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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2C_634/2007 /zga 
 
Urteil vom 15. April 2008 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Müller, 
Bundesrichterin Yersin, 
Bundesrichter Karlen, 
nebenamtlicher Bundesrichter Locher, 
Gerichtsschreiber Matter. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Steuerverwaltung des Kantons Luzern, 
Kantonale Steuerverwaltung Waadt. 
 
Gegenstand 
Steuerdomizil 2004 (Art. 127 Abs. 3 BV, interkantonale Doppelbesteuerung), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 3. Oktober 2007. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ ist Landwirt, mit Y.________ verheiratet und Vater dreier Kinder. Er wohnte während Jahren in der Gemeinde B.________ LU. Am 23. Dezember 2003 meldete er sich von dort nach Lausanne ab. Für die Steuerperiode 2004 wurde er vom Kanton Waadt mit Veranlagungsverfügung vom 5. Dezember 2005 ermessensweise eingeschätzt. Die gestützt darauf geschuldeten Steuern bezahlte er. 
 
B. 
Mit Verfügung vom 24. April 2006 stellte die Steuerverwaltung des Kantons Luzern fest, das Hauptsteuerdomizil von X.________ befinde sich ab dem 1. Januar 2004 in der Gemeinde A.________ LU, wo seiner Ehefrau der Landwirtschaftsbetrieb W.________ gehört. Dagegen erhob X.________ erfolglos Einsprache und sodann Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern. 
 
C. 
Am 4. November 2007 hat X.________ "staatsrechtliche Beschwerde" beim Bundesgericht eingereicht. Er beantragt im Wesentlichen, den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 3. Oktober 2007 aufzuheben; es sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer in der Steuerperiode 2004 im Kanton Waadt steuerpflichtig war. 
 
D. 
Die Steuerverwaltung und das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern schliessen auf Abweisung der Beschwerde unter Verzicht auf eine Vernehmlassung. Die Steuerverwaltung des Kantons Waadt stellt keinen Antrag. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
41.1 Gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern betreffend die Feststellung der Steuerpflicht ab 1. Januar 2004 ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (vgl. Art. 82 lit. a in Verbindung mit Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Da das Bundesgericht seine Zuständigkeit bzw. die Zulässigkeit eines Rechtsmittels von Amtes wegen mit freier Kognition prüft (vgl. Art. 29 Abs. 1 BGG, BGE 133 I 185 E. 2 S. 188, mit Hinweisen), ist die unzutreffende Bezeichnung eines Rechtsmittels unerheblich und schadet dem Beschwerdeführer nicht, sofern - wie hier - seine Eingabe den für das richtigerweise gegebene Rechtsmittel geltenden formellen Erfordernissen genügt (vgl. BGE 133 I 300 E. 1.2 S. 302 f., mit Hinweisen). 
 
1.2 Im vorliegend zu entscheidenden interkantonalen Kompetenzkonflikt kann die bereits rechtskräftige Veranlagung des Kantons Waadt für die Steuerperiode 2004 mit angefochten werden (vgl. Art. 100 Abs. 5 BGG, BGE 131 I 145 E. 2.1 S. 145), obwohl sie kein Urteil im Sinne von Art. 86 BGG bildet (vgl. BGE 133 I 300 E. 2.4 S. 307, 308 E. 2.4 S. 313). Dabei prüft das Bundesgericht nicht von Amtes wegen, ob eine vom Beschwerdeführer nicht angefochtene konkurrierende Veranlagung das Verbot der Doppelbesteuerung verletzt (vgl. BGE 111 la 44 E. 1b S. 46, mit Hinweisen). Vorliegend richtet sich die Beschwerde auf den ersten Blick nur gegen den Kanton Luzern. Der Beschwerdeführer beantragt indessen allgemein eine verfassungsmässige Festlegung von Steuerdomizil und -hoheit für die massgebliche Periode. Aus der Art und Weise, wie er seine Rechtsbegehren formuliert und begründet hat, kann sinngemäss davon ausgegangen werden, dass er sich hilfsweise ebenfalls gegen die Waadtländische Veranlagung wendet. Deshalb muss diese als mitangefochten gelten und wurde der Kanton Waadt zur Stellungnahme aufgefordert. 
562. 
Vorab rügt der Beschwerdeführer (sinngemäss) eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 29 Abs. 2 BV). Es treffe nicht zu, dass die Luzerner Steuerverwaltung ihn nach seiner Einsprache (mit Schreiben vom 26. Juni 2006) zu einer Einspracheverhandlung vorgeladen und ihm gleichzeitig den "Fragebogen zur Ermittlung des steuerrechtlichen Wohnsitzes" für das Jahr 2004 zugestellt habe. Dass er der Vorladung ferngeblieben sei und den Fragebogen nicht ausgefüllt zurückgesandt habe, könne ihm somit nicht angelastet werden. Zu Unrecht sei er im Weiteren nicht persönlich angehört worden. 
 
Es ist tatsächlich nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer die genannte Vorladung und den Fragebogen nie erhalten hat. Aber er muss zumindest vom nachfolgenden Schreiben der Steuerverwaltung (vom 10. Juli 2006) Kenntnis gehabt haben. Darin verlangte die Steuerverwaltung den vollständig ausgefüllten Fragebogen und weitere sachdienliche Unterlagen zum Nachweis des effektiven Wohnsitzes; gleichzeitig begründete sie ihren Feststellungsentscheid betreffend Steuerdomizil in der Gemeinde A.________ ab 2004. Nachdem der Beschwerdeführer auf dieses Schreiben ebenso wenig reagierte wie auf jenes vom 26. Juni 2006, wies die Steuerverwaltung die Einsprache mit Entscheid vom 25. September 2006 ab. 
 
In seiner Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hat der Beschwerdeführer nicht behauptet, er habe das Schreiben vom 10. Juli 2006 nie erhalten; im Übrigen hat er sich implizit darauf bezogen. Aufgrund dieser Mahnung musste der Beschwerdeführer wissen, dass er einen Fragebogen zur Ermittlung des Wohnsitzes hätte ausfüllen sollen. Auch war er zur Mitwirkung verpflichtet. Von einer Gehörsverletzung kann somit keine Rede sein. Vielmehr hat es sich der Beschwerdeführer selbst zuzuschreiben, wenn er behördlichen Aufforderungen zur Sachverhaltsaufklärung pflichtwidrig keine Folge leistete. Auch die Rüge, er sei nie persönlich angehört worden, ist unbegründet, ergibt sich doch ein Recht auf mündliche Anhörung im Veranlagungs- oder im Rechtsmittelverfahren weder aus Art. 29 Abs. 2 BV noch aus dem kantonalen Steuergesetz (vgl. u.a. StE 2004 A 21.13 Nr. 6 E. 2.3.2; siehe auch BGE 130 II 425 E. 2.1 S. 428 f., mit Hinweisen). 
 
 
 
3. 
Eine gegen Art. 127 Abs. 3 BV verstossende Doppelbesteuerung liegt vor, wenn eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das gleiche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird (aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung). Ausserdem darf ein Kanton eine steuerpflichtige Person grundsätzlich nicht deshalb stärker belasten, weil sie nicht im vollem Umfang seiner Steuerhoheit untersteht, sondern zufolge ihrer territorialen Beziehungen auch noch in einem anderen Kanton steuerpflichtig ist (Schlechterstellungsverbot, vgl. BGE 132 I 29 E. 2.1 S. 31 f.; 131 I 285 E. 2.1 S. 286; ASA 74, 684 E. 2.1 S. 685, je mit Hinweisen). 
 
Im vorliegenden Fall wird das Hauptsteuerdomizil des Beschwerdeführers vom 1. Januar 2004 an sowohl vom Kanton Waadt, wo er rechtskräftig eingeschätzt ist, als auch aufgrund des angefochtenen Entscheids vom Kanton Luzern beansprucht. Daraus ergibt sich für die Steuerperiode 2004 eine aktuelle Doppelbesteuerung. 
 
4. 
4.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 127 Abs. 3 BV ist der steuerrechtliche Wohnsitz (Hauptsteuerdomizil) einer unselbständig erwerbenden Person derjenige Ort, wo sich die betreffende Person mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält bzw. wo sich der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befindet (vgl. Art. 23 Abs. 1 ZGB; Art. 3 Abs. 2 DBG; Art. 3 Abs. 2 StHG; neuerdings BGE 132 I 29 E. 4.1 S. 35 f.). Dieser Mittelpunkt der Lebensinteressen bestimmt sich nach der Gesamtheit der objektiven, äusseren Umstände, aus denen sich diese Interessen erkennen lassen, nicht nach den bloss erklärten Wünschen der steuerpflichtigen Person. Auf die gefühlsmässige Bevorzugung eines Ortes kommt es nicht an; der steuerrechtliche Wohnsitz ist insofern nicht frei wählbar. Dem polizeilichen Domizil, wo die Schriften hinterlegt sind oder wo die politischen Rechte ausgeübt werden, kommt dagegen keine entscheidende Bedeutung zu; das sind bloss äussere Merkmale, die ein Indiz für den steuerrechtlichen Wohnsitz bilden können, wenn auch das übrige Verhalten der Person dafür spricht (vgl. statt vieler: BGE 132 I 29 E. 4.1 S. 36). Wenn sich eine Person abwechslungsweise an zwei Orten aufhält, namentlich wenn ihr Arbeitsort und ihr sonstiger Aufenthaltsort auseinanderfallen, ist für die Bestimmung des steuerrechtlichen Wohnsitzes darauf abzustellen, zu welchem Ort sie die stärkeren Beziehungen unterhält. Bei unselbständig erwerbenden Steuerpflichtigen ist das gewöhnlich der Ort, wo sie für längere oder unbestimmte Zeit Aufenthalt nehmen, um von dort aus der täglichen Arbeit nachzugehen, ist doch der Zweck des Lebensunterhalts dauernder Natur. Die Frage, zu welchem der Aufenthaltsorte die steuerpflichtige Person die stärkeren Beziehungen unterhält, ist jeweils aufgrund der Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. BGE 132 I 29 E. 4.2 S. 36 f. mit Hinweisen). 
 
Bei verheirateten Personen mit Beziehungen zu mehreren Orten werden die persönlichen und familiären Kontakte zum Ort, wo sich ihre Familie (Ehegatte und Kinder) aufhält, als stärker erachtet als diejenigen zum Arbeitsort, wenn sie in nicht leitender Stellung unselbständig erwerbstätig sind und täglich oder an den Wochenenden regelmässig an den Familienort zurückkehren. Demnach unterstehen verheiratete Pendler oder Wochenaufenthalter grundsätzlich ausschliesslich der Steuerhoheit desjenigen Kantons, in dem sich ihre Familie aufhält (vgl. BGE 132 I 29 E. 4.2 und 4.3 S. 36 f., mit Hinweisen). 
 
4.2 Auf den 1. Januar 2004 hat der Beschwerdeführer sein bisheriges Hauptsteuerdomizil in B.________ aufgegeben. Er behauptet eine Wohnsitzverlegung nach Lausanne, wofür er gemäss den allgemeinen Verfahrensregeln den Nachweis zu erbringen hat. Nach denselben Regeln hat die Steuerbehörde dagegen ihre Auffassung zu belegen, der Beschwerdeführer habe sein Hauptsteuerdomizil nur in die Nachbargemeinde A.________ verlegt, wo er aufgrund des Landwirtschaftsbetriebs seiner Ehefrau schon immer teilweise steuerpflichtig war (vgl. u.a. Pra 2000 Nr. 7 S. 29 E. 3c). 
 
4.3 In A.________ scheinen sich die Ehefrau des Beschwerdeführers und die drei Kinder überwiegend aufzuhalten. Der Beschwerdeführer behauptet zwar, er lebe seit dem 22. Dezember 1994 von seiner Ehefrau getrennt, womit für ihn diese "Familienniederlassung" nicht mehr den Lebensmittelpunkt bilde. Entsprechend gab er auf der dem Kanton Bern eingereichten Steuererklärung 2005 beim Zivilstand "Verheiratet/getrennt" an. Dies hinderte ihn allerdings nicht, in einem undatierten, bei der Steuerverwaltung des Kantons Luzern am 10. Juni 2005 eingegangenen Schreiben im Namen der Eheleute X.________ und Y.________ zu intervenieren. Auch die von der Agro Treuhand erstellten Buchhaltungsakten für die Steuerperiode 2003, welche vom Beschwerdeführer am 12. September 2005 unterzeichnet wurden, geben als Absender "X.________-Y.________, W.________," an. Offenbar war der Beschwerdeführer immer noch häufig an dieser "Familienniederlassung" anzutreffen. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer eine Tätigkeit als Rinderbesamer auf Teilzeitbasis ausübte, seit Juli 2005 zusammen mit Partnern, auf eigene Rechnung und mit Geschäftsadresse in A.________. Schliesslich hilft der Beschwerdeführer anerkanntermassen seinem Sohn auf dem Landwirtschaftsbetrieb in B.________ aus, der sich nur wenige Kilometer vom Hof W.________ befindet. Unter diesen Umständen und angesichts der fehlenden Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers bei der Ermittlung seines effektiven Steuerdomizils (vgl. oben E. 2) ist der Schluss der Vorinstanz nicht zu beanstanden, sein steuerrechtlicher Wohnsitz sei ab dem 1. Januar 2004 A.________ gewesen. Dagegen vermögen die Indizien, die für einen Lebensmittelpunkt in Lausanne sprechen, keineswegs aufzukommen. Die Hinterlegung der Schriften ist nicht entscheidend (vgl. oben E. 4.1). Im Weiteren kann diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (vgl. E. 3c des angefochtenen Entscheids). 
 
5. 
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde gegen den Kanton Luzern als unbegründet und ist abzuweisen. Hingegen ist die implizit gegenüber dem Kanton Waadt miterhobene Beschwerde gutzuheissen. Die Verfügung der Steuerverwaltung des Kantons Waadt vom 5. Dezember 2005 ist aufzuheben. Die rechtskräftig erhobenen Staats- und Gemeindesteuern sind dem Beschwerdeführer zurückzuerstatten. 
 
6. 
Bei diesem Verfahrensausgang werden die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer, der mit seinem Hauptantrag nicht durchdringt, auferlegt (Art. 65 f. BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Kanton Luzern wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Kanton Waadt wird gutgeheissen, und die Veranlagungsverfügung vom 5. Dezember 2005 für die Steuerperiode 2004 wird aufgehoben. Die bereits bezogenen Staats- und Gemeindesteuern sind zurückzuerstatten. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Steuerverwaltung des Kantons Luzern, der Kantonalen Steuerverwaltung Waadt und dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 15. April 2008 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Merkli Matter