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[AZA 1/2] 
4C.326/2001/rnd 
 
I. ZIVILABTEILUNG 
******************************* 
 
19. Februar 2002 
 
Es wirken mit: Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, 
Präsident, Corboz, Klett, Rottenberg Liatowitsch, Favre und 
Gerichtsschreiber Huguenin. 
 
--------- 
 
In Sachen 
Albert Kronig, Sandmattenstrasse 3, 3900 Brig, Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Advokat Peter Jossen-Zinsstag, Englisch-Gruss-Strasse 6, Postfach 395, 3900 Brig, 
 
gegen 
Stadtgemeinde Brig-Glis, 3902 Glis, Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Christian Perrig, Bahnhofstrasse 14, 3900 Brig, 
 
betreffend 
Zuständigkeit, hat sich ergeben: 
 
A.- Albert Kronig (Kläger) ist Eigentümer von Grundstücken am Ort "Wickert" auf dem Gebiet der Gemeinde Brig-Glis, welche im Norden an die Saltina grenzen. 
 
a) Im September 1993 liessen Unwetter die Saltina über die Ufer treten, wodurch in der Gemeinde Brig-Glis grosse Schäden angerichtet wurden. Auch die Grundstücke des Klägers wurden im Bereich des Flussbettes der Saltina mit Geschiebe überschwemmt. Der Gemeinderat von Brig-Glis setzte einen Krisenstab ein, der in erster Linie Sofortmassnahmen zum Schutze der Bevölkerung ergriff und die Gefahr eines weiteren Geschiebeschubs über die Sperre Napoleonsbrücke im "Grindji" zu reduzieren suchte, indem er verschiedene Geländekammern in diesem Gebiet ausräumen liess. 
 
In einem vom Krisenstab in Auftrag gegebenen Bericht vom 24. März 1994 forderte die Versuchsanstalt Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der ETH die Gemeinde Brig-Glis auf, nach einem beigelegten Plan maximal 20'000 m3 Geschiebe aus der Saltina zu entnehmen, und wies darauf hin, dass eine Geschiebebewirtschaftung auch längerfristig nötig sein werde. Der Krisenstab schrieb darauf den Abtransport des angeschwemmten Materials im Umfang von 20'000 m3 öffentlich aus. Nachdem der Kläger den Zuschlag für Abtrag und Abtransport erhalten hatte, führte er diese Arbeiten aus, wobei er den Grossteil des Materials seinen eigenen Grundstücken entnahm. Er stellte der Gemeinde am 13. September und 
17. November 1994 Rechnung, ohne für das aus den eigenen Grundstücken entnommene Material eine Entschädigung zu verlangen. 
Die Arbeit des Klägers ist nicht beanstandet und die beiden Rechnungen sind bezahlt worden. 
 
b) Aufgrund einer Ausschreibung schlossen die Gemeinde Brig-Glis und die Furka-Oberalp Bahn als Bestellerinnen am 14. Juni 1995 mit der Zenklusen Bau AG einen Werkvertrag über den Aushub und den Abtransport von Schüttmaterial im Umfang von 70'000 m3 aus der Saltina im Gebiet "Grindji". 
Nach den Projektplänen, an welche sich die Unternehmerin bei der Vertragserfüllung hielt, war die Gesamtmenge von 70'000 m3 teils aus den Parzellen des Klägers, teils aus dem eigentlichen Bachbett und teils aus Grundstücken Dritter zu entnehmen, wobei die jeweiligen Teilmengen aus den Plänen nicht ersichtlich sind. Im Auftrag des Klägers ermittelte ein Grundbuchgeometer in den Jahren 1993 und 1997 für die Grundstücke des Klägers eine Volumenverminderung von insgesamt 42'000 m3. Es ist indessen unbekannt, welche Menge vom Kläger 1994 und welche Menge von der Zenklusen Bau AG im folgenden Jahr abgeführt worden ist. 
 
c) Im Amtsblatt Nr. 6 vom 10. Februar 1995 legte die Gemeinde Brig-Glis das Projekt "Hochwasserschutz Saltina" zur öffentlichen Vernehmlassung auf. Zuvor hatte sie dem Kläger am 7. Februar 1995 mitgeteilt, der Gemeinderat habe beschlossen, für dieses Projekt das Enteignungsverfahren durchzuführen. Der Kläger liess sich dazu nicht vernehmen. 
Mit Entscheid vom 14. Mai 1996 genehmigte der Staatsrat auf Antrag der Gemeinde die Pläne für den "Hochwasserschutz Saltina, dringliche provisorische Sofortmassnahmen im Grindji" und erklärte alle in den genehmigten Ausführungsprojekten vorgesehenen Arbeiten als "Werk öffentlichen Nutzens". Er erteilte der Gemeinde das Enteignungsrecht sowie das Recht, die zu enteignenden Rechte vorzeitig in Besitz zu nehmen. Die Kantonale Schätzungskommission legte in der Folge am 13. November 1996 den Wert der zu enteignenden Parzellen des Klägers fest, wobei sie in diesem Entscheid bemerkte, die Angelegenheit müsse in einem privatrechtlichen Verfahren zwischen dem Enteigneten und der Gemeinde geregelt werden. Der Kläger reichte gegen den Entscheid eine Beschwerde ein, über die noch nicht entschieden worden ist. 
 
B.- Am 13. Mai 1998 machte der Kläger eine Forderungsklage gegen die Gemeinde Brig-Glis hängig mit folgenden Begehren: 
 
"1.Es schuldet die Stadtgemeinde Brig-Glis dem Kläger 
den Betrag von Fr. 521'274. 05 nebst Zins zu 
5 % seit dem 30. März 1998. 
 
2. Es bezahlt die Stadtgemeinde Brig-Glis die Kosten 
von Verfahren und Urteil. " 
 
Zur Begründung brachte der Kläger vor, die Beklagte habe auf seinen Grundstücken im "Wickert" ohne seine Einwilligung Kies im Wert des eingeklagten Betrages abgetragen. 
 
Mit Urteil vom 7. September 2001 trat das Kantonsgericht des Kantons Wallis auf die Klage nicht ein. Das Gericht erwog, der Eingriff der Beklagten in das Grundeigentum des Klägers sei polizeilich motiviert und die Höhe einer allfälligen Entschädigung bestimme sich nach dem Enteignungsrecht, weshalb keine zivilrechtliche Streitigkeit vorliege und die sachliche Zuständigkeit fehle. 
 
C.- Mit Berufung beantragt der Kläger dem Bundesgericht, das Urteil des Kantonsgerichts in Gutheissung seines Rechtsmittels aufzuheben. Er beanstandet, das Kantonsgericht habe in Verletzung von Bundesrecht verneint, dass es sich um eine Zivilstreitigkeit handle und sich zudem über eine konkludent zwischen den Parteien abgeschlossene Vereinbarung betreffend den Rechtsweg bzw. die Anwendbarkeit des Zivilrechts hinweggesetzt. 
 
Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- a) Die Berufung ist zulässig in Zivilsachen bzw. 
Zivilrechtsstreitigkeiten (Art. 44, 45 und 46 OG). Unter einer Zivilrechtsstreitigkeit versteht die Rechtsprechung ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei oder mehreren natürlichen oder juristischen Personen in ihrer Eigenschaft als Trägerinnen privater Rechte oder zwischen solchen Personen und einer Behörde, die nach Bundesrecht die Stellung einer Partei einnimmt. Entscheidend ist dabei, dass die Parteien nach ihren Rechtsbegehren und Sachvorbringen Ansprüche des Bundeszivilrechts erhoben haben und ebensolche objektiv streitig sind (Art. BGE 124 III 44 E. 1; 123 III 346 E. 1a). 
Als Zivilrechtsstreitigkeit gilt auch die Frage, ob bundesprivatrechtliche Ansprüche streitig sind (BGE 115 II 237 E. 1). 
 
Die Vorinstanz hat verneint, dass der Kläger nach seinen Sachvorbringen privatrechtliche Ansprüche einklagt, und angenommen, die eingeklagten Forderungen seien öffentlichrechtlicher Natur, während der Kläger die Ansicht vertritt, seine Ansprüche seien bundesprivatrechtlich; in diesem Sinne liegt hier eine Zivilrechtsstreitigkeit vor. 
 
b) Die Berufung ist in der Regel erst gegen Endentscheide der oberen kantonalen Gerichte oder sonstigen Spruchbehörden zulässig, die nicht durch ein ordentliches kantonales Rechtsmittel angefochten werden können (Art. 48 Abs. 1 OG). Ein Endentscheid liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn das kantonale Sachgericht über den im Streit stehenden Anspruch materiell entschieden oder dessen Beurteilung aus einem Grund abgelehnt hat, der endgültig verbietet, dass der gleiche Anspruch nochmals geltend gemacht wird (BGE 127 III 474 E. 1a; 126 III 445 E. 3b). Nichteintretensentscheide werden als Endentscheide im Sinne dieser Bestimmung betrachtet, falls sie einen Anspruch unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten endgültig beenden, auch wenn eine öffentlichrechtliche Subsumtion noch aussteht (Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 
5. Aufl. , N. 2c zu Art. 194; Hans Peter Walter in AJP 1993 S. 1022). Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz endgültig verneint, dass der Kläger einen privatrechtlichen Anspruch geltend machen kann. Die Voraussetzung des Endentscheids im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG ist somit gegeben. 
 
c) Da auch der gemäss Art. 46 OG erforderliche Streitwert erreicht wird, ist auf die Berufung einzutreten und zu prüfen, ob die Vorinstanz die privatrechtliche Natur der eingeklagten Ansprüche bundesrechtskonform verneint hat. 
 
2.- Der Kläger verlangt mit der eingeklagten Forderung Ersatz für den Wert des Materials, welches die Beklagte von seinen Grundstücken hat abtransportieren lassen. Er hält einerseits dafür, seine Forderung lasse sich auf die privatrechtlichen Grundsätze der ungerechtfertigten Bereicherung stützen und macht anderseits geltend, er habe den Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags zwischen den Prozessparteien behauptet. 
 
a) Die Abgrenzung bundesprivatrechtlicher Streitigkeiten von öffentlichrechtlichen ist in der Praxis kasuistisch geprägt (vgl. Corboz, Le recours en réforme au Tribunal fédéral, SJ 2000 II S. 19 f.; Münch, Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl. , Basel 1996, Rz. 4.8; Poudret, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, II, Bern 1990, Titre II N. 2.2). Es sind dafür verschiedene Theorien entwickelt worden, deren grundsätzliche Abgrenzungskriterien sich nicht ausschliessen und die im Einzelfall herangezogen werden, soweit sie sich am besten zur Lösung der konkreten Fragestellung eignen (vgl. BGE 126 III 431 E. 2c/bb; 120 II 412 E. 1b; 109 Ib 146 E. 1b). In Betracht fallen vornehmlich die auch Subjektionstheorie genannte Subordinationstheorie, welche das Gewicht auf die Gleich- oder Unterordnung der Beteiligten bzw. die Ausübung von hoheitlichem Zwang legt; daneben werden aber auch die Interessen- und Funktionstheorie herangezogen, die danach unterscheiden, ob private oder öffentliche Interessen verfolgt bzw. öffentliche Aufgaben erfüllt werden (Häfelin/Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 
3. Aufl. , Zürich 1998, S. 50 f.; Hans Huber, Berner Kommentar, N. 120 ff. zu Art. 6 ZGB; Poudret, a.a.O., Titre II N. 2.2). 
 
b) Nach den Feststellungen der Vorinstanz wurde die Beklagte als verantwortliches Gemeinwesen von den Fachstellen des Bundes aufgefordert, aus Sicherheitsgründen die Geschiebeauffangzonen im "Grindji" und damit auch im Gebiet der Grundstücke des Klägers zu räumen, um erneute Überschwemmungen zu verhindern. Gemäss den Erwägungen der Vorinstanz veranlasste die Beklagte die Entfernung des Materials zur Abwendung weiterer Hochwasser gestützt auf die Polizeiklausel. Dagegen wendet der Kläger nichts ein. Ist aber davon auszugehen, dass er seine Forderung gegen die Beklagte aus einem Eingriff in sein Grundeigentum ableitet, der von der Beklagten als zuständige öffentlichrechtliche Körperschaft in Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe - nämlich der Verhinderung von Schäden an Personen und Sachen durch weitere Hochwasser - zwangsweise vorgenommen wurde, liegt nach sämtlichen erwähnten Abgrenzungskriterien eine öffentlichrechtliche Streitigkeit vor. 
 
c) Die Vorinstanz hat somit die privatrechtliche Natur der eingeklagten Forderung bundesrechtskonform verneint. 
Soweit der Kläger behauptet, die Parteien hätten konkludent eine Vereinbarung über den Rechtsweg geschlossen, indem die Beklagte auf ein kantonales Rechtsmittel verzichtet habe, ist auf die Berufung nicht einzutreten. Damit rügt der Kläger keine Verletzung von Bundesrechtsnormen, sondern allenfalls von kantonalen Vorschriften des Organisations- und Prozessrechts, deren Anwendung im Berufungsverfahren nicht überprüft werden kann (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Soweit er schliesslich behauptet, er könne die eingeklagte Forderung aus einer von der Vorinstanz nicht beachteten übereinstimmenden Willenserklärung im Sinne von Art. 1 OR ableiten, ergänzt er in unzulässiger Weise den von der Vorinstanz verbindlich festgestellten Sachverhalt (Art. 63 Abs. 2 OG; vgl. zur Tragweite von Art. 8 ZGB: BGE 122 III 219 E. 3c mit Hinweisen). Auch auf diese Vorbringen kann nicht eingetreten werden. 
 
 
3.- Aus diesen Gründen ist die Berufung abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann, und das angefochtene Urteil zu bestätigen. 
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend ist die Gerichtsgebühr dem Kläger aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). 
Die durch einen Anwalt vertretene Beklagte ist vom Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Wallis (Zivilgerichtshof I) vom 7. September 2001 wird bestätigt. 
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 8'000.-- wird dem Kläger auferlegt. 
 
3.- Der Kläger hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 9'000.-- zu entschädigen. 
 
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht des Kantons Wallis (Zivilgerichtshof I) schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
Lausanne, 19. Februar 2002 
 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Der Gerichtsschreiber: