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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_578/2023, 7B_579/2023, 7B_580/2023,  
 
7B_581/2023, 7B_624/2023, 7B_625/2023,  
 
7B_626/2023, 7B_627/2023  
 
 
Urteil vom 23. Oktober 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
7B_578/2023 
A.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Andreas Noll, 
Beschwerdeführer, 
 
7B_579/2023 
B.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Andreas Noll, 
Beschwerdeführer, 
 
7B_580/2023 
C.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Andreas Noll, 
Beschwerdeführer, 
 
7B_581/2023 
D.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Andreas Noll, 
Beschwerdeführer, 
 
7B_624/2023 
E.________, 
vertreten durch Advokatin Eva Jaqueira, 
Beschwerdeführer, 
 
7B_625/2023 
F.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Nideröst, 
Beschwerdeführer, 
 
7B_626/2023 
G.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dana Rüger, 
Beschwerdeführer, 
 
7B_627/2023 
H.________, 
vertreten durch Advokat Peter Bürkli, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Appellationsgericht Basel-Stadt, Der Präsident, Bäumleingasse 1, 4051 Basel, 
Beschwerdegegner, 
 
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel, 
2. Strafgericht des Kantons Basel-Stadt, Schützenmattstrasse 20, 4009 Basel. 
 
Gegenstand 
Akteneinsicht im Ausstandsverfahren, 
 
Beschwerden gegen die Verfügung des Appellationsgerichts Basel-Stadt, Der Präsident, 
vom 3. August 2023. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Im Zusammenhang mit der (unbewilligten) "Basel nazifrei"-Demonstration vom 24. November 2018 waren am Strafgericht Basel-Stadt zahlreiche (nicht vereinigte) Verfahren wegen diverser Delikte hängig. Am 26. September 2020 erschien diesbezüglich in der "Basler Zeitung" (nachfolgend BaZ) ein Interview mit René Ernst, einem der amtierenden Strafgerichtspräsidenten. In einem Beitrag von "Schweiz Aktuell" des Schweizer Radio und Fernsehens (nachfolgend SRF) vom 13. Oktober 2020 wurde anschliessend davon berichtet, dass das in der BaZ erschienene Interview mit Gerichtspräsident René Ernst "nach Absprache mit seinen Richterkollegen" erfolgt sei. Am 15. April 2021 erschien in der "Wochenzeitung" (nachfolgend WOZ) sodann ein Artikel über die zur Diskussion stehenden "Basel nazifrei"-Prozesse. Darin wurde unter Bezugnahme auf ein der Zeitung zugespieltes gerichtsinternes E-Mail eines namentlich nicht genannten (ordentlichen) Richters des Strafgerichts Basel-Stadt im Wesentlichen davon berichtet, es habe im Vorfeld der "Basel nazifrei"-Prozesse Absprachen zwischen den Strafgerichtspräsidenten gegeben, mit "linksextremen Demonstranten eine gewisse Schiene zu fahren".  
 
A.b. Nach dem Erscheinen des SRF-Fernsehbeitrags sowie der Publikation des WOZ-Artikels stellten 16 der im Rahmen der "Basel nazifrei"-Prozesse beschuldigten Personen Ausstandsgesuche gegen die vorsitzenden Strafgerichtspräsidien bzw. das gesamte Strafgericht Basel-Stadt. Weiter beantragten sie, sämtliche "Basel nazifrei"-Verfahren seien an das Strafgericht Basel-Landschaft, eventualiter an das Strafgericht eines anderen Kantons abzutreten. Mit Entscheid vom 18. Februar 2022 hiess das Appellationsgericht Basel-Stadt, Einzelgericht, eines der genannten Ausstandsgesuche gut und wies sämtliche weiteren Gesuche ab, soweit es darauf eintrat. Gegen diesen Entscheid gelangten elf der beschuldigten Personen mit Beschwerde an das Bundesgericht. Auf eine dieser Beschwerden trat das Bundesgericht mangels fristgerechter Einreichung einer gültigen Vollmacht mit Urteil vom 19. Juli 2022 nicht ein (Verfahren 1B_264/2022). Die übrigen Beschwerden hiess es mit Urteil vom 14. Dezember 2022 gut und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück (Verfahren 1B_254/2022, 1B_260/2022, 1B_261/2022, 1B_262/2022, 1B_263/2022, 1B_265/2022, 1B_266/2022, 1B_267/2022, 1B_272/2022 und 1B_279/2022).  
 
B.  
Im Zuge der Neubeurteilung der Sache sowie der Behandlung weiterer Ausstandsgesuche sichtete die Vorinstanz insbesondere sämtliche Protokolle der Präsidienkonferenzen des Strafgerichts Basel-Landschaft der Jahre 2019 - 2023. Mit Verfügung vom 3. August 2023 entschied die Vorinstanz, diejenigen Textstellen der Protokolle der Präsidienkonferenzen, die in irgendeiner Art und Weise einen Bezug zu den "Basel-nazifrei-Fällen" aufweisen würden, zu kopieren und den Parteien zugänglich zu machen. Zugleich wurde den Parteien eine Frist zur Stellungnahme bis zum 18. September 2023 eingeräumt. 
 
C.  
Dagegen erheben A.________ (Verfahren 7B_578/2023; nachfolgend Beschwerdeführer 1), B.________ (Verfahren 7B_579/2023; nachfolgend Beschwerdeführer 2); C.________ (Verfahren 7B_580/2023; nachfolgend Beschwerdeführer 3) und D.________ (Verfahren 7B_581/2023; nachfolgend Beschwerdeführer 4) mit gemeinsamer Eingabe vom 7. September 2023, E.________ (Verfahren 7B_624/2023; nachfolgend Beschwerdeführer 5), F.________ (Verfahren 7B_625/2023; nachfolgend Beschwerdeführer 6), G.________ (Verfahren 7B_626/2023; nachfolgend Beschwerdeführer 7) und H.________ (Verfahren 7B_627/2023; nachfolgend Beschwerdeführerin 8) je mit Eingabe vom 14. September 2023 beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragen übereinstimmend, die Verfügung der Vorinstanz vom 3. August 2023 vollumfänglich aufzuheben und die Vorinstanz stattdessen anzuweisen, ihnen die gesamten von der Vorinstanz vom Strafgericht Basel-Stadt beigezogenen Protokolle der Präsidienkonferenzen der Jahre 2019 - 2023 zur "uneingeschränkten vollständigen Akteneinsicht" zuzustellen. Weiter beantragen sämtliche Beschwerdeführer die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren. 
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerden in den Verfahren 7B_578/2023, 7B_579/2023, 7B_580/2023, 7B_581/2023, 7B_624/2923, 7B_625/2023, 7B_626/2026 und 7B_627/2023 richten sich mit inhaltlich im Wesentlichen identischer Begründung gegen denselben Entscheid. Es rechtfertigt sich deshalb, die genannten Verfahren zu vereinigen und die Sache in einem einzigen Entscheid zu behandeln. 
 
2.  
 
2.1. Der angefochtene Entscheid schliesst die gegen die Beschwerdeführer geführten Strafverfahren nicht ab. Es handelt sich um einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid, der nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 oder Art. 93 BGG angefochten werden kann. Der angefochtene Entscheid ist (lediglich) als prozessleitende Verfügung im Rahmen eines Ausstandsverfahren ergangen, womit die Vorinstanz nicht im Sinne von Art. 92 BGG über den Ausstand befunden hat. Es handelt sich somit um einen "anderen Zwischenentscheid" im Sinne von Art. 93 BGG. Gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde gegen einen derartigen Zwischenentscheid zulässig, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Die Variante nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt hier ausser Betracht, weshalb einzig zu prüfen ist, ob der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte.  
 
2.2. Nach der Rechtsprechung muss es sich beim nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein derartiger Nachteil liegt vor, wenn er auch durch einen für die beschwerdeführende Person günstigen späteren Entscheid nicht mehr behoben werden kann (BGE 144 IV 127 E. 1.3.1). Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 142 III 798 E. 2.2). Denn die Beschwerdevoraussetzungen nach Art. 93 Abs. 1 BGG sollen das Bundesgericht entlasten; dieses soll sich wenn möglich nur einmal mit einer Sache befassen (BGE 135 II 30 E. 1.3.2). Die beschwerdeführende Person muss, wenn das nicht offensichtlich ist, im Einzelnen darlegen, inwiefern ihr ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur drohen soll. Andernfalls kann auf die Beschwerde mangels hinreichender Begründung (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nicht eingetreten werden (BGE 142 III 798 E 2.2; 137 III 324 E. 1.1; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Eine Beschränkung der Akteneinsicht bewirkt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, da sie - wie die Ablehnung eines Beweisantrags oder jede andere Verweigerung des rechtlichen Gehörs - bei der Anfechtung des Endentscheids wirksam gerügt werden kann (statt vieler Urteile 2C_380/2023 vom 24. August 2023 E. 1.4; 1B_628/2021 vom 20. April 2022 E. 3.4; je mit Hinweis/en). Eine Ausnahme besteht im Strafprozessrecht, wo aufgrund der speziellen Verfahrensgarantie in Art. 101 Abs. 1 StPO ein nicht wieder gutzumachender Nachteil bejaht wird, wenn das Akteneinsichtsrecht nach erfolgter erster Einvernahme der beschuldigten Person verweigert wird (BGE 147 IV 188 E. 1.3.3; Urteil 1B_628/2021 vom 20. April 2022 E. 3.4; je mit Hinweisen).  
 
2.4. Die Beschwerdeführer berufen sich ausdrücklich auf die vorzitierte Rechtsprechung zur Akteneinsicht nach Art. 101 Abs. 1 StPO. Dabei verkennen sie jedoch, dass diese Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Verweigerung der Akteneinsicht im Hauptverfahren ergangen ist, deren Gewährung nach der Rechtsprechung eine Voraussetzung dafür ist, dass die Verteidigungsrechte überhaupt wirksam wahrgenommen werden können (vgl. BGE 129 I 85 E. 4.1 mit Hinweisen). Die vorliegend zu beurteilende Konstellation kann damit nicht verglichen werden. Streitig ist einzig der Umfang des Akteneinsichtsrechts im Ausstandsverfahren. Weder wird von den Beschwerdeführern dargelegt (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG) noch ist ersichtlich, weshalb diese Frage vom Bundesgericht nicht ohne Rechtsverlust für die Beschwerdeführer im Rahmen einer allfälligen späteren Überprüfung des eigentlichen Ausstandsentscheids (vgl. Art. 92 BGG) beantwortet werden könnte (vgl. Urteil 1B_628/2021 vom 20. April 2022 E. 3.4 zur Frage nach der Akteneinsicht im Entsiegelungsverfahren).  
Angesichts der vom Gesetzgeber bezweckten beförderlichen Behandlung von Ausstandsgesuchen (siehe dazu ausführlich Urteil 1B_254/2022 vom 14. Dezember 2022 E. 5.3.1) rechtfertigt es sich sodann in grundsätzlicher Hinsicht, das Erfordernis an einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil betreffend verfahrensleitende Verfügungen im Ausstandsverfahren besonders restriktiv zu handhaben, insbesondere soweit die Erhebung von Beweismitteln oder die damit verbundene Gewährung der Akteneinsicht in Frage steht. 
 
2.5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die angefochtene Verfügung nicht geeignet ist, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu bewirken.  
 
3.  
Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerden nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten grundsätzlich den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftung aufzuerlegen und keine Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 66 und Art. 68 BGG). 
Indessen beantragen sämtliche Beschwerdeführer die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das Verfahren vor Bundesgericht. Deren Gewährung setzt jedoch insbesondere voraus, dass die gestellten Rechtsbegehren nicht aussichtlos erscheinen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Beschwerden der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer müssen als aussichtslos qualifiziert werden. Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung sind demnach abzuweisen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Verfahren 7B_578/2023, 7B_579/2023, 7B_580/2023, 7B_581/2023, 7B_624/2023, 7B_625/2023, 7B_626/2023 und 7B_627/2023 werden vereinigt. 
 
2.  
Auf die Beschwerden in den Verfahren 7B_578/2023, 7B_579/2023, 7B_580/2023, 7B_581/2023, 7B_624/2023, 7B_625/2023, 7B_626/2023 und 7B_627/2023 wird nicht eingetreten. 
 
3.  
Die Gesuche der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren werden abgewiesen. 
 
4.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden unter solidarischer Haftung den Beschwerdeführern auferlegt. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, dem Strafgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Appellationsgericht Basel-Stadt, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger