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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1C_219/2020  
 
 
Urteil vom 8. Oktober 2020  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Kneubühler, Merz, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Rudolf Bolli, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Kantonsrat des Kantons Zürich, 
vertreten durch Advokat Prof. Dr. Felix Uhlmann. 
 
Gegenstand 
Stimmrechtsbeschwerde; Entschädigungsverordnung vom 27. Januar 2020 des Kantonsrats. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 27. Januar 2020 erliess der Kantonsrat Zürich eine Verordnung über die Entschädigung der Kantonsratsmitglieder und der Fraktionen (Entschädigungsverordnung des Kantonsrats [EVKR]). Sie wurde im kantonalen Amtsblatt vom 31. Januar 2020 publiziert. Mit einer als "Stimmrechtsbeschwerde" bezeichneten Eingabe vom 28. Februar 2020 ans Verwaltungsgericht des Kantons Zürich verlangte Rudolf Bolli, dass die Verordnung dem fakultativen Referendum zu unterstellen sei. Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts hin erklärte er, mit seiner Eingabe keine abstrakte Normenkontrolle anzustreben. Der Kantonsrat schloss mit Beschwerdeantwort vom 17. März 2020 auf Abweisung der Beschwerde. Rudolf Bolli nahm dazu am 19. April 2020 Stellung. 
 
Mit Beschluss vom 28. April 2020 trat das Verwaltungsgericht mangels Zuständigkeit auf die Beschwerde nicht ein und leitete sie gestützt auf Art. 48 Abs. 3 BGG ans Bundesgericht weiter. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die dem Bundesgericht weitergeleitete Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Kantonsrats, die Entschädigungsverordnung nicht dem Referendum zu unterstellen. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in der Form der Beschwerde in Stimmrechtssachen ans Bundesgericht zur Verfügung (Art. 82 lit. c BGG). Ein Rechtsmittel an eine kantonale Instanz steht nicht offen (§ 42 lit. b des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 [VRG; LS 175.2]). Der Beschluss kann daher nach Art. 88 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 BGG direkt beim Bundesgericht angefochten werden. Der Beschwerdeführer ist als im Kanton Zürich stimmberechtigter Bürger zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 89 Abs. 3 BGG). Die Beschwerde wurde rechtzeitig bei der Vorinstanz eingereicht (vgl. Art. 48 Abs. 3 BGG). 
 
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Stimmrechtsbeschwerde ist daher einzutreten. Diese bezieht sich, wie sich aus den Eingaben des Beschwerdeführers an das Verwaltungsgericht ergibt, nur auf den Beschluss des Kantonsrats, die Entschädigungsverordnung nicht dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Wie bereits erwähnt, erklärte der Beschwerdeführer auf Anfrage des Verwaltungsgerichts ausdrücklich, keine abstrakte Normenkontrolle anzustreben. 
 
2.   
Im Rahmen der Beschwerde in Stimmrechtssachen prüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalen verfassungsmässigen Rechten frei, sondern auch diejenige anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen (vgl. Art. 95 BGG; BGE 141 I 186 E. 3 S. 189 mit Hinweis). 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. d KV/ZH (SR 131.211) sei die Entschädigungsverordnung dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Die in dieser Bestimmung vorgesehene Limite von Fr. 600'000.-- für jährlich wiederkehrende Abgaben sei bei weitem überschritten: Die Geschäftsleitung des Kantonsrats erwarte einen jährlichen Mehraufwand von Fr. 3,7 Mio. Art. 33 Abs. 1 lit. d KV/ZH schränke den Begriff des Beschlusses nicht ein. Auch die Entschädigungsverordnung könne als ein solcher Beschluss in Betracht fallen.  
 
3.2. Art. 33 Abs. 1 KV/ZH sieht unter dem Titel "fakultatives Referendum" Folgendes vor:  
Dem Volk werden auf Verlangen zur Abstimmung unterbreitet: 
a) der Erlass, die Änderung oder die Aufhebung von Gesetzen; 
b) interkantonale und internationale Verträge, deren Inhalt Gesetzesrang hat; 
c) Beschlüsse des Kantonsrates, die durch Gesetz dem Referendum unterstellt sind; 
d) Beschlüsse des Kantonsrates über: 
 
1. neue einmalige Ausgaben von mehr als 6 Millionen Franken, 
2. neue wiederkehrende Ausgaben von jährlich mehr als 600 000 Franken; 
e) Beschlüsse des Kantonsrates von grundlegender Bedeutung, die langfristige Auswirkungen auf die allgemeinen Lebensgrundlagen haben; 
f) die Grundzüge der Vernehmlassung des Kantons zu Vorlagen des Bundes, die von grundlegender Bedeutung sind, langfristige Auswirkungen auf die allgemeinen Lebensgrundlagen haben und auf Bundesebene nicht dem Referendum unterstellt sind. 
 
 
3.3. Der Kantonsrat hält fest, es handle sich bei der Entschädigungsverordnung bzw. beim Kantonsratsgesetz vom 25. März 2019 (KRG; LS 171.1), auf das sich die Verordnung stütze, um generell-abstrakte Erlasse und nicht um Beschlüsse des Kantonsrats im Sinne von Art. 33 Abs. 1 lit. d KV/ZH. Die Kantonsverfassung sehe bei Erlassen kein Finanzreferendum vor.  
 
3.4. Aus der in Art. 33 KV/ZH verwendeten Terminologie geht hervor, dass zwischen Beschlüssen und generell-abstrakten Erlassen zu unterscheiden ist. Dies entspricht der Natur des Ausgaben- bzw. Finanzreferendums als einer Form des Verwaltungsreferendums, das an Verwaltungsbeschlüsse anknüpft und damit im Gegensatz zum Referendum über rechtsetzende Erlasse steht (YVO HANGARTNER/ANDREAS KLEY, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2000, Rz. 1814; vgl. zur Terminologie auch CLAUDIA MANNHART GOMES, Das Verwaltungsreferendum in Bund und Kantonen, 2007, S. 20 f.). Die Rechtslage im Kanton Zürich unterscheidet sich insoweit etwa von derjenigen im Kanton Luzern, wo das Finanzreferendum ausnahmsweise auch Gesetze erfasst (s. § 23 lit. b KV/LU [SR 131.213]: "Gesetze und Beschlüsse des Kantonsrates"; vgl. dazu Urteil 1P.589/1995 vom 11. Dezember 1996 E. 2).  
 
Art. 33 Abs. 1 lit. a KV/ZH unterstellt den Erlass (bzw. die Änderung oder Aufhebung) von Gesetzen dem fakultativen Referendum, nicht jedoch den Erlass von Verordnungen (vgl. dazu CHRISTIAN SCHUMACHER, in: Kommentar zur Zürcher Kantonsverfassung, 2007, N. 13 zu Art. 33 KV/ZH). Im Rahmen der Ausarbeitung der Kantonsverfassung lehnte der Verfassungsrat einen Antrag, wonach auch Verordnungen, die Gebührenregelungen enthalten, dem fakultativen Referendum zu unterstellen seien, ab (Protokoll des Zürcher Verfassungsrats, 57. Sitzung vom 2. Juli 2004, S. 3125 ff.). 
 
Daraus folgt, dass Art. 33 KV/ZH kein Finanzreferendum gegen einen generell-abstrakten Erlass, wie er hier in Frage steht, vorsieht. Da die Entschädigungsverordnung auch kein Gesetz im Sinne von Abs. 1 lit. a dieser Bestimmung darstellt, musste sie der Kantonsrat entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht dem fakultativen Referendum unterstellen. Die Rüge ist somit unbegründet. 
 
4.   
Die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen abzuweisen. 
 
Bei diesem Verfahrensausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Kantonsrat des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. Oktober 2020 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold