Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_961/2009 
 
Urteil vom 19. Januar 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Parteien 
X._________, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Stieger, 
 
gegen 
 
Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, 8090 Zürich, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Bedingte Entlassung (Art. 86 StGB), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichterin, vom 7. September 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der Syrer X._________ wurde vom Geschworenengericht des Kantons Zürich am 22. Oktober 2007 wegen mehrfach versuchter Anstiftung zu Mord, strafbarer Vorbereitungshandlungen zu Mord und mehrfacher Drohung sowie Widerhandlung gegen das ANAG und das Waffengesetz zu 9 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt (unter Anrechnung von 1676 Hafttagen). Er hatte im Zeitraum von 2002 und 2003 seine Ehefrau, die sich von ihm trennen wollte, mehrfach bedroht, ihre Ermordung vorbereitet und versucht, seinen Neffen zu Mord bzw. Mithilfe dazu anzustiften. 
 
B. 
Er ersuchte am 9. Oktober 2008 um die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug auf den 20. März 2009. Das Amt für Justizvollzug wies das Gesuch am 17. März 2009 ab. Seinen Rekurs wies die Direktion der Justiz und des Innern am 20. Mai 2009 ab. 
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies am 7. September 2009 seine Beschwerde ab. 
 
C. 
X._________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das verwaltungsgerichtliche Urteil aufzuheben, sein Gesuch um bedingte Entlassung gutzuheissen und ihn umgehend frei zu lassen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen und diese anzuweisen, die Rückfallgefahr begutachten zu lassen und dann neu zu entscheiden. Es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Beschwerdegegenstand ist einzig der angefochtene Entscheid der Vorinstanz (Art. 80 BGG). 
 
Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es gilt eine qualifizierte Rügepflicht im Sinne der früheren Vorschrift von Art. 90 Abs. 1 lit. b aOG (BGE 134 I 83 E. 3.2; 133 IV 286 E. 1.4). Der Beschwerdeführer bezeichnet das angefochtene Urteil durchgehend als "unsachlich und willkürlich". Das genügt den Begründungsanforderungen nicht. Darauf ist nicht einzutreten. 
 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt, bei richtiger Anwendung des Art. 86 StGB "inhärenten Rechtsgrundsatzes des Risikovergleichs" könnte keine negative Prognose gestellte werden und würde sich ergeben, dass die Bewährungsaussichten bei bedingter Entlassung höher seien als beim Vollzug der Reststrafe. 
 
2.1 Die Vorinstanz schliesst sich den Entscheiden des Justizvollzugs und der Justizdirektion an, die ihre ablehnenden Entscheide vor allem mit der fehlenden Tateinsicht begründet hatten sowie mit der hohen Gefährdung der geschiedenen Frau und dieser nahestehender Personen, besonders des Neffen, der wesentlich zur Verhinderung der Tat beigetragen hatte. Es könne nicht angenommen werden, die geschiedene Frau sei durch die neue Identität und den geheimen Wohnort ausreichend geschützt. Weil sie regelmässige Kontakte zu den Landsleuten pflege und der Beschwerdeführer wisse, dass sie irgendwo in Zürich lebe, dürfte es für ihn nicht schwierig sein, ihren Aufenthaltsort zu ermitteln. 
 
Entscheidend sei, dass er bisher keine Tateinsicht oder Bereitschaft zur Tataufarbeitung gezeigt habe. Die Sache sei im Zusammenhang mit der hochspezifischen Täter-Opfer-Beziehung und seiner traditionellen Haltung zu Familie und Ehre zu sehen. Im Gutachten vom 2. Mai 2005 nach rund zwei Jahren Untersuchungshaft seien keine krankheitswerte Störung festgestellt, aber für die Entlassung aus der Untersuchungshaft eine ungünstige Prognose hinsichtlich weiterer Drohungen sowie einer Tötungshandlung gegenüber der Ehefrau gestellt worden (angefochtenes Urteil S. 10). Die Fachkommission des Ostschweizer Strafvollzugskonkordats sei am 8. Dezember 2008 von einer erheblichen Gefährdung der geschiedenen Frau und weiterer Familienangehöriger ausgegangen (angefochtenes Urteil S. 9). Über sein Auskommen in Syrien scheine der Beschwerdeführer wenig konkrete Vorstellungen zu haben. 
 
2.2 Gemäss Art. 86 Abs. 1 StGB ist der Gefangene nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe bedingt zu entlassen, wenn es das Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen. Die bedingte Entlassung stellt die Regel und die Verweigerung die Ausnahme dar (BGE 133 IV 201 E. 2.2). Dem spezialpräventiven Zweck der bedingten Entlassung als vierte Stufe des Strafvollzugs stehen die Schutzbedürfnisse der Allgemeinheit gegenüber, welchen um so höheres Gewicht beizumessen ist, je hochwertiger die gefährdeten Rechtsgüter sind. Prognostisch relevant ist vor allem auch die neuere Einstellung zu den Taten. Dabei steht der zuständigen Behörde ein Ermessen zu (BGE 133 IV 201 E. 2.3). 
2.2.1 Der Verzicht auf eine neue Begutachtung verletzt kein Bundesrecht. Art. 86 Abs. 2 StGB schreibt sie nicht vor. Neben den Berichten der Anstaltsleitung, der persönlichen Anhörung und weiteren Abklärungen liegen das Gutachten vom 2. Mai 2005 und die Stellungnahme der Fachkommission vom 8. Dezember 2008 vor. Mit dieser Stellungnahme wurde die Gefährlichkeitsprognose aktualisiert. 
2.2.2 Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, sie verkenne in grundlegender Weise den Rechtsgrundsatz des Risikovergleichs bzw. der Differentialprognose. Er führt im Sinne der allgemeinen Erwägungen von BGE 124 IV 193 aus, zu bedenken sei, dass die Vollverbüssung der Strafe das Rückfallrisiko nicht beseitige, sondern nur auf einen späteren Zeitpunkt verschiebe. Der vagen Hoffnung auf Wegfall der Gefährlichkeit stehe mindestens gleichrangig die Verschärfung der Gefahr durch die Situation des Vollzugs und die Fernhaltung des Täters von der Freiheit gegenüber. Der Verurteilte würde die Opfer auch für negative Vollzugsentscheide verantwortlich machen. Es sei ihm zuzugestehen, dass er die in seinem Kulturkreis tabuisierte Schande des Versagens auf seine eigene Art verarbeite. Aus seiner Optik müssten das Verhalten des Neffen als Verrat und das Zusammenspannen mit seiner Frau als Komplott betrachtet werden. 
 
Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die Einsichtslosigkeit indiziert eine andauernde gefährliche Grundhaltung. Sie ist in dieser Konstellation einer hochspezifischen Täter-Opfer-Beziehung und "traditionellen" Haltung zu Familie und Ehre klar anders zu beurteilen, als das für die in BGE 124 IV 193 E. 5b/ee zu beurteilende Situation angedeutet wird. Einzig eine objektiv nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Tat unter Anerkennung rechtsstaatlicher Prinzipien kann für den Vollzugsentscheid relevant sein. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer seine Vorstellungen von Familie und Ehre hinterfragt hätte (angefochtenes Urteil S. 11). Wegen seiner "Kränkung" ist die Gefahr für die geschiedene Frau und den Neffen als relativ hoch einzuschätzen. 
 
2.2.3 Die Vorinstanz stellt zutreffend die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers ins Zentrum der Beurteilung. Es ist nicht nachvollziehbar, wie dieser zu rügen vermag, darum gehe "es bei der Beurteilung gemäss Art. 86 StGB - unter Vorbehalt der von der Vorinstanz klar ausgeschlossenen Gefährdung öffentlicher Sicherheit - jedoch nicht" (Beschwerde S. 11). Die Sicherheit oder die Schutzbedürfnisse der Allgemeinheit betreffen gerade auch den Einzelnen. 
 
Aus BGE 124 IV 193 kann der Beschwerdeführer nichts anderes ableiten. Dieser Entscheid wies bereits (übernommen in BGE 133 IV 201 E. 2.3) darauf hin, dass in der Gesamtwürdigung neben dem Vorleben, der Persönlichkeit und den nach der Entlassung zu erwartenden Lebensverhältnissen "vor allem die neuere Einstellung, der Grad der Reife einer allfälligen Besserung" zu prüfen sind. Die mit der bedingten Entlassung verfolgte Wiedereingliederung ist nicht Selbstzweck, sondern auch ein Mittel, um die Allgemeinheit vor neuen Straftaten zu schützen. Bei der Prognose ist dem gefährdeten Rechtsgut Rechnung zu tragen. Allerdings vermag nicht jede entfernte Gefahr die Verweigerung der bedingten Entlassung zu begründen. Sie kann aber auch nicht aufgrund einzelner günstiger Faktoren (wie dem Verhalten in der Anstalt) bewilligt werden, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Gefahr neuer Rechtsbrüche sprechen (BGE 124 IV 193 E. 3). 
 
2.3 Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit klären, ob die Gefahr mit der Vollverbüssung abnehmen, gleich bleiben oder zunehmen wird (vgl. BGE 124 IV 193 E. 5b/bb S. 202). Sicher ist, dass die Gefährdung bei einer bedingten Entlassung erheblich ist. Gefährdet ist das Rechtsgut Leben. Die Legalprognose ist ungünstig. Der Beschwerdeführer kann nicht bedingt entlassen werden. 
 
3. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit einer herabgesetzten Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 und Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichterin, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 19. Januar 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Briw