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[AZA 7] 
P 48/00 Vr 
 
I. Kammer 
 
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Borella, Rüedi 
und Meyer; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold 
 
Urteil vom 20. August 2001 
 
in Sachen 
M.________, 1963, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Leistungen, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
A.- M.________ (geboren 1963) ist Bezüger einer ganzen Invalidenrente und arbeitet beim Amt X.________. Aus Gründen der Altersvorsorge schloss er eine aufgeschobene Leibrente mit Prämienrückgewähr im Todesfall und Überschussbeteiligung ab (Versicherungsbeginn am 1. Dezember 1996). Die Ausgleichskasse des Kantons Bern berücksichtigte diese Versicherungspolice in der Berechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen ab 1. Mai 1998 als Vermögenswert in der Höhe der Einmalprämie (Verfügung vom 2. Dezember 1999). 
B.- Nachdem M.________ hiegegen Beschwerde erhoben hatte, korrigierte die Ausgleichskasse ihre Berechnung und legte ihr neu den Rückkaufswert der abgeschlossenen Versicherung zugrunde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die Beschwerde in dem Sinne gut, als es die Berechnung der Ausgleichskasse ab 1. Januar 1999 schützte und die Sache bezüglich des Anspruchs in der Zeit von 1. Mai bis 
31. Dezember 1998 an die Ausgleichskasse zur Neuberechnung unter Ausserachtlassung des Rückkaufswerts der Police zurückwies (Entscheid vom 6. Juli 2000). 
 
C.- M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Berechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen ohne Einbezug der Versicherungspolice vorzunehmen. 
Sowohl Ausgleichskasse als auch das Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
 
D.- Anlässlich des zweiten Schriftenwechsels hielten die Beteiligten an ihren Standpunkten fest. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Schweizer Bürger mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, welche Bezüger einer Altersrente der AHV oder einer halben oder ganzen Rente der Invalidenversicherung sind und deren anerkannte Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen, haben Anspruch auf Ergänzungsleistungen (Art. 2 ff. ELG). Als Einnahme ist bei Rentnern der Invalidenversicherung ein Fünfzehntel des Reinvermögens anzurechnen, soweit dieses bei Alleinstehenden den Betrag von Fr. 25'000.- übersteigt (Art. 3c Abs. 1 lit. c ELG, in Kraft seit 1. Januar 1998, AS 1997 2952). 
Zum massgebenden Vermögen gehören grundsätzlich sämtliche Vermögenswerte, über die der Ansprecher ungeschmälert verfügen kann (BGE 122 V 24 Erw. 5a mit Hinweisen). Gemäss dem auf 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Art. 15c Abs. 1 ELV (AS 1998 2582) ist bei Leibrenten mit Rückgewähr der Rückkaufswert als Vermögenswert zu berücksichtigen. 
 
2.- Nach der Rechtsprechung kann das Eidgenössische Versicherungsgericht Verordnungen des Bundesrates grundsätzlich, von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen. Bei (unselbstständigen) Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es, ob sie sich in den Grenzen der dem Bundesrat im Gesetz eingeräumten Befugnisse halten. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsebene eingeräumt, muss sich das Gericht auf die Prüfung beschränken, ob die umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus dem Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen herausfallen oder aus andern Gründen verfassungs- oder gesetzwidrig sind. Es kann jedoch sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen und es hat auch nicht die Zweckmässigkeit zu untersuchen. Die vom Bundesrat verordnete Regelung verstösst allerdings dann gegen Art. 8 Abs. 1 BV, wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt, wenn sie sinn- oder zwecklos ist oder wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für die sich ein vernünftiger Grund nicht finden lässt. Gleiches gilt, wenn die Verordnung es unterlässt, Unterscheidungen zu treffen, die richtigerweise hätten berücksichtigt werden sollen (zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene Rechtsprechung, welche gemäss BGE 126 V 52 Erw. 3b unter der Herrschaft der neuen Bundesverfassung weiterhin Geltung beansprucht: BGE 125 V 30 Erw. 6a, 124 II 245 Erw. 3, 583 Erw. 2a, 124 V 15 Erw. 2a, 194 Erw. 5a, je mit Hinweisen). 
 
3.- Art. 15c Abs. 1 ELV stützt sich auf Art. 3a Abs. 7 lit. b ELG ab, mit welchem der Gesetzgeber den Bundesrat beauftragte, die Bewertung der anrechenbaren Einnahmen und anerkannten Ausgaben zu regeln. Diese Kompetenz kam dem Bundesrat bereits vor der 3. ELG-Revision zu (Art. 3 Abs. 6 ELG in der bis 31. Dezember 1997 geltenden Fassung), wobei ihm ein grosser Ermessensspielraum zugestanden wurde (BGE 125 V 73 Erw. 3a). Zu prüfen bleibt somit die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit von Art. 15c Abs. 1 ELV
 
4.- a) Der Beschwerdeführer rügt, dass die Regelung von Art. 15c Abs. 1 ELV auf Altersrentner zugeschnitten sei, damit nicht zu Lasten der Allgemeinheit und zu Gunsten der Erben ein Vermögenswert erhalten werden könne; dies treffe auf ihn jedoch nicht zu. Die Anwendung von Art. 15c Abs. 1 ELV führe bei ihm vielmehr zu einem willkürlichen und rechtsmissbräuchlichen Ergebnis und liege auch nicht im Interesse der Öffentlichkeit; denn diese werde längerfristig entlastet, wenn ihm gestattet werde, im Rahmen seiner Möglichkeiten für das Alter vorzusorgen. Der Vermögenswert verschwinde ja nicht, sondern tauche lediglich in gewinnbringende Gewässer ab, um zur vertraglich bestimmten Zeit zum Wohle des Rentenbezügers und zur Entlastung der Öffentlichkeit wieder aufzutauchen. 
 
b) Ergänzungsleistungen werden ausgerichtet, um Bezügerinnen und Bezügern von AHV- und Invalidenrenten das Existenzminimum zu gewährleisten, ohne Sozialhilfe beziehen zu müssen (Art. 34quater Abs. 2 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, in Kraft bis 31. Dezember 1999 [aBV], in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 Übbest. aBV bzw. Art. 112 Abs. 6 in Verbindung mit Art. 196 Ziff. 10 der seit 1. Januar 2000 in Kraft stehenden Bundesverfassung [BV]). Mit den Leistungen gemäss ELG soll somit der gegenwärtige Grundbedarf, die laufenden Lebensbedürfnisse gedeckt werden; die wenn auch sinnvolle, so doch weitergehende freiwillige Vorsorge für das Alter liegt demnach nicht im Rahmen des mit der Gewährung von Ergänzungsleistungen verfolgten Zwecks, da sie sich auf einen zukünftigen Zeitpunkt bezieht. Aus diesem Grund werden denn auch sämtliche Vermögenswerte, über welche der Ansprecher frei verfügen kann, ungeachtet ihrer Bestimmung zum anrechenbaren Vermögen gezählt (BGE 122 V 24 Erw. 5a) und den Bezügern von Ergänzungsleistungen zugemutet, einen Teil ihres Vermögens zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu verwenden (Art. 3c Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 lit. b ELG). 
Nachdem es sich bei der Leibrente mit Rückgewähr um einen Vermögenswert handelt, über welchen der Beschwerdeführer frei verfügen kann (z.B. Verpfändung, Rückkauf), ist er grundsätzlich zu berücksichtigen. Dem Umstand, dass sich Bezüger einer Invalidenrente in einer anderen Situation als Altersrentner befinden, hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass lediglich ein Fünfzehntel anstatt eines Zehntels bzw. eines Fünftels des Vermögens als Vermögensverzehr anzurechnen ist (Art. 3c Abs. 1 lit. c ELG). Eine weitergehende unterschiedliche Behandlung von Invaliden- und Altersrentnern bezüglich des Vermögens ist weder im Gesetz vorgesehen noch angesichts des Zwecks der Ergänzungsleistungen durch die Verfassung (Art. 4 aBV bzw. 
 
Art. 8 BV) geboten. 
 
c) Die mit Art. 15c Abs. 1 ELV statuierte Regelung entspricht auch der vom Gesetzgeber mit der 3. ELG-Revision (Bundesgesetz vom 20. Juni 1997, in Kraft ab 1. Januar 1998, AS 1997 2952) verfolgten Tendenz, die wichtigsten Ausgaben für den Grundbedarf der Bezüger von Ergänzungsleistungen umfassender zu berücksichtigen, im Gegenzug aber darüber hinausgehende Abzüge bei den anerkannten Ausgaben nicht mehr zuzulassen, da kein Leistungsausbau stattfinden soll. Deshalb wurden anlässlich dieser Revision der Abzug für Schuldzinsen sowie jener für Lebens-, Unfall- und Invalidenversicherungsprämien, soweit es sich nicht um Bundessozialversicherungen handelt, diskussions- und ersatzlos gestrichen (vgl. Botschaft des Bundesrates zur 3. ELG-Revision vom 20. November 1996, Ziff. 212. 31 und 212. 32 sowie Beilage zum Traktandum 2.5 der Sitzung des temporären Ausschusses der Eidgenössischen Kommission für Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung zur 3. ELG-Revision vom 13. Januar 1995; vgl. auch Carigiet, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 196). Obwohl sich das Parlament dabei bewusst war, dass sich der Ansprecherkreis für Ergänzungsleistungen zunehmend aus Bezügern von Renten der Invalidenversicherung zusammensetzt (vgl. Voten der Berichterstatterin im Nationalrat, Amtl. Bull. 1997 N 449, und des Berichterstatters im Ständerat, Amtl. 
Bull. 1997 S 615), sah es für diese bezüglich der freiwilligen Vorsorge keine speziellen Regelungen vor. 
 
d) Der Rückkaufswert einer Lebensversicherung ist massgebendes Vermögen zur Festsetzung der AHV/IV/EO-Beiträge nichterwerbstätiger Personen (AHI 2001 S. 187). Bei den Ergänzungsleistungen gelten die Lebensversicherungen mit Rückkaufswert ebenfalls als anrechenbarer Vermögenswert (AHI 2001 S. 188 Erw. 3b). Die Regelung von Art. 15c Abs. 1 ELV ist demnach weder aussergewöhnlich noch willkürlich, sondern im Rahmen einer einheitlichen Behandlung sämtlicher Versicherungen der freiwilligen Vorsorge im Bereich des Sozialversicherungsrechts zu sehen. 
 
e) Art. 15c Abs. 1 ELV ist somit nicht zu beanstanden und von Vorinstanz und Verwaltung zu Recht angewandt worden. 
Bezüglich des vom Beschwerdeführer vorgeschlagenen Weges, die Ausgleichskasse als Begünstigte im Todesfall einzusetzen unter gleichzeitigem Verzicht auf Anrechnung des Rückkaufswerts, ist festzuhalten, dass ein derartiges Vorgehen - ungeachtet, ob hiermit "die Vermögenssicherung durch entsprechende Begünstigung" sichergestellt würde - nicht im Belieben der Ausgleichskasse steht. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung 
 
 
zugestellt. 
Luzern, 20. August 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der I. Kammer: 
 
Die Gerichtsschreiberin: