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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_295/2018  
 
 
Urteil vom 26. Juli 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Parrino, 
Gerichtsschreiberin N. Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Hans Frei, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Teilerwerbstätigkeit), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. März 2018 (IV 2015/331). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1966 geborene A.________ ist Mutter von drei Kindern (geb. 1995, 1997, 1998) und in Teilzeit als Lehrerin tätig. Von März bis Juni 2012 erlitt sie mehrere Hirnblutungen, woraufhin sie sich im Juli 2012 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug anmeldete. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen veranlasste in der Folge verschiedene Abklärungen, insbesondere eine Haushaltsabklärung (Bericht vom 16. Mai 2014 und Ergänzung vom 24. April 2015) sowie eine neuropsychologische und neurologische Begutachtung (Expertisen der Dr. phil. B.________, Fachpsychologin für Neuropsychologie FSP, Spital C.________, vom 26. August 2014 und der Dr. med. D.________, Fachärztin FMH für Neurologie, [undatiert, Eingang am 19. März 2015]). Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach die Verwaltung A.________ eine Viertelsrente ab 1. August 2014 zu (Verfügung vom 10. September 2015). 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 6. März 2018 gut und sprach A.________ ab 1. März 2013 eine halbe Rente zu. 
 
C.   
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die Angelegenheit an die Beschwerdegegnerin (recte: IV-Stelle) zu weiteren Abklärungen und erneutem Entscheid über den Rentenanspruch zurückzuweisen. Ferner ersucht sie um aufschiebende Wirkung der Beschwerde. 
 A.________ und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beantragt deren Gutheissung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Das kantonale Gericht hat die Sache unter Aufhebung der Verfügung vom 10. September 2015 zur Berechnung der halben Rente an die IV-Stelle zurückgewiesen. Formell handelt es sich demnach um einen Rückweisungsentscheid. Dient die Rückweisung - wie hier - nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten und verbleibt der unteren Instanz somit kein Entscheidungsspielraum mehr, handelt es sich materiell nicht, wie bei Rückweisungsentscheiden sonst grundsätzlich der Fall, um einen Zwischenentscheid, der bloss unter den Voraussetzungen der Art. 92 oder 93 BGG beim Bundesgericht anfechtbar wäre, sondern um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (BGE 135 V 141 E. 1.1 S. 143). Auf die Beschwerde ist daher unter diesem Gesichtspunkt einzutreten (Art. 90 BGG).  
 
1.2. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist grundsätzlich ein reformatorisches Rechtsmittel (Art. 107 Abs. 2 BGG) und bedarf demgemäss grundsätzlich eines Antrags in der Sache (vgl. Art. 42 Abs. 1 BGG; BGE 136 V 131 E. 1.2 S. 135 f. mit Hinweis; Urteil 8C_673/2016 vom 10. Januar 2017 E. 1). Aus der Beschwerdebegründung, die in diesem Zusammenhang zur Interpretation beigezogen werden kann, ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin den vorinstanzlich festgestellten Anspruch auf eine halbe Rente bestreitet. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.  
 
2.  
 
2.1. Das kantonale Gericht erwog, bei der vor Eintritt des Gesundheitsschadens in Teilzeit erwerbstätigen Versicherten komme die gemischte Methode nicht zur Anwendung. In solchen Fallkonstellationen sei nach Interpretation der massgebenden Gesetzesbestimmungen zwingend ein Einkommensvergleich durchzuführen. Selbst wenn jedoch die Invaliditätsgradsbemessung nach der gemischten Methode erfolgen müsste, sei den Familienangehörigen keine Mithilfe im Haushalt anzurechnen, denn es gäbe keine solche Schadenminderungspflicht. Im Übrigen stelle der Abklärungsbericht Haushalt vom 16. Mai 2014 ein untaugliches Beweismittel dar, weil kein Augenschein erfolgt sei, sondern lediglich eine Befragung der Versicherten. Die von der IV-Stelle diesbezüglich ermittelte Einschränkung von 24 % überzeuge zudem auch vor dem Hintergrund der Ausführungen der neurologischen Gutachterin nicht, welche die Behinderung im Haushalt mit über 50 % eingeschätzt habe.  
 
2.2. Die IV-Stelle macht im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz habe in Verletzung von Bundesrecht und in Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung die gemischte Methode und die den Familienangehörigen obliegende Schadenminderungspflicht nicht angewendet. Weiter bringt sie vor, es sei eine neue Haushaltsabklärung durchzuführen. Die Beweiskraft des Abklärungsberichts Haushalt vom 16. Mai 2014 sei dadurch in Frage gestellt, dass nach Eingang des neurologischen Gutachtens der Dr. med. D.________ von März 2015, worin die Einschränkung im Haushalt als mit "weit über 50%" eingeschätzt worden sei, habe korrigiert werden müssen.  
 
2.3. Die Versicherte vertritt hingegen die Auffassung, gemäss der Gutachterin sei sie als Englischlehrerin zu maximal 50 % arbeitsfähig und bezüglich der Haushaltsarbeiten liege eine Einschränkung von weit über 50 % vor. Die gutachterlich festgestellte Beeinträchtigung im Haushalt sei schlüssig. Auf eine weitere Haushaltsabklärung könne verzichtet werden. Damit resultiere - unabhängig von der Methode der Invaliditätsgradsbemessung - ein Invaliditätsgrad von mindestens 50 %, weshalb die Beschwerde abzuweisen sei.  
 
3.   
 
3.1.  
 
3.1.1. Die IV-Stelle bringt in ihrer Beschwerde zu Recht vor, die vorinstanzliche Auffassung zur Anwendbarkeit der gemischten Methode verstosse gegen die in diesem Zusammenhang ergangene ständige bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 141 V 15 E. 3.1 S. 20; 137 V 334 E. 3.2 S. 338; 125 V 146 E. 2c S. 150; 117 V 194 E. 3b S. 194 f.; je mit Hinweisen) : Danach ergibt sich die Antwort auf die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem zeitlichen Umfang eine versicherte Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erwerbstätig wäre, aus der hypothetischen Prüfung, was sie bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde. Entscheidend ist somit nicht, welches Ausmass der Erwerbstätigkeit der versicherten Person im Gesundheitsfall zugemutet werden könnte, sondern in welchem Pensum sie hypothetisch (unter Berücksichtigung der gesamten persönlichen, familiären, beruflichen und sozialen Situation) erwerbstätig wäre (ausführlich, mit einer eingehenden Auseinandersetzung mit der St. Galler Praxis: Urteil 9C_49/2008 vom 28. Juli 2008 E. 3.3; vgl. auch die dieselbe Vorinstanz betreffenden BGE 133 V 477 E. 6.3 S. 486 f. und 504 E. 3.3 S. 507 f. sowie Urteile 9C_552/2016 vom 9. März 2017 E. 4.2 und 9C_491/2008 vom 21. April 2009 E. 4; vgl. auch Meyer/Reichmuth, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3. Aufl. 2014, Rz. 5 f. zu Art. 28a IVG). An dieser Stelle wird auf die noch immer geltende bundesgerichtliche Rechtsprechung verwiesen. Weiterungen erübrigen sich.  
 
3.1.2. Beizupflichten ist der IV-Stelle auch insofern, als das von der Vorinstanz angeführte EGMR-Urteil Di Trizio gegen die Schweiz vom 2. Februar 2016 (7186/09), welches am 4. Juli 2016 endgültig geworden ist, für den hier zu beurteilenden Fall nichts geändert habe, geht es vorliegend doch nicht um eine Rentenrevision, sondern um eine erstmalige Rentenzusprache (Urteil 9C_552/2016 vom 9. März 2017 E. 4.3).  
 
3.2.   
 
3.2.1. Zur Frage, in welchem Umfang die Beschwerdegegnerin im Gesundheitsfall hypothetisch erwerbstätig wäre, äusserte sich das kantonale Gericht nicht abschliessend, sondern gab lediglich wieder, was die IV-Stelle dazu festgehalten hatte. Es fehlen somit verbindliche tatsächliche Feststellungen im angefochtenen Entscheid. Da die Akten aber insoweit liquid sind, kann das Bundesgericht den Sachverhalt ergänzen (BGE 140 V 22 E. 5.4.5 S. 31 f.; 136 V 362 E. 4.1 S. 366).  
 
3.2.2. Die Versicherte war vor Eintritt des Gesundheitsschadens im März 2012 in einem Pensum von 33,3 % als Lehrerin tätig. Bei der Haushaltsabklärung am 23. April 2014 gab sie an, sie hätte ihr Pensum im Sommer 2014 mit dem Lehrbeginn der jüngsten Tochter auf 20 Unterrichtsstunden pro Woche (67%-Pensum) erhöht. Davon ging alsdann auch die IV-Stelle in der Verfügung vom 10. September 2015 aus (vgl. auch Vorbescheide vom 27. April 2015und 30. Oktober 2014), was von der Versicherten nicht beanstandet worden ist (vgl. Einwände vom 10. Juni 2015, Beschwerde an das Kantonsgericht St. Gallen und Beschwerdeantwort an das Bundesgericht). Somit ist diese als zu 33.3 % resp. ab Sommer 2014 als zu 67 % Erwerbstätige zu qualifizieren.  
 
3.2.3. Bei dieser Sachlage hat die IV-Stelle die Invaliditätsbemessung zu Recht anhand der gemischten Methode vorgenommen. Der vorinstanzliche Entscheid verletzt diesbezüglich Bundesrecht.  
 
4.   
 
4.1. Im Zusammenhang mit den Einschränkungen im Haushalt ist nicht die medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit ausschlaggebend, sondern wie sich der Gesundheitsschaden in der nichterwerblichen Betätigung konkret auswirkt, was durch eine Abklärung an Ort und Stelle (vgl. Art. 69 Abs. 2 Satz 2 IVV) zu erheben ist (Urteil 9C_121/2011 vom 31. März 2011 E. 3.1.1 mit Hinweisen). Im gestützt darauf basierenden Haushaltsbericht sind die Einschränkungen in den einzelnen Bereichen zu umschreiben und in Prozenten einzuschätzen (Urteil 9C_33/2017 vom 6. September 2017 E. 4.2). Insofern ist nicht grundsätzlich zu beanstanden, dass die IV-Stelle die Behinderung im Haushaltsbereich mittels einer Haushaltsabklärung vor Ort abgeklärt hat (Bericht vom 16. Mai 2014) bzw. (nochmals) abklären will.  
 
4.2. Bei der Einschätzung der Beeinträchtigungen im Haushalt ist auch die bei der Haushaltsabklärung festgestellte zumutbare und vorhandene Mithilfe von Familienangehörigen, welche Ausfluss der der versicherten Person obliegenden Schadenminderungspflicht ist, zu berücksichtigen (BGE 133 V 504 E. 4.2 S. 509 f. mit Hinweisen; Urteil 9C_39/2010 vom 25. März 2010 E. 4.3.2). Die Schadenminderungspflicht ist ein allgemeiner sozialversicherungsrechtlicher Grundsatz, gilt also nicht nur im Bereich der Invaliditätsbemessung im spezifischen Aufgabenbereich (für viele: Urteil 9C_293/2016 vom 18. Juni 2016 E. 2, BGE 113 V 22 E. 4a S. 28). Soweit die Vorinstanz eine solche Schadenminderungspflicht verneinte, entspricht der angefochtene Entscheid nicht der konstanten bundesgerichtlichen Rechtsprechung.  
 
4.3. Die IV-Stelle, die Versicherte und die Vorinstanz sind sich zu Recht einig, dass dem Haushaltsabklärungsbericht vom 16. Mai 2014trotz Ergänzung vom 24. April 2015kein Beweiswert zukommt. Entgegen der Ansicht der Versicherten kann auch nicht auf die Schlussfolgerung der Dr. med. D.________ in deren Gutachten abgestellt werden, wonach die Einschränkungen im Haushalt weit über 50 % lägen. Dazu sind die gutachterlichen Ausführungen zu pauschal (keine Auseinandersetzung mit den Einschränkungen in den einzelnen Aufgaben und keine Berücksichtigung der Mithilfe der Angehörigen). Der Sachverhalt muss somit - wie von der IV-Stelle beantragt - weiter abgeklärt werden.  
 
5.   
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
6.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Gerichtskosten und eine allfällige Parteientschädigung hätte grundsätzlich die unterliegende Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG; BGE 133 V 642). Unnötige Kosten hat indessen zu bezahlen, wer sie verursacht (Art. 66 Abs. 3 und Art. 68 Abs. 4 BGG). Dies gestattet auch, ausnahmsweise die Gerichts- und Parteikosten der Vorinstanz resp. dem Gemeinwesen, dem diese angehört, aufzuerlegen. Die Vorinstanz missachtet systematisch die hier anwendbare Rechtsprechung des Bundesgerichts (E. 3.1.1 und 4.2 hiervor), was in der vom kantonalen Gericht eingereichten Vernehmlassung klar zum Ausdruck kommt. Damit hat die Vorinstanz die IV-Stelle zum Gang vor das Bundesgericht gezwungen, was zu einer unnötigen Verlängerung des Verfahrens führte. Dieser Umstand kann nicht der Versicherten angelastet werden. Demnach sind dem Kanton St. Gallen die Gerichts- und Parteikosten aufzuerlegen (vgl. Urteile 8C_580/2017 vom 9. Februar 2018 E. 6, 8C_742/2016 vom 5. Januar 2017 E. 3). 
Von einer Rückweisung zur Neuverlegung der vorinstanzlichen Gerichtskosten und Parteientschädigung kann abgesehen werden, denn der Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens mit Rückweisung der Angelegenheit an die IV-Stelle zu weiteren Abklärungen gilt als Obsiegen der Versicherten (BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271) und führt zur Kostenpflicht der IV-Stelle, wie sie im angefochtenen Entscheid bereits festgehalten ist. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. März 2018 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 10. September 2015 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die IV-Stelle zurückgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Kanton St. Gallen auferlegt. 
 
3.   
Der Kanton St. Gallen hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'400.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 26. Juli 2018 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Möckli