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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.297/2005 /gnd 
 
Urteil vom 31. Oktober 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Zünd. 
Gerichtsschreiber Boog. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Vischer, 
 
gegen 
 
Y.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Steiner, 
 
Gegenstand 
Rassendiskriminierung (Art. 261bis StGB), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, 
vom 25. Mai 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Ende November 2002 richtete das Zentrum gegen Antisemitismus und Verleumdung DAVID einen offenen Brief an Bundesrat, Parlament, Schweizerinnen und Schweizer. Unter dem Titel "Nach dem Kenia-Massaker: Es geht nicht nur um Israel - es geht um alles, was uns wichtig ist!" wurde dazu aufgerufen, "gegen alle intolerant-zerstörerischen Kräfte, die unsere westliche Gesellschaft bedrohen", Stellung zu beziehen. Die abscheulichen Attentate von Kenia seien "das letzte Beispiel für die islamistisch-arabisch-palästinensischen Wahnsinns-Schlächtereien gegen die jüdisch-israelische Zivilbevölkerung". Gegenüber Intoleranz sei keine Toleranz am Platz. 
B. 
X.________ reichte am 16. Dezember 2002 gegen den Geschäftsführer der genannten Vereinigung, Y.________, sowie gegen die Mitunterzeichner des Briefs Strafanzeige ein. Die Bezirksanwaltschaft Zürich erhob am 1. September 2003 gegen Y.________ Anklage wegen Rassendiskriminierung. 
 
Das Bezirksgericht Zürich sprach Y.________ mit Urteil vom 22. Juli 2004 von der Anklage der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 1. Satzteil StGB frei. Auf Berufung des Geschädigten hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 25. Mai 2005 das erstinstanzliche Urteil. 
C. 
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und der Beschwerdegegner der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 1, 2 und 4 StGB schuldig zu sprechen. 
D. 
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Stellungnahme verzichtet. Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer wendet sich als Anzeigesteller gegen den Freispruch des Beschwerdegegners von der Anklage der Rassendiskriminierung. Er macht geltend, mit dem offenen Brief an Bundesrat, Parlament, Schweizerinnen und Schweizer habe der Beschwerdegegner alle Angehörigen der islamischen Glaubensgemeinschaft sowie alle Personen arabischer oder palästinensischer Herkunft diskriminiert, gegen sie aufgehetzt und Hassgefühle gegen sie geschürt, indem er sie darin undifferenziert, kollektiv und pauschal für den internationalen Terrorismus verantwortlich gemacht und als Gefahr für andere Kulturen hingestellt habe. 
2. 
2.1 Gemäss Art. 270 lit. e BStP steht die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde dem Opfer zu, das sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat, soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann (Ziff. 1; Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG), oder soweit es eine Verletzung von Rechten geltend macht, die ihm das Opferhilfegesetz einräumt (Ziff. 2). Der Geschädigte ist zur Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt somit nur berechtigt, wenn ihm die Stellung als Opfer im Sinne des Opferhilfegesetzes zukommt. 
2.2 Nach Art. 2 Abs. 1 OHG ist Opfer jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist, unabhängig davon, ob der Täter ermittelt worden ist und ob er sich schuldhaft verhalten hat (BGE 129 IV 95 E. 2 und 216 E. 1.2; 128 I 218 E. 1.2). 
 
Nach der Rechtsprechung muss die Beeinträchtigung ein gewisses Gewicht erlangt haben. Bagatelldelikte wie z.B. Tätlichkeiten, die nur unerhebliche Beeinträchtigungen bewirken, sind daher vom Anwendungsbereich des Opferhilfegesetzes grundsätzlich ausgenommen. Dies gilt grundsätzlich auch für Ehrverletzungen (BGE 129 IV 206 E. 1; 120 Ia 157 E. 2d/aa), soweit nicht ein aussergewöhnlich schwerer Fall vorliegt, der die Annahme einer unmittelbaren Beeinträchtigung der psychischen Integrität des Betroffenen rechtfertigt (BGE 128 I 218 E. 1.2 S. 221 mit Hinweis). Entscheidend ist jedoch nicht die Schwere der Straftat, sondern der Grad der Betroffenheit der geschädigten Person. So kann etwa eine Tätlichkeit die Opferstellung begründen, wenn sie zu einer nicht unerheblichen psychischen Beeinträchtigung führt. Umgekehrt ist es denkbar, dass eine im Sinne des Opferhilfegesetzes unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Integrität angenommen wird, obwohl der Eingriff strafrechtlich als leichte Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) zu beurteilen ist. Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung des Geschädigten in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität das legitime Bedürfnis begründet, die Hilfsangebote und die Schutzrechte des Opferhilfegesetzes - ganz oder zumindest teilweise - in Anspruch zu nehmen (BGE 129 IV 95 E. 3.1; 128 I 218 E. 1.2; 125 II 265 E. 2a/aa, mit Hinweisen). 
2.3 Art. 261bis StGB ("Rassendiskriminierung") ist im Zwölften Titel des Zweiten Buches des Strafgesetzbuches, "Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden", eingeordnet. Unter die Strafbestimmung fallen grundsätzlich - ausser bei der Tatbestandsvariante der Leistungsverweigerung im Sinne von Art. 261bis Abs. 5 StGB - nur öffentliche Handlungen. Art. 261bis Abs. 4 StGB erfasst den unmittelbaren Angriff gegen die bezeichneten Personen; Abs. 1-3 derselben Bestimmung betreffen die rassistische Hetze (BGE 128 I 218 E. 1.4; 126 IV 20 E. 1c). 
 
Nach der Rechtsprechung schützt Art. 261bis Abs. 4 1. Satzteil StGB (öffentliche Herabsetzung oder Diskriminierung durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise) die Würde des einzelnen Menschen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer Rasse, Ethnie oder Religion. Als Folge dieses Schutzes des Einzelnen in seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe wird durch die Strafbestimmung mittelbar auch der öffentliche Frieden geschützt (BGE 130 IV 111 E. 5.1; 129 IV 95 E. 3.2; 128 I 218 E. 1.4, je mit Hinweisen). Die Opfereigenschaft der Einzelperson im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG fällt etwa in Betracht, wenn der rassendiskriminierende Angriff mit Tätlichkeiten verbunden ist oder wenn er zugleich weitere Straftatbestände wie Körperverletzung, Brandstiftung usw. erfüllt. Ist dies nicht der Fall, ist die Opferstellung nur zu bejahen, wenn ein besonders schwerer Angriff vorliegt. So verhält es sich etwa, wenn sich rassendiskriminierende Äusserungen gegen einen ehemaligen Gefangenen eines Konzentrationslagers richten und dieser aufgrund der dadurch bewirkten Retraumatisierung erheblich in seiner psychischen Integrität beeinträchtigt wird (BGE 131 IV 78 E. 1.2; 128 I 218 E. 1.5 und 1.6 S. 223 f.). Die gleichen Voraussetzungen gelten für die Annahme der Opfereigenschaft, wenn ein strafbares Verhalten nach Art. 261bis Abs. 5 (Verweigerung einer für die Allgemeinheit bestimmten Leistung) in Frage steht (BGE 131 IV 78 E. 1.2 S. 81). Demgegenüber bildet unmittelbares Schutzgut von Art. 261bis Abs. 4 2. Satzteil StGB (Leugnung von Völkermord oder anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit) allein der öffentliche Frieden. Individuelle Rechtsgüter werden nur mittelbar geschützt. Personen, welche der in der Vergangenheit verfolgten Rasse, Ethnie oder Religion angehören, kommt bei der Leugnung der Vorgänge, auch wenn ihre Betroffenheit je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls schwer wiegt und im äussersten Fall gar zu einer psychischen Beeinträchtigung führen mag, keine Opferstellung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 OHG zu (BGE 129 IV 95 E. 3.4-3.6). 
 
Unter welchen Voraussetzungen eine Person bei geltend gemachten Angriffen nach den Tatbestandsvarianten von Art. 261bis Abs. 1 (öffentlicher Aufruf zu Hass oder Diskriminierung) und Abs. 2 StGB (öffentliche Verbreitung von Ideologien) als Opfer anzusehen ist, hat das Bundesgericht bisher nicht entschieden. Die Frage braucht an dieser Stelle nicht abschliessend erörtert zu werden. Denn eine Bejahung der Opfereigenschaft kommt bei diesen Tathandlungen auf jeden Fall nicht unter weniger strengen Voraussetzungen in Betracht als bei Art. 261bis Abs. 4 1. Satzteil StGB. Es genügt daher im zu beurteilenden Fall zu prüfen, ob der Beschwerdeführer nach den für die Tatbestandsvariante von Art. 261bis Abs. 4 1. Satzteil StGB massgeblichen Kriterien als Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG zu gelten hat. 
2.4 Der Beschwerdeführer war von Seiten des Beschwerdegegners keinen Angriffen auf seine körperliche Integrität ausgesetzt. Er ist daher nach der erwähnten Rechtsprechung nur als Opfer zu betrachten, wenn ein besonders schwerer Fall der Rassendiskriminierung vorliegt, die ihn - wie im Beispiel eines ehemaligen Gefangenen eines Konzentrationslagers durch Retraumatisierung oder einen ähnlichen Vorgang (vgl. oben E. 2.3) - in seiner psychischen Integrität erheblich beeinträchtigte. Dabei obliegt es dem Verletzten, eine solche Beeinträchtigung anhand konkreter Umstände zumindest glaubhaft zu machen und nicht bloss zu behaupten (BGE 131 IV 78 E. 1.4 S. 82). 
 
In der Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht dargetan, dass der inkriminierte offene Brief den Beschwerdeführer in seiner psychischen Integrität schwer beeinträchtigt hätte. Es ist lediglich davon die Rede, dass ihn der Brief als führenden Palästinenser in der Schweiz besonders betroffen gemacht habe. Dies genügt indessen nicht, um eine Opferstellung zu begründen. Es sind auch sonst, namentlich aus dem angefochtenen Urteil, keine Umstände ersichtlich, welche den Schluss auf eine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Integrität zuliessen. Dem Beschwerdeführer kommt somit keine Stellung als Opfer im Sinne von Art. 2 OHG zu. 
3. 
Aus diesen Gründen fehlt dem Beschwerdeführer die Legitimation zur Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht. Auf seine Beschwerde ist daher nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 278 Abs. 1 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Auf die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 31. Oktober 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: