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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_25/2008 
 
Urteil vom 30. Juni 2008 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Parteien 
M.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hardy Landolt, Schweizerhofstrasse 14, 8750 Glarus, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Glarus, Zwinglistrasse 6, 8750 Glarus, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus vom 28. November 2007. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1951 geborene M.________ meldete sich im Dezember 2005 bei der Invalidenversicherung an und ersuchte um eine Rente. Nach Abklärungen lehnte die IV-Stelle Glarus mit Verfügung vom 11. Mai 2006 das Leistungsbegehren ab, was sie mit Einspracheentscheid vom 22. November 2006 bestätigte. 
 
B. 
Die Beschwerde der M.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus mit Entscheid vom 28. November 2007 ab. 
 
C. 
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 28. November 2007 sei aufzuheben und an die Vorinstanz bzw. die IV-Stelle Glarus im Sinne der Erwägungen zurückzuweisen; eventualiter sei ihr eine halbe Invalidenrente mit Wirkung ab 12. Dezember 2004 zu gewähren. 
 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung stellt eine vom Bundesgericht ebenfalls zu korrigierende Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG dar (Seiler/von Werdt/Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, N. 24 zu Art. 97 BGG). 
 
2. 
Die Vorinstanz hat in Bestätigung des Einspracheentscheides eine Einschränkung der Tätigkeit im Aufgabenbereich Haushalt (Art. 5 Abs. 1 IVG und Art. 8 Abs. 3 ATSG in Verbindung mit Art. 27 IVV) von mindestens 40 % ausgeschlossen und daher einen Rentenanspruch verneint (Art. 28 Abs. 1 IVG). 
 
Die Beschwerdeführerin macht geltend, trotz aktenkundiger psychischer Beschwerden sei in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes eine entsprechende fachärztliche Begutachtung unterblieben. Weiter sei der Abklärungsbericht Haushalt vom 23. März 2006 in formeller und materieller Hinsicht untauglich. Sie selber spreche nur albanisch, dessen die beigezogene, serbisch sprechende Übersetzerin nicht mächtig sei. Die Abklärungsperson sei befangen gewesen. Nicht ein fiktiver Zwei-Personen-Haushalt, sondern die tatsächlichen Verhältnisse seien massgebend. Schliesslich ist sie der Auffassung, ihre Familienangehörigen treffe keine Schadenminderungspflicht, und der pauschale Hinweis darauf genüge ohnehin nicht. 
 
3. 
3.1 Gestützt auf den Bericht des Rheumatologen Dr. med. O.________ vom 18. April 2006 ist die Vorinstanz von einer somatisch bedingten Einschränkung der Leistungsfähigkeit im Haushalt von 25 bis 30 % ausgegangen. Sie hat festgestellt, aufgrund der vorliegenden Akten bestehe bei der Beschwerdeführerin keine fachärztlich schlüssig diagnostizierte psychische Störung, welche eine Invalidität im gesetzlichen Sinn bewirken könnte. Mit einer zumutbaren Willensanstrengung sei die Überwindung ihres Schmerzleidens möglich. 
 
3.2 Die Beschwerdeführerin war vom 16. bis 24. Juni 2005 im Spital X.________ hospitalisiert. Dabei wurde sie - unter Beizug eines Dolmetschers - auch in psychiatrischer Hinsicht eingehend untersucht. Gemäss den Berichten vom 24. Juni und 19. August 2005 wurden ein Fibromyalgie-Syndrom sowie eine Depression diagnostiziert. Die Arbeitsfähigkeit wurde auf höchstens 50 % geschätzt, wobei unklar ist, ob sich diese auf eine Erwerbstätigkeit oder auf eine Tätigkeit in einem durchschnittlichen oder im konkreten Haushalt bezieht. Die Vorinstanz hat - ohne die Schätzung der Arbeitsunfähigkeit zu erwähnen - aus dem Bericht vom 24. Juni 2005 zitiert, wonach die zur Einweisung führende Symptomatik mit Antriebslosigkeit, Schlaflosigkeit und generalisierten Schmerzen auf eine Fibromyalgie mit depressiver Verstimmung zurückzuführen sei. Entgegen der offenbaren Auffassung der Beschwerdeführerin hat die Vorinstanz mit Recht auf die diagnostizierte Fibromyalgie die für die somatoforme Schmerzstörung geltenden Rechtsprechungsregeln angewendet (BGE 132 V 65 E. 4 S. 70). Hingegen beruht die Folgerung der Vorinstanz, die rechtsprechungsgemässen Kriterien für die ausnahmsweise Annahme einer invalidisierenden Wirkung seien nicht erfüllt, auf unvollständigen sachverhaltlichen Grundlagen: Zwar ist die Feststellung der Vorinstanz, wonach Hinweise auf belastende psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren bestünden, nicht offensichtlich unrichtig. Dies genügt indessen nicht, um eine ausnahmsweise invalidisierende Wirkung des psychogenen Teils des Schmerzleidens auszuschliessen, ist doch eine gesamthafte Prüfung der Sachlage nach den von der Rechtsprechung formulierten Kriterien vorzunehmen (BGE 131 V 49 und 130 V 352). 
 
Vorerst ist unklar, ob mit der diagnostizierten Depression eine eigenständige psychische Komorbidität vorliegt oder ob sie als Symptom des Schmerzleidens zu werten ist. Sodann ist eine chronische körperliche Begleiterkrankung bei unveränderter oder gar progredienter Symptomatik ausgewiesen, wobei bisherige therapeutische Bemühungen erfolglos blieben. Ein sozialer Rückzug in allen Belangen des Lebens - welcher auch bei einer in einem Mehrpersonenhaushalt lebenden Person möglich ist - wurde nicht näher abgeklärt. Schliesslich kann entgegen der Annahme der Vorinstanz aus den Berichten des Spitals X.________ und des Hausarztes nicht geschlossen werden, die Beschwerdeführerin zeige keine Bereitschaft zur Teilnahme an Behandlungsversuchen bzw. an einer Therapie. Gemäss Bericht des Spitals X.________ vom 24. Juni 2005 hat sie zwar auf der psychiatrischen Abteilung jegliche Therapien abgelehnt, aber die aktivierten Therapien stetig wahrgenommen, mit einer leichten Besserung. Gemäss Bericht des Dr. med. K.________ vom 17. Dezember 2005 ist eine Gesprächstherapie aufgrund der Sprachbarriere nicht möglich, wohl aber erfolgte eine medikamentöse antidepressive Therapie, wenn auch ohne Reaktion. In den vorliegenden Akten manifestieren sich insgesamt jedenfalls keine hinreichenden Umstände (zu den psychosozialen oder soziokulturellen Faktoren: BGE 127 V 294 E. 5a S. 299 f.), die das Vorliegen einer unüberwindbaren Schmerzproblematik von vornherein ausschlössen. 
 
3.3 Die Verwaltung wird entsprechende Abklärungen zu treffen haben. Insbesondere lässt sich nur mit einer fachärztlichen Begutachtung der Umfang der Arbeitsfähigkeit im (konkreten) Haushalt in psychiatrischer Hinsicht festlegen und klären, welche Bedeutung den gestellten Diagnosen beizumessen ist resp. wie diese sich zu einander verhalten. 
 
4. 
4.1 In Bezug auf den Abklärungsbericht Haushalt vom 23. März 2006 hat die Vorinstanz keinen Anlass gesehen, diesen anzuzweifeln, zumal einzig die modern eingerichtete Wohnung sowie die Anzahl der im gleichen Haushalt wie die Beschwerdeführerin lebenden Familienmitglieder und deren Schadenminderungspflicht relevant seien. 
 
4.2 Bei nicht erwerbstätigen Versicherten, die im Aufgabenbereich tätig sind und denen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann (Art. 5 Abs. 1 IVG und Art. 8 Abs. 3 ATSG), wird für die Bemessung der Invalidität in Abweichung von Artikel 16 ATSG darauf abgestellt, in welchem Masse sie unfähig sind, sich im Aufgabenbereich zu betätigen (Art. 28 Abs. 2bis IVG; seit 1. Januar 2008: Art. 28a Abs. 2 IVG). Als Aufgabenbereich der im Haushalt tätigen Versicherten gelten insbesondere die übliche Tätigkeit im Haushalt, die Erziehung der Kinder sowie gemeinnützige und künstlerische Tätigkeiten (Art. 27 IVV). 
 
Ausschlaggebend ist nicht die medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit, sondern wie sich der Gesundheitsschaden in der nichterwerblichen Betätigung konkret auswirkt, was durch die Abklärung an Ort und Stelle zu erheben ist. Diese erstreckt sich im Haushalt auch auf den zumutbaren Umfang der Mithilfe von Familienangehörigen (Urteil I 300/04 vom 19. Oktober 2004 E. 4.1 und 6.2.2), welche im Rahmen der Schadenminderungspflicht zu berücksichtigen ist und weiter geht als die ohne Gesundheitsschädigung üblicherweise zu erwartende Unterstützung (BGE 133 V 504 E. 4.2 S. 509 f. mit Hinweisen). 
 
Für den Beweiswert eines Abklärungsberichts Haushalt ist wesentlich, dass er auf einem Betätigungsvergleich beruht und von einer qualifizierten Person verfasst wurde, die Kenntnis der örtlichen und räumlichen Verhältnisse sowie der aus den medizinischen Diagnosen sich ergebenden Beeinträchtigungen und Behinderungen hat. Weiter sind die Angaben der versicherten Person zu berücksichtigen, wobei eine genügende Verständigung gewährleistet sein muss (vgl. Urteil 9C_178/2007 vom 25. Oktober 2007 E. 3.1). Divergierende Meinungen der Beteiligten sind im Bericht aufzuzeigen. Schliesslich muss er plausibel, begründet und angemessen detailliert bezüglich der einzelnen Einschränkungen sein und in Übereinstimmung mit den an Ort und Stelle erhobenen Angaben stehen (Urteil I 13/05 vom 12. Mai 2005 E. 2.3; vgl. auch BGE 130 V 61 E. 6.1.2 S. 62). 
 
4.3 Der Abklärungsbericht Haushalt vom 23. März 2006 leidet an verschiedenen Mängeln, weshalb er nicht als genügende Grundlage für die Invaliditätsbemessung dienen kann. Die Abklärungsperson konnte sich mit der nur albanisch sprechenden Beschwerdeführerin nicht direkt unterhalten, und die später beigezogene Übersetzerin sprach nur serbisch. Der Ehemann fungierte jeweils als Dolmetscher, was zumindest als problematisch bezeichnet werden muss (vgl. SVR 2004 IV Nr. 29 S. 90 [I 451/00]). Entgegen der Auffassung der Abklärungsperson kann eine Rente für eine in einem Grosshaushalt lebende Versicherte nicht von vornherein als "absurd" bezeichnet werden. Es ist unklar, wieviele und welche Personen tatsächlich zum Haushalt, welcher sich offenbar auf zwei Wohnungen mit insgesamt 7 ½ Zimmern erstreckt, gehören. Ausserdem wurde kein Betätigungsvergleich durchgeführt. Weiter besteht zwar entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin eine Schadenminderungspflicht (BGE 133 V 504; E. 4.2), doch fehlen bezüglich Mithilfe der Angehörigen im Abklärungsbericht Angaben über die konkreten Umstände. Schliesslich lässt sich die Zumutbarkeit der Mithilfe von Angehörigen nicht unter Hinweis auf "ERFA-Richtlinien", welche nicht rechtsverbindlich sind und auch nicht offengelegt wurden, beurteilen. Unter diesen Umständen ist eine erneute Abklärung vor Ort unumgänglich. 
 
5. 
Die Rückweisung an die Verwaltung zu weiteren Sachverhaltsabklärungen rechtfertigt sich nur, wenn dies für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Medizinisch ist in somatischer Hinsicht eine Arbeitsunfähigkeit im Haushalt von 25 bis 30 % ausgewiesen. Zusätzlich sind möglicherweise (E. 3) psychische Beeinträchtigungen zu berücksichtigen. Es ist daher nicht auszuschliessen, dass aus den konkreten Auswirkungen des Gesundheitsschadens auf den Aufgabenbereich ein Invaliditätsgrad von mindestens 40 % und damit ein Rentenanspruch resultiert. Die Beschwerde ist begründet. 
 
6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der obsiegenden und anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin hat sie zudem eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Glarus vom 28. November 2007 und der Einspracheentscheid vom 22. November 2006 werden aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle Glarus zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch der Beschwerdeführerin neu verfüge. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen. 
 
4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus zurückgewiesen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 30. Juni 2008 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Meyer Dormann