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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.387/2003 /sta 
 
Urteil vom 14. Juli 2003 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesgerichtsvizepräsident Nay, 
Bundesrichter Catenazzi, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Christoph Bürgi, Schmiedengasse 27, Postfach 26, 3402 Burgdorf, 
 
gegen 
 
Untersuchungsrichteramt II Emmental-Oberaargau, Kreuzgraben 10, 3400 Burgdorf, 
Staatsanwaltschaft II Emmental-Oberaargau, Jurastrasse 22, Postfach, 4901 Langenthal, 
Haftgericht II Emmental-Oberaargau, Schloss, 3400 Burgdorf. 
 
Gegenstand 
Art. 9, Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 BV 
(Anordnung der Untersuchungshaft), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Haftgerichts II Emmental-Oberaargau vom 16. Juni 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Regionalfahndung Burgdorf ermittelte während mehrerer Monate gegen verschiedene Personen vorwiegend aus afrikanischen Staaten wegen des Verdachts des Handels mit Betäubungsmitteln in grösserem Umfang. Am 12. Juni 2003 wurden 13 Personen festgenommen. Bei Hausdurchsuchungen wurden zudem ca. 600 Gramm harte Drogen, mehrere Tausend Franken Bargeld und eine grössere Menge Schmuck unbekannter Herkunft sichergestellt. Bei einem der Festgenommenen handelt es sich um X.________ (geb. 1983), der Staatsangehöriger der Elfenbeinküste ist. 
 
Am 13. Juni 2003 beantragte der Untersuchungsrichter 4 des Untersuchungsrichteramtes II Emmental-Oberaargau dem Haftgericht II Emmental-Oberaargau die Anordnung der Untersuchungshaft gegen X.________. 
 
Am 16. Juni 2003 versetzte der zuständige Haftrichter X.________ wegen Flucht- und Kollusionsgefahr in Untersuchungshaft. 
B. 
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid des Haftrichters aufzuheben; der Kanton Bern sei anzuweisen, ihn unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. 
C. 
Der Untersuchungs- und der Haftrichter haben je eine Vernehmlassung eingereicht. Der Untersuchungsrichter beantragt die Abweisung der Beschwerde. Der Haftrichter hat keinen förmlichen Antrag gestellt. 
 
X.________ hat Bemerkungen zu den Vernehmlassungen eingereicht. Er hält an seinen Anträgen fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Gemäss Art. 185 Abs. 4 StPO/BE entscheidet das Haftgericht endgültig. Gegen den angefochtenen Entscheid ist kein kantonales Rechtsmittel gegeben. Die Beschwerde ist somit unter dem Gesichtswinkel von Art. 86 OG zulässig. 
 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich kassatorischer Natur, das heisst es kann mit ihr nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, nicht aber der Erlass positiver Anordnungen durch das Bundesgericht verlangt werden. Eine Ausnahme gilt dann, wenn die von der Verfassung geforderte Lage nicht schon mit der Aufhebung des kantonalen Entscheids hergestellt wird, sondern dafür eine positive Anordnung nötig ist. Das trifft hinsichtlich einer nicht oder nicht mehr gerechtfertigten Untersuchungshaft zu (BGE 124 I 327 E. 4 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten, soweit der Beschwerdeführer beantragt, der Kanton Bern sei anzuweisen, ihn unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. 
 
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist - unter dem Vorbehalt der hinreichenden Begründung der Rügen nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG - einzutreten. 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt, die Anordnung der Untersuchungshaft verletzte sein Recht auf persönliche Freiheit. Der dringende Tatverdacht sei sachlich nicht zu begründen. Der Entscheid des Haftrichters verletze insoweit das Willkürverbot. 
2.1 Gemäss Art. 10 Abs. 2 BV hat jeder Mensch das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf Bewegungsfreiheit. 
 
Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen der Anordnung der Untersuchungshaft erhoben werden, prüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts frei (BGE 123 I 268 E. 2d mit Hinweis). Der Willkürrüge kommt insoweit keine selbständige Bedeutung zu. 
 
Gemäss Art. 176 Abs. 2 StPO/BE kann die angeschuldigte Person in Untersuchungshaft versetzt werden, wenn sie eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr besteht. 
 
Der Beschwerdeführer stellt die Annahme der Flucht- und Kollusionsgefahr nicht in Frage. Er richtet sich einzig gegen die Bejahung des dringenden Tatverdachts. 
Nach der Rechtsprechung ist es bei der Prüfung des dringenden Tatverdachts nicht Sache des Bundesgerichts, dem Sachrichter vorgreifend eine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Umstände vorzunehmen. Zu prüfen ist vielmehr, ob genügend konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und eine Beteiligung des Beschwerdeführers daran vorliegen, die Untersuchungsbehörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften (BGE 116 Ia 143 E. 3c). Bei Beginn der Strafuntersuchung sind die Anforderungen an den dringenden Tatverdacht noch geringer. Im Laufe des Strafverfahrens ist ein immer strengerer Massstab an die Erheblichkeit und Konkretheit des Tatverdachts zu stellen (Urteile 1P.255/2000 vom 22. Mai 2000 E. 3b; 1P.464/1999 vom 31. August 1999 E. 3a; 1P.662/1995 vom 11. Dezember 1995 E. 3; Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i. S. Murray, Série A vol. 300-A, Ziff. 55 mit Hinweisen). Muss nach Durchführung der in Betracht kommenden Untersuchungshandlungen eine Verurteilung als wahrscheinlich erscheinen, so können am Anfang der Untersuchung noch wenig genaue Verdachtsmomente - die sich z.B. aus Lügen des Angeschuldigten oder Abweichungen in seinen Aussagen ergeben - als ausreichend angesehen werden (Urteil 1P.137/1991 vom 25. März 1991 E. 2c). 
2.2 Aus den Akten, welche der Untersuchungsrichter dem Haftrichter eingereicht hat, ergeben sich folgende Verdachtsmomente: In der Asylantenunterkunft, in welcher der Beschwerdeführer festgenommen wurde, wurde Kokain sichergestellt. Der Beschwerdeführer war überdies im Besitz von Fr. 4'000.--, was angesichts der Tatsache, dass er nach seinen eigenen Angaben Fr. 368.-- Sozialgeld pro Monat erhielt, einen hohen Betrag darstellt. Dies bildet ein Indiz dafür, dass das Geld aus dem Drogenhandel stammt. Der Beschwerdeführer räumte ausserdem ein, Y.________ - einen der beiden Hauptverdächtigen - zu kennen. In Anbetracht dieser Verdachtsmomente ist es vertretbar, wenn der Haftrichter den dringenden Tatverdacht bejaht hat. Das gilt jedenfalls dann, wenn man berücksichtigt, dass die Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 12. Juni 2003 eröffnet wurde und sich somit im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids noch am Anfang befand. 
3. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Haftrichter hätte sich nicht allein auf den Haftantrag des Untersuchungsrichters abstützen dürfen. Indem der Haftrichter das getan habe, habe er Verfahrensgarantien verletzt. 
Es ist zweifelhaft, ob die Rüge den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügt. Dies kann jedoch offen bleiben, da sie jedenfalls unbegründet ist. Der Haftrichter hat zur Begründung seines Entscheids auf den Haftantrag des Untersuchungsrichters verwiesen. Dies ist nach der Rechtsprechung verfassungsrechtlich zulässig (BGE 123 I 31 E. 2). 
4. 
Der Beschwerdeführer wendet ein, die Möglichkeiten des Haftrichters zu eigenen zusätzlichen Sachverhaltsabklärungen seien gering. Der Haftrichter hätte daher den Untersuchungsrichter zur Teilnahme an der Verhandlung verpflichten müssen. Diesem wäre es freigestanden, in der Verhandlung allenfalls vorhandene weitere Belastungstatsachen einzureichen. Dadurch, dass der Haftrichter ohne Beweismittel die Untersuchungshaft angeordnet habe, habe er willkürlich gehandelt; ausserdem habe er Art. 10 BV und Art. 31 BV verletzt. 
 
Auch diese Rüge ist jedenfalls unbegründet. Wie dargelegt (E. 2.2), durfte der Haftrichter aufgrund der Verdachtsmomente, die sich aus den ihm vom Untersuchungsrichter übermittelten Unterlagen ergaben, den dringenden Tatverdacht bejahen. Zu weiteren Sachverhaltsabklärungen und zur Beibringung zusätzlicher Belastungstatsachen bestand kein Anlass. Eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte liegt insoweit nicht vor. 
5. 
Findet in Anwendung von Art. 93 Abs. 3 OG ausnahmsweise ein zweiter Schriftenwechsel statt, so ist eine Beschwerdeergänzung nur insoweit zulässig, als die Erwägungen der kantonalen Behörden dazu Anlass geben. Anträge und Rügen, welche bereits in der Beschwerde selber hätten gestellt bzw. vorgebracht werden können, sind unstatthaft (BGE 125 I 71 E. 1d/aa mit Hinweisen). 
 
Der Beschwerdeführer erhebt in seiner Stellungnahme zu den Vernehmlassungen neue Rügen. Wieweit darauf im Lichte der angeführten Rechtsprechung eingetreten werden kann, kann offen bleiben, da sie ohnehin alle unbegründet sind. 
5.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, nach den Ausführungen des Haftrichters seien in zeitlicher und personeller Hinsicht aufwändige polizeiliche Ermittlungen erfolgt. Diese Feststellung finde in den Akten keine Stütze und sei willkürlich. 
 
Der Einwand geht fehl. Der Untersuchungsrichter hat mit seinem Haftantrag vom 13. Juni 2003 dem Haftrichter unter anderem die Medienmitteilung vom gleichen Tag eingereicht. Daraus ergibt sich, dass die Polizei während mehrerer Monate Ermittlungen getätigt und am 12. Juni 2003 in einer koordinierten Aktion 13 Personen festgenommen hat. Wäre die vom Beschwerdeführer gerügte Feststellung willkürlich, so wäre im Übrigen nicht ersichtlich, inwiefern er dadurch beschwert sein sollte. 
5.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, nach den Darlegungen des Haftrichters in der Vernehmlassung hätten keinerlei Anzeichen gegen das Vorliegen des dringenden Tatverdachts gesprochen. Damit kehre der Haftrichter in unzulässiger Weise die Beweislast um. Er vermute den dringenden Tatverdacht und wolle dem Beschwerdeführer die Umkehr der Vermutung auferlegen. Dies verletze den Grundsatz der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) sowie das Willkürverbot (Art. 9 BV). 
 
Der Haftrichter hat zur Begründung seines Entscheids, wie gesagt, auf den Haftantrag des Untersuchungsrichters verwiesen. Dort wird ausgeführt, der Beschwerdeführer werde aufgrund längerer Ermittlungen der Kantonspolizei dringend verdächtigt, in grösserem Umfang gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen zu haben. An seinem Wohnort habe anlässlich der Hausdurchsuchung vom 12. Juni 2003 Kokain sichergestellt werden können. Zudem sei er als Asylbewerber im Besitze von ca. Fr. 4'000.-- Bargeld gewesen. Durch den Verweis auf den Haftantrag des Untersuchungsrichters hat der Haftrichter den dringenden Tatverdacht somit positiv begründet. Der Haftrichter sagt im angefochtenen Entscheid nicht, er habe den dringenden Tatverdacht vermutet und bejaht, weil der Beschwerdeführer diesen nicht widerlegt habe. Dass der Haftrichter den dringenden Tatverdacht nicht vermutet hat, ergibt sich im Übrigen auch aus der vom Beschwerdeführer erwähnten Stelle in der Vernehmlassung, wenn man sie vollständig wiedergibt und nicht nur - wie der Beschwerdeführer - auszugsweise. Der Haftrichter führt dort aus, für ihn hätten sich keinerlei Anzeichen ergeben, die gegen das Vorliegen sowohl des dringenden Tatverdachts als auch der Haftgründe gesprochen hätten, weshalb die Anordnung der Untersuchungshaft gesetzlich geboten gewesen sei. Insbesondere der dringende Tatverdacht habe sich sowohl für die zuständige Untersuchungsbehörde als auch für das Haftgericht durch die äusserst unglaubwürdigen Ausführungen des Beschwerdeführers erhärtet, wonach er die Fr. 4'000.-- mit homosexueller Prostitution habe zusammensparen können. Auch daraus geht hervor, dass der Haftrichter den dringenden Tatverdacht aufgrund konkreter Verdachtsmomente angenommen und nicht bloss vermutet hat. Angesichts dessen ist die Bemerkung des Haftrichters, für ihn hätten sich keinerlei Anzeichen ergeben, die gegen das Vorliegen des dringenden Tatverdachts gesprochen hätten, so zu verstehen, dass für ihn gegenüber den vom Untersuchungsrichter im Haftantrag erwähnten Verdachtsmomenten keine Gesichtspunkte erkennbar waren, die den dringenden Tatverdacht entkräftet hätten. 
 
Die Unschuldsvermutung und das Willkürverbot sind daher nicht verletzt. 
6. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers kann angenommen werden. Da die Untersuchungshaft einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt, konnte er sich zur Beschwerde veranlasst sehen. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 152 OG wird deshalb bewilligt. Es sind keine Kosten zu erheben; dem Anwalt des Beschwerdeführers ist eine Entschädigung auszurichten. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen. 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
4. 
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Fürsprecher Christoph Bürgi, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'000.-- ausgerichtet. 
5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Untersuchungsrichteramt II Emmental-Oberaargau, der Staatsanwaltschaft II Emmental-Oberaargau und dem Haftgericht II Emmental-Oberaargau schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 14. Juli 2003 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: