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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4C.159/2002 /ngu 
 
Urteil vom 8. Oktober 2002 
I. Zivilabteilung 
 
Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident, 
Klett, Rottenberg Liatowitsch, 
Gerichtsschreiberin Schoder. 
 
X.________ AG, 
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Théo Chr. Portmann, Alexanderstrasse 1 / Bahnhofstrasse 11, 7001 Chur, 
 
gegen 
 
A.________, 
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Norbert Rusch, Weinbergstrasse 73, 8006 Zürich. 
 
Arbeitsvertrag; fristlose Entlassung, 
 
Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer, vom 8. April 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
A.________ war seit Oktober 1998 als Direktor des Hotels Y.________ angestellt, das zu einer von der X.________ AG betriebenen Hotelgruppe gehört. B.________, Verwaltungsratsdelegierter der X.________ AG, stellte A.________ im Januar 1999 einen schriftlichen Arbeitsvertrag zu. Dieser wurde von beiden Parteien unterzeichnet. Der Lohn von A.________ betrug brutto Fr. 6'000.--, unter Abzug von Sozialkosten und Verpflegung netto Fr. 4'831.40. Für den Monat Februar 2000 zahlte die X.________ AG A.________ lediglich einen Teil seines Lohnes. Sie begründete den Lohnabzug damit, dass es A.________ weisungswidrig unterlassen habe, die Telefongespräche des Hotels über die Telefongesellschaft Z.________ abzuwickeln. Im März 2000 beanstandete B.________, A.________ habe für die von den Hotelmitarbeitern bezogene Verpflegung zu geringe Beträge von deren Löhnen in Abzug gebracht. Er ordnete deshalb an, dass mit der Lohnabrechnung für den Monat März die Fehlbeträge korrigiert werden müssten und ohne sein Einverständnis den Mitarbeitern für den Monat März keine Löhne ausbezahlt werden dürften. Ausserdem drohte er A.________ an, ihn bei Zuwiderhandlung gegen diese Weisung fristlos zu entlassen und für Verluste persönlich haftbar zu machen. Ende März zahlte A.________ drei Mitarbeitern Beträge von insgesamt Fr. 2'300.-- als Lohnvorschüsse in bar aus. Wegen des nicht voll bezahlten Lohnes für den Monat Februar kündigte A.________ das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 3. April 2000 auf Ende Juni 2000, behielt sich aber die fristlose Kündigung vor, falls er für den Monat März nicht den vollen Lohn erhalte. Mit Schreiben vom 7. April 2000 nahm die X.________ AG die Kündigung von A.________ entgegen, kündigte das Arbeitsverhältnis ihrerseits mit Schreiben vom 8. April 2000 fristlos und setzte die Betriebsübergabe auf den 11. April 2000 an. 
B. 
A.________ klagte im April 2000 gegen die X.________ AG auf Bezahlung eines Betrages von Fr. 38'141.80, welcher ausstehende Lohnanteile der Monate Februar und März 2000, den Lohn und die Mahlzeitentschädigung vom 10. April 2000 bis zum 30. Juni 2000 sowie eine Entschädigung von drei Monatslöhnen für die ungerechtfertigte fristlose Entlassung betraf. Im erstinstanzlichen Verfahren anerkannte die Beklagte sämtliche Lohnforderungen bis zum 11. April 2000, weshalb nur noch die Ansprüche nach der fristlosen Entlassung streitig blieben. Das Bezirksgericht Albula schützte die Klage im Umfang von Fr. 21'569.40, nebst Zins. Die Beklagte erhob dagegen Berufung, welche das Kantonsgericht von Graubünden am 8. April 2002 lediglich mit Bezug auf den Zinsenlauf teilweise guthiess. 
C. 
Die Beklagte hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung beim Bundesgericht erhoben. Sie beantragt die Abweisung der Klage und die Aufhebung des angefochtenen Urteils. 
 
Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Vorinstanz erachtet die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin als ungerechtfertigt und spricht dem Kläger gestützt auf Art. 337c OR eine Entschädigung zu. Die Beklagte hält daran fest, die Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung seien gegeben. 
2. 
2.1 Nach Art. 337 OR kann der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen (Abs. 1). Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf (Abs. 2). Zu diesen Umständen gehören namentlich die Natur, die Schwere, die Häufigkeit und die Dauer der dem Arbeitnehmer vorgeworfenen Verfehlungen sowie dessen Haltung gegenüber den Weisungen, Mahnungen und Verwarnungen des Arbeitgebers (BGE 127 III 153 E. 1c S. 157). Nach der Rechtsprechung rechtfertigen nur besonders schwere Pflichtverletzungen eine fristlose Entlassung (BGE 127 III 153 E. 1a S. 155; 351 E. 4a S. 353f., je mit Hinweisen). Unzumutbar ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausschliesslich, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien derart gestört ist, dass die sofortige und fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses als einziger Ausweg erscheint (BGE 127 III 351 E. 4a S. 353, mit Hinweisen). Zudem ist die fristlose Entlassung erst zulässig, wenn der Vertragspartnerin nicht mehr zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung aufzulösen oder bei fester Vertragsdauer deren Ende abzuwarten (BGE 117 II 560 E. 3b S. 562). 
 
Ob die im kantonalen Urteil festgestellten Umstände die fristlose Entlassung des Arbeitnehmers rechtfertigen, entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (Art. 337 Abs. 3 OR). In der Überprüfung solcher Ermessensentscheide übt das Bundesgericht Zurückhaltung und schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die zwingend hätten beachtet werden müssen. Ausserdem greift das Bundesgericht in Ermessensentscheide ein, falls sich diese als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 127 III 153 E. 1a S. 155, 351 E. 4a S. 354). 
2.2 Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz nahm der Kläger zumindest in den aktenkundigen Fällen den Abzug für Verpflegung und Zimmer an den Löhnen der Hotelmitarbeiter für den Monat März 2000 nicht korrekt vor. Was den Vorwurf der Beklagten anbelangt, der Kläger habe mit seinen Mitarbeitern Abreden zur Umgehung der vertraglich festgesetzten Lohnabzüge für Kost und Logis getroffen, so geht die Vorinstanz davon aus, dass solche Absprachen nicht erwiesen sind. Weiter stellte die Vorinstanz fest, dass die Beklagte bereits seit dem Geschäftsjahr 1998/1999 wusste, auf welcher Berechnungsgrundlage der Kläger über Kost und Logis abrechnete. Zu Recht weist die Vorinstanz darauf hin, dass die Beklagte die Berechnung der Lohnabzüge längstens hätte kritisieren und den Kläger zur korrekten Abrechnung anhalten können. Es kann deshalb nicht die Rede davon sein, dass das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien so sehr zerstört war, dass die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses als einziger Ausweg erschien. 
 
Weiter hält die Vorinstanz fest, dass die Beklagte dem Kläger am 28. März 2000 ein Telefax-Schreiben übermittelte, in welchem dem Kläger unter Androhung der fristlosen Kündigung verboten wurde, den Mitarbeitern für den Monat März Löhne auszuzahlen. Dennoch zahlte der Kläger an drei Mitarbeiter einen Betrag von insgesamt Fr. 2'300.--. Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz ist nicht erwiesen, dass der Kläger vom Inhalt des Fax-Schreibens tatsächlich Kenntnis hatte. Die Weisung der Beklagten stellt eine empfangsbedürftige Willenserklärung dar, die mit dem Zugang in den Machtbereich des Klägers wirksam wurde. Ob und wann der Kläger tatsächlich Kenntnis von der Weisung nahm, ist deshalb nicht entscheidend (BGE 118 II 42 E. 3b S. 44). Zumindest ist aber nicht erwiesen, dass der Kläger die Weisung der Beklagten mit Absicht nicht befolgte. 
 
Mit der Vorinstanz und entgegen der Auffassung der Beklagten ist davon auszugehen, dass auch dieser weitere Pflichtenverstoss die fristlose Entlassung des Klägers nicht rechtfertigte. Zu berücksichtigen ist, dass die Widerhandlung gegen die Weisung keine besonders schwere Verletzung der Pflicht zur Befolgung von Weisungen des Arbeitgebers (Art. 321d OR) darstellte. Die ausbezahlte Summe von insgesamt Fr. 2'300.-- an drei Mitarbeiter war von geringer Höhe, und es entstand dem Beklagten aus dem Verhalten des Klägers keinerlei Schaden. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte selbst die Notwendigkeit der fristlosen Entlassung relativierte, indem sie den Kläger, nachdem sie ihm auf den 8. April 2000 fristlos gekündigt hatte, zu diversen Arbeiten bis zur Betriebsübergabe am 11. April 2000 anhielt. Damit gab sie zu erkennen, dass sie dem Kläger weiterhin Vertrauen schenkte, weshalb ihr das Abwarten der Kündigungsfrist per Ende Juni 2000 zumutbar war. Gerade bei einem leitenden Angestellten, der einen grossen Betriebsschaden anrichten könnte, ist es ein Zeichen des andauernden Vertrauens, nicht auf der sofortigen Schlüsselrückgabe zu bestehen. Hinzu kommt, dass der Kläger im Zeitpunkt der fristlosen Kündigung das Arbeitsverhältnis seinerseits auf Ende Juni 2000 bereits gekündigt hatte und ihm damals ein Ferien- und Freizeitguthaben von insgesamt 89 Tagen zustand. Die Beklagte hätte dessen Bezug bis zum Ablauf der Kündigungsfrist anordnen und dadurch das sofortige Ausscheiden des Klägers aus dem Hotelbetrieb erreichen können. Auf diese Weise hätte sich der Abgeltungsanspruch für nicht bezogene Freitage verringert. Der Beklagten wäre angesichts der objektiv geringfügigen Verfehlung zuzumuten gewesen, diese weniger einschneidende Massnahme zu ergreifen, wenn sie sich vorzeitig vom Kläger trennen wollte. In Würdigung sämtlicher Umstände ist deshalb davon auszugehen, dass die fristlose Kündigung unverhältnismässig war. 
3. 
Der Kläger hat demnach Anspruch auf eine Entschädigung nach Art. 337c Abs. 3 OR. Soweit die Beklagte dartut, es liege ein aussergewöhnlicher Fall vor, der das Absehen von einer Entschädigungszahlung des Arbeitgebers rechtfertigt (BGE 116 II 300 E. 5 S. 301f.), trifft dies offensichtlich nicht zu. Die Höhe der Entschädigung, welche eineinhalb Monatslöhne beträgt, wurde nicht angefochten und liegt im Übrigen im Rahmen des Ermessens. 
4. 
Die Berufung erweist sich als unbegründet, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend ist die Gerichtsgebühr der Beklagten aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Diese hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer, vom 8. April 2002 bestätigt. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklagten auferlegt. 
3. 
Die Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 8. Oktober 2002 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: