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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_759/2010 
 
Urteil vom 31. Januar 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann, 
Gerichtsschreiber Schmutz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Krishna Müller, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 5. August 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1956 geborene A.________ war in der Schweiz seit 1977 für verschiedene Baufirmen als Hilfsmaurer, Hilfsgipser, Hilfsfassadenbauer und zuletzt ab 1. Juni 2003 als Vorarbeiter für Fassadenisolationen tätig. Unter Angabe einer Fersenbeinfraktur rechts am 26. August 2003 meldete er sich am 9. November 2004 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Am 23. Dezember 2004 gewährte die IV-Stelle Bern Berufsberatung. Zur Prüfung der Eingliederungs- und Arbeitsfähigkeit veranlasste sie am 20. Januar 2005 eine berufliche Abklärung in der BEFAS, Berufliche Abklärungsstelle (Bericht vom 7. Juli 2005). 
Mit Verfügung vom 16. Mai 2006 sprach die SUVA A.________ ab 1. Mai 2006 eine Invalidenrente zu bei einem Invaliditätsgrad von 45 %. 
Auf Empfehlung der BEFAS und des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) ordnete die IV-Stelle am 7. Juni 2006 eine Expertise bei Dr. med. S.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, an. Gestützt auf dessen Gutachten vom 7. Dezember 2006 und nach Rücksprache mit dem RAD forderte sie A.________ auf, sich zur Behandlung in eine psychiatrische Tagesklinik zu begeben. Da dieser der Aufforderung nicht nachkam, stellte ihm die IV-Stelle mit Vorbescheid vom 25. April 2007 die Abweisung des Leistungsbegehrens gestützt auf die Akten in Aussicht. A.________ meldete sich bei der Tagesklinik L.________ an. In der Folge liess ihn die IV-Stelle durch die MEDAS begutachten. Gestützt auf deren Expertise vom 10. März 2009 sprach sie dem Versicherten nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren mit Verfügung vom 24. Februar 2010 ab 1. August 2004 eine bis 31. Oktober 2004 befristete ganze Invalidenrente zu. 
 
B. 
Mit Entscheid vom 5. August 2010 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die im Wesentlichen mit dem Antrag auf Zusprechung einer ganzen Rente ab 1. August 2005 (recte wohl: 2004) erhobene Beschwerde teilweise gut; es änderte die angefochtene Verfügung dahingehend ab, dass A.________ ab dem 1. August 2004 bis zum 31. Januar 2005 eine ganze Invalidenrente zugesprochen wurde; im Übrigen wies es die Beschwerde ab. 
 
C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; er beantragt, der vorinstanzliche Entscheid sei in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde aufzuheben; es sei ab 1. Februar 2005 eine halbe, eventualiter eine Viertelsrente auszurichten. 
 
Erwägungen:  
 
1. 
1.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). 
 
1.2 Feststellungen der Vorinstanz hinsichtlich des Grades der Arbeitsunfähigkeit betreffen Tatfragen, soweit sie auf der Würdigung konkreter Umstände beruhen, und sind daher lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel überprüfbar (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 f.). Bei der Bestimmung der für die Bemessung des Invaliditätsgrades massgebenden hypothetischen Einkommen ist als Rechtsfrage frei überprüfbar, ob sie auf der Grundlage statistischer Durchschnittslöhne zu ermitteln sind, und welches die massgebliche Tabelle ist (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). Frei überprüfbare Rechtsfrage ist auch die getroffene Wahl der massgeblichen Stufe (Anforderungsniveau 1+2, 3 oder 4) beim statistischen Lohnvergleich auf der Grundlage der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (LSE) (SVR 2008 IV Nr. 4 S. 9 [Urteil I 732/06 vom 2. Mai 2007 E. 4.2.2]). Die Frage, ob ein leidensbedingter Abzug nach Massgabe der Grundsätze von BGE 126 V 75 vorzunehmen sei, ist rechtlicher Natur, die Bestimmung eines solchen Abzuges dagegen Ermessensfrage, die im Gegensatz zum früheren Recht (vgl. aArt. 104 lit. c OG) nicht zu prüfen ist (Art. 95 und 97 BGG). Gerügt werden kann die Höhe des Abzuges nur im Hinblick auf Ermessensüberschreitung oder -missbrauch als Formen rechtsfehlerhafter (Art. 95 lit. a BGG) Ermessensbetätigung (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). 
 
2. 
Die Vorinstanz hat die massgebenden Bestimmungen und die Rechtsprechung zur Invalidität erwerbstätiger Versicherter (Art. 8 Abs. 1 ATSG), zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG), zur Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28a Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG), zur revisionsweisen Anpassung der Invalidenrente nach Art. 17 ATSG, zur Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten bei der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261) sowie zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a-c S. 352 ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Aufhebung der ab 1. August 2004 laufenden ganzen Invalidenrente auf den 31. Januar 2005 rechtmässig erfolgte oder ab 1. Februar 2005 eine halbe oder eine Viertelsrente auszurichten ist. Umstritten geblieben sind wirtschaftliche Aspekte der Festsetzung des Invalideneinkommens (massgebender LSE-Tabellenlohn, Höhe des leidensbedingten Abzuges). 
 
3.1 Gerügt wird, die Vorinstanz habe den Sachverhalt unrichtig festgestellt, indem sie bei der Berechnung des Invalideneinkommens von falschen Angaben und unrichtigen Annahmen ausgegangen sei, wenn sie ausgeführt habe, der Beschwerdeführer habe sich während der langjährigen Tätigkeit im Bausektor Kenntnisse aneignen können, welche es ihm erlauben würden, in einer anderen Branche eine Führungsposition einzunehmen, weshalb das Invalideneinkommen gemäss LSE-Anforderungsniveau 3 festzusetzen sei. Es sei willkürlich und entspreche nicht den Gegebenheiten, wenn die spezifische Erfahrung im Teilbereich Bau in einen generellen Führungs- und Erfahrungswert umgewälzt werde. Das Invalideneinkommen sei nach dem Tabellenlohn gemäss LSE-Anforderungsniveau 4 festzulegen. 
 
3.2 Wie vorne in E. 1.2 vermerkt ist die getroffene Wahl der massgeblichen Stufe (hier: Anforderungsniveau 3 oder 4) beim statistischen Lohnvergleich auf der Grundlage der LSE vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage. In diesem Zusammenhang ist wesentlich, dass das kantonale Gericht in E. 4.4.1 seines Entscheides in somatischer Hinsicht auf das von SUVA-Kreisarzt Dr. med. K.________, Allgemeine Chirurgie FMH, ausformulierte Zumutbarkeitsprofil abstellt (Bericht zur Abschlussuntersuchung vom 1. November 2004). Danach ist der Beschwerdeführer nicht mehr fähig, schwere körperliche Arbeit zu leisten, Gewichte über 5-10 kg zu heben und auf unebenem oder abschüssigem Gelände tätig zu sein. Nicht zumutbar sind ihm lange Gehstrecken und das Erklettern von Leitern, Treppen und Gerüsten vor allem unter Belastung. Ideal ist eine Tätigkeit mit überwiegendem Sitzen, wenn er sich stündlich 5-10 Minuten bewegen kann. Der Arzt denkt hier an das Überwachen von Maschinen und Schaltpulten, die Stückkontrolle oder die Kleinmontage. Zumutbar ist auch eine leichte bis höchstens mittelschwere Tätigkeit auf ebenem Boden, in der Werkstatt, der Schreinerei oder der Mechanik, sofern der Beschwerdeführer sich stündlich 20-30 Minuten setzen kann oder einen Coxarthrosestuhl zur Verfügung hat. 
 
3.3 Die Vorinstanz kam zum Schluss, es bestehe in einer adaptierten Tätigkeit spätestens seit 1. November 2004 eine 100-prozentige Arbeits- und Leistungsfähigkeit. Diese Einschätzung bleibt letztinstanzlich unbestritten. Streitig ist, wie stark sich die genannten Einschränkungen auf die Erwerbsfähigkeit auswirken. Der Verwaltung folgend ging die Vorinstanz davon aus, der Beschwerdeführer habe sich während der langjährigen Tätigkeit im Bausektor Kenntnisse aneignen können, die es ihm trotz fehlender Berufsausbildung erlauben, eine Führungsposition einzunehmen. Die erworbenen Führungskompetenzen und -erfahrungen seien nicht brachenspezifischer Natur; vielmehr könne der Beschwerdeführer diese einem potenziellen Arbeitgeber auch in einem anderen beruflichen Umfeld zur Verfügung stellen und dadurch in einer angepassten Verweisungstätigkeit verglichen mit Arbeitnehmern ohne einschlägige Berufserfahrung in einer Leitungsposition ein höheres Einkommen gemäss LSE-Anforderungsniveau 3 realisieren. 
 
3.4 Der Beschwerdeführer übte die Tätigkeit eines Vorarbeiters für Fassadenisolationen bei der letzten Arbeitgeberin rund drei Monate aus, als er am 26. August 2003 verunfallte. Zuvor war er immer im Baugewerbe (als Maurer, Fassadenbauer, Gipser und Betonsanierer) tätig. Bei der Aufnahme der beruflichen Anamnese hielt der Gutachter Dr. med. S.________ am 7. Dezember 2006 fest, von 1995-2003 habe der Beschwerdeführer für eine frühere Arbeitgeberin im Bereich der Fassadenisolierung gearbeitet. Dieses Unternehmen habe dann aber leider Konkurs gemacht, was ihn sehr erschüttert habe. Er habe es dort doch immerhin zum Gruppenführer gebracht. Gegenüber der MEDAS (Gutachten vom 10. März 2009) gab der Beschwerdeführer an, er habe die letzten 13 (Berufs-)Jahre als Vorarbeiter einer Gruppe von etwa 5 Männern gearbeitet. Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie bei diesen Gegebenheiten zum Schluss gelangt ist, der Beschwerdeführer könne mit seiner langjährigen Führungserfahrung in einer dem Zumutbarkeitsprofil entsprechenden Beschäftigung (vorne E. 3.2) in einer anderen Branche eine Position erreichen, die dem LSE-Anforderungsprofil 3 zuzuordnen ist. 
 
4. 
Die Rüge, der leidensbedingte Abzug sei mit 10 % zu tief angesetzt und auf 25 % zu erhöhen, ist unbegründet. Wie die Vorinstanz festgehalten hat, sind Gründe, die einen höheren als den gewährten allgemeinen Abzug von 10 % rechtfertigen würden, nicht ersichtlich und nicht vorgebracht worden. Da die Bestimmung des Abzugs Ermessensfrage ist und die Höhe nur im Hinblick auf Ermessensüberschreitung oder -missbrauch gerügt werden kann, liegt keine rechtsfehlerhafte Ermessensbetätigung vor, wenn dem im massgebenden Moment (2005) rund 50-Jährigen, seit bald 30 Jahren in der Schweiz wohnhaften und seit 25 Jahren niedergelassenen Beschwerdeführer mit langjähriger Berufserfahrung kein höherer Abzug als 10 % gewährt wird. 
 
5. 
Nach dem Gesagten bleibt es beim vorinstanzlich festgesetzten Anspruch auf eine ganze Rente vom 1. August 2004 bis 31. Januar 2005. 
 
6. 
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 31. Januar 2011 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Schmutz