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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.334/2006 /hum 
 
Sitzung vom 7. Dezember 2006 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen, Zünd, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Parteien 
S.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Nideröst, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau. 
 
Gegenstand 
Erleichtern der illegalen Einreise in die Schweiz 
(Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, vom 26. Mai 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
S.________ von Serbien-Montenegro erhielt von seinem Bruder einen Anruf, er habe in Basel in die Schweiz einreisen wollen, die Grenzwache habe ihn jedoch zurückgewiesen. Daraufhin veranlasste S.________, der die Schweiz nicht verlassen durfte, seinen Bruder, sich nach Säckingen zu begeben. Er selbst fuhr mit seinem Fahrzeug von Zürich nach Reinach AG, wo er einen Cousin mitnahm. In Stein AG angekommen, ging dieser zu Fuss über die Grenze und traf dort den Bruder von S.________. Nach etwa einer Stunde kamen die beiden über die grüne Grenze zurück, wobei der Cousin vorausging und der Bruder von S.________ in einem Abstand von etwa 20 m folgte. Beim Migros-Parkplatz, wo S.________ gewartet hatte, wurden sie von der Grenzwache angehalten. Der Bruder von S.________ trug zwar gültige Ausweispapiere auf sich, hatte jedoch kein Visum für die Schweiz. 
B. 
Das Bezirksgericht Rheinfelden verurteilte S.________ am 11. Mai 2005 wegen Erleichterns der illegalen Einreise in die Schweiz (Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG) zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 5 Tagen. 
 
Eine Berufung des Verurteilten wies das Obergericht des Kantons Aargau am 26. Mai 2006 ab. 
C. 
S.________ führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau haben auf eine Vernehmlassung verzichtet (act. 5 und 8). 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Gemäss Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft, wer unter anderem im Inland die rechtswidrige Einreise erleichtert. Mit dieser Strafe kann Busse bis zu 10'000 Franken verbunden werden; in leichten Fällen kann auch nur auf Busse erkannt werden (Abs. 1 letzter Satz). 
Der Beschwerdeführer stellt nicht in Frage, seinem Bruder die rechtswidrige Einreise erleichtert zu haben. Er beanstandet jedoch, die Vorinstanz hätte sein Verhalten als leichten Fall qualifizieren müssen. 
2. 
Der Begriff des "leichten Falles" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, welcher der richterlichen Auslegung bedarf. Die Abgrenzung des leichten Falles vom Grunddelikt allein nach objektiven Kriterien dürfte schwierig sein und wäre mit den Grundstrukturen des Strafrechts nicht vereinbar: Art. 23 Abs. 1 letzter Halbsatz ANAG sieht als Strafzumessungsregel faktisch Strafmilderung nach freiem Ermessen vor. Würde die Abgrenzung des leichten Falles allein unter objektivem Gesichtspunkt vorgenommen, würde die für die Strafzumessung gerade wesentliche subjektive Komponente ausgeklammert. Deshalb wird auch in Bezug auf andere Tatbestände, welche Strafmilderung für leichte Fälle vorsehen, auf die Gesamtheit der objektiven und der subjektiven Umstände abgestellt (zu Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB: BGE 127 IV 59 E. 2a/bb; zu Art. 251 Ziff. 2 StGB: BGE 114 IV 126 E. 2c; zu Art. 19a Ziff. 1 und 2 BetmG: BGE 124 IV 184 E. 3a). 
 
Bei der Beurteilung, ob ein leichter Fall vorliegt, verfügt der Sachrichter über einen weiten Ermessensspielraum (BGE 129 IV 1 E. 3.2; 124 IV 184 E. 3a). 
2.1 Unter Hinweis auf BGE 112 IV 121 kommt die Vorinstanz zum Schluss, dass der Mitwirkung von Drittpersonen bei der rechtswidrigen Ein- oder Ausreise (Erleichterung, Vorbereitung im In- und Ausland) im Grundsatz ein wesentlich gravierenderer Unrechts- und Schuldgehalt zukomme als der Erleichterung des rechtswidrigen Aufenthalts (angefochtener Entscheid S. 9 Ziff. 2.2 Abs. 2 am Ende). 
 
Der erwähnte Entscheid lässt einen solch allgemeinen Schluss nicht zu. Das Bundesgericht führt dort zwar unter anderem aus, neben der Erleichterung des rechtswidrigen Aufenthalts wiesen die anderen fremdenpolizeilichen Widerhandlungen des Art. 23 Abs. 1 ANAG grösstenteils einen wesentlich gravierenderen Unrechts- und Schuldgehalt auf. Nur schon die Formulierung "grösstenteils" macht jedoch klar, dass nicht alle anderen dort genannten Widerhandlungen schwerer wiegen. Namentlich werden bloss das Herstellen und Vermitteln falscher Ausweise sowie das Leisten von Helferdiensten ("Schlepper") aus Gewinnsucht genannt. Im Übrigen wird in der Literatur die Einreise eines Ausländers, der zwar kein Visum für die Schweiz, aber gültige Ausweispapiere besitzt und gegen den keine Einreisesperre besteht, als leichter Fall qualifiziert (Valentin Roschacher, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (ANAG), Diss. Zürich 1991, S. 73 Ziff. 2; Minh Son Nguyen, Droit public des étrangers, Bern 2003, S. 671 Ziff. 2.2). 
 
Ob das Erleichtern der Einreise generell schwerer wiegt als das Erleichtern des rechtswidrigen Aufenthalts ist aber nicht die entscheidende Frage. Vielmehr ist bei jeder Tatbestandsvariante des Art. 23 Abs. 1 ANAG zu prüfen, ob aufgrund der konkreten objektiven und subjektiven Umstände ein leichter Fall gegeben ist oder nicht (E. 2). 
2.2 In der Lehre wird angenommen, eine Einreise mit gültigem Ausweispapier, aber ohne erforderliches Visum könne noch als leichter Fall qualifiziert werden (Valentin Roschacher, a.a.O., S. 73 Ziff. 2; Minh Son Nguyen, a.a.O., S. 671 Ziff. 2.2). Beim Beschwerdeführer kommt jedoch erschwerend hinzu, dass seinem Bruder die Einreise in die Schweiz explizit verweigert worden ist und er in der Folge einen erheblichen Aufwand betrieb, damit sein Bruder dennoch illegal in die Schweiz kommen konnte. So nahm er von Zürich aus den Umweg über Reinach AG auf sich, um dort einen Cousin mitzunehmen, der seinen Bruder in Deutschland treffen durfte. Zudem organisierte er einen weiteren Cousin in Deutschland, der seinen Bruder nach Säckingen brachte. 
 
Auf der subjektiven Seite ist zugunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass er nicht etwa aus finanziellen, sondern rein familiären Interessen handelte. Erschwerend fällt jedoch ins Gewicht, dass er im September 1997 wegen illegaler Einreise in die Schweiz zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 21 Tagen verurteilt worden war und somit im Wissen um die möglichen Konsequenzen tätig wurde. 
 
Unter diesen Umständen, welche die Vorinstanz im Rahmen der Strafzumessung alle erwähnt, und angesichts des weiten Ermessensspielraums (E. 2 Abs. 2) durfte die Vorinstanz einen leichten Fall verneinen, ohne ihr Ermessen zu überschreiten. 
2.3 Der Beschwerdeführer bringt vor, sein Bruder habe ihn dazu gedrängt, ihm bei der Einreise behilflich zu sein, weil er nach Jahren der Trennung ihn und seine Familie unbedingt wieder habe sehen wollen, insbesondere dessen Sohn, den er während des Krieges als Baby auf den Händen tragend in Sicherheit gebracht habe. Zudem habe der Beschwerdeführer angenommen, wenn sein Bruder zu einem Aufenthalt in Deutschland berechtigt gewesen sei, stehe ihm auch die Einreise in die Schweiz offen. 
Mit diesen Vorbringen widerspricht der Beschwerdeführer den vorinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen oder ergänzt diese, was im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde nicht zulässig ist (Art. 273 Abs. 1 lit. b und Art. 277bis Abs. 1 BStP). 
 
Die übrigen Ausführungen in der Beschwerdeschrift rechtfertigen keinen abweichenden Entscheid. 
3. 
Nach dem Gesagten ist die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 7. Dezember 2006 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: