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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_165/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 8. August 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Fleischanderl. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Speck, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse Gewerbe St. Gallen, Lindenstrasse 137, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung (Haftung des Arbeitgebers; Schaden), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 5. Januar 2017. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ war vom xxx 2007 bis xxx 2008 und wiederum ab xxx 2010 als Gesellschafterin und Geschäftsführerin mit Einzelunterschrift der B.________ GmbH im Handelsregister eingetragen. Nachdem am xxx 2014 der Konkurs über die Gesellschaft eröffnet und am xxx 2014 mangels Aktiven eingestellt worden war, verlangte die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, der die Gesellschaft als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen war, von A.________ Schadenersatz in der Höhe von Fr. 144'243.15 für im Zeitraum von 2006 bis zur Konkurseröffnung unbezahlt gebliebene AHV-Beiträge (Verfügung vom 7. Oktober 2014). Daran wurde auf Einsprache hin mit Entscheid vom 16. April 2015 festgehalten. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen ab (Entscheid vom 5. Januar 2017). 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, der angefochtene Entscheid, der Einspracheentscheid vom 16. April 2015 und die Schadenersatzverfügung der Ausgleichskasse vom 7. Oktober 2014 seien aufzuheben und die Angelegenheit sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Angefochten ist ein das Verfahren abschliessender Entscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG), wobei die Streitwertgrenze von Fr. 30'000.- (Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 137 V 51) erreicht ist. Auf die Beschwerde kann daher grundsätzlich eingetreten werden.  
 
1.2. Soweit jedoch die Aufhebung der Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 7. Oktober 2014 verlangt wird, ist darauf nicht einzugehen. Der Einspracheentscheid vom 16. April 2015 bildete Anfechtungsgegenstand des erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens und trat damit an die Stelle der Verfügung. Diese, soweit angefochten, hat seit Erlass des Einspracheentscheids jede rechtliche Bedeutung verloren (BGE 132 V 368 E. 6.1 am Ende S. 374 f.; 131 V 407 E. 2.1.2.1 S. 412; Urteil 9C_66/2016 vom 10. August 2016 E. 1.2, in: SVR 2016 AHV Nr. 15 S. 42).  
 
2.   
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art 105 Abs. 2 BGG). Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_101/2015 vom 30. November 2015 E. 1.1). Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (vgl. Urteil 9C_999/2010 vom 14. Februar 2011 E. 1).  
 
2.2. Das Bundesgericht prüft unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht - vorbehältlich offensichtlicher Fehler - nur die in seinem Verfahren geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; siehe auch BGE 134 III 102 E. 1.1 S. 104 f.).  
 
3.   
 
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die Schadenersatzforderung der Beschwerdegegnerin in der Höhe von Fr. 144'243.15 geschützt hat.  
 
3.2. Im angefochtenen Entscheid wurden die Grundlagen der Arbeitgeberhaftung (Art. 52 AHVG; Art. 14 Abs. 1 und Art. 51 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) und die hierzu ergangene Rechtsprechung zutreffend dargelegt. Es betrifft dies insbesondere die subsidiäre Haftung der Organe eines Arbeitgebers (BGE 129 V 11; 126 V 237; 123 V 12 E. 5b S. 15; je mit Hinweisen) sowie deren Voraussetzungen der Widerrechtlichkeit (Missachtung von Vorschriften hinsichtlich der Pflicht zur Abrechnung und Bezahlung der Beiträge), des qualifizierten Verschuldens (und den dabei zu berücksichtigenden - differenzierten - Sorgfaltsmassstab [BGE 136 V 268 E. 3 S. 274; Urteil 9C_330/2010 vom 18. Januar 2011 E. 3.2 mit Hinweisen, in: SVR 2011 AHV Nr. 14 S. 49; vgl. auch BGE 108 V 199 E. 3a S. 202 f. und seitherige Rechtsprechung; ferner Thomas Nussbaumer, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP 9/96 S. 1071 ff., insb. 1077; Marco Reichmuth, Die Haftung des Arbeitgebers und seiner Organe nach Art. 52 AHVG, 2008, Rz. 534 ff., insb. 548 ff.]) und des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen der schuldhaften Verletzung von Vorschriften und dem Eintritt des Schadens (BGE 119 V 401). Erwähnt hat das kantonale Gericht schliesslich auch die haftungsausschliessenden Rechtfertigungs- und Exkulpationsgründe (vgl. BGE 108 V 183). Darauf wird verwiesen.  
 
4.   
 
4.1. Die Vorinstanz erkannte in Bestätigung des Einspracheentscheids vom 16. April 2015, dass der Beschwerdegegnerin im Zeitraum von 2006 bis zur Konkurseröffnung am xxx 2014 ein Schaden im Betrag von insgesamt Fr. 144'243.15 entstanden sei. Diesen habe die Beschwerdeführerin als für die fristgerechte Begleichung der gemäss Art. 34 Abs. 1 lit. a AHVV grundsätzlich monatlich zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge verantwortliches Organ der Unternehmung in widerrechtlicher, grobfahrlässiger - und damit schuldhafter - sowie adäquat kausaler Weise verursacht. Da ferner, so das kantonale Gericht abschliessend, auch keine Exkulpations- oder Rechtfertigungsgründe ersichtlich seien, habe die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin zu Recht zur Bezahlung von Schadenersatz in entsprechender Höhe verpflichtet.  
 
4.2. Die Vorbringen in der Beschwerdeschrift sind nicht geeignet, die Rechtmässigkeit dieser vorinstanzlichen Beurteilung ernsthaft in Frage zu stellen.  
 
4.2.1. Die Beschwerdeführerin lässt hinsichtlich der Höhe des Schadens ausführen, der 2013 für C.________ gestützt auf die der Eingabe der Revisionsstelle der Ausgleichskassen (rsa), Zürich, vom 6. September 2016 beigelegten Auszüge des Lohnkontos Nr. 5000 der Jahre 2013 und 2014 angenommene Nettolohn von Fr. 84'704.45 sei um den am 13. März 2013 unter "Lohn & Provisionsbezug" verbuchten Betrag von Fr. 28'704.45 zu kürzen. Es handle sich dabei, wie im Kontoauszug vom Revisor handschriftlich vermerkt, um die Zahlung eines Geschäftsautos und nicht um relevanten Lohn.  
 
Die von der B.________ GmbH im Zeitraum von 2010 bis 2014 ausbezahlten Löhne sind im Bericht über die Arbeitgeberkontrolle der rsa vom 25. August 2014, basierend auf der am 8. Juli 2014 vor Ort durchgeführten Schlusskontrolle, belegt und wurden auch vorinstanzlich eingehend geprüft. Anhaltspunkte für eine diesbezüglich offenkundig fehlerhafte Berechnung sind keine erkennbar. Insbesondere wurde die in der Beschwerde kritisierte, im Auszug aus dem Lohnkonto Nr. 5000 verzeichnete Lohnbuchung zugunsten von C.________ vom 13. März 2013 vom Revisor als AHV-pflichtiger Lohn qualifiziert. Somit bildet diese Zahlung ebenfalls Teil der für die Beitragserhebung massgeblichen Lohnsumme und wurde korrekterweise in der Beitragsverfügung sowie der Schadenersatzforderung berücksichtigt. Inwiefern der von der Beschwerdeführerin erwähnte Umstand des Autokaufs daran etwas ändern sollte, erschliesst sich nicht. 
 
4.2.2. Fehl geht die Beschwerdeführerin sodann auch mit ihrer Behauptung, auf die Lohnaufstellungen der rsa könne nicht abgestellt werden, da diese gemäss vorinstanzlicher Eingabe der Revisionsstelle vom 6. September 2016 auf einer am 25. August 2016 und damit beinahe zwei Jahre nach Erlass der Schadenersatzverfügung vom 7. Oktober 2014 vorgenommenen Berechnung beruhten. Es handelt sich dabei offenkundig um einen Verschrieb der rsa, wurde die massgebende Schlusskontrolle doch am 8. Juli 2014 durchgeführt und deren Ergebnisse im Bericht vom 25. August 2014 festgehalten.  
 
4.2.3. Schliesslich wird in der Beschwerde (sinngemäss) gerügt, die Vorinstanz habe es zu Unrecht unterlassen, bei der Beurteilung der Schadenersatzpflicht Herabsetzungsgründe durch ein Mitverschulden der Beschwerdegegnerin im Sinne einer groben Pflichtverletzung (Missachtung elementarer Vorschriften der Beitragsveranlagung und des -bezugs) zu berücksichtigen. Namentlich habe die Beschwerdegegnerin die Einreichung der Lohnabrechnung 2011 zwar am 21. Februar 2012 angemahnt. Die Lohnsumme sei indessen erst geraume Zeit später mit Verfügung vom 24. September 2013 ermessensweise festgelegt worden und im Oktober 2013 in Rechtskraft erwachsen. Hätte die Beschwerdegegnerin mit der Ermessensveranlagung nicht eineinhalb Jahre zugewartet, sondern diese bereits im Frühjahr 2012 an die Hand genommen, wären die betreffenden Ausstände spätestens im August 2012 beglichen bzw. wäre zumindest ein provisorischer oder definitiver Verlustschein ausgestellt worden. Dadurch hätte weiterer Schaden in den Folgejahren mutmasslich vermieden werden können. Gleiches gelte für die Beiträge der Jahre 2010, 2012 und 2013.  
Dem ist entgegenzuhalten, dass der Arbeitgeber gemäss Art. 14 Abs. 1 AHVG und die Art. 34 ff. AHVV bei jeder Lohnzahlung die Arbeitnehmerbeiträge in Abzug zu bringen und zusammen mit den Arbeitgeberbeiträgen der Ausgleichskasse zu entrichten hat. Die Arbeitgeber haben den Ausgleichskassen periodisch Abrechnungsunterlagen über die von ihnen an ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausbezahlten Löhne zuzustellen, damit die entsprechenden paritätischen Beiträge ermittelt und verfügt werden können. Die Beitragszahlungs- und Abrechnungspflicht des Arbeitgebers ist eine gesetzlich vorgeschriebene öffentlichrechtliche Aufgabe. Die Nichterfüllung dieser öffentlichrechtlichen Aufgabe bedeutet eine Missachtung von Vorschriften im Sinne von Art. 52 AHVG und zieht die volle Schadendeckung nach sich (BGE 118 V 193 E. 2a S. 195 mit Hinweisen; vgl. BGE 132 III 523 E. 4.6 S. 529). Weder die Abrechnungspflicht noch das Entstehen der Beitragsschuld sind somit von der Zustellung einer Rechnung, einer Veranlagungsverfügung oder einer Nachzahlungsverfügung seitens der Ausgleichskasse abhängig. Die Frage, ob diese allenfalls ein Verschulden an der Entstehung des Schadens trifft, ist ohne Einfluss auf die Verpflichtung des Arbeitgebers, für die Beitragsabrechnung und -zahlung besorgt zu sein. Liegt wie hier ein klar pflichtwidriges Verhalten des Arbeitgebers vor - sämtliche Beitragsverfügungen erwuchsen denn auch ohne Einsprache in Rechtskraft -, vermöchte selbst ein schuldhaftes Mitwirken der Ausgleichskasse, das vorliegend indessen zu verneinen ist, den Kausalzusammenhang zwischen den widerrechtlichen Unterlassungen des Arbeitgebers und dem eingetretenen Schaden nicht zu unterbrechen. Ebenso wenig ist mit der Vorinstanz ein Mitverschulden der Beschwerdegegnerin auszumachen, welches eine Herabsetzung des Schadens rechtfertigte. 
 
4.3. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die Einwände tatsächlicher Natur der Beschwerdeführerin, da allesamt erstmals vor dem Bundesgericht platziert, in Anbetracht des in Art. 99 Abs. 1 BGG stipulierten Novenverbots überhaupt berücksichtigt werden dürfen. Anzumerken ist in Bezug auf die beiden erstgenannten Einwendungen, dass die erwähnte Eingabe der rsa vom 6. September 2016 einschliesslich Beilagen der Beschwerdeführerin bzw. ihrem Rechtsvertreter im Rahmen des kantonalen Beschwerdeverfahrens zur Kenntnis und allfälligen Stellungnahme zugestellt worden ist. Es hätte somit Gelegenheit bestanden, sich bereits im damaligen Prozessstadium zu den nun vorgebrachten Punkten zu äussern. Darauf wurde jedoch verzichtet. Nicht erkennbar ist zudem - und wird auch nicht geltend gemacht -, inwiefern der vorinstanzliche Entscheid unmittelbar Anlass für die neu ins Feld geführten Argumente sein sollte.  
 
5.   
Die übrigen Voraussetzungen der subsidiären Haftung als Arbeitgeberorgan nach Art. 52 Abs. 1 AHVG werden nicht bestritten. Es besteht kein Anlass für eine nähere Prüfung von Amtes wegen (vgl. E. 2.2 hiervor). 
 
Der angefochtene Entscheid verletzt somit kein Bundesrecht. 
 
6.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 5000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 8. August 2017 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl