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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1C_151/2020, 1C_165/2020  
 
 
Urteil vom 10. November 2020  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Müller, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. Flughafen Zürich AG, 
Postfach, 8058 Zürich, 
2. Kanton Zürich, 
handelnd durch die Baudirektion Kanton Zürich, 
Immobilienmanagement, Postfach, 8090 Zürich, 
Beschwerdeführer, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland Gfeller, 
 
gegen  
 
Erbengemeinschaft A.________ 
1. B.________, 
2. C.________, 
Beschwerdegegnerinnen, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Martin Looser 
und Rechtsanwältin Seraina Schneider, 
 
Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 10. 
 
Gegenstand 
Fluglärmentschädigung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil 
des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, 
vom 17. Februar 2020 (A-2617/2019). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Schreiben vom 23. Dezember 1998 verlangte die Erbengemeinschaft A.________ infolge der Änderung des Flugbetriebs durch die Einführung der 4. Welle ab Herbst 1996 am Landesflughafen Zürich-Kloten eine Entschädigung wegen übermässigen Fluglärms und direkten Überflugs für ihr in der Gemeinde Opfikon gelegenes Grundstück beim Kanton Zürich an. 
Am 30. März 2004 schloss sie mit der D.________ AG, einen Kaufvertrag betreffend das in der Stadt Opfikon gelegene Grundstück (Kataster-Nr. 8093). Im Kaufvertrag wurde Folgendes festgehalten: 
Ziff. 9. 
Die Käuferin tritt an Stelle der Verkäuferschaft bezüglich dem Kaufsobjekt in allen Rechten und Pflichten in das hängige Verfahren zwischen der Verkäuferschaft und dem Kanton Zürich bzw. der Unique Airport Zürich AG - als Flughafenhalter - betr. Klage auf Minderwert wegen übermässigem Fluglärm ein. Die Käuferin entschädigt die Verkäuferschaft für deren bisherige Aufwendungen (Anwaltskosten etc.) zusätzlich zum vorne vereinbarten Kaufpreis mit Fr. 20'000.- (Franken zwanzigtausend), zahlbar anlässlich der Eigentumsübertragung. 
Die Parteien sind dafür besorgt, dass bis zur Eigentumsübertragung die Zustimmung des Kantons Zürich vorliegt, wonach dieser an Stelle der Verkäuferschaft die Käuferin als Klägerin akzeptiert. 
 
Am 19. April 2004 stellte die Erbengemeinschaft A.________ ein an die Baudirektion des Kantons Zürich gerichtetes Abtretungsgesuch. Diese erwiderte mit Schreiben vom 28. Mai 2004, man habe vom Kaufvertrag Kenntnis genommen und behalte sich praxisgemäss die Einrede des Parteiwechsels vor. Gleichentags erfolgte die Eintragung des Kaufs ins Grundbuch. Mit Schreiben vom 28. September 2004 teilte die Erbengemeinschaft A.________ der Baudirektion des Kantons Zürich den Rückzug des Abtretungsgesuchs vom 19. April 2004 mit. 
Am 18. Juni 2010 traf sie mit der Käuferschaft des Grundstücks eine Zusatzvereinbarung, wonach die Erbengemeinschaft A.________ ihre Parteistellung im 1998 eingeleiteten Enteignungsverfahren auch nach dem Eigentumsübergang beibehalte. Sie führe den Prozess auf eigene Gefahr und eigenes Risiko sowie eigene Kosten weiter, wobei die D.________ AG nicht verpflichtet sei, sich daran zu beteiligen. Eine allfällige Enteignungsentschädigung vom Flughafenhalter beziehe die Erbengemeinschaft A.________ alleine, da dem Minderwert der Liegenschaft aufgrund des übermässigen Fluglärms bereits mit Festsetzung eines tieferen Kaufpreises Rechnung getragen worden sei. 
 
B.   
Mit Schätzungsentscheid vom 17. April 2019 wies die Eidgenössische Schätzungskommission Kreis 10 (ESchK 10) das Entschädigungsbegehren der Erbengemeinschaft A.________ infolge Unterbrechung der Unvorhersehbarkeit ab, soweit sie darauf eintrat. 
 
C.   
Dagegen hat die Erbengemeinschaft A.________ (nachfolgend: Enteignete) am 27. Mai 2019 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben. Dieses hiess die Beschwerde am 17. Februar 2020 gut, hob Disp.-Ziff. 1 und 2 des Schätzungsentscheids auf und wies die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens und zur materiellen Beurteilung an die Schätzungskommission zurück. Es ging davon aus, der vereinbarte Parteiwechsel habe unter der Bedingung gestanden, dass der Kanton Zürich dazu seine Zustimmung gebe. Da dies nicht erfolgt sei, habe Ziff. 9 des Kaufvertrags vom 30. März 2004 keine Rechtswirkungen entfaltet, d.h. die Enteigneten hätten weder ihre Parteistellung noch ihre materielle Berechtigung an der Geltendmachung der enteignungsrechtlichen Entschädigungsforderungen verloren. 
Die Verfahrenskosten wurden der Flughafen Zürich AG auferlegt und diese wurde verpflichtet, der Enteigneten eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten. 
 
D.   
Gegen diesen Entscheid haben beide Parteien Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben: 
 
D.a. Die Flughafen Zürich AG und der Kanton Zürich (nachfolgend: Enteigner) beantragen mit Eingabe vom 16. März 2020, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei der Entscheid der ESchK 10 vom 17. April 2019 zu bestätigen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen (Verfahren 1C_151/2020).  
Die Enteignete beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesverwaltungsgericht verweist auf den angefochtenen Entscheid und hat keine weiteren Bemerkungen anzubringen. 
In der Replik vom 21. August 2020 halten die Enteigner an ihren Anträgen fest. Es wurde kein Duplik eingereicht. 
 
D.b. Die Enteignete beantragt mit Eingabe vom 20. März 2020, Disp.-Ziff. 3 des angefochtenen Entscheids sei aufzuheben und ihr sei für das vorinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 12'936.90 inkl. MWSt, eventualiter eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen. Subeventualiter sei die Sache zur Bemessung der Parteientschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Verfahren 1C_165/2020).  
Die Enteigner beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht verweist auf den angefochtenen Entscheid und hat keine weiteren Bemerkungen anzubringen. 
Es wurde keine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Beide Beschwerden richten sich gegen denselben Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, weshalb es sich rechtfertigt, die Verfahren zu vereinigen. 
 
2.   
Der angefochtene Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts schliesst das Enteignungsverfahren nicht ab, sondern weist die Sache mit materiellrechtlichen Vorgaben zu neuem Entscheid an die ESchK 10 zurück. Dieser steht - entgegen dem Vorbringen der Enteigner - noch ein gewisser Entscheidungsspielraum zur Verfügung, beschränkt sich doch der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts auf die Frage der Unvorhersehbarkeit, d.h. auf eine von mehreren materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen. Es handelt sich insofern um einen Zwischenentscheid (Art. 93 BGG; vgl. grundlegend BGE 133 V 477 E. 4 S. 480 ff.; ständige Praxis; vgl. z.B. BGE 142 II 363 E. 1.1 S. 365 f.). 
Der angefochtene Entscheid betrifft nicht die Zuständigkeit oder den Ausstand (im Sinne von Art. 92 BGG) und ist somit nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG selbstständig anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Dies ist in der Beschwerdeschrift zu begründen (Art. 42 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 134 II 137 E. 1.3.3 S. 141). 
 
2.1. Die Enteigner machen geltend, ein Eintreten sei mit Blick auf die lange Verfahrensdauer geboten, da seit Geltendmachung der Entschädigungsforderung 22 Jahre verstrichen seien. Die Enteigneten wenden ein, die bisherige, lange Verfahrensdauer sei vor allem von den Enteignern zu verantworten; diese erlitten durch die Verzögerng keinen greifbaren Nachteil, zumal sie auf die Minderwertentschädigung für die Baulandparzelle keinen Zins zu entrichten hätten (gemäss BGE 134 II 152 E. 11.4).  
Die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden bildet aus prozessökonomischen Gründen eine Ausnahme vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen soll (BGE 142 III 798 E. 2.2 S. 801; 141 III 80 E. 1.2 S. 81). Die blosse Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt generell nicht, um einen sofortigen Entscheid des Bundesgerichts zu erwirken (BGE 142 II 20 E. 1.4 S. 25 f.; 136 II 165 E. 1.2.1 S. 170). Ausnahmsweise kann das Eintreten jedoch verfassungsrechtlich geboten sein, wenn es rechtsstaatlich unzumutbar wäre, die Beschwerdeführerin in einem komplexen, aufwendigen, viele Beteiligten umfassenden Verfahren auf die Anfechtung des Endentscheids zu verweisen (BGE 136 II 165 E. 1.2 S. 170; 142 II 20 E. 1.4 S. 25). Vorliegend geht es nicht um ein Massenverfahren oder einen Pilotentscheid; die streitige Frage betrifft die Auslegung eines konkreten Vertrags und hat keine über das Verfahren hinausgehende präjudizielle Bedeutung für eine Vielzahl weiterer Verfahren. Zwar können nicht nur die Enteigneten, sondern grundsätzlich auch die Enteigner das Beschleunigungsgebot anrufen (Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Dennoch ist zu verlangen, dass sie mindestens darlegen, inwiefern die mit der Rückweisung verbundene Verzögerung des Verfahrens für sie unzumutbar wäre. Dies wird vorliegend weder dargelegt noch liegt es auf der Hand. 
 
2.2. Die Enteigner machen weiter geltend, es könne bei Gutheissung der Beschwerde sofort ein Endentscheid herbeigeführt werden, weil bei Verneinung der Voraussetzung der Unvorhersehbarkeit kein Anspruch auf einen Entschädigungsanspruch wegen übermässiger Fluglärmimmissionen bestehe und unstreitig kein direkter Überflug vorliege. Dem ist zuzustimmen; dagegen wird nicht substanziiert dargelegt, inwiefern damit ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart würde. Dabei kann offenbleiben, ob der vom Bundesgericht in BGE 134 II 152 (E. 11.4 S. 159) zugrundegelegte Quadratmeterpreis für Bauland in Opfikon auch im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangt (wie die Enteigneten geltend machen) oder noch eine Schätzung im Einzelfall erforderlich ist (wie die Enteigner behaupten), da jedenfalls keine Anhaltspunkte für ein besonders aufwendiges Beweisverfahren vorgebracht werden.  
 
2.3. Nach dem Gesagten ist daher auf die Beschwerde der Enteigner nicht einzutreten.  
 
3.   
Gleiches gilt für die Beschwerde der Enteigneten. Diese betrifft einzig die Parteientschädigung für das Verfahren vor Bundesverwaltungsgericht. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt ein Zwischenentscheid auch vor, wenn die Vorinstanz des Bundesgerichts im Rahmen eines Rückweisungsentscheids über die Kostenfolgen befindet (BGE 142 II 363 E. 1.1 S. 366 mit Hinweisen). Ein derartiger Zwischenentscheid verursacht keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG), weil der Kostenentscheid im Anschluss an den Endentscheid in der Sache angefochten werden kann (Art. 93 Abs. 3 BGG). Wird die von der unteren Instanz aufgrund des Rückweisungsentscheids erlassene neue Verfügung in der Sache nicht mehr angefochten, kann direkt im Anschluss an diese neue Verfügung die Kostenregelung im Rückweisungsentscheid innert der Beschwerdefrist von Art. 100 BGG beim Bundesgericht angefochten werden (BGE 142 II 363 E. 1.1 S. 366 mit Hinweisen). 
Die Enteigneten - die im Verfahren 1C_151/2020 selbst (und zu Recht) vom Vorliegen eines Zwischenentscheids ausgehen - legen denn auch mit keinem Wort dar, inwiefern ihnen ein nicht wieder gutzumachender Nachteil i.S.v. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG droht oder die Voraussetzungen gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG erfüllt seien. 
 
4.   
Nach dem Gesagten ist auf beide Beschwerden nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens rechtfertigt es sich, die bundesgerichtlichen Kosten den Enteignern und den Enteigneten je zur Hälfte aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Flughafen Zürich AG nimmt als Betreiberin eines Flughafens, der dem öffentlichen Verkehr dient, öffentliche Aufgaben wahr (Urteil 1C_78/2019 vom 22. November 2019 E. 6 mit Hinweis). Da sie und der Kanton Zürich in ihrem Vermögensinteresse prozessieren, werden sie dennoch kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 4 BGG). Die Enteigneten haben - anders als die Eneigner (Art. 68 Abs. 3 BGG) - Anspruch auf eine Parteientschädigung im Verfahren 1C_151/2020, nicht aber im Verfahren 1C_165/2020, in welchem sie unterliegen. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Verfahren 1C_151/2020 und 1C_165/2020 werden vereinigt. 
 
2.   
Auf die Beschwerden wird nicht eingetreten. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 3'000.-- werden den Mitgliedern der Erbengemeinschaft A.________ einerseits und der Flughafen Zürich AG und dem Kanton Zürich andererseits je zur Hälfte (ausmachend Fr. 1'500.--) auferlegt. 
 
4.   
Die Flughafen Zürich AG und der Kanton Zürich haben die Mitglieder der Erbengemeinschaft A.________ für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 10, und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 10. November 2020 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber