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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_54/2023  
 
 
Urteil vom 12. Oktober 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Allgemeine Abteilung, Beckenstube 5, 8200 Schaffhausen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Krumm, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung und Durchsuchung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Schaffhausen, Zwangsmassnahmengericht, Einzelrichterin, vom 24. Februar 2023 (2023/26-45-sg). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ betreffend Vergehen und/oder Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Im Zusammenhang mit dieser Untersuchung wurde unter anderem ein Mobiltelefon von A.________ sichergestellt, dessen Siegelung beantragt wurde. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 6. Januar 2023 beantragte die Staatsanwaltschaft die Entsiegelung des sichergestellten Mobiltelefons. Mit Verfügung vom 24. Februar 2023 wies das Kantonsgericht des Kantons Schaffhausen, Zwangsmassnahmengericht, das Gesuch um Entsiegelung des Mobiltelefons ab und ordnete die Herausgabe des sichergestellten Mobiltelefons nach ungenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist an. 
 
C.  
Dagegen erhob die Staatsanwaltschaft mit Eingabe vom 31. März 2023 beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, die angefochtene Verfügung aufzuheben und ihr Entsiegelungsgesuch gutzuheissen, eventualiter die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Mit Schreiben vom 18. April 2023 hat die Vorinstanz eine Vernehmlassung eingereicht. Mit Eingabe vom 28. April 2023 hat der Beschwerdegegner eine Beschwerdeantwort und eine Kostennote eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein Entscheid über die Entsiegelung von Datenträgern, die in einem strafprozessualen Untersuchungsverfahren in Anwendung von Art. 246 ff. StPO sichergestellt wurden. Die Vorinstanz hat gemäss Art. 248 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 380 StPO als einzige kantonale Instanz entschieden, weshalb die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offensteht. Die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft ist grundsätzlich zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 3 BGG).  
 
 
1.2. Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren nicht ab. Er kann deshalb nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 und Art. 93 BGG angefochten werden. Danach ist die Beschwerde insbesondere zulässig, wenn der angefochtene selbstständig eröffnete Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Nach der Rechtsprechung ist ein solcher gegeben, wenn der Staatsanwaltschaft durch die Ablehnung ihres Entsiegelungsgesuchs ein empfindlicher Beweisverlust droht (Urteil 1B_395/2022 vom 23. Juni 2023 E. 1 mit Hinweis). Ob diese Voraussetzung vorliegend erfüllt ist, erscheint fraglich, kann aber dahingestellt bleiben, da die Beschwerde ohnehin abzuweisen ist.  
 
1.3. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde angeführten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 145 V 215 E. 1.1). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 143 IV 330 E. 2.1).  
 
2.  
Die Vorinstanz hält zusammengefasst fest, das sichergestellte Mobiltelefon sei von der Schaffhauser Polizei in einen wiederverschliessbaren, durchsichtigen Plastikbeutel mit Druckverschluss gelegt worden. Der obere Teil des Beutels sei umgeschlagen und mit einer amtlichen Siegel-Klebeetikette an den unteren Teil des Beutels geklebt worden. Durch einen Schlitz in der Öffnung des Plastikbeutels (und unter der Siegel-Klebeetikette hindurch) rage ein iPhone-Ladekabel mit USB-Stecker heraus, welches an das iPhone im Beutel angeschlossen sei. 
Die Vorinstanz erwägt, durch die Siegelung eines Mobiltelefons in einem durchsichtigen Plastikbeutel werde nicht abschliessend gewährleistet, dass nicht unbemerkt vom Inhalt des Mobiltelefons Kenntnis genommen werde, zumal das Mobiltelefon durch den Plastikbeutel hindurch eingesehen und grundsätzlich - wenn auch erschwert - bedient werden könne (was mit einem eigenen Mobiltelefon in einem ähnlichen Plastikbeutel getestet worden sei). Zwar habe der Beschwerdeführer vorliegend den Strafverfolgungsbehörden den Sicherheitscode nicht preisgegeben, weshalb ein einfaches Bedienen des Mobiltelefons durch den Plastikbeutel hindurch ohne Sicherheitscode ausgeschlossen erscheine. Der aus dem Plastikbeutel herausragende USB-Stecker könne jedoch ohne Weiteres in ein anderes Gerät eingesteckt werden. Das Mobiltelefon könne über das iPhone-Ladekabel nicht nur aufgeladen werden, sondern damit sei auch der Transfer von Daten möglich. Daher erscheine auch eine unbemerkte Entschlüsselung des Sicherheitscodes vor der Entsiegelung nicht mehr als ausgeschlossen, da diese unbemerkt vorgenommen werden könnte, ohne hierbei das amtliche Siegel in Form der angebrachten Klebeetikette zu beschädigen. 
Angesichts dieser Feststellungen gelangt die Vorinstanz zum Schluss, dass eine ungenügende Siegelung vorliege. Bei den Vorschriften zur Siegelung handle es sich um Gültigkeitsvorschriften (und nicht blosse Ordnungsvorschriften). Der Beschuldigte werde sodann lediglich eines Vergehens (und nicht eines Verbrechens) beschuldigt, womit keine schwere Straftat im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO vorliege. Angesichts des mangelhaft gesiegelten Mobiltelefons müsse daher von einem offensichtlichen strafprozessualen Verwertungsverbot im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO ausgegangen werden, weshalb das Entsiegelungsgesuch abzuweisen sei. 
 
3.  
Die Staatsanwaltschaft bestreitet zunächst, dass eine ungenügende Siegelung vorliege. 
 
3.1. Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, die gewählte Siegelungsmethode gewährleiste nicht, dass nicht unbemerkt auf die gesiegelten Datenträger zugegriffen werden könne. Die Staatsanwaltschaft bestreitet dies nicht, sondern gesteht ausdrücklich ein, dass es "rein hypothetisch möglich wäre, an die Daten des Mobiltelefons heranzukommen".  
 
3.2. Die Staatsanwaltschaft rügt indessen, entgegen der Annahme des Zwangsmassnahmengerichts sei keine andere Methode denkbar, um eine fortwährende Stromversorgung des sichergestellten Mobiltelefons zu gewährleisten. Eine solche sei indessen notwendig, um einen unwiderruflichen Beweisverlust zu verhindern, da bei einem stromlosen Zustand des Mobiltelefons respektive einem späteren Neustart desselben gewisse Daten (insb. Log- oder Protokollfiles) verloren gingen. Es stelle sich daher die Frage, welche Interessen höher zu gewichten seien: Der Untersuchungsgrundsatz nach Art. 6 StPO und mithin die Erforschung der materiellen Wahrheit oder der Anspruch der beschuldigten Person auf die Ausschliessbarkeit jeder hypothetischen Möglichkeit, dass die Strafverfolgungsbehörden vor einer Entsiegelung Kenntnis vom Inhalt des gesiegelten Mobiltelefons erhalten würden. Es erscheine sodann als geradezu stossend, dass Polizei und Staatsanwaltschaft unter den Generalverdacht des Siegelbruchs i.S.v. Art. 290 StGB gestellt würden, wäre doch eine unbemerkte Entschlüsselung des Sicherheitscodes und mithin ein unbemerkter Datentransfer als Umgehung des Siegels und damit als Siegelbruch zu qualifizieren.  
 
3.3. Dem kann nicht gefolgt werden. Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, unterliegen nicht bloss einem einstweiligen Durchsuchungs- und Verwertungsverbot, sondern sind zudem "zu versiegeln" (Art. 248 Abs. 1 StPO). Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei der Siegelung daher (auch) um einen physischen Vorgang, bei welchem die Strafverfolgungsbehörden die sichergestellten Unterlagen oder Datenträger in einer Art und Weise zu verpacken haben, die den Zugriff auf diese Aufzeichnungen ohne Brechen des Siegels verunmöglicht (Urteil 1B_80/2023 vom 27. März 2023 E. 3.2 mit Hinweis).  
Anzumerken bleibt, dass entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft durchaus technische Lösungen bestehen, die sowohl eine dauerhafte Stromversorgung des Mobiltelefons als auch eine rechtskonforme Siegelung gewährleisten. So weist die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung zutreffend darauf hin, dass das versiegelbare Behältnis eine Powerbank enthalten könnte, wobei der dauerhafte Betrieb letzterer wiederum mit einem aus dem versiegelten Behältnis herausreichenden Stromkabel - welches im Gegensatz zum USB-Ladekabel grundsätzlich keinen Datentransfer erlaubt - sichergestellt werden könnte. Der Beschwerdegegner bringt zusätzlich zu Recht vor, dass neuere Mobiltelefone induktiv (kabellos) aufgeladen werden können und ein solcher Ladevorgang auch durch einen (versiegelten) Plastikbeutel hindurch möglich ist. 
 
4.  
Weiter bringt die Staatsanwaltschaft vor, selbst wenn die Siegelung als unzureichend bewertet werde, könne nicht von einer offensichtlichen Unverwertbarkeit im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO ausgegangen werden, die bereits im Entsiegelungsverfahren durchzusetzen sei. 
 
 
4.1. Nach der publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts ist bei rechtswidrigem Vorgehen im Zusammenhang mit der Siegelung von Dokumenten oder Datenträgern zwischen der Fortsetzung des Entsiegelungsverfahrens und der Verwertbarkeit von Beweismitteln zu unterscheiden. Bei schweren Verfahrensmängeln ist eine Fortsetzung des Entsiegelungsverfahrens ausgeschlossen und das Entsiegelungsbegehren abzuweisen (BGE 148 IV 221 E. 4).  
 
4.2. In der Vergangenheit wurde ein nicht mehr korrigierbarer schwerer Verfahrensfehler darin erblickt, dass im Zuge einer Datenspiegelung durch die Untersuchungsbehörde die "Möglichkeit eines verfrühten Zugangs" der Untersuchungsbehörde zu den Daten bestand. Dies wurde damit begründet, dass ein rechtsstaatliches Verfahren eine solche Unsicherheit nicht verträgt (BGE 148 IV 221 E. 3.2 und 4.2). Nichts anderes kann demnach gelten, wenn diese "Möglichkeit eines verfrühten Zugangs" auf andere Gründe, namentlich eine unzureichende Siegelung, zurückzuführen ist. Der Verfahrensfehler wiegt diesfalls nicht minder schwer, weshalb auch dann eine Fortsetzung des Entsiegelungsverfahren ausgeschlossen ist und das Entsiegelungsbegehren abgewiesen werden muss.  
 
4.3. Sowohl die Vorinstanz als auch die Staatsanwaltschaft übersehen in ihren Ausführungen die Bedeutung und Rechtsfolgen der von der Vorinstanz zu Recht festgestellten unzureichenden Siegelung. Im Ergebnis erweist sich der angefochtene Entscheid, der die Entsiegelung des sichergestellten Datenträgers mangels rechtsgültiger Siegelung nicht zulässt, jedoch als bundesrechtskonform, weshalb die Beschwerde auch diesbezüglich unbegründet ist.  
 
5.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Schaffhausen hat dem obsiegenden Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 BGG). Die vom Rechtsvertreter des Beschwerdegegners eingereichte Kostennote vom 28. April 2023 im Betrag von Fr. 1'744.85 gibt zu keinen Bemerkungen Anlass. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Schaffhausen hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'744.85 zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Schaffhausen, Zwangsmassnahmengericht, Einzelrichterin, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 12. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger