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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_23/2018  
 
 
Urteil vom 10. September 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiber Grunder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Rudolf Strehler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, 
St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau 
vom 22. November 2017 (VV.2017.189/E). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1959 geborene A.________ meldete sich am 30. Juli 2014 wegen eines Herzinfarkts und Atemnot bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach medizinischen und erwerblichen Abklärungen verneinte die IV-Stelle des Kantons Thurgau mit zwei Verfügungen vom 30. November 2015 einen Anspruch auf berufliche Massnahmen und auf eine Invalidenrente. Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 29. Juni 2016 dahingehend gut, dass es die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit sie nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über den Anspruch auf eine Invalidenrente neu befinde.  
 
A.b. Die IV-Stelle holte das auf kardiologischen und psychiatrischen Untersuchungen beruhende Gutachten der SMAB AG, Schweizerisches Zentrum für medizinische Abklärungen und Beratungen, St. Gallen, vom 8. Dezember 2016 ein. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren) verneinte sie mit Verfügung vom 26. Mai 2017 erneut einen Rentenanspruch.  
 
B.   
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 22. November 2017 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und der Verfügung der IV-Stelle vom 26. Mai 2017 sei die Streitsache zur Einholung eines neuen Gutachtens bzw. zur Ergänzung des bestehenden Gutachtens und zur Durchführung eines indikatorengeleiteten Beweisverfahrens an das kantonale Gericht bzw. an die Verwaltung zurückzuweisen. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und die IV-Stelle schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, indem es der im Gutachten der SMAB AG vom 8. Dezember 2016 diagnostizierten psychischen Gesundheitsstörung (mittelgradige Depression [ICD-10 F32.1] mit 30%iger Arbeitsunfähigkeit keine invalidisierende Wirkung zuerkannt und einen Rentenanspruch verneint hat. Nicht bestritten ist die vorinstanzliche Feststellung, aus somatischer Sicht bestehe keine Einschränkung. Jedoch stellt sich diesbezüglich die Frage, ob sich die Herzerkrankung im zu beurteilenden Zeitpunkt bei Erlass der Verfügung der IV-Stelle vom 26. Mai 2017 negativ auf den psychischen Gesundheitszustand ausgewirkt hatte.  
 
2.2. Die Vorinstanz ist gestützt auf die medizinischen Akten davon ausgegangen, dass die diagnostizierte mittelgradige Depression unbestritten sei. Ein invalidisierender Gesundheitsschaden sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu verneinen, da keine Therapieresistenz ausgewiesen sei.  
 
2.3. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Begründung der Vorinstanz sei seit der Publikation von BGE 143 V 409 (Urteil 8C_841/2016 vom 30. November 2017) und BGE 143 V 418 (Urteil 8C_130/2017 vom 30. November 2017) nicht mehr haltbar, und es sei ein indikatorengeleitetes Beweisverfahren gemäss BGE 141 V 281 E. 4.1.3 S. 297 f. durchzuführen. Indem das kantonale Gericht darauf verzichtet und aufgrund der fehlenden Therapieresistenz einen invalidisierenden Gesundheitsschaden ausgeschlossen habe, habe es Bundesrecht verletzt. Da das Gutachten der SMAB AG nicht als Grundlage für eine Indikatorenprüfung ausreiche, sei eine neue medizinische Expertise einzuholen oder zumindest das bestehende Gutachten ergänzen zu lassen.  
 
3.   
Die Vorinstanz konnte bei Erlass des angefochtenen Entscheids vom 22. November 2017 zwar keine Kenntnis haben von der mit BGE 143 V 409 und 418 geänderten Rechtsprechung. Jedoch ist festzustellen, dass neu die Therapierbarkeit eines psychischen Leidens allein keine abschliessende Aussage mehr hinsichtlich des Gesamtmasses der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen im invalidenversicherungsrechtlichen Kontext mehr zu liefern vermag. Weiter hat das Bundesgericht in den genannten Urteilen erkannt, dass neu sämtliche psychischen Erkrankungen, namentlich auch depressive Störungen leicht- bis mittelgradiger Natur, grundsätzlich einem strukturierten Beweisverfahren anhand eines Kataloges von Indikatoren nach BGE 141 V 281 zu unterziehen sind. Diese neue Rechtsprechung ist auf alle im Zeitpunkt der Praxisänderung noch nicht erledigten Fälle anzuwenden (Urteil 8C_756/2017 vom 7. März 2018 E. 4 mit weiterem Hinweis) und somit auch im vorliegenden Fall massgebend. Da hier noch kein solches Beweisverfahren stattgefunden hat und sich die Vorinstanz mit den massgebenden Standardindikatoren mangels Kenntnis der neuesten Rechtsprechung nicht hat auseinandersetzen können, ist die Beschwerde des Versicherten gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben und die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es, allenfalls nach weiteren medizinischen Abklärungen, über die vorinstanzliche Beschwerde neu entscheide. 
 
4.   
Die Gerichtskosten werden der IV-Stelle als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat den Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen (Art. 66 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 22. November 2017 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 10. September 2018 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder