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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_40/2024  
 
 
Urteil vom 22. Januar 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Merz, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Maître Sonja Maeder Morvant, 
 
gegen  
 
Bundesanwaltschaft, Guisanplatz 1, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen an die Ukraine; Teilnahme am Verfahren, vorsorgliche Massnahmen, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer, vom 27. Dezember 2023 (RR.2023.172 / RP.2023.51). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Eingabe vom 9. November 2023 wandte sich der ukrainische Staatsbürger A.________ durch seine Vertreterin an die Bundesanwaltschaft (BA). Er bezog sich auf ein von der BA geführtes Rechtshilfeverfahren zugunsten der Ukraine (RH.23.0088) und machte geltend, als Beschuldigter von der damit zusammenhängenden Strafuntersuchung Nr. 52016000000000380 des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine (NABU) betroffen zu sein. Er ersuchte die BA, ihn als Partei im Rechtshilfeverfahren zuzulassen, ihm Akteneinsicht zu gewähren und ihm die Teilnahme an der rechtshilfeweisen Einvernahme des Zeugen B.________ zu ermöglichen. Dieser sei schon einmal am 13. September 2019 auf Ersuchen der Ukraine einvernommen worden und solle aufgrund eines neuen Rechtshilfeersuchens der Ukraine vom 15. Mai 2023 erneut als Zeuge befragt werden. 
 
B.  
Mit Schussverfügung vom 20. November 2023 lehnte die BA den Antrag von A.________ auf Parteistellung und Parteirechte im Rechtshilfeverfahren Nr. RH.23.0088 ab. 
 
C.  
Dagegen gelangte A.________ am 27. November 2023 mit Beschwerde und einem Gesuch um vorsorgliche Massnahmen an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Dieses wies die Beschwerde am 27. Dezember 2023 ab. 
 
D.  
Dagegen hat A.________ am 15. Januar 2024 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und ihm sei im Rechtshilfeverfahren RH.23.0088 Parteistellung und Akteneinsicht zu gewähren. Vorsorglich sei festzustellen, dass die BA bis zum bundesgerichtlichen Entscheid über die Parteistellung A.________s nicht über die rechtshilfeweise Übermittlung von Informationen oder Unterlagen an die ersuchende Behörde entscheiden und dieser keine Informationen oder Unterlagen übermitteln dürfe. 
 
E.  
Es wurden keine Akten und keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Verfahren wird praxisgemäss in der Sprache des angefochtenen Entscheids geführt (Art. 54 Abs. 1 BGG), vorliegend also auf deutsch. Der Beschwerdeführer, dessen Eingabe ans Bundesgericht auf französisch verfasst ist, macht nicht geltend, dadurch einen Nachteil zu erleiden. 
 
2.  
Der angefochtene Entscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts, einer Vorinstanz des Bundesgerichts gemäss Art. 86 Abs. 1 lit. b BGG, spricht dem Beschwerdeführer die Parteistellung im Rechtshilfeverfahren RH.23.0088 ab. Dieser Entscheid ist als Endentscheid (Art. 90 BGG) bzw. Teilendentscheid zu qualifizieren (Art. 91 lit. b BGG). Der Beschwerdeführer ist befugt, dagegen Beschwerde zu führen (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdefrist wurde eingehalten (Art. 100 Abs. 2 lit. b BGG i.V.m. Art. 44 f. BGG). 
Die Beschwerde auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist allerdings nur zulässig, wenn diese eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Art. 84 BGG). 
 
3.  
Ein besonders bedeutender Fall liegt nach Art. 84 Abs. 2 BGG "insbesondere" vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist. Das Gesetz enthält eine nicht abschliessende, nur beispielhafte Aufzählung von möglichen besonders bedeutenden Fällen. Darunter fallen nicht nur Beschwerdesachen, die Rechtsfragen von grundsätzlicher Tragweite aufwerfen, sondern auch solche, die aus anderen Gründen besonders bedeutsam sind (BGE 145 IV 99 E. 1.1 mit Hinweisen). 
Nach der Praxis des Bundesgerichts kann auch die Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im schweizerischen Rechtshilfeverfahren (und nicht nur im ausländischen Verfahren) einen besonders bedeutenden Fall begründen (BGE 145 IV 99 E. 1.3). Indessen genügt das pauschale Vorbringen der beschwerdeführenden Partei, die Behörden hätten ihr rechtliches Gehör oder andere elementare Verfahrensgrundsätze verletzt, nicht, um einen Rechtshilfefall als besonders bedeutend erscheinen zu lassen. Vielmehr müssen dafür ernsthafte Anhaltspunkte objektiv vorliegen (BGE 145 IV 99 E. 1.4; 133 IV 125 E. 1.4; je mit Hinweisen; vgl. dazu MARC FORSTER, in: Basler Kommentar zum BGG, 3. Aufl., 2 018, Art. 84 N. 31). 
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein besonders bedeutender Fall gegeben ist, steht dem Bundesgericht ein weiter Ermessensspielraum zu. Gerade im Bereich der sogenannten "kleinen" (akzessorischen) Rechtshilfe kann ein besonders bedeutender Fall nur ausnahmsweise angenommen werden (BGE 145 IV 99 E. 1.2 mit Hinweisen). Die besondere Bedeutung des Falles ist in der Beschwerdeschrift darzulegen; hierfür gilt eine qualifizierte Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 Satz 2 BGG; FORSTER, a.a.O., Art. 84 N. 33). 
 
4.  
Der Beschwerdeführer macht geltend, die ukrainische Strafuntersuchung verletze elementare Verfahrensgrundsätze, namentlich die Unschuldsvermutung, das Prinzip der Waffengleichheit, das rechtliche Gehör und das Recht auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht. Schon aus diesem Grund liege ein besonders bedeutender Fall vor. 
Hinzu komme, dass auch die Vorinstanz das rechtliche Gehör in schwerwiegender Weise verletzt habe: Diese habe sich damit begnügt, die Rechtsprechung zur Parteistellung des Beschuldigten nach Art. 21 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) zusammenzufassen, ohne sich mit der Kritik des Beschwerdeführers an dieser Rechtsprechung auseinanderzusetzen. 
Schliesslich stelle sich in diesem Zusammenhang eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung: Die von der Vorinstanz zitierten Grundsatzentscheide BGE 137 IV 134 und BGE 124 II 180 beträfen die Beschwerdebefugnis von nicht unmittelbar und persönlich von den Rechtshilfemassnahmen betroffenen "Dritten". Ob diese Rechtsprechung auch auf die im ausländischen Strafverfahren beschuldigte Person anwendbar sei, sei vom Bundesgericht noch nie entschieden worden. Es wäre stossend, wenn auch die beschuldigte Person keine Möglichkeit hätte, sich der Übermittlung eines Einvernahmeprotokolls an den ersuchenden Staat unter Berufung auf Art. 2 IRSG zu widersetzen. Damit werde ihr die Möglichkeit abgeschnitten, sich wirksam zu verteidigen. 
 
5.  
Die Vorinstanz hat sich ausführlich zur Parteistellung des Beschwerdeführers geäussert. Es hat die gesetzliche Regelung dargelegt, wonach zur Beschwerde nur legitimiert ist, wer persönlich und direkt von einer Rechtshilfemassnahme betroffen ist (Art. 80h lit. b IRSG); dies gelte nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in Art. 21 Abs. 3 IRSG auch für Personen, gegen die sich das ausländische Strafverfahren richte. Es hat damit klar zum Ausdruck gebracht, dass von Gesetzes wegen kein Spielraum bestehe, um eine weitergehende Parteistellung der beschuldigen Person im Rechtshilfeverfahren anzuerkennen, wie dies dem Beschwerdeführer vorschwebt. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. 
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers stellt sich auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Zwar betreffen die Urteile BGE 137 IV 134 und BGE 124 II 180 die Beschwerdebefugnis von "Dritten" gegen die Übermittlung von Einvernahmeprotokollen. Aus Art. 21 Abs. 3 IRSG ergibt sich jedoch, dass diese Rechtsprechung auch auf die im ausländischen Strafverfahren beschuldigte Person anwendbar ist, die nur mittelbar von der Rechtshilfemassnahme betroffen ist, d.h. weder selbst einvernommen wird noch sich als Kontoinhaberin gegen die Übermittlung von Informationen über ihre Bankkonten wehrt. Dies wurde bereits im Urteil 1A.313/1997 vom 27. Februar 1998 (E. 2) ausdrücklich festgehalten. 
Das Bundesgericht bestätigte diese Rechtsprechung jüngst im Urteil 1C_626/2023 vom 28. November 2023 (ebenfalls betreffend das Rechtshilfeverfahren RH.23.0088). Die damalige Beschwerdeführerin, Mitbeschuldigte im ukrainischen Strafverfahren Nr. 52016000000000380, verlangte die Gewährung der Parteistellung und des Akteneinsichtsrechts, um sich der Übermittlung des Protokolls der ergänzenden Einvernahme des Zeugen B.________ an die Ukraine zu widersetzen, unter Berufung auf Art. 2 IRSG. Das Bundesgericht verneinte einen besonders bedeutenden Fall und trat auf die Beschwerde nicht ein, weil sich die Auslegung von Art. 21 Abs. 3 und Art. 80h lit. b IRSG durch die Vorinstanz auf den Gesetzeswortlaut, die Botschaft zur Änderung des Rechtshilfegesetzes vom 29. März 1995, die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts und die herrschende Lehre stützen könne (vgl. E. 4.1). Zwar werde in der Literatur z.T. eine Anpassung von Art. 21 Abs. 3 IRSG verlangt, um die Parteistellung des Beschuldigten im Rechtshilfeverfahren auszuweiten. Daraus ergebe sich jedoch kein Überprüfungsbedarf für die bundesgerichtliche Praxis, welche sich auf die geltende Fassung von Art. 21 Abs. 3 IRSG stütze und, wie aufgezeigt, den gesetzgeberischen Intentionen entspreche. Komme der Beschwerdeführerin keine Parteistellung zu, so könne sie auch nicht geltend machen, die Rechtshilfe müsse wegen der Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze im ukrainischen Strafverfahren verweigert werden (zitierter Entscheid, E. 4.2). 
Dasselbe gilt im vorliegenden Verfahren. 
 
6.  
Liegt kein besonders bedeutsamer Fall vor, so ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Damit werden die Gesuche um vorsorgliche Massnahmen gegenstandslos. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 BGG) und hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Bundesanwaltschaft, dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, und dem Bundesamt für Justiz, Fachbereich Rechtshilfe, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. Januar 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber