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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_954/2023  
 
 
Urteil vom 27. März 2024  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Muschietti, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter von Felten, 
Gerichtsschreiber Keskin. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hermann Roland Etter, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden, Postfach 1561, 6060 Sarnen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Fristwiederherstellungsgesuch (Strafbefehl; grobe Verkehrsregelverletzung, Nötigung); Willkür, Fairnessgebot, überspitzter Formalismus etc., 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Obwalden vom 4. Juli 2023 (BS 23/013/PRA). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Mit Strafbefehl vom 19. April 2022 verurteilte die Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden A.________ wegen grober Verkehrsregelverletzung und Nötigung zu einer unbedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 200.--. Der Strafbefehl wurde gleichentags versandt und am 20. April 2022 durch die Post zur Abholung gemeldet.  
 
A.b. Nachdem der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden vom 19. April 2022 am Freitag, 6. Mai 2022, als nicht abgeholt von der Post retourniert wurde, sandte die Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden am Montag, 9. Mai 2022, den Strafbefehl zusammen mit einem Begleitschreiben erneut mittels A-Post an A.________.  
 
B.  
 
B.a. Am 10. Mai 2022 erhob A.________ Einsprache gegen den Strafbefehl. Gleichentags ersuchte er um Wiederherstellung der Einsprachefrist.  
 
B.b. Am 24. Mai 2022 überwies die Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden die Akten dem Kantonsgericht Obwalden für den Entscheid über die Gültigkeit der Einsprache und allenfalls zur Durchführung des Hauptverfahrens, wobei sie den Strafbefehl vom 19. April 2022 zur Anklageschrift erhob. Mit Verfügung vom 20. September 2022 trat das Kantonsgericht Obwalden auf die Anklage nicht ein und stellte die Rechtskraft des Strafbefehls vom 19. April 2022 fest.  
 
B.c. Mit Verfügung vom 17. Februar 2023 lehnte die Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden das Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist ab.  
 
C.  
Die von A.________ gegen die Verfügung vom 17. Februar 2023 der Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Obwalden mit Beschluss vom 4. Juli 2023 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
D.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, es sei der Beschluss des Obergerichts des Kantons Obwalden vom 4. Juli 2023 sowie die Verfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden vom 17. Februar 2023 aufzuheben. Das Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist vom 11. Mai 2022 sei in Anwendung von Art. 94 StPO zu genehmigen. Es sei festzustellen, dass der Strafbefehl vom 19. April 2022 nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Ihm sei eine angemessene Entschädigung für die entstandenen Anwaltskosten (zahlbar an den Rechtsvertreter zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer), einschliesslich für das Verfahren vor den kantonalen Instanzen, auszurichten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Anfechtungsgegenstand im bundesgerichtlichen Verfahren ist einzig der vorinstanzliche Entscheid (vgl. Art. 80 Abs. 1 BGG). Dieser hatte das vom Beschwerdeführer gestellte und von der Staatsanwaltschaft abgewiesene Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist zum Gegenstand. Soweit der Beschwerdeführer mit seinen Vorbringen die Gültigkeit der von ihm verspätet erhobenen Einsprache gegen den Strafbefehl darzulegen versucht (u.a. keine Kenntnis von Strafbefehl bzw. Abholungseinladung, daher keine Anwendung der Zustellfiktion; Vertrauensschutz in behördliche Auskunft betreffend laufender Einsprachefrist), welche vom Kantonsgericht Obwalden mit Verfügung vom 20. September 2022 rechtskräftig beurteilt worden ist, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 94 StPO.  
 
2.2.  
 
2.2.1. Eine Partei ist säumig, wenn sie eine Verfahrenshandlung nicht fristgerecht vornimmt oder zu einem Termin nicht erscheint (Art. 93 StPO). Würde ihr aus der Säumnis ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust erwachsen, kann sie nach Art. 94 Abs. 1 StPO die Wiederherstellung der Frist verlangen, wobei sie glaubhaft zu machen hat, dass sie an der Säumnis kein Verschulden trifft. Das Gesuch ist innert 30 Tagen nach Wegfall des Säumnisgrundes schriftlich und begründet bei der Behörde zu stellen, bei welcher die versäumte Verfahrenshandlung hätte vorgenommen werden sollen. Innert der gleichen Frist muss die versäumte Verfahrenshandlung nachgeholt werden (Art. 94 Abs. 2 StPO).  
 
Die gesuchstellende Partei hat glaubhaft zu machen, dass sie an der Säumnis kein Verschulden trifft. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Wiederherstellung nur bei klarer Schuldlosigkeit gewährt werden. Jedes Verschulden einer Partei, ihres Vertreters oder beigezogener Hilfspersonen, so geringfügig es sein mag, schliesst die Wiederherstellung aus. Unverschuldet ist die Säumnis nur, wenn sie durch einen Umstand eingetreten ist, der nach den Regeln vernünftiger Interessenwahrung auch von einer sorgsamen Person nicht befürchtet werden muss oder dessen Abwendung übermässige Anforderungen gestellt hätte. Allgemein wird vorausgesetzt, dass es in der konkreten Situation unmöglich war, die Frist zu wahren oder jemanden damit zu betrauen (vgl. BGE 143 I 284 E. 1.3; Urteile 6B_1093/2022 vom 2. August 2023 E. 1.3.1; 6B_799/2022 vom 3. Oktober 2022 E. 2.2; 6B_1329/2020 vom 20. Mai 2021 E. 1.3.3; je mit Hinweisen). Bei Versäumnis gesetzlicher Fristen sind strengere Anforderungen zu stellen (Urteile 6B_1093/2022 vom 2. August 2023 E. 1.3.1; 6B_799/2022 vom 3. Oktober 2022 E. 2.2; 6B_1329/2020 vom 20. Mai 2021 E. 1.3.3; je mit Hinweisen). 
 
2.2.2. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zu begründen (Art. 42 Abs. 1 BGG). In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 1.2 und 1.3). Die Begründung muss sachbezogen sein und erkennen lassen, dass und weshalb nach Auffassung des Beschwerdeführers Recht verletzt ist (BGE 142 I 99 E. 1.7.1; 140 III 86 E. 2; 139 I 306 E. 1.2).  
 
2.3. Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer das Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist fristgerecht eingereicht und die versäumte Einsprache rechtzeitig bei der Staatsanwaltschaft nachgeholt hat. Zudem droht ihm ein erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust, da der Strafbefehl vom 19. April 2022 durch die verspätete Einsprache in Rechtskraft erwächst. In materieller Hinsicht bejaht die Vorinstanz indessen ein Verschulden des Beschwerdeführers an der Säumnis. Zur Begründung führt sie aus, der Beschwerdeführer habe mit der Zustellung einer behördlichen Sendung rechnen müssen. Weniger als drei Monate vor der Zustellung sei er durch die Polizei als beschuldigte Person einvernommen worden. Dabei sei ihm mitgeteilt worden, dass eine Anzeige zuhanden der Staatsanwaltschaft erfolgen werde. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Ferien würden kein unvorhersehbares Ereignis darstellen, die eine Fristwahrung unmöglich gemacht hätten. Er hätte eine Stellvertretung organisieren oder bei der Beschwerdegegnerin seine Abwesenheit melden können. Besondere Umstände, die die Ferienabwesenheit trotzdem als unverschuldetes Hindernis erscheinen liessen, seien nicht ersichtlich. Ausserdem hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt, den Strafbefehl abzuholen und eine Einsprache zu erheben. Der vom 19. April 2022 datierende Strafbefehl sei am 20. April 2022 durch die Post zur Abholung gemeldet worden. Die Abholfrist habe bis zum 27. April 2022 gedauert. Gemäss eigenen Aussagen habe sich der Beschwerdeführer erst ab dem 27. April 2022 in den Ferien befunden.  
Der Beschwerdeführer bringt lediglich vor, in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem der Beschwerdeführer die Abholungseinladung nie zu Gesicht bekommen hat, dürfe nicht einfach angenommen werden, es liege deswegen ein Verschulden vor. Mit dieser Argumentation thematisiert der Beschwerdeführer wiederum die Gültigkeit der Einsprache, was unzulässig ist. Im Übrigen setzt er sich nicht mit der zutreffenden Argumentation der Vorinstanz auseinander (Art. 42 Abs. 2 BGG). Auf die Rüge ist nicht einzutreten. 
 
3.  
Der Antrag auf Entschädigung wird lediglich mit der Wiederherstellung der Einsprachefrist begründet. Dies ist hier nicht der Fall. Insoweit erübrigen sich Ausführungen dazu. 
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Obwalden schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. März 2024 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Muschietti 
 
Der Gerichtsschreiber: Keskin