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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 449/05 
 
Urteil vom 14. Dezember 2005 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Kopp Käch 
 
Parteien 
G.________, 1952, Beschwerdeführerin, vertreten 
durch Rechtsanwalt Alfred Dätwyler, Bielstrasse 3, 4500 Solothurn, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
(Entscheid vom 27. April 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1952 geborene G.________ ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern (geb. 1988 und 1991). Sie ist gelernte Hauspflegerin und seit März 1988 als Mutter/Hausfrau tätig. Am 3. Dezember 2003 meldete sich G.________ unter Hinweis auf seit 1991 bestehende Poliomyelitis-Spätfolgen bei der Invalidenversicherung zum Bezug einer Rente an. Die IV-Stelle Bern holte einen Arztbericht des Dr. med. L.________, Poliostützpunkt, vom 5. Februar 2004 ein und liess einen Abklärungsbericht Haushalt vom 7. April 2004 erstellen. Mit Verfügung vom 11. Mai 2004 verneinte sie einen Rentenanspruch gestützt auf einen ermittelten Invaliditätsgrad von 20 %. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 30. Juli 2004 fest. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 27. April 2005 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt G.________ die Zusprechung einer ganzen, eventuell einer Dreiviertel-, subeventuell einer halben Rente beantragen. Zudem lässt sie um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ersuchen. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
1.1 Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführerin auf Grund des Sachverhaltes, wie er sich bis zum Erlass des rechtsprechungsgemäss die zeitliche Grenze der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis bildenden (BGE 130 V 446 Erw. 1.2 mit Hinweisen) Einspracheentscheides vom 30. Juli 2004 entwickelt hat, ein Rentenanspruch zusteht. 
1.2 Da somit keine laufenden Leistungen im Sinne der übergangsrechtlichen Ausnahmebestimmung des Art. 82 Abs. 1 des auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretenen ATSG, sondern Dauerleistungen im Streit stehen, über welche noch nicht rechtskräftig verfügt worden ist, beurteilt sich die Sache - wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat - den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln folgend für die Zeit bis 31. Dezember 2002 auf Grund der bisherigen Rechtslage und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen des ATSG und dessen Ausführungsverordnungen (BGE 130 V 445). Ebenfalls Anwendung finden die seit 1. Januar 2004 geltenden Änderungen des IVG vom 21. März 2003 und der IVV vom 21. Mai 2003 (4. IV-Revision) sowie die damit einhergehenden Anpassungen des ATSG. 
2. 
Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Richtig ist insbesondere, dass es sich bei den in Art. 3 bis 13 ATSG enthaltenen Legaldefinitionen in aller Regel um eine formellgesetzliche Fassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den entsprechenden Begriffen vor In-Kraft-Treten des ATSG handelt und sich inhaltlich damit, insbesondere in Bezug auf die Bestimmungen zur Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und Invalidität (Art. 8 ATSG), keine Änderung ergibt (BGE 130 V 345 ff. Erw. 3.1, 3.2 und 3.3). Auch Art. 16 ATSG bewirkt keine Modifikation der bisherigen Judikatur zur Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten, welche weiterhin nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs vorzunehmen ist (BGE 130 V 348 f. Erw. 3.4, 128 V 30 Erw. 1, 104 V 136 f. Erw. 2a und b). Ebenfalls nicht von einer Änderung betroffen sind die für die Festsetzung der Invalidität von Nichterwerbstätigen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 3 ATSG (je in der vom 1. Januar bis 31. Dezember 2003 in Kraft gestandenen Fassung), insbesondere im Haushalt beschäftigten Versicherten, anzuwendende spezifische Methode des Betätigungsvergleichs (BGE 125 V 149 Erw. 2a; vgl. auch BGE 128 V 31 Erw. 1; SVR 2005 IV Nr. 21 S. 82 f. Erw. 4) sowie die im Falle von teilerwerbstätigen Versicherten beizuziehende gemischte Methode (BGE 130 V 393 mit Hinweis auf BGE 125 V 146; zur Weitergeltung der rechtsprechungsgemäss für die Beurteilung der Statusfrage relevanten Kriterien: SVR 2005 IV Nr. 21 S. 83 Erw. 4.2 mit Hinweis u.a. auf BGE 117 V 194 ff. Erw. 3b). Gleiches hat im Übrigen für die im Rahmen der 4. IV-Revision per 1. Januar 2004 eingetretenen Anpassungen in diesem Bereich zu gelten. Damit wurden einzig die bisherigen Art. 27 Abs. 1 IVV (spezifische Methode des Betätigungsvergleichs) und Art. 27bis Abs. 1 IVV (gemischte Methode) aus Gründen der formalen Gleichbehandlung erwerbs-, teilerwerbs- und nicht erwerbstätiger Personen grossmehrheitlich auf Gesetzesstufe gehoben und in die Art. 28 Abs. 2bis und 2ter IVG überführt (in Verbindung nunmehr mit Art. 27 und 27bis IVV sowie Art. 8 Abs. 3 und Art. 16 ATSG; SVR 2005 IV Nr. 21 S. 83 Erw. 4.1 [spezifische Methode des Betätigungsvergleichs]; BGE 130 V 394 f. Erw. 3.2 mit Hinweisen [gemischte Methode]). 
3. 
3.1 Unter den Verfahrensbeteiligten umstritten ist vorab die Statusfrage. Während Vorinstanz und Verwaltung gestützt auf den Abklärungsbericht Haushalt vom 7. April 2004 davon ausgehen, die Beschwerdeführerin wäre ohne gesundheitliche Beeinträchtigung zu 40 % erwerbstätig und zu 60 % für den Haushalt besorgt, macht die Versicherte geltend, diesfalls mindestens im Umfang von 80 % einer erwerblichen Beschäftigung nachzugehen. 
3.2 Ob eine versicherte Person als ganztägig oder zeitweilig erwerbstätig oder als nichterwerbstätig einzustufen ist - was je zur Anwendung einer anderen Methode der Invaliditätsbemessung führt, ergibt sich - auch nach In-Kraft-Treten des ATSG (vgl. Erw. 2 hievor in fine mit Hinweisen) - aus der Prüfung, was die Person bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde. Diese Frage beurteilt sich praxisgemäss nach den Verhältnissen, wie sie sich bis zum Erlass des Einspracheentscheides entwickelt haben, wobei für die hypothetische Annahme einer im Gesundheitsfall ausgeübten (Teil-)Erwerbstätigkeit der im Sozialversicherungsrecht übliche Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erforderlich ist (BGE 125 V 150 Erw. 2c, 117 V 194 Erw. 3b, je mit Hinweisen; SVR 1996 IV Nr. 76 S. 222 Erw. 2c; in BGE 130 V 393 nicht publizierte Erwägung 4.1 des Urteils Z. vom 15. Juni 2004, I 634/03). 
3.2.1 Aus den Akten ersichtlich und unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin 1953 an Poliomyelitis erkrankt war und 1991 Spätfolgen dieser Krankheit diagnostiziert wurden. Sie ist diplomierte Hauspflegerin und hat bis zur ersten Schwangerschaft 1988 im Rahmen einer Anstellung bei der Hauspflege der Gemeinde in Privathaushalten immer volle Arbeitspensen geleistet. Seit März 1988 ist die Versicherte als Mutter und Hausfrau tätig. Ihr Ehemann ist als selbstständiger Innendekorateur beruflich zu wenig ausgelastet. Nachdem die Familie bereits früher sporadisch und ergänzend zum Einkommen des Ehemannes der Beschwerdeführerin durch den Sozialdienst unterstützt worden war, ist dies seit Juni 2003 dauernd und vollständig der Fall. Die Versicherte hatte sich im April 2002 beim Zentrum X.________ für eine Stelle als Pflegehelferin mit einem Beschäftigungsgrad von 60-80 % beworben, musste diese Tätigkeit jedoch nach zwei Tagen Probezeit aufgeben, weil sie ihr zu streng war. Eine weitere Stelle in einem Privatpflegeheim mit einem Pensum von 40-60 % trat die Versicherte im Mai 2002 an, musste sie jedoch nach vier Tagen Probezeit erneut wegen Überbeanspruchung aufgeben. Anlässlich der Haushaltabklärung vom 6. April 2004, auf welche das kantonale Gericht und die IV-Stelle in der Folge zur Beurteilung der Statusfrage denn auch abstellten, gab die Beschwerdeführerin an, bei guter Gesundheit würde sie gerne zu 40 % arbeiten. Sie wies darauf hin, dass ihre Töchter inzwischen grösser und selbstständiger seien, ihr Mann in seiner Tätigkeit zu wenig ausgelastet sei und sie auf ein zusätzliches Einkommen angewiesen seien. 
3.2.2 Entgegen der vorinstanzlichen Betrachtungsweise kann mit Bezug auf die Statusfrage nicht ohne weiteres auf die anlässlich der Abklärung der Verhältnisse im Haushalt gemachten Angaben abgestellt werden. Obgleich derartige im Verlauf des Abklärungsverfahrens gemachte Aussagen praxisgemäss stärker zu gewichten sind als spätere anders lautende Erklärungen, welche von Überlegungen sozialversicherungsrechtlicher Natur beeinflusst sein können (AHI 2000 S. 197 Erw. 2d; Erw. 3 des in RKUV 2001 Nr. U 437 S. 342 ff. auszugsweise publizierten Urteils C. vom 18. Juli 2001, U 430/00; vgl. auch BGE 121 V 47 Erw. 2a mit Hinweisen), gilt es dennoch grundsätzlich zu beachten, dass der Bedeutungsgehalt der Frage nach der hypothetischen Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfall innerhalb des ganzen IV-Rentengefüges für Laien nicht einfach zu erkennen ist. Dies muss umso mehr gelten für eine Person, welcher es - wie der Beschwerdeführerin - schwer fallen dürfte, sich ein Leben ohne schmerzhafte gesundheitliche Beeinträchtigung vorzustellen. Massgebend für die Frage, in welchem Ausmass sie als Gesunde erwerbstätig wäre, sind somit im vorliegenden Fall nicht vorab die gegenüber der Abklärungsperson Haushalt gemachten Aussagen, welche - mit Blick auf die persönliche Situation der Beschwerdegegnerin - unreflektierte Momentaufnahmen darstellen, sondern vielmehr die zuvor beschriebenen konkreten Lebensumstände während der letzten Jahre (vgl. zum Ganzen auch Urteil S. vom 7. Juni 2005, I 108/05, Erw. 3.2.2). 
Vor diesem Hintergrund sowie insbesondere der Tatsachen, dass einerseits die vierköpfige Familie vom Sozialdienst unterstützt wird und auf ein Zusatzeinkommen angewiesen ist und andrerseits der Ehemann der Versicherten mangels beruflicher Auslastung in der Lage wäre, Hausarbeiten und allfällige Betreuungsaufgaben zu übernehmen, kann nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, die Beschwerdeführerin wäre ohne gesundheitliche Einschränkung lediglich zu 40 % erwerbstätig. In diesem Zusammenhang überhaupt nicht abgeklärt wurde denn auch, ob die Versicherte bereits bisher nicht ausschliesslich als Mutter und Hausfrau tätig war, sondern - wie sie in der Einsprache vom 9. Juni 2004 geltend machte - im Geschäft des Ehemannes mitgeholfen hatte, und bejahendenfalls in welchem Ausmass dies der Fall war. Die Sache ist daher an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie die Frage des Status der Versicherten näher abkläre und über den Rentenanspruch neu verfüge. 
4. 
4.1 Was die vorgenommene Invaliditätsbemessung nach der für Teilerwerbstätige geltenden gemischten Methode anbelangt, ist die verbliebene Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin im erwerblichen Bereich nicht mehr umstritten. Gestützt auf den Bericht des Dr. med. L.________ vom 5. Februar 2004 ist die Vorinstanz von einer noch zumutbaren Arbeitsfähigkeit von 30 % ausgegangen. Die erwerblichen Auswirkungen dieser Leistungseinbusse als Raumpflegerin hat das kantonale Gericht sodann in Abweichung von der IV-Stelle zu Recht anhand der Tabellenlöhne "Gesundheits- und Sozialwesen", nicht anhand derjenigen für "Persönliche Dienstleistungen", ermittelt. Auf die überzeugenden Ausführungen kann verwiesen werden. 
4.2 Streitig und näher zu prüfen ist indessen nach wie vor die Einschränkung im Haushaltbereich. Verwaltung und Vorinstanz haben diesbezüglich gestützt auf den Abklärungsbericht vom 7. April 2004 einen Invaliditätsgrad von 17 % ermittelt. Die Beschwerdeführerin indessen hält die eingesetzten Einschränkungsgrade bei einzelnen Haushaltsbereichen für nicht nachvollziehbar und verweist insbesondere auch auf den Bericht des Dr. med. L.________ vom 5. Februar 2004, in welchem für die Tätigkeit "Hauspflegerin/ Familienfrau" eine Einschränkung von 65 % attestiert worden sei. 
Rechtsprechungsgemäss bildet die in Art. 69 Abs. 2 IVV vorgesehene Abklärung an Ort und Stelle grundsätzlich die geeignete und im Regelfall auch genügende Vorkehr zur Ermittlung der gesundheitlichen Einschränkungen im Haushalt (BGE 130 V 61, 128 V 93, je mit Hinweisen) und kommt ärztlichen Schätzungen der Arbeitsfähigkeit kein genereller Vorrang gegenüber den Ergebnissen einer von der Invalidenversicherung durchgeführten Haushaltabklärung zu. Vorliegend erscheint indessen - wie die Beschwerdeführerin geltend macht - die Differenz zwischen der Einschränkung als Hauspflegerin, welche mit der ärztlichen Einschätzung übereinstimmt, und derjenigen als Hausfrau in der Tat sehr gross. Die Verwaltung wird die Einschränkung im Haushaltbereich anhand der substanziierten Kritikpunkte der Beschwerdeführerin und vor dem Hintergrund, dass auch geistig-psychische Beschwerden in Form allgemeiner Minderbelastbarkeit mit Leistungsabfall neuropsychologisch mit Aufmerksamkeits-, Konzentrations-, Denk- und Gedächtnisstörung diagnostiziert sind, nochmals zu überprüfen haben. 
5. 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses entsprechend hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 27. April 2005 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle Bern vom 30. Juli 2004 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Invalidenrente neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die IV-Stelle Bern hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 14. Dezember 2005 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: