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[AZA 7] 
I 623/01 Bh 
 
II. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter 
Ursprung; Gerichtsschreiber Hochuli 
 
Urteil vom 28. August 2002 
 
in Sachen 
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
M.________, 1952, Sonnheimstrasse 10, 6044 Udligenswil, Beschwerdegegnerin, vertreten durch den Procap, Schweizerischer Invalidenverband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten, 
 
und 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
A.- Nachdem 1987 am rechten Ohr infolge einer Otosklerose eine Stapedektomie und Stapesersatzplastik auf Kosten der Krankenversicherung durchgeführt worden war, beantragte die seit 1986 als Hausfrau tätige M.________ - geboren 1952, verheiratet und Mutter zweier Kinder (mit Jahrgängen 1986 und 1990) - am 3. April 2000 die Übernahme der wegen erneut aufgetretener Schwerhörigkeit mit Ohrensausen am 22. Juni 2000 erforderlichen operativen Revision am rechten Ohr als medizinische Eingliederungsmassnahme zu Lasten der Invalidenversicherung. Mit Verfügung vom 4. Januar 2001 lehnte die IV-Stelle Luzern eine Übernahme der Otosklerose-Re-Operation am rechten Ohr ab, da weder eine klare Diagnose vorliege noch mit Bestimmtheit ein lang andauernder Eingliederungserfolg vorhergesagt werden könne, weshalb diese Operation Leidensbehandlung an sich darstelle. 
 
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde der M.________ hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 5. September 2001 in dem Sinne gut, als es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre. Insbesondere wurde die IV-Stelle angehalten, vor dem Erlass einer neuen Verfügung über den erhobenen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung abzuklären, ob es sich vorliegend um eine Otosklerose handle, ob die Versicherte - ohne Behinderung - tatsächlich einer Erwerbstätigkeit in ihrem erlernten Beruf als Grafikerin nachgehen würde und inwieweit sie in dieser Tätigkeit durch die Schwerhörigkeit beeinträchtigt sei. 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) sinngemäss unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides, "die Auflage an die IV-Stelle, abzuklären, ob es sich um eine Otosklerose handle, sei als rechtswidrig zu erklären; die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei gutzuheissen und die Verfügung vom 4. Januar 2001 wiederherzustellen.. " 
Während M.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, beantragt die IV-Stelle Luzern deren Gutheissung. 
 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Zu den Eingliederungsmassnahmen gehören u.a. die medizinischen Massnahmen (Art. 8 Abs. 3 lit. a IVG). 
Gemäss Art. 8 Abs. 1 IVG haben invalide oder von einer Invalidität unmittelbar bedrohte Versicherte Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen, zu verbessern, zu erhalten oder ihre Verwertung zu fördern. 
Dabei ist die gesamte noch zu erwartende Arbeitsdauer zu berücksichtigen. 
Die versicherte Person hat in der Regel nur Anspruch auf die dem jeweiligen Eingliederungszweck angemessenen, notwendigen Massnahmen, nicht aber auf die nach den gegebenen Umständen bestmöglichen Vorkehren. Denn das Gesetz will die Eingliederung lediglich so weit sicherstellen, als diese im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist. Ferner muss der voraussichtliche Erfolg einer Eingliederungsmassnahme in einem vernünftigen Verhältnis zu ihren Kosten stehen (BGE 124 V 110 Erw. 2a, 121 V 260 Erw. 2c, je mit Hinweisen). 
 
2.- a) Nach Art. 12 Abs. 1 IVG hat der Versicherte Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. 
 
b) Bei der prognostischen Beurteilung der Dauerhaftigkeit des Eingliederungserfolges medizinischer Massnahmen ist den Besonderheiten erwerblicher und gesundheitlicher Art des jeweiligen Einzelfalles nur insoweit Rechnung zu tragen, als sich ihretwegen ein Abgehen von der statistischen Wahrscheinlichkeit deutlich aufdrängt. Dabei darf den im Zeitpunkt der Beurteilung bestehenden subjektiven Absichten der versicherten Person bezüglich ihrer künftigen Aktivität keine Bedeutung beigemessen werden; denn diese Vorhaben lassen sich in der Regel nicht zuverlässig feststellen und sind zudem in hohem Masse der Möglichkeit bzw. 
der Wahrscheinlichkeit einer späteren Gesinnungsänderung aus wirtschaftlichen, gesundheitlichen oder sonstigen persönlichen oder familiären Gründen ausgesetzt. Weiter ist kein Unterschied zwischen Unselbstständigerwerbenden (mit oder ohne Pensionsanspruch) und Selbstständigerwerbenden zu machen (BGE 101 V 51 f. mit Hinweisen). 
 
c) Wesentlich im Sinne von Art. 12 Abs. 1 IVG ist der durch eine Behandlung erzielte Nutzeffekt nur dann, wenn er in einer bestimmten Zeiteinheit einen erheblichen absoluten Grad erreicht (BGE 98 V 211 Erw. 4b). Durch die medizinischen Massnahmen soll in der Regel innerhalb einer gewissen Mindestdauer eine gewisse Mindesthöhe an erwerblichem Erfolg erwartet werden können. Inwieweit der voraussichtliche Eingliederungserfolg noch als wesentlich bezeichnet werden kann, lässt sich nicht generell sagen, sondern ist auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles zu entscheiden. 
Dabei werden Massnahmen, die nur eine geringfügige Verbesserung der Erwerbsfähigkeit bewirken, von der Invalidenversicherung nicht übernommen. Es muss vorausgesetzt werden, dass eine noch bedeutende Erwerbsfähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung bewahrt wird, denn das Gesetz sieht im Rahmen von Art. 12 IVG keine Massnahmen vor, um einen kleinen und unsicheren Rest von Erwerbsfähigkeit zu erhalten. 
Die Frage nach der Wesentlichkeit des Eingliederungserfolges hängt ferner ab von der Schwere des Gebrechens einerseits sowie von der Art der ausgeübten bzw. im Sinne bestmöglicher Eingliederung in Frage kommenden Erwerbstätigkeit anderseits; persönliche Verhältnisse der versicherten Person, die mit ihrer Erwerbstätigkeit nicht zusammenhängen, sind dabei nicht zu berücksichtigen (BGE 115 V 199 Erw. 5a und 200 Erw. 5c mit Hinweisen; vgl. auch BGE 122 V 80 Erw. 3b/cc). 
 
3.- Streitig und zu prüfen ist, ob durch Übernahme der beantragten operativen Revision der bereits 1987 am rechten Ohr infolge einer Otosklerose durchgeführten Stapedektomie und Stapesersatzplastik aus prognostischer Sicht mit einer dauerhaften und wesentlichen Verbesserung der Erwerbsfähigkeit zu rechnen gewesen ist. 
 
a) Nach der Rechtsprechung ist die Frage nach der im Rahmen der Anspruchsberechtigung gemäss Art. 12 IVG vorausgesetzten Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit des angestrebten Eingliederungserfolges aufgrund des medizinischen Sachverhalts zu beurteilen, wie er im Zeitpunkt der Durchführung der Massnahme bestanden hat. Damit wird vermieden, dass Versicherte, die auf eine rechtskräftige Verfügung warten, bevor sie sich beispielsweise einer Operation unterziehen, anders behandelt werden als solche, die den Erlass der Verfügung nicht abwarten. Eine solche ungleiche Behandlung liesse sich mit Art. 12 IVG, der die voraussichtliche Tauglichkeit der Massnahme beurteilt wissen will, nicht vereinbaren. In dieser Hinsicht stellt der Arztbericht im allgemeinen eine unerlässliche Grundlage zur Beurteilung der Anspruchsberechtigung dar, wobei die Prüfung im Rahmen eine freien Beweiswürdigung zu erfolgen hat (BGE 98 V 34 Erw. 2 mit Hinweisen; BGE 101 V 48 oben, 97 Erw. 2b, 103 Erw. 3; ZAK 1970 S. 617; vgl. auch BGE 115 V 206 Erw. 5 und 110 V 102 oben). 
 
b) Der behandelnde Arzt, Prof. Dr. med. Z.________, Vorsteher der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten am Spital S.________, wies nach einer Untersuchung der Versicherten vom 3. Mai 2000 in seinem Bericht vom 8. Mai 2000 mit Blick auf die Erfolgsaussichten ausdrücklich auf "die erschwerten Umstände einer Revisionsoperation" hin. 
Abschliessend fügte er hinzu, er "hoffe, dort [am rechten Ohr] nochmals einen Hörgewinn erzielen zu können". Damit übereinstimmend äusserte er sich auf Anfrage gegenüber der IV-Stelle am 13. September 2000 dahingehend, dass die Erfolgschancen der erneuten Operation jedenfalls "weniger gut als bei einem Ersteingriff" seien, auch wenn dennoch in etwa 80 % der Fälle von einer Gehörsverbesserung auszugehen sei. Zur Frage der Dauerhaftigkeit des Operationserfolges wollte er sich vor Durchführung der Revisionsoperation überhaupt nicht konkret äussern. Vielmehr könne er diese Frage erst nach Kenntnis des Operationsbefundes beantworten. 
Angesichts dieser ausreichend klaren sachbezüglichen Aussagen des medizinischen Experten ist nicht zu beanstanden, dass die Verwaltung gestützt auf die vorliegenden Akten mit dem im Sozialversicherungsrecht geltenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b, 125 V 195 Erw. 2, je mit Hinweisen) darauf schloss, dass hinsichtlich des fraglichen operativen Eingriffes nicht mit einem dauerhaften (Erw. 2b hievor) Eingliederungserfolg zu rechnen ist. Anderslautende Behauptungen der Beschwerdegegnerin bleiben unbegründet. 
 
c) Auch das Erfordernis der Wesentlichkeit des Eingliederungserfolgs (Erw. 2c hievor) kann bei gegebenem Aktenstand nicht als erfüllt betrachtet werden. Der die Versicherte an Prof. Z.________ überweisende Spezialarzt FMH für HNO, Dr. med. Y.________ erwähnte zwar in seinem Bericht vom 16. Mai 2000 an die IV-Stelle, dass die Arbeitsfähigkeit durch die geplante medizinische Massnahme verbessert werden könne. Allerdings attestierte er gestützt auf seine Befunde in Bezug auf keine Tätigkeit (weder als Hausfrau noch als Grafikerin) eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 20 %. Die Spezialfrage der IV-Stelle hinsichtlich der Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit beantwortete er abschliessend wie folgt: "Kommunikationsstörungen im sozialen Bereich". Dies, obgleich die Versicherte mit Schreiben vom 25. Dezember 2000 geltend machte, ihr sei trotz guter beruflicher Qualifikation bisher der Wiedereinstieg ins Berufsleben wegen der Schwerhörigkeit nicht möglich gewesen. Demgegenüber lassen die medizinisch massgebenden Unterlagen den Schluss nicht zu, dass die Durchführung der geplanten Ohrenoperation zu einer wesentlichen Verbesserung der erwerblichen Erfolgsaussichten führen würde. 
 
d) Stand demnach schon vor der Durchführung der geplanten medizinischen Massnahme fest, dass davon voraussichtlich weder ein dauerhafter und noch ein wesentlicher Eingliederungserfolg zu erwarten sein werde, ist die verfügte Ablehnung des erhobenen Anspruchs auf medizinische Massnahmen infolge der nicht erfüllten gesetzlichen Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 1 IVG nicht zu beanstanden. 
Da an diesem Ergebnis auch weitere Abklärungen nichts zu ändern vermögen (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b, RKUV 2001 Nr. U 447 S. 564, je mit Hinweisen), ist - wie mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde sinngemäss geltend gemacht wird - von einer Rückweisung der Sache an die Verwaltung abzusehen. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird 
der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons 
Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 5. September 2001 aufgehoben. 
 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der IV-Stelle Luzern und der Ausgleichskasse 
 
 
des Kantons Luzern zugestellt. 
Luzern, 28. August 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: