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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_501/2023  
 
 
Urteil vom 4. Oktober 2023  
 
I. Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichter Muschietti, 
Gerichtsschreiber Brugger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Krumm, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
2. B.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Brigit Rösli, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Vergewaltigung; mehrfache sexuelle Nötigung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 30. Januar 2023 (SB210630-O/U/cwo). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte A.________ am 30. Januar 2023 zweitinstanzlich wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind, mehrfacher sexueller Nötigung und Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 5 ½ Jahren. Es ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme an und verhängte ein lebenslängliches Verbot zur Ausübung einer beruflichen oder einer organisierten ausserberuflichen Tätigkeit, die einen regelmässigen Kontakt mit Minderjährigen umfasst. Schliesslich verpflichtete es ihn zu Schadenersatz von Fr. 6'721.-- an den Kanton Zürich und zu einer Genugtuung von Fr. 35'000.-- nebst Zins an das Opfer. 
 
B.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei teilweise aufzuheben. Er sei von den Vorwürfen der mehrfachen sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung freizusprechen und wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten zu verurteilen, deren Vollzug zugunsten der stationären therapeutischen Massnahme aufzuschieben sei. Der Schadenersatzanspruch sei auf den Zivilweg zu verweisen und die Genugtuung auf maximal Fr. 7'000.-- herabzusetzen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung. 
Mit Eingabe vom 14. Juni 2023 ersuchte auch B.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer trägt vor, er sei durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt und habe ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung. Er beruft sich auf Art. 89 Abs. 1 BGG und die dazu ergangene Rechtsprechung. Dabei verkennt er, dass diese Bestimmung die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten betrifft. Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Dies ist bei der verurteilten Person stets der Fall (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BGG). 
 
2.  
Die Beschwerde ist zu begründen, wobei anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern dieser Recht verletzt (Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGG). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür in der Sachverhaltsfeststellung bestehen qualifizierte Rügeanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG). 
Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1). Dies ist der Fall, wenn der angefochtene Entscheid geradezu unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Erforderlich ist, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). Für die Willkürrüge gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Es genügt nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 148 V 366 E. 3.3; 137 II 353 E. 5.1 mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1; 148 IV 205 E. 2.6; 146 IV 88 E. 1.3.1). Dem Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel kommt im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung zu (BGE 148 IV 409 E. 2.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). 
 
3.  
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Schuldsprüche wegen mehrfacher sexueller Nötigung und Vergewaltigung. 
 
3.1. Die Anklage wirft dem Beschwerdeführer mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind, mehrfache sexuelle Nötigung und Vergewaltigung zum Nachteil seiner 6 Jahre jüngeren Cousine und heutigen Beschwerdegegnerin 2 vor. Der Beschwerdeführer war zu Beginn der vorgeworfenen Taten knapp 15-jährig und bei deren Ende 20-jährig.  
 
3.2. Der Beschwerdeführer gestand sexuelle Handlungen mit der Beschwerdegegnerin 2. Sie habe ihn auf sein Verlangen mehrmals oral befriedigt, wobei er in ihren Mund ejakuliert, ihre Brüste berührt und um ihr Alter gewusst habe. Hingegen bestreitet der Beschwerdeführer, die Beschwerdegegnerin 2 sexuell genötigt und vergewaltigt zu haben.  
 
3.3.  
 
3.3.1. Gemäss Vorinstanz hat sich die Erstinstanz ausführlich, differenziert und sorgfältig mit den Aussagen des Beschwerdeführers und der Beschwerdegegnerin 2 auseinandergesetzt. Neben den Wortprotokollen habe sie die Videos der beiden Einvernahmen der Beschwerdegegnerin 2 "einlässlich und analytisch" gewürdigt. Auf diese Weise sei die Erstinstanz zum Schluss gelangt, dass deren Aussagen umfangreich, detailliert und stimmig seien. Die Beschwerdegegnerin 2 schildere die Ereignisse trotz Zeitablaufs nachvollziehbar und mit zahlreichen Realitätskriterien. Eine solche Qualität wäre nicht zu erwarten gewesen, wenn die Beschwerdegegnerin 2 das Erzählte nicht erlebt hätte. Denn eine 16-Jährige sei nicht in der Lage, falsche Aussagen mit derart vielen deutlichen Realitätskriterien während zweier langer Einvernahmen so widerspruchsfrei vorzubringen. Demgegenüber beschränkten sich die Aussagen des Beschwerdeführers abgesehen vom anerkannten Vorwurf auf pauschale Bestreitungen.  
 
3.3.2. Die Vorinstanz verweist auf die erstinstanzlichen Erwägungen und ergänzt sie mit einer eigenen Prüfung der Aussagen des Beschwerdeführers und der Beschwerdegegnerin 2. Dabei betont die Vorinstanz, dass sich die Beschwerdegegnerin 2 "zu den sexuellen Handlungen gezwungen fühlte und diese nicht freiwillig oder gar von sich aus vornahm". Der Beschwerdeführer habe ein Machtgefälle und eine Geheimnissphäre geschaffen und die Beschwerdegegnerin 2 in eine ausweglose emotionale Situation gebracht. Er habe seine damalige kognitive und körperliche Überlegenheit und familiäre Stellung auf perfide Weise ausgenutzt. Gemäss psychiatrischem Gutachten fänden sich beim Beschwerdeführer seit dem Alter von ungefähr 8 Jahren dissoziale Verhaltensmuster mit starker Selbstfokussierung, einer gewissen Rücksichtslosigkeit gegenüber Mitmenschen und einer deutlichen Tendenz, Bedürfnisse unmittelbar befriedigen zu wollen. Auch fänden sich manipulieren, strategisches Lügen und fehlende Verantwortungsübernahme. Insgesamt lasse sich eine dissoziale Einstellung mit psychopathischen Zügen erkennen.  
Der Beschwerdeführer hatte im kantonalen Verfahren vorgebracht, die Beschwerdegegnerin 2 habe ihm im Sinne eines Tauschs sexuelle Handlungen angeboten, wenn er dafür mit ihr Spiele mache. Diese Darstellung verwirft die Vorinstanz als "abstruse Schutzbehauptung". Es sei lebensfremd, dass die damals rund 10-jährige vorpubertäre und sexuell unerfahrene Beschwerdegegnerin 2 dem Beschwerdeführer ein solches Angebot gemacht haben sollte. Im Gegenteil habe die Beschwerdegegnerin 2 anfänglich gar nicht recht verstanden, was vor sich gegangen sei. 
 
3.3.3. Der Beschwerdeführer machte im kantonalen Verfahren geltend, der Vorwurf der Vergewaltigung könne nicht stimmen, weil es nach den Angaben der Beschwerdegegnerin 2 nur ein einziges Mal zu vaginalem Geschlechtsverkehr gekommen sei. Dieses Vorbringen verwirft die Vorinstanz. Sie erwägt, die Beschwerdegegnerin 2 habe den Geschlechtsverkehr nicht gewollt und aktiv Widerstand geleistet. Deshalb sei es durchaus möglich, dass es dem Beschwerdeführer nicht gefallen habe und er wieder zum Oralverkehr zurückgekehrt sei. Denkbar sei auch, dass er beim vaginalen Geschlechtsverkehr mehr Hemmungen und grössere Befürchtungen gehabt habe. Ohnehin habe die Beschwerdegegnerin 2 ihn nicht unnötig belastet.  
 
3.3.4. Was die Zahl der sexuellen Handlungen betrifft, sind die Vorbringen des Beschwerdeführers und der Beschwerdegegnerin 2 gemäss Vorinstanz pauschal. Sie schliesst sich der erstinstanzlichen Einschätzung an, wonach es zu insgesamt 40 Übergriffen kam. Dabei nimmt sie zugunsten des Beschwerdeführers an, dass 30 Vorfälle vor seinem 18. Geburtstag erfolgten und 10 Vorfälle danach.  
 
3.4. Was der Beschwerdeführer gegen die vorinstanzlichen Erwägungen vorträgt, verfängt nicht.  
 
3.4.1. Im Ergebnis präsentiert der Beschwerdeführer über weite Strecken eine eigene Würdigung der Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 und seiner Angaben. Dabei verfehlt er die Begründungsanforderungen und verfällt in eine unzulässige appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil. Dies ist etwa der Fall, wenn er vorträgt, dass sich die Vorinstanz einfach auf die Feststellungen der Erstinstanz verlassen habe; dass der Beschwerdegegnerin 2 belastende Aussagen in den Mund gelegt worden seien; dass die "Ausdrucksweise des Beschwerdeführers" für einvernehmliche sexuelle Handlungen spreche; dass der Beschwerdegegnerin 2 ein Widerruf der belastenden Aussagen "aufgrund ihrer Charaktereigenschaften nicht mehr möglich" gewesen sei; dass die unwahren Vorwürfe "in einer phantasievollen Art und Weise den Strafverfolgungsbehörden gegenüber ausgesagt" worden seien; dass er die Beschwerdegegnerin 2 nicht in eine ausweglose emotionale Situation gebracht habe; oder dass es zu keiner Penetration seines Penises in die Vagina der Beschwerdegegnerin 2 gekommen sei.  
Geradezu unerfindlich ist, was der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer meint, wenn er vorträgt, er habe "keinen psychischen Druck ausgeübt, da sich C.________ in diesem Fall gewehrt hätte. Sie war mit den Bewohnern des Hauses respektive Wohnung jeweils bestens vertraut. Es lag letztlich auch keine Widerstandsunfähigkeit vor". 
 
3.4.2. Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die Vorinstanz den Erwägungen der Erstinstanz zu seiner Glaubwürdigkeit und zur Glaubwürdigkeit der Beschwerdegegnerin 2 beipflichtet und darauf verweist. Eine solche pauschale Verweisung stehe "der Begründungspflicht nach Art. 50 StGB unzweideutig entgegen". Dabei verkennt der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer, dass Art. 50 StGB die Begründung der Strafzumessung betrifft. Zudem übersieht er, dass im Rechtsmittelverfahren für die tatsächliche und die rechtliche Würdigung des angeklagten Sachverhalts auf die Begründung der Erstinstanz verwiesen werden kann (Art. 82 Abs. 4 StPO). Der Beschwerdeführer legt nicht im Ansatz dar, weshalb die Vorinstanz diese oder eine andere Norm verletzt haben sollte. Auch scheint ihm zu entgehen, dass der allgemeinen Glaubwürdigkeit im Sinne einer dauerhaften personellen Eigenschaft einer Person nach der Rechtsprechung kaum mehr relevante Bedeutung zukommt. Entscheidend für die Wahrheitsfindung ist die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussagen (BGE 147 IV 409 E. 5.4.3, 534 E. 2.3.3; 133 I 33 E. 4.3 mit Hinweisen).  
 
3.4.3. Soweit der Beschwerdeführer rechtliche Ausführungen macht, stützt er diese auf einen Sachverhalt, der von den willkürfreien Feststellungen der Vorinstanz abweicht. Darauf ist nicht einzutreten.  
 
3.5. Nach dem Gesagten sind die vorinstanzlichen Schuldsprüche wegen mehrfacher sexueller Nötigung und Vergewaltigung rechtens.  
 
4.  
Seine Begehren zur Strafzumessung, zu den Zivilforderungen und zur Kostenverteilung begründet der Beschwerdeführer einzig mit den beantragten Freisprüchen. Darauf ist nicht einzugehen, nachdem die Verurteilungen Bestand haben. 
 
5.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist durch reduzierte Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2, Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin 2 wurde im bundesgerichtlichen Verfahren nicht zur Vernehmlassung eingeladen. Ihr ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand erwachsen und die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege erübrigt sich. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 4. Oktober 2023 
 
Im Namen der I. Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Brugger