Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess {T 7} 
H 172/05 
 
Urteil vom 29. Juni 2006 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold 
 
Parteien 
A.________, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
(Entscheid vom 6. September 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Firma X.________ AG, war der Ausgleichskasse des Kantons Aargau (nachfolgend: Ausgleichskasse) als Arbeitgeberin angeschlossen. A.________ war seit 1998 bis zum Konkurs der Gesellschaft Verwaltungsratspräsident. Mit Verfügung vom 2002 gewährte der Richter dem Unternehmen Nachlassstundung. Am 2003 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet, welcher am 2004 als geschlossen erklärt wurde. Mit Verfügung vom 17. Juni 2004, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 7. September 2004, verpflichtete die Ausgleichskasse A.________ zur Bezahlung von Schadenersatz für entgangene Beiträge in der Höhe von Fr. 75'005.15. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 6. September 2005 ab. 
C. 
A.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben. Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist vollumfänglich einzutreten, da die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 17. Juni 2004 lediglich Schadenersatz für entgangene Beiträge kraft Bundesrechts geltend macht (BGE 131 V 426 Erw. 1 mit Hinweisen). 
2. 
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
3. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Haftung des Arbeitgebers für nicht bezahlte Beiträge (Art. 52 AHVG), insbesondere die Voraussetzungen des Verschuldens (BGE 108 V 187 Erw. 1b und 202 Erw. 3a, je mit Hinweisen) und des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten der belangten Person und dem eingetretenen Schaden (BGE 125 V 461 Erw. 5a, 119 V 406 Erw. 4a, je mit Hinweisen), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
4. 
Vor dem Eidgenössische Versicherungsgericht sind weder der Schaden noch die rechtswidrige Nichtleistung der geschuldeten Beiträge streitig. Der Beschwerdeführer verneint jedoch sein Verschulden sowie den Kausalzusammenhang zwischen der rechtswidrigen Missachtung der Vorschriften und dem eingetretenen Schaden. Insbesondere macht er geltend, nach Gewährung der Nachlassstundung habe er gar nicht mehr die Kompetenz gehabt, irgendwelche Zahlungen zu veranlassen; zudem habe er sich als Laie auf eine korrekte Erfüllung der Beitragspflicht durch seinen Mitverwaltungsrat, welcher Treuhänder sei, sowie durch den Sachwalter verlassen dürfen. 
5. 
5.1 Der Umstand, dass die Abrechnung mit den Sozialversicherungen an den Mitverwaltungsrat B.________ delegiert war, vermag den Beschwerdeführer nicht zu entlasten. Denn die Oberaufsicht, zu welcher auch die sich auf das Beitragswesen erstreckende Aufsicht gehört, bleibt bestehen, und es gilt bei einem aus wenigen Personen bestehenden Verwaltungsrat ein strenger Massstab (vgl. Urteil Z. vom 11. Mai 2004, H 296/03, mit Hinweisen). So hat sich ein Verwaltungsrat in einer schwierigen finanziellen Lage des Betriebs über die bestehenden Verbindlichkeiten und deren korrekte Erfüllung zu informieren und nötigenfalls Massnahmen für deren ordnungsgemässe Zahlung zu treffen (AHI 2002 S. 52 Erw. 3a mit Hinweisen). Zudem darf in einer finanziell schwierigen Lage nur soviel Lohn ausbezahlt werden, als dass die darauf von Gesetzes wegen geschuldeten Beiträge gedeckt sind (SVR 1995 AHV Nr. 70 S. 214 Erw. 5). Wie sich aus dem Verwaltungsratsprotokoll vom 14. März 2002 ergibt, war sich der Verwaltungsrat der Problematik der Sozialversicherungsbeiträge bewusst, nahm aber trotz dieser Erkenntnis nicht die von der Rechtsprechung geforderten Handlungen vor. 
5.2 
5.2.1 Während der Stundung ist das Verfügungsrecht des Schuldners über sein Vermögen eingeschränkt, nicht jedoch wie im Konkurs aufgehoben (Amonn/Walther, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 7. Aufl., Bern 2003, § 54 N 37; Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Band III, 4. Aufl., Zürich 1997/2001, Art. 298 N 8; Staehelin/Bauer/Staehelin, SchKG III, Basel 1998, Art. 298 N 3; Hunkeler, Das Nachlassverfahren nach revidiertem SchKG, Diss. FR, Freiburg 1996, N 773). Bei einem Liquidationsvergleich verliert der Schuldner erst mit der rechtskräftigen Bestätigung des Vergleichs sein Verfügungsrecht und nicht schon mit der Stundungsbewilligung (Art. 319 Abs. 1 SchKG; Amonn/Walther, a.a.O., § 54 N 37). Der Schuldner soll während der Stundung sein Geschäft unter Aufsicht des Sachwalters selber weiterführen (Eigenverwaltung); er darf die dadurch bedingten, insbesondere die geschäftsüblichen Verträge selber abschliessen und erfüllen (Art. 298 Abs. 1 SchKG; Amonn/Walther, a.a.O., § 54 N 38; Jaeger/Walder/Kull/ Kottmann, a.a.O., Art. 298 N 4; Staehelin/Bauer/Staehelin, a.a.O., Art. 298 N 3; Hunkeler, a.a.O., N 773). Die dem Schuldner verbotenen Handlungen sind in Art. 298 Abs. 2 SchKG aufgeführt; diese Liste ist abschliessend, sofern der Richter in der Stundungsbewilligung nichts Abweichendes anordnet (Amonn/Walther, a.a.O., § 54 N 40 und 43; Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, a.a.O., Art. 298 N 15; Staehelin/Bauer/ Staehelin, a.a.O., Art. 298 N 6 ff., 10 ff.; Hunkeler, a.a.O., N 776 f., 786, 788, 791). Schliesslich kann der Sachwalter im Rahmen seiner Weisungsbefugnis dem Schuldner gewisse Handlungen verbieten (Amonn/Walther, a.a.O., § 54 N 44; Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, a.a.O., Art. 298 N 8 f.; Staehelin/Bauer/Staehelin, a.a.O., Art. 298 N 16; Hunkeler, a.a.O., N 787; vgl. zum Ganzen auch Urteil B. vom 12. September 2005, H 64/05). 
5.2.2 Der Richter hat in der Gewährung der Nachlassstundung den Organen der Schuldnerin keinerlei Beschränkungen ihrer Befugnisse auferlegt. Demnach war der Verwaltungsrat nach wie vor zur Weiterführung der Geschäfte ermächtigt. Mit anderen Worten wäre es dem Beschwerdeführer im Rahmen der Eigenverwaltung und Weiterführung des Unternehmens erlaubt gewesen, die ausstehenden Beiträge zu begleichen, da die Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge als geschäftsüblich bezeichnet werden kann. Dass der Sachwalter gestützt auf seine Weisungsbefugnis den Beschwerdeführer angewiesen hätte, die AHV-Beiträge nicht zu bezahlen, wird weder geltend gemacht noch findet sich eine entsprechende Weisung in den Akten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Ausgleichskasse um eine privilegierte Gläubigerin handelt, sodass der Richter einen Nachlassvertrag nur bei vollständiger Befriedigung der Ausgleichskasse hätte genehmigen dürfen (Art. 306 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG). 
5.3 In Bezug auf die Beiträge für den Agenten C.________ bestreitet der Beschwerdeführer sein Verschulden damit, er habe diesen für selbstständig erwerbend halten dürfen. Die Gesellschaft konnte zwar anfänglich in guten Treuen C.________ als selbstständigerwerbend betrachten. Auch das Einlegen eines Rechtsmittels gegen die Verfügung der SUVA war vertretbar, doch hätte der Beschwerdeführer ab diesem Zeitpunkt mit der Qualifizierung von C.________ als unselbstständigerwerbend rechnen und entsprechende Rückstellungen tätigen müssen. Dies gilt umso mehr, als dem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung zukam (Art. 111 UVG in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung). Aus dem Verwaltungsratsprotokoll vom 18. April 2002 geht denn auch hervor, dass sich der Verwaltungsrat der Möglichkeit allfälliger Nachzahlungen bewusst war, entsprechende Rückstellungen aber unterblieben. 
5.4 Was das Einschiessen privater Mittel sowie den persönlichen Verlust durch den Konkurs der Arbeitgeberin angeht, stellen diese praxisgemäss keinen Entlastungsgrund dar, da darin keine Bestrebung zur Bezahlung der ausstehenden Beiträge liegt (Urteil F. et al. vom 4. Dezember 2003, H 173/03, mit Hinweisen). Im Übrigen ist festzustellen, dass sowohl der geltend gemachte Rangrücktritt sowie die Bürgschaft des Beschwerdeführers zugunsten der Hausbank des Unternehmens im August 2001 bzw. bereits im September 2000 erfolgten. Dies lässt darauf schliessen, dass die finanziellen Schwierigkeiten nicht erst im November 2001 auftraten (vgl. Verwaltungsratsprotokoll vom 23. November 2001), sondern zu diesem Zeitpunkt bereits bestanden. 
5.5 Schliesslich ist auf den Einwand, der Sicherheitsfonds BVG habe mit Schreiben vom 2. Juni 2005 eine Schadenersatzpflicht des Beschwerdeführers verneint, nicht näher einzugehen, da es sich dabei um ein unzulässiges Novum im Sinne von Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 134 OG handelt. 
6. 
6.1 Nach der Rechtsprechung ist ein Kausalzusammenhang dann gegeben, wenn das Verhalten der belangten Person nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolges also durch das Verhalten allgemein begünstigt erscheint (BGE 125 V 461 Erw. 5a, 119 V 406 Erw. 4a, je mit Hinweisen). Als Folge davon wird im Rahmen der Schadenersatzpflicht nach Art. 52 AHVG der Kausalzusammenhang nur unterbrochen, wenn auch ein pflichtgemässes Verhalten der belangten Person den Schaden nicht hätte verhindern können (Nussbaumer, Das Schadenersatzverfahren nach Art. 52 AHVG, in: Schaffhauser/Kieser, Aktuelle Fragen aus dem Beitragsrecht der AHV, St. Gallen 1998, S. 108; ders., Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, AJP 1996 S. 1081; vgl. auch Urteil O. et al. vom 15. September 2004, H 34/04, und Urteil A. vom 21. Januar 2004, H 267/02). 
6.2 Nach dem Gesagten ist der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Beschwerdeführers und dem eingetretenen Schaden zu bejahen: Wäre er seinen Pflichten als Verwaltungsrat nachgekommen, etwa durch Rückstellungen für allfällige Nachzahlungen für C.________ sowie Bezahlung oder Sicherstellung der Beiträge auch während der Nachlassstundung, wäre der Ausgleichskasse kein Schaden entstanden. Daran ändert nichts, dass der Mitverwaltungsrat B.________ wie auch der Sachwalter durch Leistung der Beiträge den Schaden hätten abwenden können; denn das widerrechtliche Verhalten des Beschwerdeführers bleibt bestehen. 
7. 
Da es weder um die Bewilligung noch die Verweigerung von Leistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Der unterliegende Beschwerdeführer hat demnach die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 29. Juni 2006 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: