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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
2C_474/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 7. August 2015  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Zünd, Präsident, 
Bundesrichter Seiler, Stadelmann, 
Gerichtsschreiber Klopfenstein. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marc Spescha, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, 
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich. 
 
Gegenstand 
Aufenthaltsbewilligung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, 
vom 2. April 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
 Die russische Staatsangehörige A.________ (geb. 1980) heiratete am 4. April 2007 in Deutschland den deutschen Staatsangehörigen B.________ (geb. 1975). Das Ehepaar reiste am 29. September 2007 in die Schweiz ein. In der Folge erteilte das Migrationsamt des Kantons Zürich A.________ eine bis zum 28. September 2012 gültige Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA zum Verbleib beim Ehemann. 
 
 Nach knapp zwei Jahren Ehe kam es am 15. Februar 2009 zur häuslichen Trennung. Mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 16. Oktober 2012 wurde die kinderlos gebliebene Ehe geschieden. 
 
B.  
 
 Mit Verfügung vom 3. Juli 2013 lehnte das Migrationsamt des Kantons Zürich eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung von A.________ ab und setzte ihr eine Frist bis zum 2. Oktober 2013, um die Schweiz zu verlassen. Gegen diese Verfügung erhob A.________ Rekurs an die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich und machte im Wesentlichen geltend, sie sei während der Ehe Opfer psychischer ehelicher Gewalt geworden; namentlich dadurch, dass ihr Ehemann sie zum Zuschauen und zum Mitmachen bei von ihr als abstossend empfundenen sexuellen Praktiken (u.a. Besuch von "Swinger-Clubs" bzw. "Swinger-Partys") gezwungen habe. 
 
 Der Rekurs blieb erfolglos, und mit Urteil vom 2. April 2014 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich die gegen den Direktionsentscheid vom 23. Januar 2014 erhobene Beschwerde ebenfalls ab. 
 
C.  
 
 Mit Eingabe vom 20. Mai 2014 führt A.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit den Anträgen, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 2. April 2014 aufzuheben und das Migrationsamt anzuweisen, ihr - der Beschwerdeführerin - die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern. Eventuell sei die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsabklärung an die Vorinstanz bzw. an das Migrationsamt zurückzuweisen. 
 
 Die Sicherheitsdirektion und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt (heute Staatssekretariat) für Migration beantragt Abweisung der Beschwerde. 
 
 Mit Verfügung vom 26. Mai 2014 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde - antragsgemäss - aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
 
Erwägungen:  
 
 
1.  
 
1.1. Gegen Entscheide über ausländerrechtliche Bewilligungen ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur zulässig, falls das Bundesrecht oder das Völkerrecht einen Rechtsanspruch auf deren Erteilung bzw. Verlängerung einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario). Für das Eintreten genügt, wenn die betroffene Person in vertretbarer Weise darlegt, dass potenziell ein solcher Anspruch besteht (BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179 f. mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall beruft sich die Beschwerdeführerin in vertretbarer Weise auf Art. 50 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG; SR 142.20), wonach der Bewilligungsanspruch des Ehegatten nach Auflösung der Ehe oder Familiengemeinschaft fortbesteht, wenn "wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen" (dazu hinten E. 2 und E. 3). Insofern erweist sich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als zulässig und die Beschwerdeführerin ist hierzu legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Das Bundesgericht prüft frei und von Amtes wegen, ob der angefochtene Entscheid Bundesrecht verletzt (Art. 95 und Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat, es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig (d.h. willkürlich) oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung oder Beweiswürdigung liegt nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls in Betracht zu ziehen oder gar vorzuziehen wäre, sondern nur, wenn der angefochtene Entscheid auch im Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist, das heisst mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht (BGE 135 II 356 E. 4.2.1 S. 362; 132 III 209 E. 2.1 S. 211; 129 I 8 E. 2.1 S. 9). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Sachgericht offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche willkürlich ausser Acht lässt (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; 120 Ia 31 E. 4b S. 40). Zudem ist eine Verletzung des Willkürverbots entsprechend zu rügen (Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
1.3. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Echte Noven, d.h. Tatsachen, die erst nach dem   angefochtenen Urteil eingetreten sind, bleiben im bundesgerichtlichen Verfahren in jedem Fall unberücksichtigt (BGE 135 I 221 E. 5.2.4 S. 229; 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.). Unzulässig sind sodann Tatsachenbehauptungen und Beweise, die bereits im vorinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können und müssen, mit denen nachträglich belegt werden soll, dass die Sachverhaltsfeststellung offensichtlich unrichtig oder die Beweiswürdigung willkürlich vorgenommen worden ist (Urteil 2C_327/2010 vom 19. Mai 2011 E. 3.1, nicht publ. in: BGE 137 I 347, mit Hinweis auf BGE 135 V 194 ff.). Die von der Beschwerdeführerin erst im Verfahren vor Bundesgericht beigebrachten ärztlichen Atteste der Privatklinik X.________ AG vom 14. Mai 2014 bzw. von Dr. phil. C.________ vom 15. Mai 2014 bleiben daher unbeachtlich.  
 
2.  
 
 Ausländische Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern sowie von Personen mit Niederlassungsbewilligung haben unter Vorbehalt von Art. 51 AuG Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit ihrem Partner zusammenwohnen (Art. 42 Abs. 1 und Art. 43 Abs. 1 AuG). Gemäss Art. 50 Abs. 1 AuG besteht nach Auflösung der Ehe oder der Familiengemeinschaft der Anspruch nach den Artikeln 42 und 43 weiter, wenn die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und eine erfolgreiche Integration besteht (lit. a) oder wenn wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (lit. b, so genannter "nachehelicher Härtefall"). Art. 50 Abs. 1 AuG setzt mithin einen vorangehenden Anspruch nach den Art. 42 und 43 AuG voraus. 
 
 Aus dem angefochtenen Entscheid geht nicht hervor, ob der geschiedene Ehemann der Beschwerdeführerin im Besitz der schweizerischen Niederlassungsbewilligung ist; die Vorinstanz geht aber davon aus, dass sich auch Angehörige von EU-Bürgern im Sinne des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung gemäss Art. 2 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit [Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681] auf Art. 50 AuG berufen können. Das Bundesgericht hat sich zu dieser Frage bereits mehrfach geäussert (vgl. Urteile 2C_886/2011 vom 28. Februar 2012 E. 4.1, 2C_13/2012 vom 8. Januar 2013 E. 3.1, 2C_115/2013 vom 9. April 2013 E. 4.1, 2C_274/2012 vom 8. Juli 2013 E. 2.1.2, 2C_398/2014 vom 7. Mai 2014 E. 2.1 und 2C_330/2014 vom 12. Juni 2014 E. 2.1), allerdings - mangels Entscheidrelevanz - eher summarisch. Die Frage braucht nicht vertieft zu werden, zumal die entsprechenden Voraussetzungen von Art. 50 Abs. 1 lit. b (in Verbindung mit Art. 50 Abs. 2) AuG nicht erfüllt sind (dazu sogleich). 
 
3.  
 
3.1. Ein nachehelicher Härtefall im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG kann insbesondere vorliegen, wenn die Ehegattin Opfer ehelicher Gewalt wurde (Art. 50 Abs. 2 AuG). Nach der Rechtsprechung ist jede Form ehelicher bzw. häuslicher Gewalt, sei sie körperlicher oder psychischer Natur, ernst zu nehmen (BGE 138 II 229 E. 3.2 S. 232 f.). Häusliche Gewalt bedeutet  systematische Misshandlung mit dem Ziel, Macht und Kontrolle auszuüben und nicht eine einmalige Ohrfeige oder eine verbale Beschimpfung im Verlauf eines eskalierenden Streits (vgl. BGE 136 II 1 E. 5 S. 3 ff. mit Hinweisen; Urteil 2C_930/2012 vom 10. Januar 2013 E. 4.1). Die physische oder psychische Zwangsausübung und deren Auswirkungen müssen vielmehr von einer gewissen Konstanz bzw. Intensität sein (vgl. Urteil 2C_155/2011 vom 7. Juli 2011 E. 4). Auch psychische bzw. sozio-ökonomische Druckausübung wie dauerndes Beschimpfen, Erniedrigen, Drohen und Einsperren kann einen für die Annahme eines nachehelichen Härtefalls relevanten Grad an unzulässiger Oppression erreichen. Nicht jede unglückliche, belastende und nicht den eigenen Vorstellungen entsprechende Entwicklung einer Beziehung begründet indessen bereits einen nachehelichen Härtefall und ein weiteres Anwesenheitsrecht (BGE 138 II 229 E. 3.2.2 S. 233 f.). Der blosse Umstand, dass die Ehe schlecht verläuft, genügt dafür nicht.  
 
 Die ausländische Person trifft bei den Feststellungen des entsprechenden Sachverhalts eine weitreichende Mitwirkungspflicht (vgl. BGE 138 II 229 E. 3.2.3 S. 235, 126 II 335 E. 2b/cc S. 342; 124 II 361 E. 2b S. 365). Sie muss die eheliche Gewalt bzw. häusliche Oppression in geeigneter Weise glaubhaft machen (Arztberichte oder psychiatrische Gutachten, Polizeirapporte, Berichte/Einschätzungen von Fachstellen [Frauenhäuser, Opferhilfe usw.], glaubwürdige Zeugenaussagen von weiteren Angehörigen oder Nachbarn etc.). Allgemein gehaltene Behauptungen oder Hinweise auf punktuelle Spannungen genügen nicht; wird häusliche Gewalt in Form psychischer Oppression behauptet, muss vielmehr die Systematik der Misshandlung bzw. deren zeitliches Andauern und die daraus entstehende subjektive Belastung objektiv nachvollziehbar konkretisiert und beweismässig unterlegt werden. Dasselbe gilt, soweit damit verbunden geltend gemacht werden soll, bei einer Rückkehr erweise sich die soziale Wiedereingliederung als stark gefährdet. Auch hier genügen allgemeine Hinweise nicht; die befürchtete Beeinträchtigung muss  im Einzelfall aufgrund der konkreten Umstände glaubhaft erscheinen. Nur in diesem Fall und beim Bestehen entsprechender Beweisanträge, die nicht in antizipierter Beweiswürdigung abgewiesen werden können, wobei aber allfälligen sachinhärenten besonderen Beweisschwierigkeiten Rechnung zu tragen ist, rechtfertigt es sich, ein ausländerrechtliches Beweisverfahren durchzuführen.  
 
3.2. Die Vorinstanz hat die Vorbringen der Beschwerdeführerin und die von ihr ins Verfahren eingebrachten Unterlagen, namentlich ärztliche Berichte, Zeugnisse und Rezepte sowie verschiedene Schreiben von Beratungs- und Integrationsstellen eingehend geprüft (E. 5.2.1 - 5.2.5 des angefochtenen Entscheides) und beweiswürdigend gefolgert, die eheliche Gewalt sei nicht in geeigneter Weise glaubhaft gemacht worden (E. 5.3 ebenda).  
 
3.3. Die Beschwerdeführerin stellt vor dem Bundesgericht weitgehend lediglich ihre eigene Sicht der Dinge derjenigen des kantonalen Gerichts gegenüber, was den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht genügt (vgl. BGE 134 II 244 E. 2.1 - 2.3). Sie legt nicht rechtsgenüglich (vgl. namentlich vorne E. 1.3) dar, dass und inwiefern die Sachverhaltsermittlung und die Beweiswürdigung der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sein sollen. Jedenfalls ist es nicht willkürlich, wenn das Verwaltungsgericht den Umstand, dass die eheliche Gewalt vorliegend erst geraume Zeit nach Auflösung der ehelichen Gemeinschaft dokumentiert wird, im Rahmen der Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin zu deren Lasten gewichtet hat. Es fällt in der Tat auf, dass keine echtzeitlichen Unterlagen vorliegen: Die ersten psychiatrischen Konsultationen fanden im März 2010 statt, mithin ein Jahr nach der Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft; zudem lassen sich den genannten Arztberichten keinerlei Hinweise auf eine vorangegangene eheliche Oppression entnehmen. Solche Hinweise tauchen erst viel später im Zusammenhang mit dem migrationsrechtlichen Bewilligungsverfahren und den darauf folgenden Rechtsmittelverfahren auf. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin sind damit nicht geeignet, die Sachverhaltsermittlung der Vorinstanz als offensichtlich unrichtig erscheinen zu lassen. Dies gilt ebenso mit Blick auf deren Schlussfolgerung, die soziale Wiedereingliederung der Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland erscheine nicht gefährdet (vgl. E. 6.2 des angefochtenen Entscheides in Verbindung mit Art. 50 Abs. 2 AuG, letzter Satzteil).  
 
3.4. Ist der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 2 BGG, vorne E. 1.2), fällt ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG unabhängig von dessen Anwendbarkeit im vorliegenden Fall so oder anders ausser Betracht.  
 
4.  
 
 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang trägt die Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens (Art. 66 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. August 2015 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Zünd 
 
Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein