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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 21/03 
 
Urteil vom 29. August 2003 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin Keel Baumann 
 
Parteien 
S.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat André Sieber, Bahnhofstrasse 5, 3900 Brig, 
 
gegen 
 
Kantonale IV-Stelle Wallis, Bahnhofstrasse 15, 1950 Sitten, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Kantonales Versicherungsgericht des Wallis, Sitten 
 
(Entscheid vom 25. November 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1961 geborene S.________ wuchs ohne Schulbildung auf. 1988 reiste er in die Schweiz ein, wo er verschiedene unqualifizierte Hilfsarbeiten verrichtete. Am 20. Januar 1999 brach er auf dem Weg zur Arbeit zusammen, wobei die Ärzte als Ursache eine koronare Herzkrankheit vermuteten. Seither ist er keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. 
 
Am 18. November 1999 meldete sich S.________ bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug (berufliche Massnahmen, Rente) an. Die IV-Stelle Wallis veranlasste Abklärungen in medizinischer und beruflicher Hinsicht. Die von ihr mit einer Begutachtung beauftragte Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) des Spitals X.________ hielt - wie bereits zuvor verschiedene Ärzte - fest, dass eine verlässliche Diagnose nicht möglich sei, wenn sich der Versicherte weiterhin weigere, eine Koronarographie vornehmen zu lassen; dieser Untersuch sei für die Gesundheit des Versicherten absolut indiziert, da eine potentielle Behandlungsmöglichkeit bestehe (Gutachten der MEDAS des Spitals X.________ vom 30. Juli 2001). Dies teilte die IV-Stelle dem Versicherten am 10. Januar 2002 mit unter Hinweis darauf, dass Leistungen verweigert würden, falls die Untersuchung nicht innert 30 Tagen eingeleitet werde. Mit Verfügung vom 18. Februar 2002 lehnte die IV-Stelle das Leistungsbegehren ab, nachdem Dr. med. E.________, Innere Medizin FMH, Kardiologie FMH, Leitender Arzt an der Medizinischen Klinik Y.________, ihr am 30. Januar 2002 mitgeteilt hatte, dass S.________ den Eingriff erneut abgelehnt habe. 
B. 
Das Kantonale Versicherungsgericht des Wallis wies die von S.________ hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 25. November 2002 und ein von ihm gestelltes Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung mit Entscheid vom 21. November 2002 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ das Rechtsbegehren stellen, der kantonale Entscheid und die Verwaltungsverfügung seien aufzuheben und es seien ihm Leistungen zuzusprechen; eventualiter sei die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen zwecks Vervollständigung der Untersuchung. Im Weitern sei ihm sowohl für das vor- als auch für das letztinstanzliche Verfahren die unentgeltliche Verbeiständung zu bewilligen. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 18. Februar 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar. 
1.2 Nach Art. 4 Abs. 1 IVG gilt als Invalidität die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden als Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit. 
1.3 Gemäss Art. 10 Abs. 2 IVG ist der Anspruchsberechtigte verpflichtet, die Durchführung aller Massnahmen, die zu seiner Eingliederung ins Erwerbsleben getroffen werden, zu erleichtern (Satz 1). Die Versicherung kann ihre Leistungen einstellen, wenn der Anspruchsberechtigte die Eingliederung erschwert oder verunmöglicht (Satz 2). Gegenstand der sich im Rahmen dieser Bestimmung auf Eingliederungsmassnahmen und Taggelder beziehenden Sanktion kann nur eine Eingliederungsmassnahme oder eine sich auf die Eingliederung beziehende Abklärungsmassnahme sein, welche für den Versicherten unter Berücksichtigung seiner Verhältnisse - objektiv betrachtet - zumutbar ist (ZAK 1985 S. 325 [zu Art. 31 IVG]; Meyer-Blaser, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 133 ff., insbesondere S. 138 ff.; derselbe, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], Zürich 1997, S. 70 f.). Für das Rentenrecht sieht Art. 31 Abs. 1 IVG vor, dass, wenn sich ein Versicherter einer angeordneten zumutbaren Eingliederungsmassnahme, die eine wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit erwarten lässt, entzieht oder widersetzt oder wenn er nicht aus eigenem Antrieb das ihm Zumutbare zur Verbesserung der Erwerbsfähigkeit beiträgt, ihn die Versicherung zur Mitwirkung bei der Eingliederung auffordert, unter Ansetzung einer angemessenen Frist und Androhung der Säumnisfolgen (Satz 1). Befolgt der Versicherte die Aufforderung nicht, wird ihm die Rente vorübergehend oder dauernd verweigert oder entzogen (Satz 2). 
Nach der Rechtsprechung sind die in Art. 31 Abs. 1 IVG statuierten formellen (verfahrensmässigen) Voraussetzungen auch im Rahmen von Art. 10 Abs. 2 IVG zu beachten, so dass die Verwaltung gegenüber einem Eingliederungsmassnahmen ablehnenden Versicherten die Verweigerung oder den Entzug der Leistungen erst nach durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren verfügen darf. Das Mahn- und Bedenkzeitverfahren muss in jedem Fall durchgeführt werden, d.h. auch wenn der Versicherte eine konkrete zumutbare Eingliederungsmassnahme unmissverständlich abgelehnt hat; es kann nicht durch den blossen Hinweis auf die Möglichkeit einer späteren Neuanmeldung ersetzt werden (BGE 122 V 218). 
Sowohl im Rahmen von Art. 10 Abs. 2 IVG als auch von Art. 31 Abs. 1 IVG gilt, dass kein Leistungsentzug erfolgen darf, wenn sich der Versicherte aus psychogenen Gründen, die Krankheitswert haben (Art. 4 Abs. 1 IVG), weigert, zu einer angeordneten Massnahme Hand zu bieten (EVGE 1962 S. 45 Erw. 2; Meyer-Blaser, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], Zürich 1997, S. 71 und 241). 
1.4 Gemäss Art. 73 IVV kann die IV-Stelle, unter Ansetzung einer angemessenen Frist und Darlegung der Säumnisfolgen, aufgrund der Akten beschliessen, wenn Versicherte schuldhaft eine Begutachtung (Art. 69 Abs. 2 IVV) verweigern (BGE 111 V 222 Erw. 1, 107 V 28 Erw. 3). 
2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die IV-Stelle das Leistungsbegehren ablehnen durfte, nachdem der Versicherte sich ihrer Aufforderung, sich der vorgeschlagenen Koronarographie - eine radiologische Untersuchung, bei der die Herzgefässe (Koronarien) bildlich dargestellt werden - zu unterziehen, trotz Androhung dieser Folge und Einräumung einer Bedenkzeit widersetzt hat. 
2.1 Aufgrund der Akten steht fest, dass die nach einhelliger Auffassung der Ärzte zur Abklärung des medizinischen Sachverhaltes (insbesondere der Behandlungsmöglichkeiten) unerlässliche Koronarographie dem 1961 geborenen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Verhältnisse, objektiv betrachtet, zumutbar wäre, dies namentlich mit Blick darauf, dass es dabei um einen sehr oft durchgeführten und objektiv nicht schweren, mit keiner besonderen Gefahr für Leib und Leben verbundenen Untersuch handelt. 
 
Im Weitern lässt sich dem Psychiatrischen Teilgutachten der MEDAS vom 9. Juli 2001 entnehmen, dass die Weigerung des Versicherten, zur vorgeschlagenen Abklärungsmassnahme Hand zu bieten, nicht einer psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert zuzuschreiben ist. An der Richtigkeit dieser fachärztlichen Einschätzung vermag nichts zu ändern, dass der Versicherte - subjektiv - im Eingriff eine Gefahr für sein Leben erblickt und in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom Vorliegen einer Neurose im weitesten Sinn gesprochen wird. Nichts anderes ergibt sich - entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung - auch aus dem Gutachten des Spitals X.________ vom 30. Juli 2001, in welchem zwar von einer "psychischen Komponente [...] mit Angst vor der Erkrankung als auch vor der Klarheit verschaffenden Untersuchung" die Rede ist, dieser indessen - in Übereinstimmung mit dem Teilgutachten vom 9. Juli 2001 - kein Krankheitswert zugeschrieben wird. 
2.2 Das Schreiben der IV-Stelle vom 10. Januar 2002 erfüllt schliesslich auch die im Rahmen von Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 IVG zu beachtenden verfahrensrechtlichen Erfordernisse: Der Beschwerdeführer wurde schriftlich ermahnt, sich der medizinisch indizierten Koronarographie zu unterziehen, und, unter Einräumung einer angemessenen Bedenkzeit (30 Tage), auf die Folgen seiner Widersetzlichkeit aufmerksam gemacht. 
2.3 Sind somit die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Leistungsverweigerung gestützt auf Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 IVG erfüllt, ist die ablehnende Verfügung der IV-Stelle - wie bereits die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat - nicht zu beanstanden. 
Selbst wenn man davon ausginge, dass es sich bei der angeordneten Begutachtung um eine reine Abklärungsmassnahme, die in keinem Zusammenhang mit der Eingliederung steht, handelte, sodass die Bestimmung des Art. 73 IVV - anstelle von Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 1 IVG - zum Zuge käme (vgl. BGE 97 V 173), führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch unter diesem Titel hätte die Verwaltung bei der im Rahmen von Art. 73 IVV gebotenen Prüfung anhand der Aktenlage den Anspruch auf eine Rente verneinen dürfen, da ein invalidisierendes Leiden aufgrund der Unterlagen nicht erstellt ist (vgl. dazu auch Meyer-Blaser, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 137). 
3. 
3.1 Auf den Antrag betreffend die unentgeltliche Verbeiständung im kantonalen Verfahren (Art. 69 IVG in Verbindung mit Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG) ist ohne weiteres einzutreten, da der entsprechende Zwischenentscheid - wie der Endentscheid - am 27. November 2002 zugestellt worden ist und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mithin auch in diesem Punkt rechtzeitig erfolgt ist (Art. 106 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 132 OG). Das kantonale Gericht hat indessen in nicht zu beanstandender Weise festgehalten, dass eine anwaltliche Vertretung nicht geboten war, weil nicht eine komplizierte oder umfangreiche Streitsache zu beurteilen war, sodass es an einer Voraussetzung für die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung (hiezu BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen) fehlte. 
3.2 Da es um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht kostenlos (Art. 134 OG). 
3.3 Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung muss auch für den letztinstanzlichen Prozess abgewiesen werden, da - wie im kantonalen Verfahren - eine anwaltliche Vertretung nicht erforderlich und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zudem angesichts der klaren medizinischen Aktenlage als aussichtslos zu bezeichnen war (vgl. dazu BGE 128 I 236 Erw. 2.5.3, 125 II 275 Erw. 4b, 124 I 306 Erw. 2c mit Hinweis). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonalen Versicherungsgericht des Wallis, der Ausgleichskasse des Kantons Wallis und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 29. August 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: