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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
H 115/06 
 
Urteil vom 19. Juli 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Kernen, 
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke. 
 
Parteien 
Sozialversicherungsamt Schaffhausen, 
AHV-Ausgleichskasse, Oberstadt 9, 8200 Schaffhausen, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
K.________, 1971, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Storrer, Vorstadt 18, 8200 Schaffhausen. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 9. Juni 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die am ........ 1998 ins Handelsregister eingetragene Firma H.________ AG war der Ausgleichskasse des Kantons Schaffhausen (nachfolgend: Ausgleichskasse) als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. Als einziges Verwaltungsratsmitglied mit Einzelunterschrift amtete K.________. Am ........ 2000 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet und am ........ 2000 mangels Aktiven eingestellt. Mit Verfügung vom 16. Juli 2001 verpflichtete die Ausgleichskasse K.________ zur Bezahlung von Schadenersatz für entgangene Sozialversicherungsbeiträge (einschliesslich FAK-Beiträge, Verwaltungskosten, Verzugszinsen, Mahngebühren und Betreibungskosten) in der Höhe von Fr. 22'336.65. 
B. 
Die auf Einspruch von K.________ hin von der Ausgleichskasse erhobene Schadenersatzklage im verfügten Umfang wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen nach Sistierung des Verfahrens vom 25. März 2002 bis 5. April 2005 mit Entscheid vom 9. Juni 2006 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Ausgleichskasse die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides; eventuell sei das Verfahren zu sistieren. 
 
K.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) nach Einsicht in die Verfahrensakten auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
2. 
2.1 Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden, als Sozialversicherungsbeiträge kraft Bundesrechts streitig sind. Im vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, wie es sich bezüglich der Beitragsschuld gegenüber der Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen verhält (BGE 124 V 145 E. 1 S. 146 mit Hinweis). 
2.2 Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
3. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über die Arbeitgeberhaftung (Art. 52 AHVG; Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) sowie die hiezu ergangene Rechtsprechung, insbesondere über den Eintritt des Schadens und Zeitpunkt der Kenntnis des Schadens (BGE 129 V 193, 128 V 10, 119 V 89 E. 3 S. 92), die subsidiäre Haftung der Organe eines Arbeitgebers (BGE 129 V 11, 126 V 237, 123 V 12 E. 5b S. 15, je mit Hinweisen), den zu ersetzenden Schaden (BGE 126 V 443 E. 3a S. 444, 123 V 12 E. 5b S. 15, je mit Hinweisen), die erforderliche Widerrechtlichkeit (BGE 118 V 193 E. 2a S. 195 mit Hinweisen), die Voraussetzung des Verschuldens und den dabei zu berücksichtigenden - differenzierten - Sorgfaltsmassstab (BGE 108 V 199 E. 3a S. 202, ZAK 1992 S. 248 E. 4b, je mit Hinweisen; vgl. auch Thomas Nussbaumer, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP 9/96, S. 1081) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
Ebenfalls richtig ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist, da in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 130 V 1, 129 V 1 E. 1.2 S. 4, je mit Hinweisen). 
4. 
Zu prüfen ist, ob der Beschwerdegegner Schadenersatz zu leisten hat, wobei weder die Höhe der Schadenersatzforderung noch die Rechtzeitigkeit der entsprechenden Verfügung bestritten ist. 
4.1 Wie die Vorinstanz festgestellt hat, hat die konkursite Gesellschaft Beiträge zuzüglich Verwaltungskosten, Mahngebühren, Betreibungskosten sowie Verzugszinsen in der Höhe von Fr. 22'336.65 nicht mehr entrichtet. Damit verstiess die Gesellschaft gegen die - in masslicher Hinsicht unbestrittene - Beitragszahlungspflicht und missachtete Vorschriften im Sinne von Art. 52 AHVG. Zu prüfen ist, inwieweit die von der Gesellschaft begangene Pflichtverletzung dem Beschwerdeführer, seines Zeichens einziger Verwaltungsrat der AG, als qualifiziertes Verschulden anzurechnen ist. 
4.2 Die Vorinstanz erwog, der Beschwerdegegner könne sich zwar nicht damit entlasten, dass er mit dem Rechnungs- und Zahlungswesen nichts zu tun gehabt habe und S.________ dafür zuständig gewesen sei, da ihm als einziger Verwaltungsrat im Rahmen von Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5 OR als unübertragbare und unentziehbare Aufgabe die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen und über die finanziellen Belange der Gesellschaft zukomme. Indes sei zu berücksichtigen, dass die Beiträge für November 1999 am 9. November 1999 in Rechnung gestellt und Ende November fällig geworden seien, worauf sie mit einer Zahlungsfrist von 10 Tagen zu bezahlen waren. Am 30. November 1999 habe am Sitz der Gesellschaft eine Hausdurchsuchung stattgefunden, bei der unter anderem eine grössere Summe Bargeld beschlagnahmt wurde. Der Beschwerdeführer selbst sei am 1. Dezember 1999 verhaftet und am 22. Dezember 1999 wieder aus der Haft entlassen worden. Zudem sei auch an seinem Wohnort eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden und das Untersuchungsrichteramt des Kantons Schaffhausen habe am 1., 2. und 3. Dezember 1999 Auskünfte bei verschiedenen Bankinstituten eingeholt und die sofortige Sperrung allfälliger Bankverbindungen angeordnet. Deshalb könne dem Beschwerdegegner kein qualifiziertes Verschulden angerechnet werden, da er im massgebenden Zeitpunkt weder über die finanziellen Mittel der Gesellschaft noch über die eigenen habe verfügen können. Der Umstand, dass die mit massgebendem Lohn entschädigte Arbeit gegen die Rechtsordnung, namentlich gegen die Betäubungsmittelgesetzgebung verstosse, sei sozialversicherungsrechtlich unerheblich. 
 
Die Ausgleichskasse wendet in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Wesentlichen ein, die Tatsache, dass der Beschwerdegegner auf Grund der von der Untersuchungsbehörde angeordneten Beschlagnahmung zahlungsunfähig geworden sei, lasse die Missachtung der gesetzlichen Beitragspflicht nicht als erlaubt oder nicht schuldhaft erscheinen. Anders zu entscheiden hätte zur Folge, dass der Beschwerdegegner nur dank seiner illegalen Geschäftstätigkeit, auf Grund welcher die Beschlagnahme erfolgt sei, von seiner Haftungspflicht befreit werde, während sich beispielsweise eine haftpflichtige Person, die aus wirtschaftlichen Gründen über keine finanziellen Mittel mehr verfüge, nicht exkulpieren könne. 
4.3 Die Vorinstanz hat zwar richtig festgestellt, dass die Schadenersatzforderung Fr. 22'336.65 beträgt. Indessen trifft nicht zu, dass dieser Ausstand unbezahlt gebliebene Beiträge für die Monate November 1999 bis Februar 2000 betrifft. Aus dem Kontoauszug, auf den sich die Vorinstanz bezieht, geht klar hervor, dass die Pauschalbeiträge für Januar und Februar 2000 storniert wurden und es sich bei den offen gebliebenen Beiträgen deshalb nur um die Pauschalen November und Dezember 1999 sowie die Schlussabrechnung für das Jahr 1999 handelt, weshalb das Bundesgericht nicht an die diesbezüglich getroffene Sachverhaltsfeststellung gebunden ist (vgl. E. 2.2 hievor). 
4.4 Zunächst ergibt sich ein grosser Teil (Fr. 14'753.60) der ausstehenden Beiträge aus der Jahresschlussrechnung 1999. Nun darf dem Arbeitgeber, welcher die geschuldeten Beiträge im Pauschalverfahren nach Art. 34 Abs. 3 AHVV (in der bis Ende 2000 gültig gewesenen und hier anwendbaren Fassung) entrichtet, nach der Rechtsprechung zu Art. 52 AHVG für die nicht der Beitragshöhe entsprechenden Akontozahlungen nicht von vornherein ein Vorwurf gemacht werden, entspricht es doch gerade diesem Pauschalverfahren, dass der Arbeitgeber je nach den Umständen vorübergehend zu geringe oder zu hohe Zahlungen leistet. Daher berechtigt die Differenz zwischen der Summe der geleisteten Akontozahlungen und den für das Kalenderjahr tatsächlich geschuldeten Beiträgen, so bedeutend sie auch sein mag, nicht zum Vorwurf an den Arbeitgeber, er habe schwerwiegend gegen seine Obliegenheiten verstossen, indem er während des laufenden Jahres die Höhe der Zahlungen nicht an die steigende Lohnsumme angepasst oder nicht für eine bei der Endabrechnung verfügbare Rückstellung gesorgt habe (in SVR 1999 AHV Nr. 13 S. 38 veröffentlichte E. 2 von BGE 124 V 253; AHI 1993 S. 163, ZAK 1992 S. 247 E. 3b, Urteil H 386/00 vom 28. Februar 2002 E. 4c/bb). Der Arbeitgeber kann daher für die Differenz zwischen den geleisteten und den tatsächlich geschuldeten Beiträgen nicht haftbar gemacht werden, es sei denn, er leiste eindeutig zu niedrige Akontozahlungen mit dem Ziel, die Fälligkeit der Beitragsschuld möglichst hinauszuschieben, und im Wissen, dass er anlässlich der Schlussabrechnung möglicherweise nicht in der Lage sein werde, die Restschuld zu begleichen (ZAK 1992 S. 247 E. 3b), wofür hier keinerlei Anhaltspunkte bestehen. 
4.5 Sodann handelt es sich bei zwei unbezahlt gebliebenen Pauschalrechnungen der Monate November und Dezember sowie der Schlussabrechnung nur um einen Beitragsausstand von kurzer Dauer. Nach der Rechtsprechung (BGE 121 V 243 E. 4b S. 244) kann eine kurze Dauer des Beitragsausstandes im Sinne der Rechtsprechung zu den Entlastungsgründen (BGE 108 V 183 E. 1b S. 186, 199 E. 1 S. 200) gegen die Annahme eines schweren Verschuldens sprechen; sie schliesst zwar ein grobes Verschulden nicht zwingend aus, doch kann ein relativ kurzer Beitragsausstand für sich allein - in Abwesenheit anderer Umstände - nicht als grobfahrlässig gewertet werden. Andererseits hat auch bei einem geringfügigen Schadensbetrag und einer (relativ) kurzen Dauer des Beitragsausstandes die verschuldensmässige Wertung der Beitragspflichtverletzung in Würdigung sämtlicher konkreten Umstände des Einzelfalles (BGE 121 V 243 E. 4b S. 244 mit Hinweis, vgl. auch Urteile H 179/01 vom 2. Juli 2003 und H 404/99 vom 13. Februar 2001), die zum Zahlungsrückstand geführt haben, zu erfolgen, wobei das Verhalten des Beschwerdegegners und seine Funktion in der Gesellschaft wie auch die Zahlungs- und Abrechnungsmodalitäten zu berücksichtigen sind. In diesem Rahmen kann die Dauer des Ausstandes als - unter Umständen entscheidendes - Element gewürdigt werden (BGE 121 V 243; Urteile H 263/02 vom 6. Februar 2003, H 297/03 vom 4. November 2004). So vermag auch ein kurzer Ausstand nicht zwangsläufig zu einer Entlastung des verantwortlichen Organes zu führen, wenn vorher die Beitragsabrechnung nicht klaglos war (vgl. beispielsweise Urteil H 67/06 vom 11. Juli 2006). 
4.6 Die Gesellschaft hat vor November 1999 alle Pauschalrechnungen ohne weitere Mahnung immer fristgerecht bezahlt wie auch die Lohnbescheinigung fristgerecht eingereicht und ist damit ihren Verpflichtungen gegenüber der Ausgleichskasse jederzeit klaglos nachgekommen. Angesichts der kurzen Dauer des Beitragsausstandes von zwei Pauschalbeiträgen und einer Schlussabrechnung vermag die Nichtbezahlung der Beiträge deshalb auch unter Berücksichtigung des weiteren Verhaltens des Beschwerdegegners keine Grobfahrlässigkeit zu begründen (Urteil H 263/02 vom 6. Februar 2003). Daran ändert entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nichts, dass die Zahlungsunfähigkeit infolge einer Hausdurchsuchung sowie Beschlagnahmungen im Rahmen einer Strafuntersuchung wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz eingetreten ist. Massgebend ist allein, dass dem Beschwerdegegner mit Bezug auf seine Beitragsabrechnungpflicht als Arbeitgeberorgan angesichts der kurzen Dauer des Beitragsausstandes ahv-rechtlich kein qualifizierter Verschuldensvorwurf gemacht werden kann. 
 
Damit fällt ein haftungsbegründendes qualifiziertes Verschulden, wie es Art. 52 AHVG für die Schadenersatzverpflichtung verlangt, im vorliegenden Fall ausser Betracht und der vorinstanzliche Entscheid ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Damit ist der Eventualantrag auf Sistierung gegenstandslos. 
5. 
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario, in der bis 30. Juni 2006 gültig gewesenen Fassung). Dem Ausgang des Prozesses entsprechend sind die Gerichtskosten von Fr. 1'700.- der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'700.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 19. Juli 2007 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: