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«AZA 0» 
4C.407/1999 
 
I. Z I V I L A B T E I L U N G 
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25. Januar 2000 
 
 
Es wirken mit: Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident, Klett, Rottenberg Liatowitsch und Gerichtsschreiber Huguenin. 
 
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In Sachen 
 
 
B.________, Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jean-Pierre Menge, Quaderstrasse 5, Postfach 26, 7002 Chur, 
 
 
gegen 
 
 
Firma R.________, Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Schmid, Hartbertstrasse 11, Postfach 180, 7002 Chur, 
 
 
betreffend 
Arbeitsvertrag, 
hat sich ergeben: 
 
 
A.- B.________ arbeitete vom 28. November 1994 bis 31. Dezember 1995 als Chauffeur für die Firma R.________, wobei er sowohl als Car-Chauffeur wie auch als Chauffeur eines Stadtbusses in Chur eingesetzt wurde. Es bestand kein schriftlicher Arbeitsvertrag. Auf Verlangen von B.________ verfasste die Arbeitgeberin eine Zusammenstellung der von ihm während seiner Anstellung geleisteten Arbeitszeit. Diese Zusammenstellung ging von einer durchschnittlichen Arbeitszeit von rund 43 Stunden pro Woche aus, rechnete für Reinigungsarbeiten eineinhalb Stunden ein und schrieb die Pausen zu 20 Prozent als Arbeitszeit gut. B.________ bestritt in verschiedener Hinsicht die Richtigkeit der Zusammenstellung, fand aber bei seiner früheren Arbeitgeberin kein Gehör. 
 
 
B.- Im September 1997 erhob B.________ beim Bezirksgericht Plessur Klage gegen die Firma R.________ mit dem Antrag, die Beklagte zur Zahlung von Fr. 17'373.47 nebst 5 % Zins seit 28. Januar 1996 zu verpflichten. Der Kläger machte unter Bezugnahme auf die erwähnte Zusammenstellung geltend, zuschlagspflichtige Überzeit geleistet zu haben, wofür ihm ein Gesamtbetrag von Fr. 15'054.69 geschuldet sei; zudem verfüge er über ein Guthaben von 11 Ferien- und Freitagen; schliesslich sei ihm der Lohn für Dezember 1995 sowie der 13. Monatslohn für das Jahr 1995 nicht ganz ausbezahlt worden. 
 
Das Bezirksgericht holte zum Thema der Arbeitszeit eine Expertise ein, welche einen Minussaldo von 302 Stunden und 8 Minuten ergab, und zwar auf der Grundlage einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden bis 30. September 1995 und von 46 Stunden ab 1. Oktober 1995; nach Abzug der zu 20 Prozent berechneten Pausengutschriften verblieb ein Minussaldo von 187 Stunden und 34 Minuten. Das Bezirksgericht stellte in seinem Urteil vom 8. Dezember 1998 auf die Expertise ab und wies die Klage ab. 
 
Der Kläger appellierte an das Kantonsgericht von Graubünden, das mit Urteil vom 13. Juli 1999 die Klagabweisung bestätigte, dagegen den Kostenspruch des Bezirksgerichts zu Gunsten des Klägers änderte. 
 
 
C.- Mit Berufung beantragt der Kläger dem Bundesgericht, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von Fr. 17'373.47 nebst 5 % Zins seit 28. Januar 1996 zu verpflichten. 
 
Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung. 
 
 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
 
1.- a) Unter den Parteien ist streitig, ob und wie die Zeiten zwischen den Hin- und Rückfahrten mit dem Car, in denen der Chauffeur keine spezifischen Aufgaben zu erfüllen hat, abzugelten sind. Dabei handelt es sich um die Zeitspanne zwischen der Ankunft des Cars am Bestimmungsort und dem in der Regel im voraus festgelegten Zeitpunkt der Rückfahrt. Je nach dem Zweck der Fahrt (zum Beispiel Skiausflug, Besichtigung, Hochzeitsfest) kann die Länge der Pause variieren und sich von einem Stundenbruchteil bis auf mehrere Stunden erstrecken. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG) steht diese Zeit dem Chauffeur am Bestimmungsort zu seiner freien Verfügung. Er muss sich nicht für allfällige Einsätze bereit halten, sondern kann diese Zeit nach seinen eigenen Wünschen verbringen, zum Beispiel mit Spazierengehen, Essen oder Schlafen. Allerdings ist er insoweit eingeschränkt, als er ortsgebunden bleibt und nicht nach Hause fahren kann. Entgegen den Behauptungen des Klägers ist dem angefochtenen Urteil dagegen nicht zu entnehmen, dass sich der Chauffeur in der Nähe des Cars aufhalten muss, um den Passagieren den jederzeitigen Zugang zu ihrem Gepäck zu ermöglichen, und ihm deshalb untersagt ist, sich längere Zeit vom Car zu entfernen. Die entsprechenden Berufungsvorbringen des Klägers sind unbeachtlich (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). 
 
b) Nach dem angefochtenen Urteil ergibt sich aus dem öffentlichen Recht (Art. 30 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz [SR 822.111] und Art. 2 lit. e und g der Chauffeurverordnung [ARV 1; SR 822.221]) keine Antwort auf die Frage, ob der Chauffeur einen Anspruch auf Entschädigung für die am Bestimmungsort verbrachten Arbeitspausen hat. Es ist nach Auffassung des Kantonsgerichts auf die gesetzlichen Regeln über den Einzelarbeitsvertrag (Art. 319 ff., insbes. Art. 320 Abs. 2 OR) abzustellen, aus denen sich eine prinzipielle Entschädigungspflicht der Arbeitgeberin ergebe, weil der Aufenthalt des Chauffeurs am Reiseziel aus betrieblicher Notwendigkeit erfolge und im Interesse der Arbeitgeberin liege. Mangels anderer Anhaltspunkte sei die Höhe der Entschädigung gemäss Art. 322 Abs. 1 OR festzusetzen. Das Kantonsgericht beruft sich in diesem Zusammenhang auf BGE 124 III 249 (E. 3b S. 252), wonach der Bereitschaftsdienst in "üblicher" Höhe zu entschädigen ist oder falls - wie im beurteilten Fall - nicht festgestellt werden kann, was üblich ist, die Höhe nach Billigkeit bestimmt werden muss. Beim Billigkeitsentscheid berücksichtigt es, dass die Arbeitgeberin ein geringes wirtschaftliches Interesse an der Leistung des Arbeitnehmers hat und dieser seine Zeit nach eigenem Gutdünken verbringen kann. Aus diesen Gründen erachtet es die Anrechnung von 20 Prozent der Arbeitspausen als Arbeitszeit als angemessen. 
 
 
2.- a) Nicht angefochten wird mit der Berufung die Erwägung der Vorinstanz, wonach die Parteien über die Entschädigung für die am Bestimmungsort verbrachte Zeit weder ausdrücklich noch konkludent etwas vereinbart haben und auch kein Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag zur Anwendung kommt. Hingegen nimmt der Kläger den Standpunkt ein, die Vorinstanz habe gegen die Art. 320 und 322 OR verstossen, indem sie das Vorliegen einer voll anrechenbaren Präsenzzeit im Sinne eines Bereitschaftsdienstes verneint und eine 20 prozentige Abgeltung der Arbeitspausen als mit dem Billigkeitsgedanken vereinbar erachtet habe. Bei der Rufbereitschaft, wie sie in BGE 124 III 251 abgehandelt worden sei, halte sich der Arbeitnehmer normalerweise zu Hause auf und könne die Bereitschaftszeit für arbeitsfremde Verrichtungen nutzen. Der wartende Car-Chauffeur dagegen sei in der Gestaltung seiner Freizeit derart eingeschränkt, dass nicht mehr von freier Verfügung gesprochen werden könne. So dürfe er zum Beispiel keinen Alkohol konsumieren und könne die Zeit nicht dem Familien- und Freundeskreis widmen. Eine Entschädigung in der Höhe von lediglich 20 Prozent des normalen Lohnes sei daher unbillig. 
 
b) Ausschlaggebendes Kriterium für das Bestehen eines Lohnanspruchs ist, ob der Arbeitnehmer frei über die Zeit verfügen kann, zählt doch das Zurverfügungstellen von Arbeitszeit zu den wesentlichen Elementen des Arbeitsvertrages (Roncoroni, Arbeit auf Abruf und Gelegenheitsarbeit, AJP 12/1998, S. 1414; BGE 124 III 249 E. 3a und b S. 251). Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass der Bereitschaftsdienst ausserhalb des Betriebes des Arbeitgebers gleich wie tatsächlich geleistete Arbeit zu entschädigen ist. Diese Meinung findet weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung eine Stütze. Vielmehr wird in BGE 124 III 249 E. 3b mit Bezug auf die Arbeit auf Abruf hervorgehoben, dass der Arbeitgeber am Bereitschaftsdienst regelmässig ein geringeres betriebswirtschaftliches Interesse hat als an der Tätigkeit, für die er den Arbeitnehmer eigentlich eingestellt hat, und dass die Bereitschaftszeit für arbeitsfremde Verrichtungen benutzt werden kann, soweit die Einsatzbereitschaft dadurch nicht beeinträchtigt wird. Folglich muss die Rufbereitschaft nicht in gleicher Höhe wie die Haupttätigkeit entlöhnt werden, sondern der Lohnanspruch ist an der Intensität des arbeitgeberseitig herbeigeführten Eingriffs in die Verfügung über die Wartezeit zu messen. 
 
Entgegen dem Einwand des Klägers ist nicht ersichtlich, weshalb das geringere betriebswirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers an der Rufbereitschaft im hier beurteilten Fall des Car-Chauffeurs nicht berücksichtigt werden darf. Die gleiche Interessenwertung ist denn auch vom Bundesamt für Polizeiwesen vorgenommen worden. Dieses vertrat in seiner Wegleitung vom 28. Januar 1982 zur Verordnung vom 6. Mai 1981 über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer die Auffassung, dass die Zeit, während welcher der Car-Chauffeur am Ausflugsort auf die Rückkehr der Fahrgäste warten muss, analog der Wartezeit im Pikettdienst zu behandeln und der Pause zuzurechnen sei. Dem ist grundsätzlich beizupflichten. Allerdings ist richtig, dass der Car-Chauffeur die Wartezeit ausserhalb seiner Wohnung verbringen muss. Diese Freiheitsbeschränkung hält aber jener des Arbeitnehmers in Rufbereitschaft die Waage, die dadurch gekennzeichnet ist, dass er sich stets erreichbar und innert nützlicher Frist arbeitsbereit halten muss. Wesentlich kommt hinzu, dass der Arbeitnehmer in Rufbereitschaft jederzeit mit seinem Einsatz rechnen muss und sich nicht auf eine bestimmte Ruhephase einstellen kann. Er kann sich deshalb nicht im selben Masse entspannen wie der CarChauffeur am Bestimmungsort, der von vornherein weiss, wie lange er frei hat. Was schliesslich das Abstinenzgebot anbelangt, ist kein Unterschied zu jenem vor Fahrtantritt am Wohnort auszumachen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Car-Chauffeur zwischen den Fahrzeiten in seiner Freiheit einzig durch den Umstand beeinträchtigt wird, dass er sich nicht an einem von ihm selbst bestimmten Ort aufhalten kann. Wenn die Vorinstanz dem Arbeitnehmer für die Inkaufnahme dieses Nachteils im Interesse des Arbeitgebers nicht denselben Lohnanspruch wie für die mit der Anstellung hauptsächlich bezweckte Tätigkeit einräumt, hat sie den in Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen Rechnung getragen und kein Bundesrecht verletzt. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, dass es heute eher die Ausnahme als die Norm darstellt, dass den Arbeitnehmern in den Mittagspausen eine Heimkehr möglich ist. Schliesslich gilt als unbestritten, dass ein Car-Chauffeur die Pause nicht zu Hause verbringen können muss (Roger Bollag, Die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer, Diss. Zürich 1994, S. 21). 
 
Die Festlegung der Entschädigungshöhe durch die Vorinstanz beruht auf einem Ermessensentscheid, in welchen einzugreifen kein Anlass besteht, da die in ständiger Praxis verlangten Voraussetzungen hier nicht vorliegen (vgl. BGE 123 III 274 E. 1a/cc S. 279 f.; 121 III 64 E. 3c S. 68 f.; 118 II 50 E. 4 S. 55 f.). Weder ist die Vorinstanz von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen noch hat sie Tatsachen berücksichtigt, welche für die Beurteilung des Falles keine Rolle hätten spielen dürfen, noch hat sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen, die hätten beachtet werden müssen. Schliesslich erscheint die Entschädigungshöhe aufgrund der gegebenen Umstände auch nicht als offensichtlich unbillig oder in stossender Weise ungerecht. 
 
3.- Unbestritten ist, dass unterschiedliche wöchentliche Höchstarbeitszeiten galten, je nach dem, ob der Kläger als Bus-Chauffeur im öffentlichen Linienverkehr oder für Carfahrten zum Einsatz gelangte (42 gegenüber 48 bzw. 46 Stunden). Gestützt auf Art. 2 AZG (Arbeitsgesetz; SR 822.11) in Verbindung mit Art. 3 und 4 AZGV (Verordnung über die Arbeit in Unternehmen des öffentlichen Verkehrs; 822.211) stellte die Vorinstanz zur Bestimmung der wöchentlichen Sollarbeitszeit darauf ab, in welchem Bereich der Kläger überwiegend tätig war. 
 
Diese Betrachtungsweise kritisiert der Kläger als zu pauschal. Seiner Auffassung nach hätte vielmehr "eine differenzierte Auswertung durch den Experten erfolgen müssen". Der Kläger zeigt indessen nicht auf, inwiefern die Vorinstanz Bundesrecht verletzt haben soll und zu welchem für ihn günstigeren Ergebnis die aus seiner Sicht richtige Berechnung geführt hätte. Die Rüge genügt den Begründungsanforderungen von Art. 55 Abs. 1 lit. c OG nicht (vgl. BGE 116 II 745 E. 3 S. 748 f.), weshalb darauf nicht einzutreten ist. 
 
 
4.- Aus diesen Gründen ist die Berufung abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann, und das angefochtene Urteil zu bestätigen. Gemäss Art. 343 Abs. 3 OR sind keine Gerichtskosten zu erheben. Hingegen hat der Kläger der Beklagten eine Parteientschädigung zu zahlen (Art. 156 Abs. 1 OG; BGE 115 II 30 E. 5c S. 42). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.- Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 13. Juli 1999 wird bestätigt. 
 
2.- Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.- Der Kläger hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden schriftlich mitgeteilt. 
 
_____________ 
Lausanne, 25. Januar 2000 
HUG/bie 
 
 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
 
 
 
Der Gerichtsschreiber: