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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_303/2020  
 
 
Urteil vom 6. Oktober 2020  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Nötigung, Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 23. Januar 2020 
(SK 16 308). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Urteil vom 13. Mai 2016 stellte das Regionalgericht Berner Jura-Seeland fest, dass A.________ mehrfach im Zustand der Schuldunfähigkeit Nötigungen begangen habe. Es ordnete eine ambulante therapeutische Massnahme sowie ein Rayonverbot an. Das von A.________ angerufene Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 23. Januar 2020 den Vorwurf der mehrfachen Nötigung im schuldunfähigen Zustand, verzichtete aber auf eine ambulante Massnahme und ein Rayonverbot. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, es sei festzustellen, dass der Tatbestand der Nötigung nicht erfüllt sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der Beschwerdeführer rügt die Sachverhaltsfeststellung. 
 
1.1. Die Beschwerde ist zu begründen, wobei anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern dieser Recht verletzt (Art. 42 Abs. 1 und 42 Abs. 2 Satz 1 BGG). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten einschliesslich des Sachverhalts wegen Willkür bestehen qualifizierte Rügeanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht ist keine Appellationsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt oder die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit freier Kognition überprüft. Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, deren Beweiswürdigung erweise sich als willkürlich (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1; I 310 E. 2.2; je mit Hinweis). Dies ist der Fall, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Der Entscheid muss nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich sein (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 145 IV 154 E. 1.1, 142 III 364 E. 2.4).  
 
1.2.  
 
1.2.1. Die Vorinstanz erachtet als erstellt, dass der Beschwerdeführer zwischen Ende Oktober 2012 und März 2013 mehrfach telefonisch und persönlich Kontakt mit seiner von ihm getrennt lebenden Ex-Partnerin und dem gemeinsamen Sohn aufgenommen resp. aufzunehmen versucht habe, wobei diese kein Interesse am Kontakt gehabt hätten. Die Vorinstanz stützt sich im Wesentlichen auf Telefonauswertungen, ein von der Ex-Partnerin verfasstes "Stalking-Tagebuch" sowie die als glaubhaft beurteilten Aussagen der Geschädigten. Entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers, der diverse Kontaktaufnahmen nicht bestritten habe, habe hierfür kein legitimes Interesse bestanden. Namentlich habe es keine Hinweise auf Alkohol- oder Drogenmissbrauch, physische oder psychische Misshandlung des Kindes oder andere Misstände gegeben. Zufolge der Telefonauswertungen habe der Beschwerdeführer gewusst, dass sein Sohn keinen Kontakt mehr zu ihm gewünscht habe; eine diesbezügliche Beeinflussung durch die Kindsmutter sei mit Blick auf die Aussagen von Mutter und Kind ausgeschlossen. Auch eine Aufforderung seitens der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde an den Beschwerdeführer zu einem derart intensiven telefonischen oder physischen Kontakt sei nicht glaubhaft. Dies insbesondere deshalb, weil der Beschwerdeführer bereits bei der Regelung des Besuchsrechts im Jahre 2009 explizit auf das Unterlassen von Anrufen und Treffen hingewiesen worden sei.  
Trotz deutlicher Hinweise von Mutter und Sohn dies zu unterlassen, sei der Beschwerdeführer im Deliktszeitraum mindestens an 37 verschiedenen Tagen teilweise mehrfach am Domizil der Ex-Partnerin sowie bei der (Musik) Schule des Sohnes aufgetaucht. Er habe den Sohn wiederholt auf dem Schulweg abgepasst, um ihm ein Gespräch aufzuzwingen und zweimal den Musikunterricht gestört. Ferner habe der Beschwerdeführer das Domizil der Ex-Partnerin beobachtet, seine Beobachtungen teilweise per SMS kommentiert und wiederholt die Türklingel der Wohnung betätigt. Er habe die beiden mehrfach an der Wegfahrt mit dem Auto gehindert, den Weg nicht freigegeben, um mit dem Sohn sprechen zu können, und diesen einmal durch Umklammern am Einsteigen in den öffentlichen Bus gehindert. Die Geschädigten hätten hierauf eigens ihre Lebensgewohnheiten umgestellt, um nicht auf den Beschwerdeführer zu treffen und seinen Nachstellungen zu entgehen. So habe etwa die Ex-Partnerin ein Auto gemietet, um den Sohn vom Musikunterricht abzuholen, jener habe den Unterricht teilweise ausfallen lassen, sie habe die Türklingel ausgeschaltet und Vorhänge installiert. 
 
1.2.2. Der Beschwerdeführer setzt sich mit dem angefochtenen Entscheid nicht auseinander und zeigt nicht auf, inwiefern die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung willkürlich sein sollen. Soweit verständlich, beschränkt er sich darauf, die Besuchsrechtsregelung zu kritisieren - wobei deren (zivilrechtliche) Rechtmässigkeit hier ohne Belang ist - und ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit der unerwünschten Kontaktaufnahme mit den Geschädigten zu bestreiten. Als Kindsvater habe er Anspruch auf Kontakt zu seinem Sohn gehabt, und dieser, sowie die Kindsmutter, hätten den Kontakt grundlos verweigert. Wie es sich damit verhält, braucht nicht geklärt zu werden, zumal es am Sachverhalt nichts ändert. Auch vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen, dass die vorinstanzlichen Annahmen, wonach sein Sohn keinen Kontakt zu ihm haben wollte und er um dessen fehlendes Interesse daran wusste, unhaltbar wären. Gleiches gilt, wenn der Beschwerdeführer die Schlüssigkeit der Aussagen insbesondere der Kindsmutter hinsichtlich einer einzelnen Begebenheit in Frage stellt, sie als beweislose Parteiaussagen bezeichnet und einige Passagen wiedergibt. Er verkennt in diesem Zusammenhang zudem, dass dem Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung zukommt (BGE 145 IV 154 E. 1.1; 144 IV 345 E. 2.2.3; 143 IV 500 E. 1.1; 138 V 74 E. 7).  
 
2.   
Der Beschwerdeführer bestreitet Tatbestandsmässigkeit und Rechtswidrigkeit der Nötigung. Ausserdem habe er nicht vorsätzlich gehandelt. 
 
2.1. Der Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB macht sich schuldig, wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden.  
Eine Nötigung ist nur unrechtmässig, wenn das Mittel oder der Zweck unerlaubt ist, wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig ist (BGE 141 IV 437 E. 3.2.1; 137 IV 326 E. 3.3.1; 134 IV 216 E. 4.1; je mit Hinweisen). Letzteres trifft insbesondere zu, wenn zwischen dem Gegenstand der Drohung und demjenigen der Forderung kein sachlicher Zusammenhang besteht (BGE 120 IV 17 E. 2a/bb; 106 IV 125 E. 3a). 
In subjektiver Hinsicht verlangt Art. 181 StGB, dass der Täter mit Vorsatz handelt, d.h. dass er, im Bewusstsein um die Unrechtmässigkeit seines Verhaltens, sein Opfer zu einem bestimmten Verhalten zwingen will; Eventualvorsatz genügt (BGE 120 IV 17 E. 2c; 96 IV 58 E. 5; Urteil 6B_1037/2019 vom 24. Juni 2020 E. 2.3.3 mit Hinweisen). 
 
2.2.  
 
2.2.1. Die Vorinstanz führt in rechtlicher Hinsicht aus, zwar würden die einmalige Anwesenheit des Beschwerdeführers vor dem Domizil der Ex-Partnerin sowie ein einmaliges Abpassen des Sohnes auf dem Schulweg oder Aufsuchen in der Musikschule für sich allein keine relevante Beschränkung der Handlungsfreiheit der Geschädigten im Sinne von Art. 181 StGB darstellen. Die inkriminierten Handlungen seien jedoch weit über eine blosse Störung hinausgegangen. Dem Verhalten des Beschwerdeführers sei ein langjähriges, teilweise problematisches Besuchsrecht vorausgegangen, sodass sich der damals 16-jährige Sohn im Oktober 2012 zu einem Verzicht auf das Besuchsrecht entschlossen habe. Hierauf habe der Beschwerdeführer den telefonischen Kontakt zu seiner Ex-Partnerin und seinem Sohn erheblich intensiviert und sie während den folgenden rund fünf Monaten regelmässig und gegen deren Willen an verschiedenen Orten des täglichen Lebens behelligt. Er habe die beiden nicht nur beobachtet, sondern insbesondere dem Sohn immer wieder Gespräche aufgezwungen. Die Geschädigten hätten eigens ihre Lebensgewohnheiten angepasst und aufgrund der sehr belastenden Situation die Opferhilfe sowie psychologische und anwaltliche Hilfe aufgesucht. Schliesslich habe die Polizei eine Fernhalteverfügung erlassen. Mit der wiederholten, phasenweise geradezu zwanghaften Verfolgung habe der Beschwerdeführer die Handlungsfreiheit von Ex-Partnerin und Sohn erheblich eingeschränkt und dies auch mindestens in Kauf genommen. Das Verhalten sei widerrechtlich, weil die zur Beschränkung der Handlungsfreiheit eingesetzten Mittel - beobachten, auflauern, abpassen, hindern an der Wegfahrt - in keinem Verhältnis zum verfolgten Zweck - einem Gespräch mit dem Sohn - gestanden hätten. Insbesondere erscheine das dauernde Verfolgen des Sohnes zum Wiederaufbau einer Beziehung und Weiterführung des Besuchsrechts als ungeeignet.  
 
2.2.2. Die gestützt auf den willkürfrei erstellten Sachverhalt vorgenommene rechtliche Würdigung der Vorinstanz ist schlüssig. Der Beschwerdeführer vermag mit dem Hinweis auf sein Besuchs- resp. Weisungsrecht gegenüber dem Sohn sowie der Behauptung angeblich einvernehmlicher Kontakte keine Verletzung von Bundesrecht zu begründen.  
 
3.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen, da sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege infolge Aussichtslosigkeit abzuweisen ist. Seinen finanziellen Verhältnissen ist bei der Kostenfestsetzung Rechnung zu tragen (Art. 64 Abs. 1, Art. 65 Abs. 1 und 2, Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 1'200.--. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 6. Oktober 2020 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt