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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
C 286/00 
 
Urteil vom 8. Oktober 2002 
II. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard; Gerichtsschreiber Signorell 
 
Parteien 
Staatssekretariat für Wirtschaft, Abteilung Arbeitsmarkt, und Arbeitslosenversicherung, Bundesgasse 8, 3003 Bern, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
S.________, 1942, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecherin und Notarin Susanne Schaffner-Hess, Dornacherstrasse 10, 4600 Olten, 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 21. Juni 2000) 
 
Sachverhalt: 
Nachdem die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau S.________ mit rechtskräftiger Verfügung zur Rückzahlung von zu Unrecht bezogener Leistungen verpflichtet hatte (Verfügung vom 7. Oktober 1998; Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 20. Oktober 1999), stellte diese am 27. Oktober 1998 ein Erlassgesuch, welches das Industrie-, Gewerbe- und Arbeitsamt des Kantons Aargau (KIGA; heute AWA) mit Verfügung vom 2. Dezember 1999 abwies mit der Begründung, dass wohl die Voraussetzung der grossen Härte, nicht aber jene des guten Glaubens erfüllt sei. 
 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess eine dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 21. Juni 2000 gut und erliess die Rückforderung. 
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides. 
 
S.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das KIGA verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Da es sich im Erlassverfahren nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt (BGE 122 V 223 Erw. 2 mit Hinweis), hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
2. 
Streitig und zu prüfen ist als eine Voraussetzung des Erlasses der Rückerstattung der zu Unrecht bezogenen Arbeitslosenentschädigung in der Höhe von Fr. 26 663.30, ob die Beschwerdegegnerin beim Bezug gutgläubig war (Art. 95 Abs. 2 Satz 1 AVIG). 
3. 
Nach der Rechtsprechung liegt guter Glaube nicht schon bei Unkenntnis des Rechtsmangels vor. Vielmehr dürfen sich Leistungsempfangende nicht nur keiner böswilligen Absicht, sondern auch keiner groben Nachlässigkeit schuldig gemacht haben. Daraus erhellt, dass der gute Glaube zum Vornherein entfällt, wenn die zu Unrecht erfolgte Leistungsausrichtung auf eine arglistige oder grobfahrlässige Melde- oder Auskunftspflichtsverletzung zurückzuführen ist. Anderseits kann sich die rückerstattungspflichtige Person auf den guten Glauben berufen, wenn ihr fehlerhaftes Verhalten nur eine leichte Fahrlässigkeit darstellt (ARV 1998 Nr. 14 S. 73 Erw. 4a, 1992 Nr. 7 S. 103 Erw. 2b, je mit Hinweisen). Im Weiteren ist zu unterscheiden zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann oder ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen können und sollen. Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein gehört zum inneren Tatbestand und ist daher Tatfrage, die nach Massgabe von Art. 105 Abs. 2 OG (in Verbindung mit Art. 132 Ingress OG) von der Vorinstanz verbindlich beantwortet wird. Demgegenüber gilt die Frage nach der Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage, soweit es darum geht, festzustellen, ob sich jemand angesichts der jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse auf den guten Glauben berufen kann (BGE 122 V 223 Erw. 3 mit Hinweisen; ARV 1998 Nr. 41 S. 237 Erw. 3; vgl. auch Art. 3 ZGB). 
4. 
Das kantonale Gericht hat den guten Glauben im Wesentlichen mit dem Hinweis bejaht, es gebe keine einschlägige Gesetzesbestimmung, welche den zur Rückforderung führenden Sachverhalt klar und unmissverständlich regle. Die Beschwerdegegnerin als sozialversicherungsrechtlicher Laie habe weder Kenntnis der jüngeren Rechtsprechung (insbesondere des Urteils BGE 123 V 234) gehabt noch haben müssen. Sie habe sich deshalb in einem Rechtsirrtum befunden. Dieser sei für die Gutgläubigkeit dann relevant, wenn er aus einem schützenswerten Vertrauen in ein behördliches Verhalten entstanden sei, was vorliegend zutreffe. Denn die Arbeitslosenkasse habe keine Beanstandungen vorgenommen und keine Zweifel an der Rechtmässigkeit gehabt, auch dann als die Beschwerdegegnerin im Zwischenverdienst wiederum für die S.________ GmbH (ihre vormalige Arbeitgeberin) gearbeitet habe. 
 
Das seco führt in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an, auch die Vorinstanz gehe davon aus, dass die Versicherte die Leistungen unter Umgehung von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG bezogen habe. Deshalb sei von einer fehlenden Gutgläubigkeit auszugehen. Der angerufene Rechtsschutz müsse auch im Rahmen eines Interessenausgleichs versagt werden. Eine andere Betrachtungsweise führe zu einem im öffentlichen Interesse unerträglichen Zustand, indem jene belohnt würden, die durch rechtsmissbräuchliche Umgehung gesetzlicher Bestimmungen unrechtmässig Versicherungsleistungen bezögen. 
5. 
5.1 Diese Argumentation beruht auf der an sich durchaus richtigen Überlegung, dass es offensichtlich Sinn und Zweck der Arbeitslosenversicherung widerspricht, wenn ein als arbeitslos gemeldeter Taggeldbezüger seine Arbeitskraft teilzeitlich oder auf Abruf wieder dem bisherigen Arbeitgeber zur Verfügung stellt und sie nicht auf dem Arbeitsmarkt anbietet und gegebenenfalls im Rahmen des Zumutbaren einsetzt. Ein solches Verhalten schliesst Gutgläubigkeit beim Leistungsbezug im Sinne von Art. 95 Abs. 2 (erster Satz) AVIG ohne Weiteres aus. Diese Feststellung gilt indessen nur dort, wo die Anspruchsvoraussetzungen des anrechenbaren Arbeitsausfalles (Art. 8 Abs. 1 lit. b und Art. 11 AVIG) oder der Vermittlungsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 lit. f und Art. 15 AVIG) zur Diskussion stehen. Das ist hier nicht der Fall. 
 
Vielmehr geht es vorliegend um den guten Glauben der Beschwerdegegnerin in Bezug auf die Stellung als Gesellschafterin und als (einzelzeichnungsberechtigte) Geschäftsführerin der Firma, welche Funktionen sie auch nach ihrer Entlassung weiterhin innehatte, was nach der Rechtsprechung (ARV 2000 Nr. 14 S. 70 f. Erw. 2 mit Hinweis auf BGE 123 V 234) die Anspruchsberechtigung ausschliesst. 
5.2 
5.2.1 Weder die Stellung der Versicherten als Gesellschafterin und deren Geschäftsführungsmandat mit Einzelunterschriftsberechtigung noch der Umstand, dass die Firma nicht Kurzarbeit beantragte, sondern das Arbeitsverhältnis kündigte und die Beschwerdegegnerin neu in reduziertem zeitlichem Umfang (nach Bedarf) wieder anstellte, sprechen gegen die Gutgläubigkeit der Leistungsbezügerin. Nachdem die Versicherte sich zum Leistungsbezug ab 1. November 1996 angemeldet hatte, reichte sie bereits für den Januar 1997 eine Bescheinigung über Zwischenverdienst ein, den sie bei ihrer eigenen Firma und früheren Arbeitgeberin erzielt hatte. In diesem Formular wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich zwar um einen befristeten Temporäreinsatz gehandelt habe, jedoch weitere Beschäftigungen bei Bedarf wieder möglich seien. Zudem war nicht zu übersehen, dass ihr Name Bestandteil des Firmennamens bildete und Geschäftssitz und Wohnadresse identisch waren. Dass dieser Sachverhalt für die Verwaltung nicht Anlass genug für entsprechende Abklärungen war, kann der Beschwerdegegnerin nicht zum Nachteil gereichen. Die vorinstanzliche Verneinung des Unrechtsbewusstseins der Beschwerdegeg-nerin lässt sich somit unter dem Gesichtspunkt des Art. 105 Abs. 2 OG nicht beanstanden. 
5.2.2 Für die Frage, ob sie sich bei den konkreten tatsächlichen Gegebenheiten auf den guten Glauben berufen kann, ist von Bedeutung, dass anders als bei der Kurzarbeitsentschädigung sich im Antragsformular für Arbeitslosenentschädigung kein Hinweis darauf findet, dass Personen, denen eine arbeitgeberähnliche Stellung im Sinne der Aufzählung in Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG zukommt, nicht anspruchsberechtigt sind (vgl. ARV 1998 Nr. 41 S. 238 Erw. 4b). Dass die Beschwerdegegnerin bei der Anmeldung oder in einem späteren Zeitpunkt während des Taggeldbezugs auf diese Rechtslage hingewiesen worden wäre, sei es vom zuständigen Sachbearbeiter der Kasse, sei es bei den Beratungsgesprächen auf dem RAV, ist aufgrund der Akten nicht anzunehmen. Eine unbedingte den guten Glauben per se ausschliessende gesetzliche Pflicht, wonach sie selber von sich aus auf ihre Stellung als Gesellschafterin und Geschäftsführerin hätte hinweisen müssen, besteht im Übrigen nicht. 
5.3 Es ist somit mit der Vorinstanz von Gutgläubigkeit beim Bezug der Arbeitslosenentschädigung (Art. 95 Abs. 2 Satz 1 AVIG) auszugehen. Dass die weitere, kumulative Voraussetzung der grossen Härte für den Erlass der Rückerstattung gegeben ist, hat das KIGA in der Verfügung vom 2. Dezember 1999 bereits festgestellt. 
6. 
Da der Erlass einer Rückerstattungsforderung nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen betrifft, ist das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Nach Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 1 OG werden die Gerichtskosten in der Regel der vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht unterliegenden Partei auferlegt. Gemäss Art. 156 Abs. 2 OG dürfen dem Bund, Kantonen oder Gemeinden, die in ihrem amtlichen Wirkungskreis und ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Eidgenössische Versicherungsgericht in Anspruch nehmen, oder gegen deren Verfügungen in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist, in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden (ARV 1998 Nr. 41 S. 240 Erw. 5). Die streitige Verfügung betrifft die Vermögensinteressen des seco nicht, weshalb von einer Auferlegung der Gerichtskosten trotz Unterliegens abzusehen ist. Dem Prozessausgang entsprechend hat die Beschwerdegegnerin indessen Anspruch auf Parteientschädigung zulasten der Beschwerde führenden Aufsichtsbehörde (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Das seco hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Aargau zugestellt. 
Luzern, 8. Oktober 2002 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: