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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1B_100/2015, 1B_130/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 8. Juni 2015  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Chaix, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Misic. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1B_100/2015 
Natalie Fritz, Gerichtspräsidentin, Regionalgericht Oberland, Scheibenstrasse 11 B, 3600 Thun, 
Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
1B_130/2015 
Mitglieder der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Bern, 
vertreten durch Oberrichterin Renate Schnell, Obergericht des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Ausstand, 
 
Beschwerden gegen die Beschlüsse des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, Beschwerdekammer 
in Strafsachen, vom 20. Februar 2015 und des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 11. März 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Urteil vom 29. Oktober 2014 sprach die Gerichtspräsidentin des Regionalgerichts Oberland (nachfolgend: Regionalgericht) A.________ der versuchten Erpressung, der Verletzung des Schriftgeheimnisses, des zweifachen Betrugs und der zweifachen Urkundenfälschung schuldig und verurteilte sie zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten. Dagegen hat A.________ Berufung eingelegt. 
 
B.   
Am 26. Dezember 2014 beantragte A.________ vor dem Regionalgericht den Ausstand des gesamten Regionalgerichts, insbesondere der Gerichtspräsidentin. Die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Bern (nachfolgend: Beschwerdekammer) trat auf das Gesuch nicht ein (Beschluss vom 20. Februar 2015). 
 
C.   
Mit Schreiben vom 14. Februar 2015 an die Beschwerdekammer verlangte A.________ den Ausstand der Präsidentin und zweier weiterer Richter der Beschwerdekammer sowie des gesamten Obergerichts. Mit Beschluss vom 11. März 2015 trat die 2. Strafkammer des Obergerichts auf das Gesuch betreffend die Mitglieder der Beschwerdekammer nicht ein. Am 12. März 2015 beschloss auch die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Nichteintreten betreffend das gegen alle Mitglieder des Obergerichts gerichtete Ausstandsbegehren (Art. 59 Abs. 1 lit. d StPO). 
 
D.   
A.________ erhebt mit Eingaben vom 28. März und 14. April 2015 zwei Beschwerden in Strafsachen und beantragt die Aufhebung der Beschlüsse des Obergerichts und des Bundesstrafgerichts. Sie ersucht um aufschiebende Wirkung sowie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
E.   
Die Beschwerdekammer hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Gerichtspräsidentin des Regionalgerichts hat Gegenbemerkungen eingereicht. Dazu hat sich A.________ mit Schreiben vom 9. Mai 2015 vernehmen lassen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Zwischen den beiden Verfahren besteht ein enger Zusammenhang. In beiden Verfahren führt die gleiche Person Beschwerde und die beiden Beschwerden richten sich gegen behördliche Akte in derselben Sache. Die bundesgerichtlichen Verfahren 1B_100/2015 und 1B_130/2015 sind daher zu vereinigen (Art. 24 BZP i.V.m Art. 71 BGG). 
 
2.   
Gegen selbständig eröffnete, kantonal letztinstanzliche Zwischenentscheide über Ausstandsbegehren in einer strafrechtlichen Angelegenheit ist die Beschwerde in Strafsachen grundsätzlich zulässig (Art. 92 Abs. 1 i.V.m. Art. 78 Abs. 1 BGG und Art. 80 Abs. 1 BGG). Dagegen ist der Beschluss der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts vom 12. März 2015 endgültig und kann von der Beschwerdeführerin nicht mehr angefochten werden (Art. 79 BGG), weshalb insoweit auf die Beschwerde vom 14. April 2015 nicht einzutreten ist. Die Person, die den Ausstand beantragt und am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat, ist hinsichtlich der anderen Zwischenentscheide nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. 
 
3.   
Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Die Beschwerdeführerin muss sich wenigstens kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzen. Rein appellatorische Kritik ohne Bezug zum angefochtenen Entscheid genügt nicht (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4 S. 254 f.). Die Beschwerdeführerin stellt in ihren Eingaben ans Bundesgericht wiederum Ausstandsbegehren gegen das Regionalgericht bzw. das Obergericht "in corpore" und damit pauschal gegen Gesamtbehörden. Abgesehen davon, dass Streitgegenstand vor Bundesgericht nur die ergangenen Nichteintretensbeschlüsse sind und dass nur die für eine Behörde tätigen Personen, nicht hingegen die Behörde als solche, befangen sein können (BGE 137 V 210 E. 1.3.3 S. 227; weitere Hinweise bei Markus Boog, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl., 2014, N. 2 zu Art. 58 StPO), ist - mangels Begründung - auch nicht ersichtlich, weshalb alle Einzelmitglieder dieser Gerichte befangen sein sollten. Es fehlt auch eine Begründung, weshalb die Mitglieder der 2. Strafkammer nicht den Ausstand der Mitglieder der Beschwerdekammer hätten beurteilen dürfen (vgl. Art. 59 Abs. 3 i.V.m. Art. 59 Abs. 1 lit. d StPO). Der pauschale Hinweis auf unverzichtbare und unverjährbare Grundrechte reicht als Begründung jedenfalls nicht aus. Auf die diesbezüglichen Vorbringen ist daher nicht weiter einzugehen. 
 
4.  
 
4.1. Gemäss Art. 58 Abs. 1 StPO hat die Partei, die den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangt, der Verfahrensleitung ohne Verzug ein entsprechendes Gesuch zu stellen, sobald sie vom Ausstandsgrund Kenntnis hat; die den Ausstand begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen. Nach der Rechtsprechung ist der Ausstand in den nächsten Tagen nach Kenntnisnahme zu verlangen. Andernfalls verwirkt der Anspruch. Ein Gesuch, das sechs bis sieben Tage nach Kenntnis des Ausstandsgrunds eingereicht wird, gilt als rechtzeitig. Unzulässig ist hingegen ein Zuwarten während zwei oder drei Wochen (vgl. zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 1B_274/2013 vom 19. November 2013 E. 4.1 mit Hinweisen; Boog, a.a.O., N. 5 zu Art. 58).  
 
4.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Gerichtspräsidentin des Regionalgerichts habe bereits in früheren Verfahren gegen sie als Gerichtsschreiberin mitgewirkt und sei deshalb befangen. Diesen Ausstandsgrund machte die (amtlich vertretene) Beschwerdeführerin anlässlich der Verhandlung vom 29. Oktober 2014 vor der Gerichtspräsidentin jedoch nicht geltend. In der Vernehmlassung vom 27. April 2015 weist die Gerichtspräsidentin darauf hin, dass sie die Beschwerdeführerin nach Ausstandsgründen befragt habe (vgl. Protokoll zur Verhandlung vom 29. Oktober 2014). Die Beschwerdeführerin konnte deshalb in ihrer Eingabe vom 26. Dezember 2014, d.h. knapp zwei Monate nach Eröffnung des Strafurteils, nicht mehr darauf zurückkommen. Der Anspruch auf Prüfung von Ausstandsgründen galt als verwirkt, zumal sie in der Eingabe keine neuen Ausstandsgründe gegen die Gerichtspräsidentin geltend machte, von denen sie erst  seit der Eröffnung des Urteils Kenntnis erhalten haben könnte. Dazu hätte sie sich im Übrigen nach der ihr von der Beschwerdekammer eingeräumten Frist zur Überarbeitung der Eingabe vom 26. Dezember 2014 (Art. 110 Abs. 4 StPO) und zur Benennung von Ausstandsgründen noch bis Ende Februar 2015 äussern können; die Frist verstrich indessen ungenutzt.  
 
4.3. Ausserdem wusste die amtlich vertretene Beschwerdeführerin spätestens seit Mitte Januar 2015, dass die Beschwerdekammer mit dem gegen die Gerichtspräsidentin gerichteten Ausstandsgesuch befasst war (vgl. Verfügung des Regionalgerichts vom 8. Januar 2015). Die personelle Zusammensetzung der Beschwerdekammer war der Beschwerdeführerin bereits aus früheren Verfahren bekannt. Weshalb sie mehr als einen Monat zuwartete, um mit Schreiben vom 14. Februar 2015 erstmals den Ausstand von drei Mitgliedern der Beschwerdekammer zu verlangen, wird von ihr nicht begründet und ist auch nicht ersichtlich. Das Ausstandsgesuch war somit als verspätet zu betrachten.  
 
5.   
Die Beschwerden erweisen sich somit als unbegründet und sind abzuweisen, soweit überhaupt darauf einzutreten ist. Unter den gegebenen Umständen ist auf eine Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die bundesgerichtlichen Verfahren 1B_100/2015 und 1B_130/2015 werden vereinigt. 
 
2.   
Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, Beschwerdekammer in Strafsachen, und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. Juni 2015 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Misic