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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1324/2017  
 
 
Urteil vom 9. Mai 2018  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiberin Andres. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf Studer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 18. Oktober 2017 (SST.2017.151). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
X.________ fuhr mit seinem Lastwagen am 25. Juli 2014 in Safenwil auf der Autobahn A1 Richtung Zürich. Am Ende eines längeren Überholverbots überholte er einen langsameren Lastwagen. Er schwenkte auf die Überholspur aus, wo ein nachfolgender Personenwagen abbremsen musste. 
 
B.  
Mit Strafbefehl vom 7. Oktober 2014 verurteilte die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm X.________ wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln. Auf dessen Einsprache hin bestätigte das Bezirksgericht Zofingen am 21. Juli 2015 den Schuldspruch und auferlegte X.________ eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 80.-- sowie eine Verbindungsbusse von Fr. 300.--. Die dagegen gerichtete Berufung von X.________ hiess das Obergericht des Kantons Aargau am 6. September 2016 teilweise gut und wies die Sache wegen Verletzung des Anklagegrundsatzes an das Bezirksgericht zurück. 
 
C.  
Am 23. Dezember 2016 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage und beantragte einen Schuldspruch wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln. Das Bezirksgericht Zofingen verurteilte X.________ am 27. Februar 2017 wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Busse von Fr. 500.--. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft verurteilte das Obergericht X.________ am 18. Oktober 2017 wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Behinderung des nachfolgenden Verkehrs beim Spurwechsel auf der Autobahn zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 110.-- sowie zu einer Verbindungsbusse von Fr. 1'000.--. 
 
D.  
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben. Er sei nur wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Busse von Fr. 500.-- zu verurteilen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Er ersucht um aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde. 
 
E.  
Das Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, während die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer führt zum Gesuch um aufschiebende Wirkung aus, das Strassenverkehrsamt könnte ihm den Führerausweis entziehen, bevor ein Urteil des Bundesgerichts vorliege. Bei einer groben Verkehrsregelverletzung betrage die gesetzliche Minimalentzugsdauer drei Monate. Da er berufsmässiger Lastwagenchauffeur sei, würde ein Führerausweisentzug von drei Monaten für ihn zu einem nicht wiedergutzumachenden Nachteil führen, wenn im Nachhinein festgestellt würde, dass lediglich eine einfache Verkehrsregelverletzung vorgelegen habe. 
Gemäss Art. 103 Abs. 3 BGG können nur die im Strafurteil direkt angeordneten Rechtsfolgen suspendiert werden, nicht aber allfällige Administrativmassnahmen. Der Beschwerdeführer belegt nicht, dass Vollzugsmassnahmen angeordnet wurden oder unmittelbar bevorstünden, und begründet keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 103 BGG (vgl. Urteil 6B_ 719/2016 vom 13. Oktober 2016 E. 2 mit Hinweisen). Auf das Gesuch ist nicht einzutreten. 
Anzumerken ist, dass die Verwaltungsbehörde - sofern ein Strafverfahren eingeleitet worden ist - mit dem Erlass einer administrativen Massnahme grundsätzlich zuwarten muss, bis ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt, soweit der Sachverhalt oder die rechtliche Qualifikation des in Frage stehenden Verhaltens für das Verwaltungsverfahren von Bedeutung ist (BGE 119 Ib 158 E. 2c/bb S. 161 f.; Urteil 1C_581/2016 vom 9. März 2017 E. 2.3; zur Ausnahme des vorsorglichen Sicherungsentzugs vgl. BGE 141 II 220). 
 
2.  
 
2.1. Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Der objektive Tatbestand verlangt nach der Rechtsprechung, dass der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Diese setzt die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung voraus. Eine konkrete Gefahr oder Verletzung ist nicht verlangt.  
Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrsregelwidriges Verhalten, das heisst ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kommt aber auch in Betracht, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht. Die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung setzt in diesem Fall voraus, dass das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen (BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136 mit Hinweisen). Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird Rücksichtslosigkeit subjektiv zu bejahen sein, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen (BGE 142 IV 93 E. 3.1 S. 96 mit Hinweisen). 
Grundsätzlich ist von einer objektiv groben Verletzung der Verkehrsregeln auf ein zumindest grobfahrlässiges Verhalten zu schliessen. Die Rücksichtslosigkeit ist ausnahmsweise zu verneinen, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Verhalten subjektiv in einem milderen Licht erscheinen lassen (Urteile 6B_558/2017 vom 21. September 2017 E. 1.2; 6B_1004/2016 vom 14. März 2017 E. 3.2 mit Hinweis). 
 
2.2. Auf Strassen, die für den Verkehr in gleicher Richtung in mehrere Fahrstreifen unterteilt sind, darf der Führer seinen Streifen nur verlassen, wenn er dadurch den übrigen Verkehr nicht gefährdet (Art. 44 Abs. 1 SVG). Der Führer, der seine Fahrrichtung ändern will, wie zum Abbiegen, Überholen, Einspuren und Wechseln des Fahrstreifens, hat auf den Gegenverkehr und auf die ihm nachfolgenden Fahrzeuge Rücksicht zu nehmen (Art. 34 Abs. 3 SVG). Wer überholt, muss auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen (Art. 35 Abs. 3 SVG). Der Fahrzeugführer, der überholen will, muss vorsichtig ausschwenken und darf nachfolgende Fahrzeuge nicht behindern. Er darf nicht überholen, wenn sich vor dem voranfahrenden Fahrzeug Hindernisse befinden, wie Baustellen, eingespurte Fahrzeuge oder Fussgänger, welche die Strasse überqueren (Art. 10 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]; vgl. auch Urteile 6B_453/2012 vom 19. Februar 2013 E. 2.2; 6B_10/2011 vom 29. März 2011 E. 2.2.1 f.).  
 
2.3. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer gegen die genannten Verkehrsregeln verstiess. Offen ist, ob die Verletzung dieser Verkehrsregeln als grob im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG zu qualifizieren ist. Hier wiederum ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer durch sein Manöver wichtige Verkehrsvorschriften in objektiv schwerer Weise missachtete und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdete. Umstritten bleibt einzig, ob sich der Beschwerdeführer rücksichtslos im Sinne der Rechtsprechung verhielt.  
 
2.4. Die Vorinstanz erwägt dazu, der Beschwerdeführer habe einen langsamer auf der Normalspur fahrenden Lastwagen unmittelbar nach dem Signal "Ende des Überholverbots für Lastwagen" überholt. Dabei habe er sich nicht ausreichend vergewissert, dass die Überholspur frei gewesen sei. Zumindest könne er sich unmittelbar vor dem Überholmanöver hiervon nicht durch einen Blick in den Rückspiegel überzeugt haben, denn als er ausgeschwenkt habe, habe sich der Personenwagen bereits für ihn erkennbar auf der Überholspur und nicht im toten Winkel befunden. Der Personenwagen sei trotz der leichten Rechtskurve klar erkennbar gewesen. Wenn der Verkehr wegen der leichten Kurve für ihn nicht ausreichend einsehbar gewesen sein sollte, hätte der Beschwerdeführer auf den Spurwechsel verzichten müssen. Unter Beachtung gehöriger Sorgfalt hätte er in jenem Moment das Überholmanöver abbrechen können. Er habe sich aber offensichtlich nicht um den nachfolgenden Verkehr gekümmert, sondern im frühestmöglichen Moment am langsameren Lastwagen vorbeiziehen wollen. Er habe die Spur abrupt gewechselt, ohne dies vorgängig anzuzeigen. Den Blinker habe er erst gesetzt, als er bereits am Ausschwenken gewesen sei. Ein solches Verhalten sei rücksichtslos. Dies umso mehr, als der Beschwerdeführer nach eigenen Aussagen gewusst habe, dass der Personenwagen hinter ihm sei, und er deshalb jederzeit mit dessen Überholmanöver zu rechnen gehabt habe, selbst wenn ihm der Personenwagen bereits seit einiger Zeit auf der Normalspur gefolgt sein sollte. Als erfahrener Berufschauffeur habe der Beschwerdeführer gewusst, wie lange er für den Spurwechsel brauchen würde und welchen Abstand er zum hinter ihm fahrenden Verkehr einzuhalten hatte, um gefahrlos zu überholen. Dabei habe er auch den auf der Normalspur fahrenden Verkehr zu berücksichtigen gehabt. Der Personenwagen sei mit einer Geschwindigkeit von rund 120 km/h gefahren und der Beschwerdeführer mit einer solchen von 75-78 km/h. Gerade aufgrund der Grösse und Trägheit seines Lastwagens und der erheblichen Geschwindigkeitsdifferenz habe er den nachfolgenden Verkehrsteilnehmern beim Spurwechsel besondere Aufmerksamkeit schenken müssen, um diese nicht zu gefährden. Der Beschwerdeführer sei sich der grundsätzlichen Gefährlichkeit seines Handelns bewusst gewesen, habe aber offensichtlich darauf vertraut, dass nichts passieren würde. Sein Verhalten erscheine als rücksichtslos (Urteil E. 2.3.5 S. 5 f.).  
 
2.5. Der Beschwerdeführer handelte nicht krass rücksichtslos. Wie er zu Recht rügt, liegen Gründe vor, die sein Verhalten subjektiv weniger schwer erscheinen lassen. Er handelte nicht gedankenlos und es kann angesichts der konkreten Umstände nicht von einem jedes Risiko ausblendenden Verhalten gesprochen werden. Wie bereits die erste Instanz zutreffend erwog, scherte der Personenwagen fast gleichzeitig wie der Beschwerdeführer aus und hielt keinen genügenden Abstand zu dessen Lastwagen. Unter diesen Umständen ist es durchaus denkbar, dass der Beschwerdeführer im Moment, als er nach hinten schaute, den Personenwagen übersah und davon ausging, dass die Überholspur frei war.  
Die Vorinstanz nimmt an, dass der Beschwerdeführer jederzeit mit einem Überholmanöver des Personenwagens rechnen musste, weil dieser schon einige Zeit hinter ihm fuhr. Wie der Beschwerdeführer zutreffend vorbringt, lässt sich daraus auch das Gegenteil ableiten. Fährt ein Personenwagen auf einem ansteigenden Autobahnstück mit einem Überholverbot für Lastenwagen mehrere Kilometer hinter einem solchen, dann muss der Lastwagenführer nicht zwingend damit rechnen, der Personenwagen würde ihn unmittelbar nach dem Ende des Überholverbots für Lastenwagen seinerseits überholen. 
Zwar schwenkte der Beschwerdeführer pflichtwidrig unvorsichtig aus und erkannte den Personenwagen zu spät, doch handelte er deswegen unter den konkreten Umständen nicht rücksichtslos. Indem die Vorinstanz davon ausgeht, der Beschwerdeführer habe auch subjektiv eine schwere Verkehrsregelverletzung begangen, verletzt sie Bundesrecht. 
 
2.6. Die Rüge ist begründet. Auf die Einwendungen des Beschwerdeführers gegen die vorinstanzliche Strafzumessung ist nicht einzugehen (Beschwerde Rz. 18 f.), da die Vorinstanz bei diesem Ausgang ohnehin lediglich eine Busse wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln aussprechen darf.  
 
3.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 18. Oktober 2017 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an dieses zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. Mai 2018 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres