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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_379/2008/bnm 
 
Urteil vom 7. Juli 2008 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterinnen Escher, Jacquemoud-Rossari, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Adriano Marti, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Thurgau, 
Promenadenstrasse 12A, 8500 Frauenfeld. 
 
Gegenstand 
Rechtsverzögerung/-verweigerung 
(fürsorgerische Freiheitsentziehung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 9. Juni 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ befindet sich auf Anordnung der Vormundschaftsbehörde A.________ seit dem 2. April 2008 im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung in der psychiatrischen Klinik B.________. Am 13. Mai 2008 beantragte er bei der Vormundschaftsbehörde seine Entlassung. Nachdem die angerufene Behörde bis zum 20. Mai 2008 nicht über das Gesuch befunden hatte, gelangte X.________ an das Vize-Gerichtspräsidium A.________ mit dem Begehren um unverzügliche Entlassung. 
 
B. 
Mit Verfügung vom 28./29. Mai 2008 trat das Vize-Gerichtspräsidium auf das Entlassungsgesuch nicht ein mit der Begründung, kraft Bundesrecht sei die Vormundschaftsbehörde für die Entlassung zuständig. Das Obergericht des Kantons Thurgau wies einen von X.________ gegen diese Verfügung erhobenen Rekurs am 9. Juni 2008 ab. 
 
C. 
X.________ gelangt mit Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht mit den Anträgen, die Nichteintretensverfügung des Vizepräsidenten des Bezirksgerichts A.________ vom 28. Mai 2008 sei aufzuheben und das Obergericht bzw. das Bezirksgericht anzuweisen, die gerichtliche Beurteilung nach Art. 397d ZGB durchzuführen und ihn gestützt auf Art. 5 Ziff. 4 EMRK unverzüglich zu entlassen (1). Es sei in Übereinstimmung mit Art. 5 Ziff. 4 EMRK, Art. 30 Abs. 4 BV, Art. 397f Abs. 1 ZGB eine verbindliche Frist festzusetzen, innerhalb welcher die Vormundschaftsbehörde das bedingungslos formulierte Entlassungsgesuch gutzuheissen oder abzulehnen habe (2). Ferner sei festzustellen, dass der Wortlaut von § 59 Abs. 1 EGZGB/TG bundes-, verfassungs- und konventionswidrig sei (3). Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
Das Obergericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG), mit dem auf das Gesuch um gerichtliche Beurteilung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung und um Entlassung aus der Anstalt nicht eingetreten worden ist. Es liegt ein Entscheid im Zusammenhang mit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung und damit eine Zivilsache im Sinn von Art. 72 Abs. 1 BGG vor, die mit Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht gezogen werden kann. 
 
1.2 Als unzulässig erweist sich die Beschwerde hingegen, soweit der Beschwerdeführer die fehlende Tätigkeit der Vormundschaftsbehörde beanstandet. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ausschliesslich der Entscheid des Obergerichts. 
 
2. 
2.1 Das Obergericht hat erwogen, da die Vormundschaftsbehörde dem Beschwerdeführer fürsorgerisch die Freiheit entzogen und ihn in eine Anstalt eingewiesen habe, sei auch sie zur Behandlung seines Entlassungsgesuchs zuständig. Mangels eines entsprechenden Entscheides dieser Behörde sei das Bezirksgericht zu Recht auf das Gesuch um gerichtliche Beurteilung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung und um Entlassung aus der Anstalt nicht eingetreten. Zwar habe die Vormundschaftsbehörde im konkreten Fall das Verfahren verzögert; das berechtige den Beschwerdeführer aber nicht, direkt an das Bezirksgericht zu gelangen, hätte er sich doch gegen die Rechtsverzögerung mit Aufsichtsbeschwerde an das Departement für Justiz und Sicherheit wenden können. 
 
2.2 Der Beschwerdeführer ist auch vor Bundesgericht der Ansicht, infolge der Untätigkeit der Vormundschaftsbehörde sei er berechtigt gewesen, sich mit seinem Gesuch um Entlassung aus der Anstalt direkt an das Bezirksgerichtspräsidium zu wenden. Er erblickt eine Rechtsverweigerung darin, dass das Bezirksgericht mit nachträglicher Billigung des Obergerichts auf das Gesuch nicht eingetreten ist, und rügt in diesem Zusammenhang eine Rechtsverzögerung der kantonalen Gerichtsbehörden. 
 
2.3 Hat eine vormundschaftliche Behörde die Unterbringung in der Anstalt angeordnet, verfügt sie auch über die Entlassung. In den anderen Fällen entscheidet die Anstalt (Art. 397b Abs. 3 ZGB). Wird das Entlassungsgesuch abgelehnt, kann die betroffene oder eine ihr nahestehende Person innert zehn Tagen nach Mitteilung des Entscheids schriftlich das Gericht anrufen (Art. 397d Abs. 1 i.V.m. 2 ZGB). Der gerichtlichen Beurteilung im Sinn von Art. 397d ZGB sind nur Entscheide zugänglich, welche eine fürsorgerische Freiheitsentziehung anordnen oder ein Entlassungsgesuch abweisen (Geiser, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, N. 6 zu Art. 397d ZGB). Die gerichtliche Instanz gemäss Art. 397d ZGB ist nicht vormundschaftliche Aufsichtsbehörde (Schnyder/Murer, Berner Kommentar, N. 35 zu Art. 361 ZGB). Zum Aufgabenbereich der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden gehört, darüber zu wachen, dass die Vormundschaftsbehörde überhaupt und innert nützlicher Frist tätig wird (Geiser, Basler Kommentar, N. 2 der Vorbemerkungen zu Art. 420-425 ZGB). Bleibt die für die Entlassung zuständige Vormundschaftsbehörde untätig, kann und muss die betroffene oder eine ihr nahestehende Person an die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde gelangen. Es verhält sich demnach nicht anders als etwa im Verwaltungsrecht, wo die Behandlung einer Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerde grundsätzlich der Aufsichtsbehörde und nicht der Rechtsmittelinstanz obliegt, welche den Entscheid in der Sache überprüft (vgl. Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl. 1998, Rz. 722). 
 
2.4 Im vorliegenden Fall hat die zuständige Vormundschaftsbehörde innert nützlicher Frist keinen Entscheid über das Entlassungsbegehren getroffen, weshalb die Voraussetzung zur Anrufung des Bezirksgerichtspräsidenten nicht erfüllt war und der Beschwerdeführer nach dem oben Ausgeführten an die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde - hier das Departement für Justiz und Sicherheit (§ 1 Abs. 1 der Verordnung des Regierungsrates über die Tätigkeit der vormundschaftlichen Behörden) - zu gelangen hatte. Eine Rechtsverweigerung durch die kantonalen Gerichtsbehörden oder eine sonstige Verletzung von Bundesrecht ist demnach nicht ersichtlich. Nach dem Dargelegten ist ebensowenig auszumachen, inwiefern Art. 59 Abs. 1 EGZGB gegen übergeordnetes Bundesrecht verstösst. Diese Bestimmung schreibt lediglich vor, dass die zuständige Stelle beförderlich über ein Entlassungsgesuch zu entscheiden hat. In Übereinstimmung mit dem Bundesrecht (Art. 397f Abs. 1 ZGB) schreibt sie einen "beförderlichen" d.h. raschen Entscheid vor und berücksichtigt ausserdem die bundesrechtliche Zuständigkeitsordnung. 
 
3. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Es werden keine Kosten erhoben (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
4. 
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, da sich die Beschwerde von Anfang an als aussichtslos erwiesen hat (Art. 64 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen. 
 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 7. Juli 2008 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Raselli Zbinden