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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_436/2023  
 
 
Urteil vom 6. Dezember 2023  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jametti, Präsidentin, 
Bundesrichterin Kiss, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Bank B.________, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Kostenbeschwerde; Umtriebsentschädigung 
(Art. 95 Abs. 3 lit. c ZPO), 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Handelsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer, vom 31. August 2023 (HOR.2022.43). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Klage vom 24. Oktober 2022 beim Handelsgericht des Kantons Aargau beantragte die A.________ AG (Klägerin, Beschwerdeführerin) unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Bank B.________ (Beklagte, Beschwerdegegnerin) die Feststellung des Nichtbestands der Forderung, für welche das Bezirksgericht Lenzburg am 11. Juli 2022 provisorische Rechtsöffnung erteilt hatte. 
Die Beklagte stellte am 27. Dezember 2022 den Antrag, auf die Aberkennungsklage sei nicht einzutreten, da die Frist zu deren Einreichung nicht gewahrt worden sei. Eventualiter sei die Aberkennungsklage abzuweisen und es sei der Bestand der Forderung von Fr. 317'729.62 nebst Zins zu 5 % auf Fr. 620'229.62 vom 31. März 2021 bis 3. Mai 2021 und Zins zu 5 % auf Fr. 317'729.62 seit 4. Mai 2021 zu bestätigen. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Klägerin. 
Mit Replik vom 17. Februar 2023 und Duplik vom 21. März 2023 hielten die Parteien an ihren Anträgen fest. 
Mit Verfügung vom 10. Juli 2023 bestimmte der Präsident des Handelsgerichts, welcher Partei zu welchen Tatsachen der Haupt- oder Gegenbeweis obliegt, orientierte über die Zusammensetzung des Handelsgerichts und lud zur Hauptverhandlung am 5. September 2023 vor. 
Am 31. August 2023 überbrachte die Klägerin dem Handelsgericht einen von beiden Parteien unterzeichneten Vergleich vom 30. August 2023 und zog die Klage zurück. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 31. August 2023 schrieb der Präsident des Handelsgerichts das Verfahren als durch Klagerückzug erledigt ab (Dispositiv-Ziffer 1). Er auferlegte die Gerichtskosten von Fr. 2'400.-- unter Verrechnung mit dem Vorschuss von Fr. 5'382.-- der Klägerin (Dispositiv-Ziffer 2). Schliesslich verpflichtete er die Klägerin, der Beklagten eine Umtriebsentschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen (Dispositiv-Ziffer 3). 
 
C.  
Die Klägerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, die Dispositiv-Ziffer 3 der Verfügung vom 31. August 2023 sei aufzuheben und der Beklagten sei keine Umtriebsentschädigung zuzusprechen. 
Die Beklagte und das Handelsgericht verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Richtet sich die Beschwerde nur gegen die Kostenfestsetzung und damit gegen einen Nebenpunkt, steht dennoch das für die Hauptsache gegebene Rechtsmittel offen, soweit nicht bereits im vorinstanzlichen Verfahren nur noch die Kostenfestsetzung den Verfahrensgegenstand bildete (Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 137 III 47 E. 1.2.2; zuletzt Urteil 4A_164/2022 vom 22. August 2022 E. 1). Im handelsgerichtlichen Verfahren war als Hauptpunkt die Aberkennungsklage der Beschwerdeführerin strittig. Die Abschreibungsverfügung ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) einer einzigen kantonalen Instanz im Sinne von Art. 75 Abs. 2 lit. b BGG. Dagegen steht die Beschwerde in Zivilsachen offen, gemäss Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG unabhängig vom Streitwert (BGE 139 III 67 E. 1.2; 138 III 799 E. 1.1; Urteil 4A_581/2022 vom 2. Juni 2023 E. 1.1, nicht publ. in BGE 149 III 355). Folglich steht die Beschwerde in Zivilsachen auch in Bezug auf die Kostenfrage offen. 
 
2.  
Die Vorinstanz erwog, ein Klagerückzug habe die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheids (Art. 241 Abs. 2 ZPO) und das Gericht schreibe das Verfahren ab (Art. 241 Abs. 3 ZPO), wofür die Instruktionsrichterin oder der Instruktionsrichter zuständig sei (§ 16 Abs. 4 des Einführungsgesetzes zur Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 23. März 2010 [EG ZPO/AG; SAR 221.200]). 
Die Vorinstanz verwies auf § 13 Abs. 1 des Dekrets über die Verfahrenskosten vom 24. November 1987 (Verfahrenskostendekret, VKD; SAR 221.150). Demnach kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ein Verfahren nicht vollständig durchgeführt wird, namentlich wenn es gegenstandslos oder durch Klagerückzug, Klageanerkennung oder durch Vergleich beendet wird. Die Vorinstanz hielt fest, angesichts des Verfahrensstands rechtfertige es sich, die Gerichtskosten auf Fr. 2'400.-- festzusetzen. Diese auferlegte sie ausgangsgemäss und im Einklang mit Art. 106 Abs. 1 ZPO der Beschwerdeführerin, wobei sie gestützt auf Art. 111 Abs. 1 ZPO eine Verrechnung mit deren Vorschuss von Fr. 5'382.-- vornahm. 
Schliesslich richtete die Vorinstanz "der nicht berufsmässig vertretenen" Beschwerdegegnerin "eine angemessene Umtriebsentschädigung" aus. Diese setzte die Vorinstanz "angesichts der eingereichten Rechtsschriften und Beweismittel" auf Fr. 2'500.-- fest. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin bestreitet den Anspruch der Beschwerdegegnerin auf eine Umtriebsentschädigung. 
Zunächst nimmt die Beschwerdeführerin Bezug auf das Urteil 5A_835/2022 vom 7. November 2022, welches das Rechtsöffnungsverfahren gegen die Beschwerdegegnerin betrifft. In jenem Fall wies das Bundesgericht ihre Kostenbeschwerde zwar ab, doch ohne Kostenerhebung, weil die Beschwerde durch "die nicht sachgerechten vorinstanzlichen Erwägungen" veranlasst worden war (vgl. dort E. 5). Daraus lässt sich nichts zu Gunsten ihrer Argumentation im vorliegenden Verfahren ableiten, weshalb nicht weiter darauf einzugehen ist. 
Sodann trägt die Beschwerdeführerin vor, die Beschwerdegegnerin habe keine Umtriebsentschädigung verlangt und nicht begründet, aus welchen besonderen Umständen ihr eine solche auszurichten sei. An eine Umtriebsentschädigung seien hohe Anforderungen zu stellen, denn es handle sich um eine gesetzliche Ausnahme von der Regel, dass nur die berufsmässige Vertretung entschädigt wird. Ein solcher Ausnahmefall sei vorliegend nicht ersichtlich. Die Vorinstanz zeige nicht ansatzweise auf, "was an zwei Rechtsschriften und welchen Beweismitteln solch exorbitant hohe Kosten verursacht" habe. Überdies sei von der Beschwerdegegnerin nichts dergleichen behauptet worden. Deshalb sei auf eine Umtriebsentschädigung zu verzichten. 
 
4.  
Die Rüge der Beschwerdeführerin ist berechtigt. 
 
4.1. Prozessiert eine Partei ohne berufsmässige Vertretung, so hat sie neben dem Ersatz notwendiger Auslagen (Art. 95 Abs. 3 lit. a ZPO) nur in begründeten Fällen Anspruch auf eine angemessene Umtriebsentschädigung (Art. 95 Abs. 3 lit. c ZPO; vgl. Urteil 5D_229/2011 vom 16. April 2012 E. 3.3). Dass einer nicht anwaltlich vertretenen Partei ersatzpflichtige Kosten für Umtriebe erwachsen, ist ungewöhnlich und bedarf einer besonderen Begründung (vgl. Urteile 5A_132/2020 vom 28. April 2020 E. 4.2.1; 4A_233/2017 vom 28. September 2017 E. 4.1; 4A_192/2016 vom 22. Juni 2016 E. 8.2; 4A_355/2013 vom 22. Oktober 2013 E. 4.2). Unter einer Umtriebsentschädigung versteht der Gesetzgeber in erster Linie einen gewissen Ausgleich für den Verdienstausfall einer selbstständig erwerbenden Person (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7293 Ziff. 5.8.1 zu Art. 93 und 94). Die Rechtsprechung hat diese Sichtweise übernommen (Urteile 5A_132/2020 vom 28. April 2020 E. 4.2.1; 5A_268/2019 vom 15. April 2019 E. 2.2; 5A_157/2019 vom 25. April 2019 E. 2.2; 5A_741/2018, 5A_772/2018 vom 18. Januar 2019 E. 9.2; 5D_7/2015 vom 13. August 2015 E. 9.1). Auch die Doktrin schliesst sich dieser Auslegung an, selbst wenn nach gewissen Autoren auch andere - hier nicht zutreffende - Konstellationen Anlass zur Ausrichtung einer Umtriebsentschädigung geben könnten (RÜEGG/RÜEGG, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 21 zu Art. 95 ZPO; STERCHI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. I, 2012, N. 15 zu Art. 95 ZPO; VAN DE GRAAF, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 36 zu Art. 95 ZPO; TAPPY, in: Commentaire Romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 35 zu Art. 95 ZPO).  
 
4.2. Die Vorinstanz legt nicht dar, inwiefern ein begründeter Fall vorliegen würde, welcher der Beschwerdegegnerin Anspruch auf eine Umtriebsentschädigung verschaffen würde. Ihre diesbezüglichen Erwägungen erschöpfen sich in der Bemerkung, dass "der nicht berufsmässig vertretenen" Beschwerdegegnerin "eine angemessene Umtriebsentschädigung" auszurichten sei, welche "angesichts der eingereichten Rechtsschriften und Beweismittel" auf Fr. 2'500.-- festzusetzen sei.  
Damit verletzt die Vorinstanz Bundesrecht. Sie scheint zu übersehen, dass es einer besonderen Begründung bedarf, wenn einer nicht anwaltlich vertretenen Partei eine Umtriebsentschädigung zugesprochen wird. Weshalb im vorliegenden Fall eine solche Ausnahme vorliegen sollte, begründet die Vorinstanz mit keinem Wort. Da die Beschwerde bereits aus diesem Grund gutzuheissen ist, braucht nicht weiter auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin eingegangen zu werden, wonach die Beschwerdegegnerin keine Umtriebsentschädigung beantragt hat. 
 
5.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen. Dispositiv-Ziffer 3 der Verfügung des Präsidenten des Handelsgerichts vom 31. August 2023 ist aufzuheben und wie folgt neu zu fassen: "Es wird keine Umtriebsentschädigung zugesprochen." 
Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Allerdings dürfen den Kantonen in der Regel keine Gerichtskosten überwälzt werden (Art. 66 Abs. 4 BGG). Die Beschwerdegegnerin verzichtete im bundesgerichtlichen Verfahren auf eine Vernehmlassung und stellte keine Anträge. Daher sind keine Gerichtskosten zu erheben. 
Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind. Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Vorliegend sind die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zusprechung einer Umtriebsentschädigung an die nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin nicht erfüllt (Art. 1 und 11 des Reglements vom 31. März 2006 über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht [SR 173.110.210.3]; vgl. BGE 133 III 439 E. 4; 125 II 518 E. 5b; 115 Ia 12 E. 5; 110 V 72 E. 7). Es ist daher keine Entschädigung zuzusprechen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 3 der Verfügung des Präsidenten des Handelsgerichts vom 31. August 2023 wird aufgehoben und wie folgt neu gefasst: 
 
"Es wird keine Umtriebsentschädigung zugesprochen." 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 6. Dezember 2023 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jametti 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt