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[AZA 7] 
U 282/99 Gr 
 
 
I. Kammer 
 
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Borella, Bundesrichterinnen Widmer und Leuzinger; 
Gerichtsschreiber Grünvogel 
 
Urteil vom 30. November 2001 
 
in Sachen 
 
M.________, 1948, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Stefan Hofer, Spalenberg 20, 4051 Basel, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn 
 
 
 
A.- Der 1948 geborene M.________eier war seit 1977 alleiniger Verwaltungsrat, Geschäftsführer und spätestens seit 1982 Hauptaktionär der Firma X. AG, (nachfolgend Firma), und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch für Berufs- und Nichtberufsunfälle versichert gewesen. Für die Firma unterzeichnete er am 20. Juni 1978 gemeinsam mit der SUVA eine als "Erklärung über die Versicherung von Gesellschaftern und ihren Angehörigen" betitelte Vereinbarung, wonach der ortsübliche Verdienst einer Person in der Funktion des M.________ in einem vergleichbaren Betrieb ab dem 1. Januar 1978 bis auf Widerruf einer Partei Fr. 36'000.- im Jahr betrage. In der Folge erreichte der in der AHV beitragsrechtlich massgebende Jahreslohn diesen Betrag nicht, weshalb die SUVA bei der jährlichen Prämienbemessung für die obligatorische Versicherung vom als berufs- und ortsüblich vereinbarten Jahresverdienst ausging. Mit Schreiben vom 7. August 1986 gelangte die Anstalt an die Firma mit dem Hinweis, der bisher versicherte Lohnansatz sei mit Vorteil der Lohnentwicklung und den heutigen Verhältnissen anzupassen; falls eine Erhöhung des versicherten Lohnes (recte: des Mindestlohnansatzes) gewünscht werde, sei das beiliegende Formular ausgefüllt zurückzusenden. Ohne Bericht gelte ab 1. Januar 1987 weiterhin die bisherige Regelung. Eine Antwort blieb aus, weshalb die SUVA die Jahresprämien unverändert auf einem versicherten Verdienst von Fr. 36'000.- erhob. 
Am 14. April 1989 wurde M.________ als Lenker eines Personenwagens Opfer eines schweren Verkehrsunfalls, was ihn zur Berufsaufgabe zwang. Weil er von der Invalidenversicherung bereits eine ganze Rente zuzüglich Zusatzrenten für die Kinder in der Höhe von jährlich Fr. 41'388.- (12 x 3449) bezog und die SUVA ihn mit Rücksicht auf die Unfallfolgen als vollständig erwerbsunfähig betrachtete, sprach sie ihm mit Verfügung vom 1. März 1996 eine Invalidenrente mit Wirkung ab 1. Oktober 1995 zu. Dabei setzte sie den versicherten Jahresverdienst auf Fr. 39'600.- fest, was zu einer Komplementärrente von Fr. 0.- führte. Des Weiteren wurde dem Versicherten eine auf einer Integritätseinbusse von 90 % basierende Integritätsentschädigung von Fr. 73'440.- ausgerichtet. Mit Einspracheentscheid vom 16. Dezember 1996 hielt die Anstalt an ihrer Auffassung fest. 
 
B.- In teilweiser Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde, mit welcher die Zusprechung einer Rente auf der Grundlage eines versicherten Jahresverdienstes von Fr. 78'000.- sowie eine auf einer Integritätseinbusse von 100 % basierende Entschädigung verlangt wurde, gelangte das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn zum Schluss, dass die Anstalt den für die Bemessung der Komplementärrente massgebenden versicherten Verdienst zutreffend festgelegt habe, weshalb es die Beschwerde im Rentenpunkt abwies. Hingegen hob es den Einspracheentscheid zur Integritätsentschädigung auf und wies die Akten an die SUVA zurück, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über diesen Anspruch neu verfüge (Entscheid vom 25. Juni 1999). 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren insoweit erneuern, als ihm eine Komplementärrente auf der Basis eines versicherten Verdienstes in der Höhe von Fr. 78'000.- verwehrt worden ist. 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Bezüglich der Integritätsentschädigung ist der vorinstanzliche Entscheid mangels Anfechtung in Teilrechtskraft erwachsen (vgl. RKUV 1999 Nr. U 323 S. 98 Erw. 1b). 
 
2.- Die Vorinstanz hat die Gesetzesbestimmung (Art. 15 UVG) sowie die vom Bundesrat in Ausschöpfung der ihm in Art. 15 Abs. 3 UVG eingeräumten Kompetenz erlassenen Vorschriften (Art. 22-24 UVV) zum für die Berechnung der Komplementärrente gemäss Art. 20 Abs. 2 UVG anwendbaren versicherten Verdienst zutreffend dargelegt. Zu ergänzen ist, dass auf Grund von Art. 92 Abs. 1 UVG der versicherte Verdienst auch für die jährliche (Art. 93 UVG) Prämienfestsetzung massgebend ist. Dabei ist er laut Art. 115 Abs. 1 UVV - abgesehen von einzelnen Ausnahmen - mit demjenigen nach Art. 22 Abs. 1 und 2 UVV identisch. 
 
3.- Es steht fest und ist unbestritten, dass der versicherte Verdienst im Ereignisjahr in Anwendung von Art. 24 Abs. 2 UVV um 10 % anzuheben ist (vgl. RKUV 1999 Nr. U 327 S. 111 Erw. 3c mit Hinweisen). Streitig und näher zu prüfen ist dagegen die Höhe des versicherten Verdienstes im letzten Jahr vor dem Unfall, der sich vorliegend nach dem berufs- und ortsüblichen Lohn im Sinne von Art. 22 Abs. 2 lit. c UVV bemisst. 
 
4.- Während SUVA und Vorinstanz die am 20. Juni 1978 abgeschlossene Vereinbarung, wonach der berufs- und ortsübliche Jahreslohn bis auf Widerruf Fr. 36'000.- beträgt, als bindend betrachten, verlangt der Beschwerdeführer, der Betrag sei losgelöst von dieser Abmachung anhand der wirklichen Verhältnisse festzulegen. 
 
5.- a) Im Unterschied zur freiwilligen Versicherung (Art. 138 UVV) ist die vertragliche Festsetzung des versicherten Verdienstes als Grundlage für die Beitragsfestsetzung wie auch die Leistungszusprechung in der obligatorischen Versicherung gesetzlich nicht vorgesehen. Indessen sind verwaltungsrechtliche Verträge nicht nur dort zulässig, wo sie das Gesetz ausdrücklich erwähnt. Sie können auch stillschweigend zugelassen sein, sofern sie vom Gesetz nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind (BGE 105 Ia 209 Erw. 2a; 103 Ia 512 Erw. 3a). Vorausgesetzt ist indessen, dass das Gesetz nach seinem Sinn und Zweck der Konkretisierung durch verwaltungsrechtlichen Vertrag und nicht durch Verfügung bedarf (Häfelin/Haller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., Zürich 1998, S. 219 Rz. 862; Blaise Knapp, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, Basel 1992, N 1521; vgl. auch Schwarzenbach-Hanhart, Grundriss des allgemeinen Verwaltungsrechts, 11. Aufl., Bern 1997, S. 145). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass eine als zulässig betrachtete Vereinbarung grundsätzlich nur inter partes Geltung hat und daher auch nicht einer Drittperson bei deren Leistungsbegehren entgegen gehalten werden kann. Dies ist indessen vorliegend ohne Belang, da dem Beschwerdeführer mit Blick auf den Umstand, dass er das Formular vom 20. Juni 1978 namens der Firma unterzeichnet und in der Folgezeit bis zum Unfallereignis eine dominierende Stellung in der Gesellschaft inne hatte, das Verhalten des Arbeitgebers voll anzurechnen ist. 
 
b) Eine Konkretisierung des berufs- und ortsüblichen Lohnes gemäss Art. 22 Abs. 2 lit. c UVV mittels verwaltungsrechtlichen Vertrages wäre einzig dann zulässig, wenn der Versicherer zu dessen Ermittlung auf die Mitwirkung des Versicherten angewiesen und daher dessen Einbindung in die Sachverhaltsabklärung erforderlich ist. Eine Antwort darauf setzt die Klärung des Begriffs berufs- und ortsüblicher Lohn voraus. 
 
c) Dem Begriff "orts- und berufsüblicher Lohn" ist die Frage nach dem mit der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit ordentlicherweise erzielbaren Verdienst eigen. Darunter fallen auch (und in erster Linie) die Löhne von in vergleichbarer Funktion tätigen Angestellten ohne besondere Beziehung zum Arbeitgeber, was übrigens nicht nur der Wortlaut, sondern auch der Zweck der fraglichen Bestimmungen gebietet. Es soll sichergestellt werden, dass Personen mit persönlicher Verflechtung mit dem Arbeitgeber mindestens einem marktkonformen Lohn entsprechend versichert sind (vgl. auch das Votum des damaligen Vizedirektors des bei der Ausarbeitung der UVV federführenden BSV anlässlich der Kommissionssitzung zur Vorbereitung der Verordnung über die obligatorische Unfallversicherung vom 29. April 1981, wonach die vom Bundesamt vorgeschlagene Bestimmung erreichen will, dass Leute, die wegen ihrer Stellung einen niedrigeren Lohn als den üblichen hätten, sich für den orts- und berufsüblichen Lohn versichern können; Sitzungsprotokoll, S. 33). Hingegen geht es nicht darum, die tatsächlichen Einkommensverhältnisse (AHV-pflichtiger Lohn, zuzügl. verdeckte Gewinnausschüttung, nicht deklarierter Naturallohn, in der Firma belassener Gewinn, etc.) zu erfassen, wovon die SUVA auszugehen scheint und was in der Tat ohne die Mitwirkung der Arbeitgeberin nahezu unmöglich wäre. 
Ein derart verstandener berufs- und ortsüblicher Verdienst lässt sich, bei Kenntnis der im Betrieb wahrgenommenen Funktion sowie des Arbeitspensums und allenfalls auch der Leistung, auf einfache Weise ohne die Mitwirkung der versicherten Person und/oder deren Arbeitgeber bestimmen (Befragung von ortsnahen Firmen, die eine vergleichbare Stelle anbieten, Tabellenlöhne, usw.), womit kein Raum für eine vertragliche Festsetzung des versicherten Verdienstes als Grundlage für die Leistungszusprechung besteht. Das vom Beschwerdeführer für die Firma unterzeichnete Formular vom 20. Juni 1978 ist daher lediglich als Erklärung über den mutmasslichen berufs- und ortsüblichen Lohn anzusehen, wie sie - in gleicher Weise bei der AHV (Art. 25 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 26 Abs. 2 AHVV) - insbesondere bei einer Betriebseröffnung notwendig ist (vgl. in diesem Zusammenhang den damaligen Führer der SUVA zur obligatorischen Unfallversicherung, 26. Aufl., Dez. 1979, S. 42 f.). Infolgedessen kann das Formular vom 20. Juni 1978 dem Beschwerdeführer nicht mit der Begründung entgegen gehalten werden, es handle sich dabei um einen im Zeitpunkt der Leistungsbegründung noch gültig gewesenen verwaltungsrechtlichen Vertrag. 
 
 
6.- a) Gemäss den von der SUVA am 26. und 27. Februar 1992 bei Radio-TV-Geschäften eingeholten Auskünften betrug damals der Durchschnittsverdienst eines guten Radio-TV-Elektrikers im Raum Basel im Alter von ca. 45 Jahren etwa Fr. 74'000.- im Jahr. Damit lag der berufs- und ortsübliche Lohn zum massgebenden Zeitpunkt massiv über demjenigen, den die SUVA bis zuletzt den Prämienabrechnungen zu Grunde gelegt hatte. 
 
b) aa) Es finden sich zwar weder im Gesetz noch in der Verordnung Bestimmungen, die den Versicherten bei der Festlegung des versicherten Verdienstes zur Mitwirkung in die Pflicht nehmen. Dagegen ergeben sich aus Art. 93 UVG spezifische Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers. Einerseits bedarf der Versicherer einer Auskunft des Arbeitgebers über die mutmasslichen Löhne, damit er die Prämien zum Voraus schätzen und bekannt geben kann (Art. 93 Abs. 2 UVG; so schon Art. 110 Abs. 1 KUVG). Des Weiteren hat der Arbeitgeber laufend Aufzeichnungen u.a. über die Löhne zu machen und auf Verlangen weitere Auskünfte zu erteilen (Art. 93 Abs. 1 UVG; so schon Art. 64 Abs. 1 und 2 sowie Art. 112 Abs. 1 KUVG). Sodann gilt damals wie heute die Regel, dass der Arbeitgeber nach Ende des Rechnungsjahres die zur Berechnung der endgültigen Prämien massgebenden Löhne zu melden hat (Art. 120 Abs. 2 UVV; Art. 28 Abs. 1 aVO II). Wenn die Lohnaufzeichnungen keine sichere Auskunft geben, legt der Versicherer der Prämienberechnung andere Erhebungen zu Grunde (Art. 93 Abs. 4 UVG, Art. 112 Abs. 1 aKUVG, je Satz 2), wobei eine verfügungsweise Festsetzung der Prämien dann in Betracht fällt, wenn der Arbeitgeber die für die Prämienfestsetzung erforderlichen Angaben nicht gemacht hat (Art. 120 Abs. 3 UVV). 
bb) Die Firma hat sich nun aber seit der Erklärung vom 20. Juni 1978 darauf beschränkt, der SUVA jährlich die tatsächlich ausbezahlten Löhne zu melden. Auf die von der Anstalt im Schreiben vom 7. August 1986 ausdrücklich gestellte Frage nach einer allfälligen Erhöhung der versicherten Verdienste von Gesellschaftern und Familienangehörigen hat sie nicht reagiert. Dies obwohl der am 20. Juni 1978 erklärte berufs- und ortsübliche Lohn von der SUVA in für die Firma leicht erkennbarer Weise in der jüngeren Vergangenheit zu tief festgesetzt worden war. Damit ist sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Für die SUVA war umgekehrt die fehlende Aktualität des bisher angenommenen versicherten Verdienstes nicht ohne weiteres auszumachen, kannte sie doch weder die vom Versicherten aktuell eingenommene Funktion im Betrieb noch dessen Arbeitszeit, was einen Vergleich mit dem am 20. Juni 1978 erklärten berufs- und ortsüblichen Lohn verunmöglichte. Sie hatte daher, nachdem der Arbeitgeber einerseits in der Vergangenheit für die Prämienfestsetzung genügend Angaben lieferte und anderseits die ausdrückliche Frage nach einer allfälligen Erhöhung der versicherten Verdienste von Gesellschaftern und Familienangehörigen nicht beantwortete, keinen Anlass, davon auszugehen, dass der für diese Personen gemeldete Lohn nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen entsprach. 
Es verdient keinen Rechtsschutz, wenn ein Versicherter - wie vorliegend - in Verletzung der ihm anzurechnenden [Erw. 5a in fine hiervor] Mitwirkungspflichten der Firma über Jahre eine Taggeld- und Rentenversicherung auf der Basis eines bestimmten versicherten Verdienstes erwirkt und dann umgekehrt im Leistungsfall geltend macht, eben dieser versicherte Verdienst entspreche seit langer Zeit nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen. Vielmehr gebietet hier das Rechtsmissbrauchsverbot zusammen mit dem Äquivalenzprinzip, dass bei der Leistungsbemessung der gleiche versicherte Verdienst zu Grunde gelegt wird, wie zuletzt bei der Beitragsbemessung. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 30. November 2001 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der I. Kammer: 
 
 
Der Gerichtsschreiber: