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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_333/2023  
 
 
Urteil vom 2. August 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, Bundesrichter Beusch, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Kuhn, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin, 
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Oskar Gysler, 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. März 2023 (AK.2022.00020 damit vereinigt AK.2022.00021). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ war vom 28. Juni 2016 bis 11. Oktober 2018 als Mitglied des Verwaltungsrates der C.________ AG mit Kollektivunterschrift zu zweien im Handelsregister eingetragen. Am........ fiel die Gesellschaft in Konkurs, das Konkursverfahren wurde mit Verfügung des Konkursrichters des Bezirksgerichts X.________ vom 25. Mai 2020 als geschlossen erklärt. 
Mit Verfügung vom 19. April 2021 und Einspracheentscheid vom 13. Juni 2022 verpflichtete die Ausgleichskasse des Kantons Zürich (unter anderem) A.________ zur Bezahlung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 318'761.30 für Sozialversicherungsbeiträge, die in Folge der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft nicht mehr erhoben werden konnten. 
 
B.  
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 23. März 2023 teilweise gut und setzte den von A.________ zu bezahlende Schadenersatzbetrag auf Fr. 302'723.45 fest. Im Übrigen wies es seine Beschwerde ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, es sei unter Aufhebung des kantonalen Urteils - soweit dieses ihn betreffe - festzustellen, dass ihn keine Schadenersatzpflicht treffe. Eventuell sei - so der Schadenersatzbetrag aufgrund einer Beschwerde des im kantonalen Verfahren ebenfalls zur Bezahlung von Schadenersatz verpflichteten B.________ reduziert werde - diese Reduktion auch für ihn zu berücksichtigen. Gleichzeitig beantragt A.________, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sind gegeben (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG), insbesondere übersteigt der Streitwert die massgebliche Grenze von Fr. 30'000.- (Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG; vgl. BGE 137 V 51 E. 4.3). Auf die Beschwerde ist somit einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. B.________ hat gegen das vorliegend angefochtene Urteil keine Beschwerde erhoben, womit der Eventualantrag des Beschwerdeführers gegenstandslos geworden ist. Es braucht somit nicht näher geprüft zu werden, ob dieser mit Blick auf die Begründungspflicht gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG überhaupt zulässig gewesen wäre.  
 
2.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
3.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es einen Schadenersatzanspruch der Ausgleichskasse gegen den Beschwerdeführer infolge unbeglichener AHV-Beiträge durch die C.________ AG bestätigte. 
 
4.  
 
4.1. Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen nach Art. 52 Abs. 1 AHVG zu ersetzen. Handelt es sich beim Arbeitgeber um eine juristische Person, so haften gemäss Art. 52 Abs. 2 AHVG subsidiär die Mitglieder der Verwaltung und alle mit der Geschäftsführung oder Liquidation befassten Personen. Sind mehrere Personen für den gleichen Schaden verantwortlich, so haften sie für den ganzen Schaden solidarisch.  
 
4.2.  
 
4.2.1. Die Haftung nach Art. 52 AHVG ist keine Kausalhaftung. Die Schadenersatzpflicht der Organe setzt ein qualifiziertes Verschulden voraus. Eine Nichtabrechnung oder Nichtbezahlung der Beiträge als solche kann nicht bereits einem haftungsbegründenden Verschulden gleichgesetzt werden (BGE 121 V 243 E. 5; Urteile 9C_425/2010 vom 9. September 2010 E. 1 und 9C_330/2010 vom 18. Januar 2011 E. 3.3). Es bedarf vielmehr zusätzlich zur Widerrechtlichkeit (Missachtung von Art. 14 Abs. 1 AHVG) eines Verschuldens in Form von Absicht oder grober Fahrlässigkeit.  
 
4.2.2. Werden bei ungenügender Liquidität die einen Forderungen bezahlt, andere aber nicht, ist ein solches Verhalten grundsätzlich - insbesondere auch im Rahmen der Organhaftung nach Art. 754 OR - nicht als grobfahrlässig zu qualifizieren. Nach der Rechtsprechung zu Art. 52 AHVG ist es allerdings - allenfalls abgesehen von kurzfristigen Ausständen - grobfahrlässig, Löhne zu bezahlen, wenn die darauf geschuldeten AHV-Beiträge nicht gedeckt sind (z.B. Urteil 9C_38/2015 vom 15. Mai 2015 E. 3.3 mit Hinweisen). Solches Verhalten ist den verantwortlichen Organen grundsätzlich als qualifiziertes Verschulden zuzurechnen (BGE 121 V 243 E. 4b), was die volle Schadenersatzpflicht nach sich zieht (vgl. Urteil 9C_152/2009 vom 18. November 2009 E. 5.2), sofern ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der schuldhaften Verletzung von Vorschriften und dem Schadenseintritt besteht und die Ausgleichskasse kein Mitverschulden trifft (vgl. Urteil 9C_313/2021 vom 8. November 2021 E. 3.2.2 mit Hinweisen).  
Der Grund für diese Praxis liegt in der besonderen Natur der AHV-Beiträge, hinsichtlich welcher der Arbeitgeber die Funktion eines Vollzugsorgans ausübt (Art. 51 AHVG). Daraus resultiert eine besondere Pflicht, für die ordnungsgemässe Bezahlung der Beiträge zu sorgen. So reicht etwa als Exkulpationsgrund nicht, dass die Auszahlung von Löhnen für die Aufrechterhaltung eines Betriebs (und damit zur Wahrung einer minimalen Sanierungschance) zentral sind (Urteil 9C_311/2015 vom 9. Juli 2015 E. 4.2.2). 
 
 
4.2.3. Grobfahrlässig im Sinne des Art. 52 AHVG handelt grundsätzlich, wer als Mitglied des Verwaltungsrats seinen Pflichten gemäss Art. 716a Abs. 1 OR (insbesondere der Wahrnehmung der Finanzkontrolle und der Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen) nicht nachkommt (vgl. Urteil 9C_906/2017 vom 21. Juni 2018 E. 4 mit weiteren Hinweisen).  
 
5.  
 
5.1. Der Beschwerdeführer war in der Zeit vom 28. Juni 2016 bis zum 11. Oktober 2018 Mitglied des Verwaltungsrats der C._______ AG. Auch wenn er nicht mit der Geschäftsführung betraut war, so war er dennoch bereits auf Grund von Art. 716a Abs. 1 OR verpflichtet, sich über die finanzielle Situation des Unternehmens zu informieren. An dieser Verpflichtung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass er den Geschäftsführer als besonders vertrauenswürdige Person einschätzte. Wäre er seinen Verpflichtungen nachgekommen, so hätte er gemäss den grundsätzlich verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen die schlechte Finanzlage der Gesellschaft erkennen können. Aus dieser hätte er auf eine möglicherweise mangelhafte Erfüllung der Beitragspflicht schliessen und geeignete Massnahmen treffen können.  
 
5.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, der Geschäftsführer habe ihm wiederholt versichert, dass die AHV-Beitragspflicht ordnungsgemäss erfüllt werde. Solches ist indessen gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen nicht erstellt. Aktenkundig ist in diesem Zusammenhang lediglich eine Mail vom 13. Juni 2018, wonach er sich beim Geschäftsführer unter anderm erkundigte, was "unser AHV-Thema" mache, sowie eine zweite Mail vom 29. Juni 2018, wonach er auf die unbeantwortete Frage zurückkommen wolle. Dahingestellt bleiben kann, ob sich aus der Formulierung "unser AHV-Thema" nicht schliessen lässt, er habe zu diesem Zeitpunkt bereits von der mangelhaft erfüllten Beitragspflicht gewusst. So oder anders hätte er sich mit der Nichtbeantwortung dieser Frage durch den Geschäftsführer nicht zufrieden geben dürfen. Auch wenn er gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen keine Verfügungsmacht über die Konten der Gesellschaft hatte, hätte er doch geeignete Massnahmen zur Sicherung der Beitragszahlungen bzw. zur Reduktion der Lohnzahlungen treffen müssen oder - sollten ihm solche wie geltend gemacht tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden haben - umgehend als Verwaltungsrat zurücktreten müssen, um einer Haftung zu entgehen (Urteil 9C_906/2017 vom 21. Juni 2018 E 4.2.2).  
 
5.3. Weiter bestreitet der Beschwerdeführer den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen seiner Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden. Zwar trifft es zu, dass mit einer blossen rechtzeitigen Kenntnisnahme der schlechten finanziellen Situation der Gesellschaft der Schaden noch nicht abgewendet worden wäre. Es ist jedoch davon auszugehen, dass er bei rechtzeitigem Wissen um die sich verschlechternde finanzielle Lage die notwendigen Schritte zur Sicherung der Beitragszahlungen (bzw. zur Reduktion der Lohnzahlungen) hätte einleiten können. Selbst wenn er selber keine Verfügungsgewalt über die Konten der Gesellschaft hatte, gibt es keine Hinweise darauf, dass eine rechtzeitige Intervention von seiner Seite nutzlos gewesen wäre. Damit hat die Vorinstanz zu Recht einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen seinen Pflichtverletzungen und dem eingetretenen Schaden bejaht.  
 
5.4. Zusammenfassend hat das kantonale Gericht kein Bundesrecht verletzt, als es sowohl ein Verschulden des Beschwerdeführers als auch einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen seinen Pflichtverletzungen und dem Schaden bejaht hat. Die übrigen Haftungsvoraussetzungen und die Schadensberechnung sind letztinstanzlich unbestritten geblieben. Die Beschwerde ist somit abzuweisen.  
 
6.  
 
6.1. Mit diesem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.  
 
6.2. Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, B.________, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 2. August 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold