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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_588/2010 
 
Urteil vom 3. November 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Kernen, Seiler, 
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle Zug, 
Baarerstrasse 11, 6300 Zug, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Werner E. Ott, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Verwaltungsverfahren), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 
27. Mai 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Nachdem ihm die Invalidenversicherung eine Umschulung zum Motorradmechaniker gewährt hatte, meldete sich der 1959 geborene B.________ am 27. Januar 2004 nach zwei erlittenen Unfällen erneut zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen in erwerblicher und medizinischer Hinsicht, insbesondere einem MEDAS-Gutachten vom 9. Januar 2007 sowie einer BEFAS-Abklärung (Bericht vom 24. August 2007), sprach ihm die IV-Stelle Zug nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens mit Verfügung vom 10. November 2008 eine vom 1. Februar 2003 bis 28. Februar 2007 befristete ganze Rente zu. 
 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zug mit Entscheid vom 27. Mai 2010 insofern gut, als es die Verfügung vom 10. November 2008 aufhob und die Sache zur Durchführung weiterer Abklärungen im Sinne der Erwägungen und zum Neuentscheid an die IV-Stelle zurückwies. 
 
C. 
Die IV-Stelle Zug führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihre Verfügung vom 10. November 2008 zu bestätigen. 
 
Während der Beschwerdegegner und die Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde schliessen, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) deren Gutheissung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Das Bundesgericht überprüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 135 III 1 E. 1.1 S. 3). 
 
1.2 Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug sprach dem MEDAS-Gutachten den Beweiswert zur Beurteilung des Rentenanspruchs des Beschwerdeführers ab, weil zwei der begutachtenden Ärzte zwar das Gutachten mit "Dr. med." unterzeichnet hätten, sie jedoch gemäss FMH-Ärzteindex nicht über den Doktortitel verfügten. Die übrigen Akten erachtete das kantonale Gericht für eine Beurteilung als ungenügend und wies die Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurück. Dieser Entscheid schliesst das Verfahren weder insgesamt noch über einzelne Rechtsbegehren ab, weshalb es sich um einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG handelt (BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 127 und 133 V 477 E. 4.2 S. 481), gegen den die Beschwerde nur unter den alternativen Voraussetzungen zulässig ist, dass der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1 lit. b). 
 
1.3 Die Rückweisung der Sache an die IV-Stelle zu ergänzender oder weiterer Abklärung und neuer Entscheidung bewirkt in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 133 V 477 E. 5.2.1 und 5.2.2 S. 483 sowie Urteil I 126/07 vom 6. August 2007 E. 1.2 [in BGE 133 V 504 nicht publiziert]), und zwar selbst dann nicht, wenn die vorinstanzliche Feststellung, der rechtserhebliche Sachverhalt sei ungenügend abgeklärt, offensichtlich unrichtig oder Ergebnis unhaltbarer Beweiswürdigung wäre (Urteile 9C_598/2010 vom 2. August 2010, 9C_857/2009 vom 30. Oktober 2009 und 9C_567/2008 vom 30. Oktober 2008 E. 2.1), weshalb auf Beschwerden gegen vorinstanzliche Rückweisungsentscheide, mit denen einzig eine ergänzende Sachverhaltsabklärung angeordnet wird, nur ausnahmsweise einzutreten ist (Urteil 9C_446/2007 vom 5. Dezember 2007 E. 3 mit Hinweisen). Nicht wieder gutzumachen ist ein Nachteil für die Verwaltung bzw. den Versicherungsträger, wenn diese durch den Rückweisungsentscheid gezwungen werden, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu treffen. Diesfalls kann bereits dieser Entscheid angefochten werden, ohne dass der Endentscheid abgewartet werden müsste (BGE 133 V 477 E. 5.2, 5.2.1-5.2.4 S. 483 ff.; Urteil 8C_682/2007 vom 30. Juli 2008 E. 1.2.1, nicht publ. in: BGE 134 V 392, aber in: SVR UV Nr. 31 S. 115). 
 
1.4 Die Vorinstanz verbietet der Beschwerdeführerin, entscheidend auf das MEDAS-Gutachten abzustellen, weil dieses an einem rechtlichen Mangel leide, was die Beschwerdeführerin bestreitet. Die IV-Stelle wäre damit gezwungen, entgegen ihrer Rechtsauffassung auf ein von ihr als beweiskräftig erachtetes Gutachten nicht abzustellen (BGE 133 V 477 E. 5.2.2. S. 484), weshalb die Eintretensvoraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG gegeben ist. 
 
2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist auf Grund der Vorbringen in der Beschwerde an das Bundesgericht (Art. 107 Abs. 1 BGG) nur zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG). Hiezu gehört insbesondere auch die unvollständige (gerichtliche) Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG) und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteil 9C_534/2007 vom 27. Mai 2008, E. 1 mit Hinweis auf Ulrich Meyer, N. 58-61 zu Art. 105, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008; Seiler/von Werdt/ Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, N. 24 zu Art. 97). 
 
3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob zur Beurteilung des Rentenanspruchs des Beschwerdegegners einzig deshalb nicht auf das MEDAS-Gutachten abgestellt werden kann, weil gemäss Ärzteverzeichnis der FMH die Doktortitel der beiden begutachtenden Ärzte L.________ und R.________ fehlen. 
 
3.1 Die Beschwerdeführerin reichte mit der Beschwerde die Promotionsurkunde der Universität X.________ von L.________ vom 8. September 1976 sowie diejenige der Universität Y.________ von R.________ vom 17. Februar 1977 und die entsprechenden Anerkennungsbestätigungen des Weiterbildungsausschusses für medizinische Berufe des Bundesamtes für Gesundheit vom 5. März 2007 (betreffend R.________) und vom 30. Juli 2007 (betreffend L.________) ein. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen indessen im Beschwerdeverfahren nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194 S. 196 ff. E. 2 f.). 
 
Die Doktortitel der Ärzte R.________ und L.________ wurden in der vorinstanzlichen Beschwerde einzig unter Hinweis auf das Ärzteverzeichnis der FMH in Frage gestellt. Die IV-Stelle führte in der Beschwerdeantwort vor dem kantonalen Gericht aus, sie habe keinen Anlass, an den Doktortiteln zu zweifeln. In der Replik wurde erneut davon ausgegangen, dass die Doktortitel fehlen. Die IV-Stelle wiederum bestritt in ihrer Duplik erneut das Fehlen der Titel. Damit war die Titelfrage thematisiert und die Vorinstanz war verpflichtet, diese Frage abzuklären (Art. 61 lit. c ATSG). Wenn sie stattdessen allein auf den von der Versicherten erwähnten FMH-Ärzteindex abstellte, obwohl die IV-Stelle dies bestritten hatte, verletzte sie die ihr obliegende Untersuchungspflicht, weshalb die Noven zulässig sind (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. e contrario 8C_15/2009 E. 4.1: Dort war ein neues Beweismittel unzulässig, weil sich die antizipierte Beweiswürdigung der Vorinstanz als haltbar erwies, was hier nicht der Fall ist). 
 
3.2 Ob das Ärzteverzeichnis der FMH, abrufbar unter www.doctorfmh.ch, ein verlässliches Beweismittel darstellt, kann in dieser generellen Form offen bleiben. Denn in Bezug auf Doktortitel ist dies jedenfalls zu verneinen: Beim Ärzteindex der FMH handelt es sich um das offizielle und vollständige Verzeichnis der Ärzte und Ärztinnen in der Schweiz. Für die Ausübung einer ärztlichen Tätigkeit ist ein Doktortitel jedoch irrelevant. Es findet sich denn auch, wie die beschwerdeführende IV-Stelle und das BSV zu Recht festhalten, keine Rubrik "Doktortitel" im fraglichen Verzeichnis. Massgebend ist vielmehr ein eidgenössisches oder ausländisches Diplom bzw. der entsprechende Weiterbildungstitel. Der Arzt muss daher Angaben machen, welche belegen, dass er in einer bestimmten Fachrichtung tätig sein darf. Hingegen ist er für die Zwecke des Ärzteindexes nicht verpflichtet, den darin irrelevanten Titel eines Doktors anzugeben. Fehlt dieser im Ärzteindex, kann dies deshalb nicht als hinreichender Beweis für das Fehlen des Titels betrachtet werden. Daran ändert entgegen der Auffassung der Vorinstanz nichts, dass das Bundesgericht in anderen Fällen auf dieses Ärzteverzeichnis verwiesen hat (Urteile 9C_736/2009, E. 2.2.; 8C_226/2009 E. 4.1 und 9C_820/2007, E. 4.2.2), ging es doch dort jeweils nicht um die Frage des Doktortitels, sondern um das Vorliegen einer fachärztlichen Qualifikation bzw. eines FMH-Facharzttitels. 
 
3.3 Auf Grund des zulässigen Novums (E. 3.1) steht fest, dass die beiden Ärzte effektiv berechtigt sind, den Doktortitel zu führen. 
 
3.4 Das kantonale Gericht sah die beiden Begutachtungen allein wegen der angeblichen Titelanmassung "erheblich bzw. entscheidend in Frage gestellt", nach dem Gesagten zu Unrecht. Andere formelle Gründe, welche gegen die Beweiskraft der Begutachtungen sprächen, werden nicht genannt. Die Vorinstanz wird daher erneut über die Beschwerde zu befinden haben unter inhaltlicher Würdigung der als formell mangelfrei zu betrachtenden MEDAS-Begutachtung. 
 
3.5 In diesem Sinne ist die Beschwerde begründet. Dem Antrag der beschwerdeführenden IV-Stelle auf Bestätigung der Verfügung kann jedoch nicht stattgegeben werden, da sich die Vorinstanz materiell noch nicht abschliessend zum Sachverhalt geäussert hat. 
 
4. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Gerichtskosten werden den Parteien anteilsmässig auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der teilweise obsiegende Versicherte hat Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 27. Mai 2010 aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie über die Beschwerde gegen die Verfügung vom 10. November 2008 unter Berücksichtigung des MEDAS-Gutachtens entscheide. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2. 
Von den Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner je Fr. 250.- auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1400.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 3. November 2010 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Borella Helfenstein Franke