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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
H 64/06 
 
Urteil vom 11. April 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Borella, Ferrari, Seiler, 
Gerichtsschreiber Flückiger. 
 
Parteien 
K.________, 1954, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgen- 
strasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. Januar 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 1. Juli 2004 setzte die Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegenüber K.________ die für das Jahr 2002 geschuldeten Beiträge aus selbstständiger Erwerbstätigkeit auf der Basis eines beitragspflichtigen Einkommens von Fr. 142'300.- (reines Einkommen Fr. 141'930.-, aufzurechnende persönliche Beiträge Fr. 390.-) sowie eines investierten Eigenkapitals von Fr. 0.- fest. Diese Beträge basieren auf den der Kasse am 30. Juni 2004 gemeldeten Werten der Veranlagung für die direkte Bundessteuer 2002. Auf Einsprache hin hielt die Ausgleichskasse - nach Einholung ergänzender Auskünfte der Steuerbehörden vom 30. Juli 2004 - mit Entscheid vom 11. August 2004 an den verfügten Beiträgen fest. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 30. Januar 2006). 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt K.________ das Rechtsbegehren, es sei das beitragspflichtige Einkommen für das Jahr 2002 auf Fr. 0.- festzusetzen und die AHV-Beiträge entsprechend anzupassen. Die Ausgleichskasse verweist auf den kantonalen Gerichtsentscheid und verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
2. 
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Bundesgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Gericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht. 
3. 
3.1 Was die materiellrechtliche Beurteilung anbelangt, sind in zeitlicher Hinsicht diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes (hier: Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit im Jahr 2002) Geltung haben (BGE 131 V 9 E. 1 S. 11 mit Hinweis). Die Vorschriften des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) finden daher keine Anwendung. 
3.2 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Begriff des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit (Art. 9 Abs. 1 AHVG, Art. 17 AHVV), die zeitliche Bemessung der Beiträge (Art. 22 AHVV), deren Festsetzung (Art. 25 AHVV) und die Aufgaben der Steuerbehörden (Art. 9 Abs. 3 AHVG, Art. 23 Abs. 1 AHVV; vgl. auch Art. 27 AHVV) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
3.3 Wie die Vorinstanz ebenfalls richtig erwogen hat, sind gemäss Art. 23 Abs. 4 AHVV die Angaben der Steuerbehörden für die Ausgleichskassen verbindlich, und jede rechtskräftige Steuerveranlagung begründet die nur mit Tatsachen widerlegbare Vermutung, dass sie der Wirklichkeit entspreche. Da die Ausgleichskassen an die Angaben der Steuerbehörden gebunden sind und das Sozialversicherungsgericht grundsätzlich nur die Kassenverfügung auf ihre Gesetzmässigkeit zu überprüfen hat, darf das Gericht von rechtskräftigen Steuertaxationen bloss dann abweichen, wenn diese klar ausgewiesene Irrtümer enthalten, die ohne weiteres richtig gestellt werden können, oder wenn sachliche Umstände gewürdigt werden müssen, die steuerrechtlich belanglos, sozialversicherungsrechtlich aber bedeutsam sind. Blosse Zweifel an der Richtigkeit einer Steuertaxation genügen hiezu nicht; denn die ordentliche Einkommensermittlung obliegt den Steuerbehörden, in deren Aufgabenkreis das Sozialversicherungsgericht nicht mit eigenen Veranlagungsmassnahmen einzugreifen hat. Die selbstständigerwerbenden Versicherten haben demnach ihre Rechte, auch im Hinblick auf die AHV-rechtliche Beitragspflicht, in erster Linie im Steuerjustizverfahren zu wahren (BGE 110 V 83 E. 4 S. 86 und 369 E. 2a S. 370 f., 106 V 129 E. 1 S. 130, 102 V 27 E. 3a S. 30; AHI 1997 S. 25 E. 2b mit Hinweis). 
3.4 Der Grundsatz, wonach die versicherte Person ihre Rechte im Steuerjustizverfahren zu wahren hat, erfährt allerdings dann eine Einschränkung, wenn die in der Veranlagung festgesetzte Steuer nur einen niedrigen Betrag ausmacht und deshalb mangels relevanten Streitwertes kein Anlass für die Erhebung eines Rechtsmittels besteht (BGE 110 V 369 E. 3b S. 373 f.; ZAK 1992 S. 36 Erw. 5a). In dieser Konstellation ist nach der Rechtsprechung eine selbstständige Prüfung der den angefochtenen Beitragsverfügungen (hier: dem Einspracheentscheid) zu Grunde liegenden Steuerfaktoren möglich (ZAK 1992 S. 36 Erw. 5a). Dies muss erst recht gelten, wenn die Veranlagung ergab, dass keine Steuer geschuldet ist; denn diesfalls hat die steuerpflichtige Person nicht nur wenig Interesse, sondern in aller Regel mangels Beschwer überhaupt keine Möglichkeit, den steuerlichen Rechtsmittelweg zu beschreiten (Urteil H 38/05 vom 10. Juni 2005, E. 2.4). 
4. 
Streitig und zu prüfen sind die vom Beschwerdeführer für das Jahr 2002 zu entrichtenden Beiträge auf Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. 
4.1 Die Meldung der Steuerbehörden vom 30. Juni 2004 weist ein selbstständiges Erwerbseinkommen von Fr. 141'930.- aus. Wie der ergänzenden Mitteilung vom 30. Juli 2004 zu entnehmen ist, setzt sich dieser Betrag zusammen aus einem Verlust von Fr. 58'070.- und der Auflösung einer Rückstellung von Fr. 200'000.-. Gleichzeitig wird festgehalten, das steuerbare Einkommen habe sich - infolge der Verrechnung des resultierenden Betrags von Fr. 141'930.- mit Geschäftsverlusten aus dem Jahr 1995 - auf Fr. 0.- belaufen, weshalb keine Rechnungen verschickt worden seien und nicht von einer rechtskräftigen Steuereinschätzung gesprochen werden könne. Unter diesen Umständen trifft es nach dem Gesagten (E. 3.4) nicht zu, dass die Angaben der Steuerbehörden einer Überprüfung durch die Ausgleichskasse entzogen wären. Vielmehr haben die sozialversicherungsrechtlichen Behörden - mit Einschluss der Gerichte - in dieser Konstellation selbstständig zu prüfen, ob die Einwände des Beschwerdeführers berechtigt sind. 
4.2 Die Werte der Steuermeldung stimmen mit denjenigen der Steuererklärung überein und sind als solche unbestritten. Auszugehen ist demnach von einem im Beitragsjahr 2002 eingetretenen Verlust von Fr. 58'070.-, einer aufgelösten Rückstellung von Fr. 200'000.- und einem steuerlich zur Verrechnung gebrachten Geschäftsverlust aus dem Jahr 1995 von Fr. 191'639.-. Die Rückstellung wurde gemäss den Angaben des Beschwerdeführers per 31. Dezember 1992 (bzw. während der Jahre 1992, 1993 und 1995) gebildet, um künftige Anwalts-, Verfahrens- und Gerichtskosten in einem 1992 gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren abzudecken. Die Auflösung erfolgte, nachdem das Verfahren mit Verfügung vom 18. Juli 2002 vollumfänglich eingestellt worden war. Die betrieblich bedingte Rückstellung war auch AHV-beitragsrechtlich bei ihrer Bildung einkommensmindernd zu berücksichtigen (Art. 9 Abs. 2 lit. c AHVG; entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers spielen die konkreten Auswirkungen dieses Vorgangs auf die Beitragshöhe der betreffenden Jahre keine Rolle). Mit der Einstellung des Strafverfahrens im Jahr 2002 war sie zufolge Wegfalls der geschäftsmässigen Begründetheit erfolgswirksam aufzulösen (vgl. Art. 29 Abs. 2 DBG; Reto Böhi, Der unterschiedliche Einkommensbegriff im Steuerrecht und im Sozialversicherungsrecht und seine Auswirkungen auf die Beitragserhebung, Bern 2001, S. 134; Hanspeter Käser, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Auflage, Bern 1996, S. 308 Rz. 14.82 am Ende; Markus Reich / Marina Züger, in: Martin Zweifel / Peter Athanas [Hrsg.], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, I/2a, Basel 2000, S. 361 f., Art. 29 N 48 f.; Peter Locher, Kommentar zum DBG, I. Teil, Therwil/Basel 2001 S. 754, Art. 29 N 50). Dieser Vorgang bewirkte im Auflösungszeitpunkt einen Ertrag, den Verwaltung und kantonales Gericht zu Recht in die Ermittlung des beitragspflichtigen Einkommens einbezogen haben. Der Sonderfall einer steuerrechtlich berücksichtigten Rückstellung für beitragsrechtlich nicht abzugsfähige Aufwendungen ist, wie die Vorinstanz zutreffend festhält, nicht gegeben. Deshalb verfängt die Argumentation in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, welche sich auf die zu dieser Konstellation ergangene Rechtsprechung (AHI 2004 S. 46 ff. [H 243/01]) beruft, nicht. 
4.3 Zu prüfen bleibt die Zulässigkeit des Abzugs eines Geschäftsverlustes aus dem Jahr 1995. 
4.3.1 Unter der Herrschaft der bis Ende 2000 gültig gewesenen Vergangenheitsbemessung mit zweijähriger Beitrags- und Bemessungsperiode (Art. 22 Abs. 1 und 2 AHVV in der bis 31. Dezember 2000 gültig gewesenen Fassung) lehnte es das Eidgenössische Versicherungsgericht in ständiger Rechtsprechung ab, die bei der direkten Bundessteuer zugelassene (bis 31. Dezember 1994: Art. 41 des Beschlusses über die direkte Bundessteuer [BdBSt; früher: Wehrsteuerbeschluss, WStB]; seit 1. Januar 1995: Art. 31 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer, DBG) periodenübergreifende Verlustverrechnung auch für den Bereich des AHV-Beitragsrechts anzuerkennen. Stattdessen hielt das Gericht fest, der in Art. 9 Abs. 2 lit. c AHVG vorgesehene Abzug erlaube es lediglich, den im einen Geschäftsjahr der zweijährigen Bemessungsperiode eingetretenen Verlust vom Gewinn des anderen Geschäftsjahres derselben Bemessungsperiode in Abzug zu bringen. Diese bereits 1951 eingeleitete Praxis (ZAK 1951 S. 461 f.) wurde im Jahr 1960 ausführlich begründet (EVGE 1960 S. 29) und in der Folge verschiedentlich bestätigt (ZAK 1988 S. 452 f. E. 6, AHI 1994 S. 140 E. 4a, zuletzt SVR 2006 AHV Nr. 17 S. 65 f. E. 5 [H 46/05]. 
4.3.2 Seit dem 1. Januar 2001 gilt im Beitragsrecht neu die Gegenwartsbemessung mit einjähriger Beitrags- und Bemessungsperiode (Art. 22 Abs. 2 Satz 1 AHVV in der hier massgebenden, vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Fassung). Diese umfasst nur noch ein Geschäftsjahr. Weil damit eine eigentliche (Jahres-)Verlustverrechnung innerhalb der Beitrags- und Bemessungsperiode ausgeschlossen ist, bleibt für die bisherige Interpretation von Art. 9 Abs. 2 lit. c AHVG kein Raum mehr. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat deshalb im Urteil E. vom 28. Dezember 2006 (H 162/05) seine Praxis geändert und die Zulässigkeit der periodenübergreifenden Verlustverrechnung für die Beitragsjahre ab 2001 bejaht. 
4.3.3 Die Zulässigkeit der periodenübergreifenden Verlustverrechnung ist nach dem Gesagten eine direkte Folge der Umstellung auf die einjährige Gegenwartsbemessung. Diese wurde durch die Verordnungsänderung vom 1. März 2000 vorgenommen, welche in ihren Schlussbestimmungen festhält, die Erhebung der Beiträge der Selbstständigerwerbenden für Kalenderjahre vor 2001 richte sich nach dem bisherigen Recht. Dieselbe intertemporalrechtliche Situation besteht auch im hier interessierenden Zusammenhang: Ist ein Verlust vor 2001 eingetreten und verbucht worden, so richtet sich die Zulässigkeit einer Verrechnung nach der bis Ende 2000 gültig gewesenen Regelung. Ein analoger Grundsatz gilt im Recht der direkten Bundessteuer: Auch dort ist für die Ermittlung von Verlustvorträgen aus den Jahren vor der (je nach Kanton zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt erfolgten) Umstellung auf die einjährige Gegenwartsbemessung die frühere Regelung (Art. 31 DBG) massgebend, während dieselbe Frage für nach der Umstellung entstandene Verluste durch Art. 211 (in Verbindung mit Art. 41) DBG beantwortet wird (vgl. Markus Reich / Marina Züger, in: Zweifel/Athanas [Hrsg.], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, I/2b, Basel 2000, S. 861, Art. 211 Rz. 12 f., mit Hinweisen). Beitragsrechtlich hat dieses Prinzip zur Folge, dass die periodenübergreifende Verrechenbarkeit auf Verluste beschränkt bleibt, welche im Jahr 2001 oder später eingetreten sind und verbucht wurden. Der vorliegend zur Diskussion stehende, aus dem Jahr 1995 stammende Verlust ist demzufolge für die Bemessung des beitragspflichtigen Einkommens des Jahres 2002 nicht zu berücksichtigen. 
5. 
Das Verfahren betrifft nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen und ist deshalb kostenpflichtig (Umkehrschluss aus Art. 134 Satz 1 OG [in der vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006 gültig gewesenen Fassung]). Der Beschwerdeführer als unterliegende Partei hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1200.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 11. April 2007 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: