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[AZA 7] 
C 11/00 Gr 
 
III. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichter Spira und Bundesrichterin 
Widmer; Gerichtsschreiber Widmer 
 
Urteil vom 10. Oktober 2001 
 
in Sachen 
Staatssekretariat für Wirtschaft, Abteilung Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung, Bundesgasse 8, 3003 Bern, Beschwerdeführer, 
gegen 
P. M.________, Beschwerdegegner, Erbe des T. M.________, 1930, gestorben am 13. Oktober 2000, 
 
und 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
A.- Die Bauunternehmung T. M.________ bezog in der Zeit zwischen Januar 1992 und Februar 1994 Schlechtwetter- und Kurzarbeitsentschädigung im Gesamtbetrag von Fr. 12'343. 55. Nachdem am 28. September 1993 ein Mitarbeiter der Unternehmung gegenüber der Arbeitslosenkasse des Kantons Bern den Verdacht geäussert hatte, dass die Firma Kurzarbeitsentschädigung bezogen habe, obwohl die Angestellten voll gearbeitet hätten, holte die Arbeitslosenkasse weitere Unterlagen ein. Am 21. Juli 1994 sandte sie die Akten an das damalige Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) und bat unter Hinweis auf Unstimmigkeiten, die sich hinsichtlich bereits früher von T. M.________ zurückgeforderter Kurzarbeitsentschädigung für die Monate Juni bis August 1993 ergeben hatten, sowie den Verdacht auf unrechtmässigen Entschädigungsbezug durch die Firma um Überprüfung der Angelegenheit. 
Eine am 16. November 1994 vom BIGA bei der Bauunternehmung T. M.________ durchgeführte Arbeitgeberkontrolle ergab laut Bericht vom 16. März 1995, dass die Firma zwischen Januar 1992 und Februar 1994 Schlechtwetter- und Kurzarbeitsentschädigung in der Höhe von insgesamt Fr. 70'400. 05 unrechtmässig bezogen habe, indem wiederholt Arbeitsausfälle für Arbeitnehmer, die gemäss Stundenbüchern voll oder teilweise auf der Baustelle oder in der Werkstatt gearbeitet hatten, geltend gemacht worden waren. Nicht anerkannt wurden weiter Arbeitsausfälle, die durch Krankheit oder Unfall bedingt waren und solche, die nach Korrektur weniger als 10 % der normalerweise geleisteten Arbeitsstunden ausmachten. Am 14. Juli 1995 erliess die Arbeitslosenkasse auf Weisung des BIGA eine Rückforderungsverfügung über den Betrag von Fr. 70'400. 05. 
 
B.- In Gutheissung der von T. M.________ hiegegen eingereichten Beschwerde hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Kassenverfügung vom 14. Juli 1995 mit Entscheid vom 9. Dezember 1999 auf. 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragte das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco), der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. 
T. M.________ liess auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, während die Arbeitslosenkasse auf eine Vernehmlassung verzichtete. 
 
D.- T. M.________ starb am 13. Oktober 2000. Laut notarieller Erbgangsbescheinigung vom 16. August 2001 ist dessen Sohn P. M.________ einziger Erbe des Verstorbenen. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Stirbt eine Partei im Laufe des Verfahrens, treten die Erben (Art. 560 ff. ZGB) ohne weiteres als Partei in den Prozess ein (Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum bernischen VRPG, Bern 1997, N 13 zu Art. 13 VRPG), wobei der Erbschaftserwerb bis zur Erklärung der Annahme oder bis zum Ablauf der Ausschlagungsfrist resolutiv bedingt ist (Escher, Zürcher Kommentar, N 6 f. Vorbemerkungen zu Art. 560 ZGB). Die Erbenstellung wird somit erst nach der ausdrücklichen Annahme der Erbschaft oder nach unbenütztem Ablauf der Ausschlagungsfrist definitiv. Dementsprechend bestimmt Art. 6 BZP (anwendbar nach Art. 40 in Verbindung mit Art. 135 OG), dass das Verfahren bei Tod einer Partei ruht (Abs. 2) und erst fortzusetzen ist, wenn die Erbschaft nicht mehr ausgeschlagen werden kann bzw. die Erbenstellung definitiv geworden ist (vgl. auch Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Auflage, N 94 S. 148; Merkli/ Aeschlimann/Herzog, a.a.O., N 14 zu Art. 13 und N 7 zu Art. 38 VRPG). 
Auf Grund der notariellen Erbgangsbescheinigung vom 16. August 2001 steht fest, dass P. M.________, der Sohn des verstorbenen Beschwerdegegners, dessen einziger Erbe ist. Damit tritt P. M.________ ohne weiteres als Beschwerdegegner in den gängigen Prozess ein, der nunmehr fortzusetzen ist. 
 
 
2.- Gemäss Art. 95 Abs. 4 Satz 1 AVIG verjährt der Rückforderungsanspruch innert einem Jahr nachdem die auszahlende Stelle davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach der Auszahlung der Leistung. Bei diesen Fristen handelt es sich um Verwirkungsfristen. Unter dem Ausdruck "nachdem die auszahlende Stelle davon Kenntnis erhalten hat" ist der Zeitpunkt zu verstehen, in welchem die Verwaltung bei Beachtung der ihr zumutbaren Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass die Voraussetzungen für eine Rückerstattung bestehen (BGE 124 V 382 Erw. 1, 122 V 274 Erw. 5a). Um die Voraussetzungen für die Rückerstattung beurteilen zu können, müssen der Verwaltung alle im konkreten Einzelfall erheblichen Umstände zugänglich sein, aus deren Kenntnis sich der Rückforderungsanspruch dem Grundsatz nach und in seinem Ausmass gegenüber einem bestimmten Rückerstattungspflichtigen ergibt. Für die Beurteilung des Rückerstattungsanspruchs genügt es nicht, dass der Kasse bloss Umstände bekannt werden, die möglicherweise zu einem solchen Anspruch führen können, oder dass dieser Anspruch bloss den Grundsatz nach, nicht aber in masslicher Hinsicht feststeht (BGE 112 V 181 Erw. 4a). 
 
3.- Streitig und zu prüfen ist, ob die Rückforderung verwirkt ist, wie die Vorinstanz angenommen hat, oder ob sie innert der einjährigen Verwirkungsfrist des Art. 95 Abs. 4 Satz 1 AVIG verfügt wurde, wie das seco in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend macht. Dabei stellt sich die Frage, wann die Frist zu laufen begonnen hat. 
Die Vorinstanz wirft der Kasse vor, es wäre im Anschluss an die Mitteilung des angestellten W.________ vom 28. September 1993 über Unregelmässigkeiten beim Bezug von Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung durch den verstorbenen T. M.________ und nach der Rückzahlung solcher Entschädigungen durch die Firma selbst - offenbar unter dem Druck der Ereignisse - ihre Pflicht gewesen, "eine umfassende Prüfung vorzunehmen oder, wenn sie eine solche Prüfung nicht selbst vornehmen konnte, beim BIGA zu veranlassen". 
Vom Zeitpunkt der erwähnten Mitteilung durch W.________ (September 1993) und der Rückzahlung von Entschädigungen durch die Firma rechnet das kantonale Gericht ungefähr vier Monate dazu (die Dauer, welche die vom damaligen BIGA später durchgeführte Arbeitgeberkontrolle in Anspruch nahm) sowie weitere vier Monate für den definitiven Bericht und stellt sich schliesslich auf den Standpunkt, dass der Bericht des BIGA bei rechtzeitiger Veranlassung durch die Arbeitslosenkasse Ende Juni 1994 hätte vorliegen können. Zu jenem Zeitpunkt habe die einjährige Verwirkungsfrist zu laufen begonnen und sei somit bei Verfügungserlass am 14. Juli 1995 bereits abgelaufen gewesen. 
 
4.- Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. 
Für die Arbeitslosenkasse bestand im Herbst 1993 kein Anlass, eine umfassende Prüfung entweder selbst vorzunehmen oder eine solche beim damaligen BIGA zu veranlassen. Nach Art. 96 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art. 110 Abs. 1 AVIV prüft die Ausgleichsstelle in regelmässigen Abständen vollumfänglich oder stichprobenweise, ob die Auszahlungen der Kassen rechtmässig sind. Die Vorinstanz geht zu Recht davon aus, dass nur eine solche Kontrolle die nötige Klarheit über die Rückerstattungspflicht dem Grundsatz nach und in masslicher Hinsicht zu erbringen vermochte, legt sie doch ihrer Berechnung des Beginns der Verwirkungsfrist den Zeitpunkt zu Grunde, in welchem ein entsprechender Bericht frühestens vorliegen konnte. Entscheidend ist somit, ob die Kasse beim damaligen BIGA im Herbst 1993 sofort eine Arbeitgeberkontrolle hätte veranlassen müssen oder ob sie, entsprechend dem von ihr gewählten Vorgehen, zuerst selber hat versuchen müssen, konkretere Anhaltspunkte über allfällige Unregelmässigkeiten zu gewinnen. 
Eine kantonale Verwaltungsstelle, welche eine Untersuchung durch eine Bundesstelle auslösen will, muss, um Gehör zu finden, über konkrete und gewichtige Fakten verfügen. 
Die Mitteilung eines Angestellten, der mit der Arbeitgeberfirma im Streite stand, sowie eine Rückzahlung von Entschädigungen, welche die Firma für einen Angestellten erhalten hatte, sind Vorgänge, wie sie bei zahlreichen Kassen in der Schweiz gelegentlich vorkommen. In solchen Fällen entspricht es ordnungsgemässem Verwaltungshandeln, wenn eine Kasse versucht, sich ein klareres Bild zu verschaffen, ehe sie beim zuständigen Bundesamt die Durchführung einer Arbeitgeberkontrolle beantragt. Dies gilt umso mehr, als die Kasse die Angaben von M. W.________ mit einer gewissen Zurückhaltung aufgenommen hat, schrieb sie doch in ihrer Aktennotiz vom 29. Oktober 1993 über ein Telefongespräch mit dem Genannten hinsichtlich eines anderen Streitpunktes zwischen diesem und der Firma: "Herr W.________ fehlen auch hier handfeste Beweise". Einem wenig substanziierten Antrag an das BIGA wäre jedoch zum Vornherein kaum Erfolg beschieden gewesen. Die Arbeitslosenkasse hat demnach durchaus korrekt gehandelt, wenn sie den Verstorbenen zuerst (Oktober 1993) aufgefordert hat, die nötigen Unterlagen einzureichen und die Firma hernach am 28. März 1994 gemahnt hat, nachdem dieser Aufforderung keine Folge geleistet worden war. Selbst wenn eine frühere Mahnung dazu geführt hätte, dass die Unterlagen von der Firma ohne weiteren Verzug geliefert worden wären, hätte der Bericht des BIGA nach der Berechnung der Vorinstanz erst in der zweiten Jahreshälfte 1994 vorgelegen, sodass die einjährige Verwirkungsfrist durch den Erlass der Rückforderungsverfügung vom 14. Juli 1995 gewahrt wurde. 
 
5.- Nachdem die Vorinstanz über die Frage, ob der Bezug von Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung durch den verstorbenen T. M.________ unrechtmässig war, nicht befunden hat, ist die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es hierüber entscheide. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne 
gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts 
des Kantons Bern vom 9. Dezember 1999 aufgehoben 
und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen 
wird, damit diese im Sinne der Erwägungen über die 
Beschwerde neu entscheide. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Kantonalen Amt für Industrie, 
 
 
Gewerbe und Arbeit, Abteilungen Arbeitslosenkasse und 
Arbeitsvermittlung, zugestellt. 
Luzern, 10. Oktober 2001 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der III. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: