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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_1188/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 22. Februar 2016  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Zacharias Ziegler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Bedingte Entlassung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichter, vom 7. Oktober 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
X.________ hatte am 20. Juli 2008 mit einem sogenannten "Ausbeinmesser" auf seine Ehefrau und seine Schwägerin eingestochen. Die Schwägerin starb an den Verletzungen. 
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X.________ am 11. Mai 2011 wegen vorsätzlicher Tötung, versuchter vorsätzlicher Tötung und Entziehens von Unmündigen (aArt. 220 StGB; heutiger Randtitel gemäss Änderung des ZGB [Elterliche Sorge] vom 21. Juni 2013: "Entziehen von Minderjährigen"; AS 2014 365) zu 10 Jahren Freiheitsstrafe (unter Anrechnung von 611 Tagen bereits erstandener Haft). 
Das Strafende fällt auf den 20. Juli 2018. Zwei Drittel der Freiheitsstrafe waren am 20. März 2015 verbüsst. 
 
B.  
Das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich lehnte am 26. Januar 2015 eine bedingte Entlassung von X.________ ab. 
Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich wies den Rekurs von X.________ ab. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies am 7. Oktober 2015 eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde von X.________ ab. 
 
C.  
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das verwaltungsgerichtliche Urteil aufzuheben, sein Gesuch um bedingte Entlassung gutzuheissen und ihn bedingt aus dem Strafvollzug zu entlassen. Es seien ihm die unentgeltliche Rechtspflege (und Verbeiständung) zu gewähren sowie eventualiter die Gerichtskosten nach der armenrechtlichen bundesgerichtlichen Praxis auf Fr. 800.-- festzulegen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer rügt eine bundesrechtswidrige Anwendung von Art. 86 Abs. 1 StGB
 
1.1. Hat der Gefangene zwei Drittel seiner Strafe, mindestens aber drei Monate verbüsst, so ist er durch die zuständige Behörde bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen (Art. 86 Abs. 1 StGB).  
 
1.1.1. In der Ausgestaltung der analogen Bestimmung von aArt. 38 Abs. 1 StGB erfüllte die Entlassung nach zwei Dritteln der Strafe rein spezialpräventive Zwecke und bildete die Regel, von der nur aus guten Gründen abzuweichen war (BGE 124 IV 193 E. 4d). Nach dieser Rechtsprechung steht die günstige Prognose im Spannungsfeld zwischen dem spezialpräventiven Imperativ der bedingten Entlassung als letzter Stufe des Strafvollzugs (da die Freiheit nur «in Freiheit» erlernt werden könne) und dem Anspruch der Allgemeinheit auf Rechtsgüterschutz. Bei realistischer Betrachtung sei anzunehmen, dass sich am Zustand des Täters nach der Zwei-Drittel-Verbüssung während des restlichen Vollzugs-Drittels nicht mehr allzu viel ändern werde (BGE 124 IV 193 E. 4d/aa). Zu beurteilen sei die Gefährlichkeit, die heute vom Insassen ausgehe sowie ob sie bei einer allfälligen Vollverbüssung der Strafe abnehmen, gleich bleiben oder zunehmen werde. Anschliessend sei zu prüfen, ob es zweckmässig sei, eine allfällige bedingte Entlassung mit Weisungen oder Schutzaufsicht zu verbinden und eine bedingte Entlassung im Vergleich zur Vollverbüssung der Strafe spezialpräventiv vorzugswürdiger sei oder nicht (BGE 124 IV 193 E. 5b/bb).  
 
1.1.2. Mit Art. 86 Abs. 1 StGB wurde die Legalprognose der bedingten regulären Entlassung neu geregelt, indem nicht wie bisher positiv verlangt wird, es müsse erwartet werden können, der Täter werde sich in Freiheit bewähren, sondern negativ, dass zu erwarten ist, er werde in Freiheit keine Verbrechen oder Vergehen mehr begehen. Damit wurden die Anforderungen an die Legalprognose jedenfalls tendenziell gesenkt. Stärker als nach früherem Recht ist davon auszugehen, dass die bedingte Entlassung die Regel und deren Verweigerung die Ausnahme darstellt. Im Übrigen bleibt die bisherige Rechtsprechung massgebend (BGE 133 IV 201 E. 2.2).  
 
1.1.3. Die bedingte Entlassung stellt die vierte und letzte Stufe des Strafvollzugs dar und bildet die Regel, von der nur aus guten Gründen abgewichen werden darf. In dieser Stufe soll der Entlassene den Umgang mit der Freiheit erlernen, was nur in Freiheit möglich ist. Diesem rein spezialpräventiven Zweck stehen die Schutzbedürfnisse der Allgemeinheit gegenüber, welchen umso höheres Gewicht beizumessen ist, je hochwertiger die gefährdeten Rechtsgüter sind. Die Prognose über das künftige Wohlverhalten ist in einer Gesamtwürdigung zu erstellen, welche nebst dem Vorleben, der Persönlichkeit und dem Verhalten des Täters während des Strafvollzugs vor allem dessen neuere Einstellung zu seinen Taten, seine allfällige Besserung und die nach der Entlassung zu erwartenden Lebensverhältnisse berücksichtigt (BGE 133 IV 201 E. 2.3 mit Hinweisen).  
 
1.1.4. Welche Art von Delikt zur Freiheitsstrafe geführt hat, ist an sich für die Prognose nicht entscheidend. Die Entlassung darf nicht für gewisse Tatkategorien erschwert werden. Die Umstände der Straftat sind insoweit beachtlich, als sie Rückschlüsse auf die Täterpersönlichkeit und damit auf das künftige Verhalten erlauben. Ob die mit einer bedingten Entlassung in gewissem Masse stets verbundene Gefahr neuer Delikte zu verantworten ist, hängt im Übrigen nicht nur davon ab, wie wahrscheinlich ein neuer Fehltritt ist, sondern auch von der Bedeutung des eventuell bedrohten Rechtsguts. So darf bei unbedeutenden Eigentumsdelikten ein höheres Risiko eingegangen werden als bei Gewaltverbrechen gegen hochwertige Rechtsgüter wie Leib und Leben. Bei der Würdigung der Bewährungsaussichten ist ein vernünftiges Mittelmass zu halten in dem Sinne, dass nicht jede noch so entfernte Gefahr neuer Straftaten eine Verweigerung der bedingten Entlassung zu begründen vermag, ansonst dieses Institut seines Sinnes beraubt würde. Es darf aber auch nicht aufgrund einzelner günstiger Faktoren die bedingte Entlassung bewilligt werden, obwohl gewichtigere Anhaltspunkte für die Gefahr neuer Rechtsbrüche sprechen (BGE 124 IV 193 E. 3 mit Hinweisen).  
 
1.1.5. Somit muss die einer bedingten Entlassung entgegenstehende "Annahme" einer Gefahr für die Begehung weiterer Straftaten (oben E. 1.1) nicht einer Gewissheit gleichkommen. Immerhin hat eine derartige ungünstige Voraussage einer auf Tatsachen begründeten Wahrscheinlichkeit zu entsprechen (Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [...] vom 21. September 1998, BBl 1999 2120). Im Regelfall ist von einer günstigen Prognose auszugehen (MARKUS HUG, in: Andreas Donatsch et al., StGB, 19. Aufl. 2013, Rz. 6 zu Art. 86 StGB).  
 
1.1.6. Der zuständigen Behörde steht ein Ermessen zu. Das Bundesgericht greift in die Beurteilung der Bewährungsaussicht nur ein, wenn sie ihr Ermessen über- oder unterschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt hat. Eine Ermessensüberschreitung kann etwa darin liegen, auf eine Gesamtwürdigung aller für die Prognose relevanten Umstände zu verzichten und auf die Vorstrafen allein abzustellen (BGE 133 IV 201 E. 2.3).  
 
1.2.  
 
1.2.1. Die Vorinstanz hält zunächst fest, der Beschwerdeführer habe bereits zwei Drittel der Strafe verbüsst und sein Vollzugsverhalten im engeren Sinne (Verhalten gegenüber Mitarbeitenden, Arbeitshaltung) stehe einer bedingten Entlassung unstreitig nicht entgegen. Der Entscheid hänge einzig davon ab, ob ihm eine günstige Prognose im Sinne von Art. 86 Abs. 1 StGB gestellt werden könne (Urteil S. 7). Hinsichtlich seines Vorlebens bewertet sie die Vorstrafenlosigkeit positiv (Urteil S. 8).  
 
1.2.2. Gestützt auf das psychiatrische Gutachten führt die Vorinstanz aus, dieses attestiere dem Beschwerdeführer für leichte Gewaltstraftaten eine deutlich erhöhte Rückfallgefahr. Das Risiko für schwere Gewaltstraftaten sei geringer, aber immer noch als mittelgradig einzustufen. Aufgrund der problematischen Persönlichkeitsanteile bestehe langfristig ein beträchtliches Risiko, sich erneut auf Streitigkeiten einzulassen. Bei einer Weiterführung der Beziehung zu seiner Frau seien bedeutende Konflikte zu erwarten. Auch die Regelung der Erziehungsberechtigung für den Sohn stelle eine kritische Situation dar. Nach der allgemeinen Risikoabklärung bestehe ein geringes bis mittleres Risiko für weitere schwerwiegende Gewaltdelikte. Bei interfamiliären Spannungen müsse davon ausgegangen werden, dass hochwertige Rechtsgüter wie Leib und Leben betroffen wären. Die Rückfallgefahr für andere schwerwiegende Delikte sei hingegen als gering bis mittel einzuschätzen, da es sich beim Anlassdelikt um eine affektakzenuierte Tat unter Alkoholeinfluss mit einer hochspezifischen Beziehungsdynamik zur Ehefrau gehandelt habe (Urteil S. 8 f.).  
 
1.2.3. Der Beschwerdeführer habe seine Taten bis anhin in keiner Weise aufgearbeitet. Das sei prognoserelevant (Urteil 6B_93/2015 vom 19. Mai 2015 E. 5.6). Angesichts der infrage stehenden hochwertigen Rechtsgüter von Leib und Leben müsse auch ein geringes Rückfallrisiko nicht in Kauf genommen werden (Urteil 6B_842/2013 vom 31. März 2014 E. 3).  
 
1.2.4. Die zu erwartenden Lebensverhältnisse nach der Entlassung seien nicht als positiv zu bewerten. Zwar dürfte eine Reintegration in der Türkei keine grossen Probleme bereiten. Der schwelende Konflikt betreffend Rückführung des Sohnes unterliege aber Spannungen. Auch wären Weisungen oder Bewährungshilfen bei Nichtbewährung ausserhalb der Schweiz nur schwer vollstreckbar (Urteil 6B_93/2015 vom 19. Mai 2015 E. 5.7).  
 
1.2.5. Ferner sei nicht ersichtlich, weshalb die Fortdauer des Strafvollzugs sich negativ auf Legalprognose und Resozialisierung auswirken sollte. Auch hätte der Beschwerdeführer in der restlichen Zeit die Möglichkeit, mit einer Deliktsaufarbeitung zu beginnen und einen Veränderungsprozess durchzumachen.  
 
1.3. Nach diesen vorinstanzlichen Ausführungen muss jedenfalls mit einer mittelgradigen Wahrscheinlichkeit für schwere Gewaltdelikte in familiären Beziehungen gerechnet werden. Gefährdet ist damit insbesondere seine Ehefrau. Es fällt ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer "seine Taten bis anhin in keiner Weise aufgearbeit hat" (Urteil S. 9). Zutreffend nimmt die Vorinstanz eine Prognoserelevanz dieser Tatsache an (Urteil 6B_715/2014 vom 27. Januar 2015 E. 8.5), denn ohne Tataufarbeitung und Einsicht ist eine Verhaltensänderung grundsätzlich nicht zu erwarten (Urteil 6B_912/2010 vom 26. November 2010 E. 3). Der Insasse ist gesetzlich verpflichtet, bei den Sozialisierungsbemühungen und den Entlassungsvorbereitungen aktiv mitzuwirken (Art. 75 Abs. 4 StGB; vgl. Urteil 6B_842/2013 vom 31. März 2014 E. 3). Daran fehlt es nach der verbindlichen vorinstanzlichen Feststellung (Art. 105 Abs. 1 BGG).  
 
1.4. Der Beschwerdeführer bringt vor, seine negativen Verhaltensdispositionen rührten von Schwierigkeiten bei der kulturellen Eingewöhnung her. Die Anlasstaten seien aus einem lange schwelenden familiären Konflikt entstanden, wobei Faktoren wie der problematische Migrationshintergrund und damit verbunden das fehlende soziale Auffangnetz in der Schweiz sowie der regelmässige Alkoholkonsum diese Belastungen massiv verstärkt hätten.  
Diese an sich zutreffende, auf das Gutachten gestützte Darstellung vermag eine positive Legalprognose nicht zu begründen. Schwierigkeiten mit der kulturellen Eingewöhnung sind in Migrationsverhältnissen zu erwarten, führen aber als solche nicht zu Kapitalverbrechen. Die Straftaten mögen durch die "Beziehungsdynamik zur Ehefrau" motiviert sein, ausgeführt wurden sie aber durch den Beschwerdeführer aufgrund seiner von ihm selber zu verantwortenden Persönlichkeitsdefizite (oben E. 1.2.2). An dieser Problematik hat sich nach dem vorinstanzlichen Urteil bisher nichts geändert. Im Gegenteil ist angesichts der verweigerten Tataufarbeitung von keiner tatsächlichen Einsicht in seine Verhaltensdispositionen und damit von keinem in Gang gekommenen persönlichen Veränderungsprozess auszugehen. 
Nicht anders verhält es sich mit dem Vorbringen, eine Reintegration (vgl. auch oben E. 1.2.4) in die gewohnte soziale Umgebung in seinem Heimatland hätte eine nicht zu unterschätzende deliktspräventive Wirkung. Denn der geltend gemachte "lange schwelenden familiäre Konflikt" ist nicht gelöst, sondern dürfte sich aufgrund der Taten vielmehr akzentuiert haben. Eine "interfamiliäre" und kritische Situation besteht zudem weiterhin bei Fragen der Erziehungsberechtigung und Rückführung des Sohnes. Die familiäre Konfliktlage ist mit einer Rückkehr in die Heimat nicht aus der Welt geschafft. Es kann deshalb entgegen der Beschwerde nicht davon ausgegangen werden, die "praktischen Probleme" einer bedingten Entlassung seien unbeachtlich. Ebenso wenig lässt sich argumentieren, die bedingte Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt sei vorteilhafter. Denn die tatauslösende Persönlichkeits- und Konfliktsituation besteht fort, so lange der Beschwerdeführer in seiner Einstellung verharrt und nicht bereit ist, sein Verhalten aufzuarbeiten. Zudem ist aufgrund seiner Persönlichkeit ganz allgemein ein bis mittleres Risiko für Gewaltdelikte auch gegenüber Drittpersonen anzunehmen (oben E. 1.2.2). 
 
1.5. Der Vorinstanz lässt sich keine bundesrechtswidrige Ermessensausübung vorwerfen.  
 
2.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (und Verbeiständung) ist wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsbegehrens abzuweisen (Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der Beschwerdeführer ist mittellos. Angesichts seiner finanziellen Lage sind die Gerichtskosten praxisgemäss herabzusetzen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. Februar 2016 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Briw