspruch der Vorinstanz aufzuheben. Dispositiv-Ziff. 1 des Urteils des Bezirksgerichts vom 17. Juni 2008 (Bst. B.d), bestätigt durch den Rückweisungsentscheid des Obergerichts vom 16. September 2010 (Bst. B.e), sei wieder in Kraft zu setzen. Die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, 100 Stammaktien der H. AG in die Erbmasse einzuwerfen, und es sei festzustellen, dass ihnen, den Beschwerdeführern, je 25 dieser Aktien unter Anrechnung an ihren Erbteil zustehen. Weiter seien sie, die Beschwerdeführer, zu verpflichten, die Parteien entsprechend im Aktienbuch der H. AG einzutragen. Eventualiter sei die Angelegenheit an das Obergericht zurückzuweisen und dieses anzuweisen, auf ihren Berufungsantrag Ziff. 1 einzutreten und in der Sache über das Rechtsmittel zu entscheiden (Antrag Ziff. 1).

D.c Der Beschwerdegegner verlangt, in entsprechender Aufhebung des angefochtenen Entscheids festzustellen, dass ein Betrag von Fr. 9'905'976.- auszugleichen ist. Die Beschwerdeführer hätten unter Berücksichtigung ihrer Erbquote von je 1/5 Fr. 3'248'213.40 (Beschwerdeführer) und Fr. 2'876'213.40 (Beschwerdeführerin) auszugleichen; davon seien ihm entsprechend seiner Erbquote von 1/5 Fr. 2'041'475.60 zuzuweisen (Antrag Ziff. 5). Die Beschwerdeführer seien zu verpflichten, ihm Fr. 1'082'737.80 zuzüglich Zins zu 5 % seit 7. Oktober 2003 (Beschwerdeführer) und Fr. 958'737.60 (Beschwerdeführerin) zu bezahlen (Antrag Ziff. 5.1). Die eventualiter
BGE 149 III 145 S. 151
dazu gestellten weiteren Begehren betreffen die Herabsetzung der (angeblichen) lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers an die Kollektivgesellschaft I. & Co. sowie an die beiden Beklagten. Unter diesem Titel fordert der Beschwerdegegner von den Beschwerdeführern je Fr. 850'852.- bzw., falls die Ansprüche gemäss Ziffer 4 abgewiesen werden sollten, je Fr. 1'701'704.- nebst Zins zu 5 % seit 7. Oktober 2003 (Antrag Ziff. 5.2). Subsubeventualiter stellt der Beschwerdegegner das Begehren, die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Antrag Ziff. 6).

D.d Im vom Bundesgericht angeordneten Schriftenwechsel beantragten die Parteien je die Abweisung der gegnerischen Beschwerde. Das Bundesgericht heisst beide Beschwerden teilweise gut.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. (...)

2.6 In der Sache ist streitig, ob das Obergericht die Beschwerdeführer zu Recht auf die Revision verweist und auf Ziff. 1 der Berufungsbegehren der Beschwerdeführer nicht eintritt.

2.6.1 Am 1. Januar 2011 ist die Schweizerische Zivilprozessordnung in Kraft getreten. Wie das Obergericht zutreffend feststellt, unterstand der Prozess vor erster Instanz, den die Beschwerdegegner mit Klage vom 7. Oktober 2003 eingeleitet hatten (s. Sachverhalt Bst. B.a), den Vorschriften des aargauischen Zivilrechtspflegegesetzes vom 18. Dezember 1984 (ZPO/AG; SAR 221.100). Auch der Rückweisungsentscheid des Obergerichts vom 16. September 2010 erfolgte noch unter der Herrschaft des alten Rechts, so dass das bisherige Verfahrensrecht bis zum Urteil des Bezirksgerichts vom 22. August 2018 gilt (Art. 404 Abs. 1 ZPO).
Für die Rechtsmittel gilt nach Art. 405 Abs. 1 ZPO das Recht, das bei der Eröffnung des Entscheids in Kraft ist. Nach diesem Recht bestimmt sich, ob ein bestimmtes Rechtsmittel überhaupt zur Verfügung steht und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist. Dem Eröffnungsrecht untersteht namentlich auch die Qualifikation des Anfechtungsobjekts (DANIEL WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 11 zu Art. 405 ZPO). Um eine Anfechtung nach neuem Recht zu gewährleisten, hat der Verfahrensabschluss, insbesondere der Inhalt des Entscheids und dessen Eröffnung, den Voraussetzungen des neuen Rechts zu
BGE 149 III 145 S. 152
genügen (Urteil 4A_578/2014 vom 23. Februar 2015 E. 3.1.1 mit Hinweisen). Die materielle Beurteilung des Verfahrens vor der Vorinstanz untersteht freilich dem bisherigen (gegebenenfalls kantonalen) Recht, ansonst es zu einer unzulässigen Rückwirkung des neuen Rechts käme (FREIBURGHAUS/AFHELDT, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 5a zu Art. 405 ZPO; OLIVER M. KUNZ, in: ZPO-Rechtsmittel Berufung und Beschwerde, Kommentar zu den Art. 308-327a ZPO, Kunz/Hoffmann-Nowotny/Stauber [Hrsg.], 2013, N. 166 f. vor Art. 308 ff. ZPO).

2.6.2 Mit Berufung (Art. 308 ff. ZPO) sind - soweit hier von Interesse - erstinstanzliche End- und Zwischenentscheide anfechtbar (Art. 308 Abs. 1 lit. a ZPO). Ein Endentscheid schliesst das Verfahren vor der befassten Instanz in Bezug auf die gestellten Rechtsbegehren durch Sach- oder Nichteintretensentscheid (Art. 236 Abs. 1 ZPO) ganz oder teilweise ab. Kein gerichtlicher Entscheid im Sinne der ZPO ergeht, wenn das Verfahren durch Vergleich, Klageanerkennung oder Klagerückzug erledigt wird (KURT BLICKENSTORFER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Bd. II, Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 12 f. zu Art. 308 ZPO). Da ihnen keine Entscheidqualität zukommt, können diese Entscheidsurrogate weder mit Berufung noch mit Beschwerde angefochten werden (s. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7380).

2.6.3 Nach Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO kann eine Partei beim Gericht, das als letzte Instanz in der Sache entschieden hat, die Revision verlangen, wenn geltend gemacht wird, dass die Klageanerkennung, der Klagerückzug oder der gerichtliche Vergleich unwirksam ist. Die genannten Entscheidsurrogate haben selbst die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheides (Art. 241 Abs. 2 ZPO). Als Rechtsmittel dagegen steht ausschliesslich die Revision nach Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO zur Verfügung (BGE 139 III 133 E. 1.3 zum gerichtlichen Vergleich; BGE 141 III 489 E. 9.3 zur Klageanerkennung; Urteil 4A_562/2014 vom 20. Februar 2015 E. 1.1 zum Klagerückzug). Anfechtungsobjekt der Revision ist nicht der deklaratorische Abschreibungsbeschluss (Art. 241 Abs. 3 ZPO), der nur hinsichtlich des allenfalls darin enthaltenen Kostenentscheids anfechtbar ist (Art. 110 ZPO; BGE 139 III 133 E. 1.2), sondern der Dispositionsakt selbst (Urteil 4A_441/2015 vom 24. November 2015 E. 3.2 mit Hinweisen). Im Falle des Klagerückzugs ist das die einseitige
BGE 149 III 145 S. 153
bedingungsfeindliche Erklärung der klagenden Partei gegenüber dem Gericht, dass sie ihr Rechtsbegehren oder einen Teil desselben (Teilrückzug) zurückzieht (GSCHWEND/STECK, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 29 f. zu Art. 241 ZPO; PASCAL LEUMANN LIEBSTER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 9 zu Art. 241 ZPO; MARKUS KRIECH, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Bd. II, Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 6 f. zu Art. 241 ZPO; LAURENT KILLIAS, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N. 5 f. zu Art. 241 ZPO).

2.6.4 Mit der Revision nach Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO kann geltend gemacht werden, der fragliche Dispositionsakt sei "unwirksam" (in der französischen Fassung "pas valable", in der italienischen "inefficace"). In der Rechtssprache meint "Wirksamkeit" die Rechtmässigkeit oder Bestandeskraft eines Rechtsakts (DWDS - Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, www.dwds.de [besucht am 5. Dezember 2022]). Als Gründe, die mit Revision gegen die Wirksamkeit eines Vergleichs, einer Klageanerkennung oder eines Klagerückzugs vorgebracht werden können, nennt die Rechtsprechung materielle und prozessuale Mängel (BGE 139 III 133 E. 1.3), insbesondere Willensmängel im Sinne von Art. 23 ff. OR (Urteile 4A_254/2016 vom 10. Juli 2017 E. 4.1.1; 4A_441/2015 vom 24. November 2015 E. 3.2). Auch für die Lehre steht als Revisionsgrund nach Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO die zivilrechtliche Unwirksamkeit des Entscheidsurrogats im Vordergrund (DENIS TAPPY, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 31 zu Art. 241 ZPO; PHILIPPE SCHWEIZER, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 37 zu Art. 328 ZPO; NICOLAS HERZOG, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 64 ff. zu Art. 328 ZPO; FREIBURGHAUS/AFHELDT, a.a.O., N. 25 f. zu Art. 328 ZPO). In einem neueren Entscheid lässt das Bundesgericht dahingestellt, ob (entsprechend einer Praxis des Obergerichts des Kantons Zürich) nicht die Revision, sondern - gegen den Abschreibungsbeschluss - das in der Hauptsache zulässige Rechtsmittel der Berufung oder der Beschwerde einzulegen ist, wenn die erhobenen Beanstandungen auf die Prozesserledigung als solche und damit auf andere Punkte als den Dispositionsakt einer oder beider Parteien abzielen (Urteil 5A_327/2015 vom 17. Juni 2015 E. 1.2 f.).
BGE 149 III 145 S. 154
Von der Wirksamkeit zu unterscheiden ist die Wirkung, die ein Vergleich, eine Klageanerkennung oder ein Klagerückzug erzeugt. Gemeinhin werden unter "Wirkung" die Folgen und Ergebnisse verstanden, die von einer Ursache hervorgebracht werden (zit. DWDS - Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache). Nach Massgabe von Art. 241 Abs. 2 ZPO besteht die "Wirkung" (in der französischen Fassung "les effets", in der italienischen "l'effetto") der Entscheidsurrogate darin, dass der Prozess damit unmittelbar beendet ist (Urteil 4A_451/2012 vom 1. November 2012 E. 2); die Parteihandlungen erwachsen, sofern formgerecht abgegeben und vom Gericht als zulässig erachtet, direkt in Rechtskraft und sind grundsätzlich wie Entscheide vollstreckbar (Art. 241 Abs. 2 ZPO; Urteil 5A_77/2012 vom 14. März 2012 E. 4.2.1; TAPPY, a.a.O., N. 28 ff. zu Art. 241 ZPO; GSCHWEND/STECK, a.a.O., N. 32 zu Art. 241 ZPO; KRIECH, a.a.O., N. 13 zu Art. 241 ZPO; KILLIAS, a.a.O., N. 30 ff. zu Art. 241 ZPO), ohne dass das Gericht einen Entscheid im Rechtssinne zu fällen hätte (Urteil 4A_150/2020 vom 17. September 2020 E. 2.2). Immerhin kann ein Klagerückzug unter bestimmten Voraussetzungen auch erfolgen, ohne dass die Sperrwirkung der Rechtskraft eintritt (Art. 63 und 65 ZPO; ausführlich dazu KILLIAS, a.a.O., N. 39 ff. zu Art. 241 ZPO).

2.7 Bezogen auf den konkreten Fall ergibt sich aus den obenstehenden Erwägungen, was folgt:

2.7.1 Soweit für diesen Teil des Streits relevant, fochten die Beschwerdeführer mit ihrer Berufung die Dispositiv-Ziff. 5, eventualiter die Dispositiv-Ziff. 1 und 5 des erstinstanzlichen Urteils vom 22. August 2018 (s. Sachverhalt Bst. C.d) an. Für welches Rechtsmittel diese Urteilssprüche taugliche Anfechtungsobjekte bilden, ist nach dem Gesagten (E. 2.6.1) nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung zu beurteilen. Mithin tut für die Zulässigkeit der Berufung (Art. 308 ff. ZPO) nichts zur Sache, dass nach Massgabe der alten kantonalen Zivilprozessordnung im Falle eines Vergleichs, eines Klagerückzugs oder einer Anerkennung erst der Abschreibungsbeschluss den Prozess beendete und als Endentscheid Anfechtungsobjekt des ordentlichen Rechtsmittels der Appellation war (§ 317 i.V.m. § 285 ff. ZPO/AG; ANDREAS EDELMANN, in: Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Bühler/Edelmann/Killer [Hrsg.], 2. Aufl. 1998, N. 10 zu § 285 ZPO/AG und N. 1 ff. zu § 287 ZPO/AG). In diesem Sinne ist der Vorinstanz beizupflichten, wenn sie den Standpunkt der Beschwerdeführer, dass Rechtsnatur und
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Anfechtbarkeit des Abschreibungsbeschlusses sich nach der aargauischen Zivilprozessordnung richten, nicht gelten lässt. Allein nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung zu beurteilen sind auch die Fragen, ob der Klagerückzug vom 23. April 2018 unwirksam war und welche Wirkungen ihm beizumessen sind (E. 2.6.4). Denn damit ist wiederum der Verfahrensabschluss betroffen, der eine Anfechtung nach neuem Recht gewährleisten soll (E. 2.6.1).

2.7.2 Die Befugnis der Beschwerdegegner, über den Haupt- und den Eventualantrag gemäss Ziff. 3 ihrer Klage zu verfügen, beschlägt die Wirksamkeit ihrer Rückzugserklärung vom 23. April 2018. Dies gilt auch für das Argument der Beschwerdeführer, ein Rückzug sei angesichts des obergerichtlichen Entscheids vom 16. September 2010 gar nicht mehr möglich gewesen. Soweit die Beschwerdeführer damit sagen wollen, dass das Gericht einen Klagerückzug nur während der Rechtshängigkeit der Klage entgegennehmen kann, die streitigen Anträge vor dem Bezirksgericht aber gar nicht mehr rechtshängig waren, betrifft dies wiederum die Dispositionsbefugnis der Beschwerdegegner über den Streitgegenstand und damit die Wirksamkeit ihres Klagerückzugs (vgl. EDELMANN, a.a.O., N. 9 f. zu § 285 ZPO/AG; s. auch BGE 122 I 250 E. 2b). Wie gesehen, ist die Unwirksamkeit des Klagerückzugs mit der Revision nach Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO geltend zu machen (E. 2.6.4). Zu Recht verweist die Vorinstanz die Beschwerdeführer bezüglich ihres Vorwurfs, die Aktienzuteilung habe im neuerlichen Verfahren vor Bezirksgericht nicht mehr zur Disposition gestanden und ein Klagerückzug sei aus diesem Grund nicht mehr möglich gewesen, auf die Revision. Im Übrigen ist der Beschwerde in diesem Zusammenhang auch nicht zu entnehmen, welcher Endentscheid im Sinne von Art. 308 Abs. 1 lit. a ZPO mit Berufung anfechtbar sein soll, nachdem weder der Klagerückzug selbst noch der diesbezügliche Abschreibungsbeschluss solche Entscheide sind (E. 2.6.2 und 2.6.3).
Das Gesagte gilt auch für die Argumentation, wonach die Berücksichtigung des Klagerückzugs im bezirksgerichtlichen Urteil vom 22. August 2018 einer reformatio in peius gleichkomme und ein venire contra factum proprium bedeute. Auch diese Argumente betreffen im Ergebnis die Frage, ob das Bezirksgericht angesichts des obergerichtlichen Entscheids vom 16. September 2010 den Rückzug der erwähnten Begehren überhaupt noch entgegennehmen und damit auf sein Urteil vom 17. Juni 2008 zurückkommen durfte, mithin die Dispositionsfähigkeit des Streitgegenstandes. Abermals bleiben die
BGE 149 III 145 S. 156
Beschwerdeführer eine Erklärung schuldig, worin das Anfechtungsobjekt bestehen soll, das sie mit Berufung ans Obergericht hätten weiterziehen können.

2.7.3 Zu Recht bestehen die Beschwerdeführer hingegen darauf, dass sie mit ihrer Berufung gegen Dispositiv-Ziff. 5 des bezirksgerichtlichen Urteils vom 22. August 2018 geltend machen konnten, der gegnerische Klagerückzug habe sich nicht auf ihre eigenen diesbezüglichen Begehren beziehen können. Die Frage, ob das Bezirksgericht mit dem Klagerückzug der Beschwerdegegner vom 23. April 2018 auch die (angeblich rechtskräftig beurteilten) Begehren der Beschwerdeführer in deren Klageantwort und Duplik (s. Sachverhalt Bst. B.b und B.c) als erledigt betrachten durfte, beschlägt nicht die Wirksamkeit, sondern die Wirkung der gegnerischen Rückzugserklärung. Die unrichtige Beurteilung der Wirkung eines Entscheidsurrogats ist jedoch kein Revisionsgrund im Sinne von Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO (E. 2.6.4). Dass sie mit ihrer Berufung in erster Linie die Dispositiv-Ziff. 5 des Urteils vom 22. August 2018 (s. Sachverhalt Bst. C.d) als Anfechtungsobjekt ins Visier nahmen (s. Sachverhalt Bst. C.e), kann den Beschwerdeführern nicht schaden, nachdem sich das Bezirksgericht im fraglichen Urteilsspruch an keiner anderen Stelle zu ihren eigenen Anträgen betreffend die Aktienzuteilung äussert. Allein mit Blick auf die Frage des zutreffenden Rechtsmittels kommt es auch nicht auf die vorinstanzliche Lesart des besagten Urteils an, der zufolge das Bezirksgericht mit dem Klagerückzug die fraglichen Begehren der Beschwerdeführer ebenfalls als erledigt betrachtete (nicht publ. E. 3.1). Entscheidend ist die Rechtsfrage, ob das Bezirksgericht diesen Schluss ziehen durfte. Hierfür, das heisst für die Beurteilung des Schicksals ihrer Klageantwort- und Duplikbegehren, steht den Beschwerdeführern die Berufung nach Art. 308 ff. ZPO zur Verfügung. Insofern muss das Obergericht auf die Berufung eintreten und sich mit der Argumentation der Beschwerdeführer auseinandersetzen, wonach ihre eigenen Anträge betreffend die Aktienzuteilung aufgrund der Doppelseitigkeit der Erbteilungsklage von der Rückzugserklärung der Beschwerdegegner nicht erfasst seien und diesbezüglich weiterhin die vom Obergericht mit Urteil vom 16. September 2010 rechtskräftig bestätigte Dispositiv-Ziff. 1 des Urteils vom 17. Juni 2008 gelte, mit der das Bezirksgericht die 100 Stammaktien "gemäss dem Antrag der Beklagten" an alle Erben zu gleichen Teilen verteilte.
Nicht anders verhält es sich mit der von den Beschwerdeführern in der Berufung erhobenen Beanstandung, das Urteil vom 22. August
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2018 verstosse gegen den Dispositionsgrundsatz, weil es die beklagtischen Anträge abweise, ohne dass diese geändert oder zurückgezogen worden wären. Diese Rüge betrifft nicht die Wirksamkeit des Klagerückzugs vom 23. April 2018, sondern dessen Auswirkungen auf die Rechtsbegehren der Beschwerdeführer. Auch diesbezüglich weigert sich die Vorinstanz bundesrechtswidrig, auf die Berufung einzutreten.
(...)

4.3

4.3.1 Die gesetzlichen Erben sind gegenseitig verpflichtet, alles zur Ausgleichung zu bringen, was ihnen der Erblasser bei Lebzeiten auf Anrechnung an ihren Erbteil zugewendet hat (Art. 626 Abs. 1 ZGB). Was der Erblasser seinen Nachkommen als Heiratsgut, Ausstattung oder durch Vermögensabtretung, Schulderlass und dergleichen zugewendet hat, steht, sofern der Erblasser nicht ausdrücklich das Gegenteil verfügt, unter der Ausgleichungspflicht (Art. 626 Abs. 2 ZGB). Gemäss Art. 527 Ziff. 1 ZGB sind jene Zuwendungen herabzusetzen, die ihrer Natur nach gemäss Art. 626 Abs. 2 ZGB der Ausgleichung unterständen, ihr aber durch eine Verfügung des Erblassers entzogen worden sind (BGE 145 III 1 E. 3.1). Die Ausgleichung dient mithin der Gleichbehandlung der Erben, die Herabsetzung dem Schutz der pflichtteilsgeschützten Erben (Urteil 5A_326/2016 vom 30. Mai 2017 E. 4.1.2). Ausgleichung und Herabsetzung setzen in objektiver Hinsicht voraus, dass eine unentgeltliche lebzeitige Zuwendung vorliegt (BGE 145 III 1 E. 3.1). Eine lebzeitige Verfügung des (nachmaligen) Erblassers ist ganz oder teilweise unentgeltlich, wenn sein Vermögen infolge der Zuwendung eine Einbusse erlitten hat, ihm also dafür kein ökonomisches Äquivalent zugeflossen ist. Ob und inwieweit eine Zuwendung als unentgeltlich zu qualifizieren ist, beurteilt sich aufgrund der Verhältnisse im Zeitpunkt ihrer Vornahme (BGE 120 II 417 E. 3a mit Hinweisen; Urteil 5A_789/2016 vom 9. Oktober 2018 E. 5.2).
Soweit - wie hier - die Ausgleichungspflicht nach Art. 626 Abs. 2 ZGB in Frage steht, fallen nur Zuwendungen mit Ausstattungs- oder Versorgungscharakter in Betracht. Das sind Verfügungen des Erblassers, die den Zweck haben, dem Empfänger eine Existenz zu verschaffen oder ihm die vorhandene Existenz zu sichern oder zu verbessern (BGE 131 III 49 E. 4.1.2; BGE 116 II 667 E. 3; BGE 98 II 352 E. 3a; 76 II 188 E. 6). Massgebend ist der vom Erblasser verfolgte Zweck,
BGE 149 III 145 S. 158
nicht die Art und Weise, wie der Empfänger die Vermögenswerte tatsächlich verwendet (Urteil 5A_338/2010 / 5A_341/2010 vom 4. Oktober 2010 E. 9.1.1 mit Hinweisen). Ob eine (vom Erblasser zur Existenzbegründung, -sicherung oder -verbesserung getätigte) Zuwendung Ausstattungs- oder Versorgungscharakter hat, ist eine Rechtsfrage (BGE 131 III 49 E. 4.1.2). Grundstücke fallen im Prinzip unter Art. 626 Abs. 2 ZGB, sofern erhebliche Werte in Frage stehen (BGE 131 III 49 E. 4.1.2; BGE 116 II 667 E. 3a/aa; s. auch BGE 107 II 119 E. 3b S. 131). Eine Zuwendung im Sinne von Art. 626 Abs. 2 ZGB kann auch in der Bezahlung von Schulden der Nachkommen bestehen (Urteile 5A_323/2019 vom 24. April 2020 E. 5.4; 5A_994/2014 vom 11. Januar 2016 E. 9.3; 5A_610/2009 vom 1. Februar 2010 E. 3.3 mit Hinweisen). Neben (gemischten) Schenkungen von Vermögenswerten können insbesondere Gebrauchsüberlassungen wie das unentgeltliche oder verbilligte Überlassen einer Wohnung unter Art. 626 Abs. 2 ZGB fallen (vgl. BGE 76 II 188 E. 6 S. 195; der Erlass der Wohnungsmiete für rund 18 Monate wurde nicht als ausgleichungspflichtig angesehen). Die Gebrauchsüberlassung muss jedoch über das hinausgehen, was in Familien üblich ist (JACQUELINE BURCKHARDT BERTOSSA, in: Erbrecht, Abt/Weibel [Hrsg.], 4. Aufl. 2019, N. 62a zu Art. 626 ZGB).
In subjektiver Hinsicht muss der Erblasser einen Zuwendungswillen (animus donandi) gehabt haben. Bei einer gemischten Schenkung müssen die Parteien eine unentgeltliche Zuwendung in dem Sinn beabsichtigen, dass sie den Preis bewusst unter dem wahren Wert des Kaufgegenstandes ansetzen, um die Differenz dem Käufer unentgeltlich zukommen zu lassen (BGE 145 III 1 E. 3.1; BGE 126 III 171 E. 3a). Es muss mithin nicht nur der Erblasser einen Schenkungswillen haben, sondern der Beschenkte die Leistung auch als gemischte Schenkung empfangen wollen (vgl. BGE 98 III 352 E. 3b). Es liegt in der Natur der Sache, dass das, was der Erblasser gewusst, was er gewollt hat, als innere Tatsache einem direkten Beweis nicht zugänglich ist, sondern sich (nach dem Tod des Erblassers) nur mehr indirekt beweisen lässt, etwa durch (dokumentierte) Aussagen des Erblassers oder anderer Personen, durch Folgerungen aus deren äusseren Verhalten oder anhand der Umstände. Die Folgen der Beweislosigkeit trägt dabei derjenige, der aus der Erfüllung des Ausgleichungs- oder Herabsetzungstatbestands Rechte ableitet (Art. 8 ZGB; vgl. BGE 145 III 1 E. 3.3). Mithin muss der Ausgleichungsgläubiger den objektiven und subjektiven Schenkungscharakter einer
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Zuwendung beweisen und obliegt in den Fällen von Art. 626 Abs. 2 ZGB dem Ausgleichungsschuldner der Nachweis eines allfälligen ausdrücklichen Ausgleichungsdispenses (s. BURCKHARDT BERTOSSA, a.a.O., N. 100 f. zu Art. 626 ZGB).

4.3.2 Mit Bezug auf Zuwendungen, die nicht direkt vom Erblasser oder nicht direkt an einen Erben, sondern von einer dazwischen stehenden juristischen Person oder an eine solche geleistet werden, stellt das Bundesgericht in einem Urteil betreffend die Informationsansprüche der Erben klar, dass die rechtliche Selbständigkeit juristischer Personen zu beachten sei, sofern sie im Einzelfall nicht rechtsmissbräuchlich geltend gemacht werde. Der so genannte Durchgriff habe - allgemein ausgedrückt - zur Folge, dass die rechtliche Selbständigkeit der juristischen Person ausser Acht gelassen wird und damit die juristische Person und die sie beherrschende Person rechtlich - vor allem in Vermögensbelangen - als Einheit behandelt werden. Er setze voraus, dass die juristische Person von der hinter ihr stehenden Person abhängig ist und zu missbräuchlichen Zwecken gegründet wurde oder verwendet wird. Seien diese Voraussetzungen erfüllt, könne es sich ausnahmsweise rechtfertigen, vom beherrschten auf das beherrschende Subjekt oder umgekehrt "durchzugreifen", das heisst - in der damals gegebenen Konstellation - Ausgleichungs- oder Herabsetzungsansprüche der Beklagten gegen den Kläger zuzulassen für Zuwendungen der Erblasser an Gesellschaften, die der Kläger beherrscht (Urteil 5A_994/2014 vom 11. Januar 2016 E. 5.4). Mit Blick auf den konkreten Fall bejahte das Bundesgericht die Auskunftspflicht des Klägers, da aufgrund der Vermögensverschiebungen der Erblasser an vom Kläger beherrschte Gesellschaften Ausgleichungs- und Herabsetzungsansprüche bestehen könnten (zit. Urteil 5A_994/2014 E. 5.5).
In einem anderen Urteil kam das Bundesgericht im Kontext des Auskunftsrechts des amtlichen Liquidators zum Schluss, dass die Übertragung von Vermögenswerten von einer Gesellschaft, deren wirtschaftlich Begünstigter der Erblasser ist, ebenso wie die Übertragung von Vermögenswerten, die dem Erblasser gehören oder an denen er wirtschaftlich berechtigt ist, zugunsten eines Trusts eine lebzeitige Verfügung an die Begünstigten des Trusts darstelle (Urteil 5A_620/2007 vom 7. Januar 2010 E. 7.2). Das Urteil 5A_789/2016 vom 9. Oktober 2018 handelt von einer Aktiengesellschaft, deren Grossaktionär und Direktor der Erblasser war. Die Aktiengesellschaft hatte an eigenen Grundstücken (Dritt-)Pfänder bestellt, um
BGE 149 III 145 S. 160
die Darlehensschuld eines Nachkommens des Erblassers zu sichern. Das Bundesgericht unterstellte diese Drittpfandbestellung nicht der Ausgleichungspflicht nach Art. 626 Abs. 2 ZGB. Im Drittpfandverhältnis liege erst dann eine Zuwendung des Erblassers vor, wenn der nachmalige Erblasser im Fall der Kündigung des Darlehens auf seine Regressansprüche gegenüber dem Nachkommen verzichte, mithin einen Schulderlass gewähre. Im konkreten Fall sei die Verringerung des Vermögens erst in demjenigen Zeitpunkt eingetreten, in welchem nach der Versteigerung der verpfändeten Grundstücke der Regressanspruch gegen den Nachkommen nicht erhoben wurde. Nachdem die Aktiengesellschaft als Eigentümerin der Grundstücke bereits mehr als drei Jahre zuvor in Konkurs gefallen gewesen sei, habe der Erstattungsanspruch allein der Konkursmasse, nicht jedoch dem Erblasser zugestanden. Fehle es aber an einer lebzeitigen Zuwendung des Erblassers, sei nicht auch zu prüfen, ob die angebliche Schenkung dem Erblasser direkt oder in Anwendung eines Durchgriffs durch die Aktiengesellschaft zuzuordnen ist (Urteil 5A_789/ 2016 vom 9. Oktober 2018 E. 5.2 f.; s. dazu EITEL/BIERI, Durchgriff vs. indirekte Zuwendung - im Erbrecht, successio 2021 S. 253 ff.).
Die erwähnten Urteile haben im Schrifttum Diskussionen darüber ausgelöst, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Zuwendungen, die nicht auf dem direkten Weg vom Erblasser an den Erben vollzogen werden, der Ausgleichung (und der Herabsetzung) unterstehen sollen. Unter dem Stichwort der "indirekten Zuwendung" wird postuliert, dass Zuwendungen einer vom Erblasser beherrschten juristischen Person an einen Erben (z.B. der von der Einmann-Aktiengesellschaft des Erblassers ausbezahlte überhöhte Lohn) und solche an eine von einem Erben beherrschte juristische Person (z.B. Teilnahme des Erblassers an einer Kapitalerhöhung mit überhöhtem Ausgabepreis) losgelöst von den herkömmlichen Voraussetzungen des Durchgriffs als lebzeitige Zuwendungen des Erblassers ausgleichungspflichtig sind, sofern bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise der Erbe dadurch bereichert wird und der Erblasser eine Vermögenseinbusse erleidet (BURCKHARDT BERTOSSA, a.a.O., N. 46 ff. zu Art. 626 ZGB; s. auch PIUS KOLLER, Durchgriff und indirekte Zuwendungen im Erbrecht, AJP 2021 S. 19 ff., S. 27 ff.; ANTOINE EIGENMANN, L'obligation de rapporter en pratique, Une source de conflit posthume, 2018, S. 13 f.; RALPH STRAESSLE, Die erbrechtliche Berücksichtigung der lebzeitigen familieninternen Unternehmensnachfolge, Diss. Zürich 2019, S. 113 f.; EITEL/BIERI, Der
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Durchgriff und sein Durchbruch ins Erbrecht, in: Equus und aequus - et cetera, Liber amicorum für Benno Studer zum 70. Geburtstag, Eitel/Zeiter [Hrsg.], 2019, S. 15 f.).
Für KOLLER und STRAESSLE steht fest, dass das Bundesgericht im Urteil 5A_620/2007 im beschriebenen Sinne von indirekten Zuwendungen ausgeht. Es rechne dem Erblasser die Zuwendungen der von ihm beherrschten Gesellschaft an den Trust (und von dort weiter an dessen Begünstigte) an und lasse so letztlich ausser Acht, dass die Zuwendung nicht vom Erblasser selbst, sondern von der von ihm beherrschten Gesellschaft ausgeht (KOLLER, a.a.O., S. 30; STRAESSLE, a.a.O., S. 113 f.). Im Zusammenhang mit dem Urteil 5A_994/2014 bzw. dem Durchgriffsprinzip wird sodann darauf hingewiesen, dass es wenig Sinn mache, auf Seiten des Erblassers nach einem Rechtsmissbrauch zu suchen, da der Erblasser seine Nachkommen mit einem ausdrücklichen Ausgleichungsdispens ohnehin von der Ausgleichungspflicht befreien könne. Auch den begünstigten Nachkommen, die einem Ausgleichungsanspruch entgegenhalten, dass die Zuwendungen nicht vom Erblasser selbst geleistet wurden, könne kein missbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden, da die Ursache des Rechtsmissbrauchs nicht durch sie verantwortet werde und sich die wirtschaftliche Identität von juristischer und natürlicher Person nicht auf sie, sondern auf den Erblasser beziehe. Angesichts dessen dürfe ein "erbrechtlicher" Durchgriff nicht allein von einem Rechtsmissbrauch abhängen, sondern müsse sich aus den Gerechtigkeits- und Gleichbehandlungsüberlegungen ergeben, die der gesetzlichen Ausgleichung nach Art. 626 Abs. 2 ZGB zugrunde liegen (KOLLER, a.a.O., S. 24 f.; EITEL/BIERI, a.a.O., S. 13 ff.).

4.3.3 Die Rechtsfigur des Durchgriffs, von der im Urteil 5A_994/2014 vom 11. Januar 2016 E. 5.4 die Rede ist, beschreibt nach überkommener Rechtsprechung eine Ausnahme vom Grundsatz, dass die rechtliche Selbständigkeit juristischer Personen zu beachten ist. Diese Ausnahme setzt die Abhängigkeit der juristischen Person von einer hinter ihr stehenden Person und damit die Identität der wirtschaftlichen Interessen der juristischen Person und der sie beherrschenden Person voraus. Die Berufung auf die rechtliche Selbständigkeit der juristischen Person muss zweitens dazu führen, dass Gesetzesvorschriften umgangen, Verträge nicht erfüllt oder sonstwie berechtigte Interessen Dritter offensichtlich verletzt werden. Die rechtliche Selbständigkeit der juristischen Person muss rechtsmissbräuchlich, das heisst in der Absicht geltend gemacht werden, einen
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ungerechtfertigten Vorteil daraus zu ziehen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann es sich ausnahmsweise rechtfertigen, vom beherrschten auf das beherrschende Subjekt oder umgekehrt "durchzugreifen" (BGE 137 III 550 E 2.3.1; BGE 132 III 489 E. 3.2; s. zum Ganzen auch Urteil 5A_330/2012 vom 17. Juli 2012 E. 3.2 mit Hinweisen). Ein wichtiger (möglicher) Anwendungsfall für den Durchgriff ist die Einmanngesellschaft. Diese wird in der Praxis geduldet; sie behält trotz der wirtschaftlichen Identität von Gesellschaft und Alleinaktionär grundsätzlich ihre eigene Rechtspersönlichkeit bei, kann Trägerin von Rechten und Pflichten sein und über ein eigenes Vermögen verfügen. Mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Identität von Gesellschaft und Allein- bzw. Hauptaktionär muss die formalrechtliche Selbständigkeit der Gesellschaft in deren Beziehungen zu Dritten jedoch unbeachtet bleiben, wo der Grundsatz von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr dies erfordert (BGE 128 II 329 E 2.4; BGE 92 II 160 E. 1; BGE 81 II 455 E. 2b), wo die Berufung auf die Verschiedenheit der Rechtssubjekte einem Rechtsmissbrauch oder einer offensichtlichen Verletzung legitimer Interessen gleichkommt (BGE 121 III 319 E 5a/aa; BGE 102 III 165 E. II/1; 72 II 67 E. 3c). Zwar ist diese Rechtsprechung vor allem im Zusammenhang mit Haftungsfragen entwickelt worden. Sie beruht aber auf dem allgemeinen Grundgedanken, dass die Unterscheidung zwischen juristischer Person und dem hinter ihr stehenden, alles beherrschenden Aktionär in bestimmten Konstellationen eine juristische Fiktion darstellt, die den realen Gegebenheiten in keiner Weise entspricht (BGE 112 II 503 E. 3b).
Was den hier in Frage stehenden ausgleichungsrechtlichen Durchgriff angeht, weist KOLLER zutreffend darauf hin, dass die Nachkommen mit der wirtschaftlichen Identität des Erblassers und der von ihm beherrschten Aktiengesellschaft nichts zu tun haben, weshalb sie nicht als Urheber einer (allenfalls) rechtsmissbräuchlichen Verwendung der Aktiengesellschaft in die Pflicht genommen werden können. Richtig ist auch, dass der Erblasser lebzeitige Zuwendungen an seine Nachkommen genauso gut mit einem ausdrücklichen Dispens von der Ausgleichungspflicht befreien kann, ohne sich hinter "seiner" Aktiengesellschaft verstecken zu müssen (KOLLER, a.a.O., S. 24 mit Hinweisen; s. oben E. 4.3.2). Das Obergericht folgert daraus, dass ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Erblassers kaum vorstellbar, die rechtliche Selbständigkeit der H. AG deswegen zu beachten und Art. 626 Abs. 2 ZGB nicht anwendbar sei (nicht publ.
BGE 149 III 145 S. 163
E. 4.1). Diese Überlegungen greifen zu kurz. Denn wie die referierte Rechtsprechung zeigt, ist der Rechtsmissbrauch gerade im Fall der Einmanngesellschaft kein zwingendes Erfordernis für einen Durchgriff. Die Praxis orientiert sich (auch) daran, ob es sich unter dem Blickwinkel von Treu und Glauben oder angesichts der drohenden Verletzung legitimer Interessen aufdrängt, über die formalrechtliche Selbständigkeit der juristischen Person hinwegzusehen. Hier, bei der Anwendung von Art. 626 Abs. 2 ZGB, geht es um das Interesse eines jeden Kindes, am väterlichen oder mütterlichen Nachlass zu einem gleichen Teil wie alle anderen Kinder zu partizipieren. Die Legitimität dieses Interesses beruht auf dem Willen des Gesetzgebers, mit der Gleichheits- oder Gerechtigkeitsidee im familiären Kontext dem besonderen Stellenwert Rechnung zu tragen, durch den sich die (naturgemäss) enge Beziehung der Kinder sowohl zu ihren Eltern als auch untereinander vom weiteren Familienkreis (und von ausserfamiliären Verhältnissen) abhebt (vgl. EITEL/BIERI, a.a.O., S. 15 mit Hinweisen). Ausgehend davon überbürdet das Gesetz dem Ausgleichungsschuldner auch den Nachweis eines ausdrücklichen Ausgleichungsdispenses des Erblassers.
Eingedenk dieses Gehalts von Art. 626 Abs. 2 ZGB besteht kein Grund, den gesetzlich verankerten Gleichbehandlungsgedanken wegen der rechtlichen Selbständigkeit der Einmanngesellschaft, derer sich der Erblasser bei der Ausrichtung der Zuwendungen bedient, zurückzustellen. Aus den dargelegten Gründen steht im gegebenen Kontext nicht der "Missbrauch" der rechtlichen Selbständigkeit der vom Erblasser beherrschten juristischen Person im Fokus, sondern die Tatsache, dass der Erblasser seinen Nachkommen einen geldwerten Vorteil unentgeltlich zukommen lässt und damit auch sein eigenes Vermögen schmälert: Indem er - beispielsweise durch die Auszahlung eines zu hohen Arbeitslohns an die bei der juristischen Person angestellte Tochter oder durch die (gemischte) Schenkung eines Grundstücks aus dem Vermögen der juristischen Person an den Sohn - in der Geschäftstätigkeit seiner Aktiengesellschaft auf Marktkonditionen verzichtet, nimmt er eine Gewinneinbusse der Gesellschaft, mithin eine Werteinbusse der von ihm gehaltenen (100 %-)Beteiligung in Kauf. Dass der Erblasser für diese Begünstigungen den Weg über die von ihm beherrschte juristische Person wählte, steht der (grundsätzlichen) Ausgleichungspflicht also nicht im Weg. Freilich müssen auch alle übrigen gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 626 Abs. 2 ZGB erfüllt sein.
BGE 149 III 145 S. 164
Für die Zwecke der hier gegebenen Ausgangslage einer vom Erblasser beherrschten Aktiengesellschaft ist die Rechtsfigur des Durchgriffs somit im beschriebenen Sinn an den Gegeben- und Besonderheiten des erbrechtlichen Ausgleichungsstreits auszurichten. In der Folge erübrigen sich Erörterungen zur Lehre von der "indirekten Zuwendung", der zufolge die Vermögensvorteile, die den Nachkommen indirekt über eine vom Erblasser beherrschte juristische Person ausgerichtet wurden, unabhängig von der Erfüllung eines eigentlichen Missbrauchstatbestands ausgleichungspflichtig sein können (s. E. 4.3.2). Schliesslich ist mit den vorigen Erwägungen auch nichts Verbindliches über die (spiegelbildliche) Situation gesagt, in der die umstrittenen Zuwendungen nicht von einer vom Erblasser beherrschten juristischen Person herrührten, sondern einer von einem Nachkommen beherrschten juristischen Person zuflossen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob sich in dieser Situation ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Nachkommens als Voraussetzung für einen Durchgriff rechtfertigt (vgl. Urteil 5A_994/2014 vom 11. Januar 2016 E. 5.4). Schliesslich kann auch offenbleiben, ob bzw. wie sich das Bundesgericht in den erwähnten Urteilen 5A_620/2007 vom 7. Januar 2010 und 5A_789/2016 vom 9. Oktober 2018 zum Rechtsmissbrauch als Voraussetzung für einen ausgleichungsrechtlichen Durchgriff äusserte.

4.4

4.4.1 Die vorinstanzliche Beurteilung, wonach die wirtschaftliche Identität der H. AG und des Erblassers ohne Bedeutung, Art. 626 Abs. 2 ZGB wegen der rechtlichen Selbständigkeit der H. AG nicht anwendbar und ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Erblassers durch Vorschieben der H. AG nicht vorstellbar sei, ist in ihrer Absolutheit somit bundesrechtswidrig. Die Beschwerde des Beschwerdegegners (Verfahren 5A_435/2020) ist in dieser Hinsicht begründet. Das Obergericht wird sich in einem neuen Entscheid mit den Voraussetzungen der erbrechtlichen Ausgleichung nach Art. 626 Abs. 2 ZGB auseinandersetzen müssen. Dazu gehört, wie gesehen (E. 4.3.1), nicht nur das subjektive Element des Schenkungswillens, sondern namentlich auch die Frage, ob der Erblasser die umstrittenen geldwerten Vorteile den Beschwerdeführern zum Zweck der Existenzbegründung, -sicherung oder -verbesserung zukommen liess. Sollte die Vorinstanz zum Schluss kommen, dass unentgeltliche lebzeitige Zuwendungen im Sinne der zitierten Norm erfolgt sind, wird sie in der Folge prüfen müssen, ob der Erblasser die
BGE 149 III 145 S. 165
Beklagten von der Ausgleichungspflicht dispensiert hat. Soweit sich der Beschwerdegegner in diesem Zusammenhang gegen die erstinstanzliche Beurteilung wehrt, wonach in der Abwicklung der Geschäfte über die H. AG ein indirekter Dispens liege, ist auf seine Beanstandungen nicht einzutreten. Denn nachdem es die Anwendbarkeit von Art. 626 Abs. 2 ZGB verneint, äusserte sich das Obergericht naturgemäss auch nicht zur Frage eines allfälligen Dispenses (s. zur Problematik des Ausgleichungsdispenses bei Zuwendungen aus dem Vermögen einer vom Erblasser beherrschten juristischen Person insbesondere KOLLER, a.a.O., S. 25 f.). Bei diesem (vorläufigen) Ausgang des Streits um die Ausgleichung angeblicher lebzeitiger Zuwendungen braucht sich das Bundesgericht grundsätzlich nicht zur Höhe der einzelnen Zuwendungen und zur Berechnung der Ausgleichungsforderung bzw. zu den diesbezüglichen detaillierten Erörterungen des Beschwerdegegners zu äussern. (...)

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Erwägungen 2

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