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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_641/2019  
 
 
Urteil vom 6. Dezember 2019  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Eugen Koller, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, 
St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau 
vom 19. Juni 2019 (VV.2019.75/E). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die 1965 geborene A.________ meldete sich im August 1992 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach der Zusprache zunächst einer halben und ab 1. August 2002 einer ganzen Invalidenrente (Verfügungen vom 30. Juni 2000 und 30. Juni 2005) führte die IV-Stelle des Kantons Thurgau im August 2012 ein Revisionsverfahren durch. Am 3. Februar 2015 verfügte sie gestützt auf ein polydisziplinäres Gutachten des BEGAZ Begutachtungszentrum BL, Binningen, vom 2. Oktober 2013 die Renteneinstellung. Diese bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 13. Mai 2015.  
 
A.b. Dagegen liess A.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben, welche das Bundesgericht guthiess. Es hob den kantonalen Entscheid sowie die Verfügung der IV-Stelle vom 3. Februar 2015 auf und wies die Sache insbesondere zwecks Abklärung der Wiedereingliederungsfähigkeit an die Verwaltung zurück (Urteil 9C_556/2015 vom 3. November 2015).  
 
A.c. Die IV-Stelle leitete berufliche Massnahmen ein und veranlasste bei der Aerztlichen Begutachtungsinstitut GmbH, Basel (nachfolgend: ABI), ein polydisziplinäres Gutachten, das vom 10. Juli 2017 datiert. Eine Haushaltsabklärung ergab, dass A.________ im Gesundheitsfall zu 60 % erwerblich und zu 40 % im Haushalt tätig wäre (Bericht vom 20. November 2018). Die Verwaltung verneinte einen Anspruch auf berufliche Massnahmen und hob die ganze Invalidenrente in Anwendung der gemischten Bemessungsmethode nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren erneut auf (Verfügungen vom 20. Februar 2019).  
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde der A.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 19. Juni 2019 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit den Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihr weiterhin eine ganze Invalidenrente auszurichten; eventualiter sei die Angelegenheit zur Vornahme weiterer Abklärungen an die IV-Stelle, allenfalls an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie an der Aufhebung der bisherigen ganzen Invalidenrente der Beschwerdeführerin festhielt.  
 
2.2. Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze zur Invalidität und Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 f. ATSG), zum Rentenanspruch bzw. dessen Umfang (Art. 28 Abs. 1 und 2 IVG) sowie betreffend die Funktion und den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352) zutreffend dargelegt. Korrekt sind auch die Ausführungen über die Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG) und den relevanten Vergleichszeitpunkt (BGE 133 V 108 E. 5 S. 110 f.). Darauf wird verwiesen.  
 
3.   
Die Vorinstanz hat dem ABI-Gutachten vom 10. Juli 2017 Beweiskraft zuerkannt, wonach die Beschwerdeführerin aus polydisziplinärer Sicht für eine körperlich leichte, vorwiegend sitzende Tätigkeit zu 80 % arbeitsfähig sei, verwertbar in einem ganztägigen Pensum mit vermehrten Pausen. Eine massgebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach der Begutachtung hat sie verneint. Die Statusfrage hat das kantonale Gericht offen gelassen, da die Beschwerdeführerin auch bei vollzeitlicher Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfall keinen Rentenanspruch habe. In Anbetracht des nicht planbaren Pausenbedarfs für Toilettenbesuche hat es einen 10%igen Abzug vom Tabellenlohn berücksichtigt und einen Invaliditätsgrad von maximal 28 % ermittelt. 
 
4.  
 
4.1. Die Einwände gegen die Beweiskraft der ABI-Expertise, was als Rechtsfrage frei zu prüfen ist (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; SVR 2015 IV Nr. 41 S. 140, 9C_183/2015 E. 4.2), verfangen nicht. In ihrer Argumentation wendet sich die Beschwerdeführerin einzig gegen die neuropsychologische Begutachtung. Sie macht geltend, darin werde ausgeblendet, dass aufgrund der bei der neuropsychologischen Testung angegebenen Schmerzen eine Reduktion des Arbeitstempos resultiere, was Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit habe. Entgegen der Beschwerde berücksichtigte der zuständige ABI-Experte lic. phil. B.________ diesen Punkt jedoch explizit, indem er festhielt, die Minderleistungen im Testprofil seien auf eine Mischung zwischen der Beeinträchtigung durch die Schmerzen und einer nur rudimentären Schulbildung der Explorandin zurückzuführen. Gestützt darauf kam er zum nachvollziehbaren Schluss, die Arbeitsfähigkeit sei aus neuropsychologischer Sicht nicht eingeschränkt (ABI-Gutachten, S. 32). Demgegenüber vermag die Beschwerdeführerin ihre gegenteilige Sichtweise - soweit es sich nicht lediglich um eine Wiederholung der bereits im kantonalen Verfahren erhobenen Einwände handelt - in keiner Weise durch medizinische Akten zu belegen. Wenn sie festhält, alles andere als die von ihr geltend gemachte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit aus neuropsychologischer Sicht sei "nicht logisch bzw. nicht nachvollziehbar", stellt dies eine nicht weiter substanziierte Kritik dar, was im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- und Rügepflicht nicht genügt (vgl. statt vieler Urteil 9C_106/2019 vom 6. August 2019 E. 1.2). Weiterungen dazu erübrigen sich.  
 
4.2. Soweit die Beschwerdeführerin sodann gestützt auf die Berichte ihrer behandelnden Ärzte, der Psychiaterin Dr. med. C.________ vom 5. Oktober 2017, 4. Februar und 23. September 2019 sowie des Internisten Dr. med. D.________ vom 4. November und 21. Dezember 2017, erneut eine unvollständige Sachverhaltsabklärung rügt, da sich ihr Gesundheitszustand seit der ABI-Begutachtung verschlechtert habe, ist dem ebenfalls kein Erfolg beschieden.  
 
4.2.1. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Gutachten, die nach Art. 44 ATSG eingeholt wurden und welche die bundesgerichtlichen Anforderungen erfüllen, bei der Beweiswürdigung volle Beweiskraft zuzuerkennen ist, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4 S. 227). Die Vorinstanz hat ausgeführt, weshalb die nach der Begutachtung aufgelegten Berichte keine neuen Aspekte enthalten, welche das polydisziplinäre ABI-Gutachten vom 10. Juli 2017 in Zweifel ziehen könnten. Sie hat in Würdigung der medizinischen Akten einlässlich begründet, dass die Berichte der Dr. med. C.________ - deren neueste Stellungnahme vom 23. November 2019 ein unzulässiges echtes Novum darstellt, das im vorliegenden Verfahren unbeachtlich zu bleiben hat (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 140 V 543 E. 3.2.2.2 S. 548 mit Hinweis) - nicht geeignet sind, die psychiatrische ABI-Einschätzung zu entkräften. Was dem entgegenstehen soll, ist anhand der beschwerdeweise vorgebrachten Rügen nicht erkennbar. Dies gilt umso mehr, als mit dem Regionalen Ärztlichen Dienst (nachfolgend: RAD; Stellungnahme vom 21. August 2017) davon auszugehen ist, dass im hier interessierenden Zusammenhang der besonderen Vertrauensstellung zwischen behandelndem Arzt und Patient Rechnung getragen werden muss (BGE 125 V 351 E. 3b/cc S. 353; Urteil 9C_561/2018 vom 8. Februar 2019 E. 5.3.2.2 mit Hinweisen).  
 
4.2.2. Auch zur gastroenterologischen Problematik hat sich das kantonale Gericht unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des behandelnden Facharztes Dr. med. E.________, Spital F.________, vom 30. Januar und 5. März 2018 und des Dr. med. G.________, RAD, vom 15. Mai 2018 geäussert. Im angefochtenen Entscheid wird erläutert, weshalb betreffend die entzündliche Darmerkrankung (Morbus Crohn) entgegen der Ansicht des Dr. med. D.________ nicht auf eine anhaltende Verschlechterung seit der ABI-Begutachtung vom 10. Juli 2017 geschlossen werden kann (vorinstanzliche Erwägung 4.2.2.3). Welche relevanten Gesichtspunkte die Vorinstanz dabei übersehen haben soll, wird in der Beschwerde nicht (substanziiert) dargelegt. Daran vermag auch der Einwand nichts zu ändern, die Arbeitsfähigkeit müsse bei einer starken Entzündungsaktivität, wie sie im Zeitpunkt der Beurteilung durch Dr. med. D.________ vorgelegen habe, weit über 20 % liegen. Denn nach willkürfreier (E. 1) Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts attestierte Dr. med. E.________ - welcher im Unterschied zu Dr. med. D.________ über einen gastroenterologischen Facharzttitel verfügt - der Beschwerdeführerin selbst in der Akutphase des Morbus Crohn keine bleibende Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit. Im Gegenteil gelangte er in Übereinstimmung mit der Beurteilung des ABI-Experten Dr. med. H.________ lediglich zum Schluss, an einem allfälligen Arbeitsplatz müsse eine Toilette verfügbar sein (vgl. Bericht vom 5. März 2018).  
 
4.2.3. Damit bleibt es bei der für das Bundesgericht verbindlichen (E. 1) Feststellung des kantonalen Gerichts, eine wesentliche und dauerhafte Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit der ABI-Begutachtung vom 10. Juli 2017 sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Diagnostizierte im Übrigen der psychiatrische Experte Dr. med. I.________ kein psychiatrisches Leiden und ist ein solches auch anhand der übrigen Akten nicht ausgewiesen, so fällt die in der Beschwerde ferner beantragte Durchführung eines strukturierten Beweisverfahrens nach BGE 141 V 281 ausser Betracht.  
 
5.  
 
5.1. Schliesslich will die Beschwerdeführerin einen Einkommensvergleich mit 100%iger Erwerbstätigkeit (Art. 16 ATSG) vornehmen. Hierbei macht sie ein Valideneinkommen von Fr. 54'656.65 geltend, vergleicht dieses - unter Berücksichtigung der im ABI-Gutachten attestierten 20%igen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit - mit einem Invalideneinkommen von Fr. 43'725.35 und verlangt insbesondere, es sei ihr der maximale Abzug vom Tabellenlohn von 25 % zu gewähren (vgl. BGE 126 V 75 E. 5b/bb S. 80).  
 
5.2. Ob ein höherer Abzug vom Tabellenlohn anzurechnen ist, stellt eine typische Ermessensfrage dar, die nur eingeschränkter Korrektur zugänglich ist (Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung; vgl. BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72 f. mit Hinweis auf BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). Es wird beschwerdeweise nicht näher ausgeführt und ist auch nicht zu ersehen, inwiefern die vorinstanzliche Gewährung eines 10%igen Abzuges unter dem Aspekt der kurzfristigen, nicht planbaren Toilettenpausen und der Zumutbarkeit nur noch körperlich leichter, sitzender Tätigkeiten in diesem Sinne bundesrechtswidrig sein sollte. Ob dem erhöhten Pausenbedarf bereits durch die gastroenterologisch bedingte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 20 % Rechnung getragen wurde, kann vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben (vgl. ABI-Gutachten, S. 33). Wenn sich die Beschwerdeführerin überdies erneut darauf beruft, es bestünden aufgrund der Schmerzen Minderleistungen in neuropsychologischer Hinsicht, ist auf das bereits Gesagte zu verweisen (E. 4.1). Unter diesen Umständen lässt sich die Festsetzung des Abzugs vom Tabellenlohn im Rahmen der eingeschränkten bundesgerichtlichen Kognition - soweit die Beschwerdeführerin einen überprüfbaren Ermessensfehler überhaupt hinreichend rügt - nicht beanstanden.  
 
5.3. Wird dem Invalideneinkommen von (gerundet) Fr. 39'353.- (Fr. 43'725.35 x 0.9), wie in der Beschwerde beantragt, ein Valideneinkommen von Fr. 54'656.65 gegenübergestellt, so resultiert der im angefochtenen Entscheid zutreffend ermittelte Invaliditätsgrad von (gerundet) 28 %. Damit durfte das kantonale Gericht die Statusfrage ohne Weiteres offen lassen. Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
6.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die unterliegende Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. Dezember 2019 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder