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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4C.242/2003 /lma 
 
Urteil vom 5. November 2003 
I. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Corboz, Präsident, 
Bundesrichter Walter, Nyffeler, 
Gerichtsschreiber Gelzer. 
 
Parteien 
A.________ AG, 
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Beat Rohrer, 
 
gegen 
 
B.________, 
Kläger und Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwältin Martina Zarn. 
 
Gegenstand 
Arbeitsvertrag; fristlose Entlassung, 
 
Berufung gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer, vom 17. März 2003. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die Weinhandlung A.________ AG (nachstehend: Arbeitgeberin) stellte B.________ (nachstehend: Arbeitnehmer) auf den 1. Juni 2002 als Administrations- und Lagermitarbeiter an. Am 15. August 2002 hat die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer den Abeitsvertrag auf Ende September 2002 ordentlich gekündigt und ihn sofort freigestellt. 
 
Mit Schreiben vom 21. August 2002 teilte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit. Zur Begründung führte die Arbeitgeberin an, der Arbeitnehmer habe in Überschreitung seiner Kompetenzen eine Arbeitgeberbescheinigung zuhanden der Arbeitslosenversicherung für einen weiteren Mitarbeiter falsch ausgefüllt, was als Urkundenfälschung zu qualifizieren sei. 
B. 
Am 19. Februar 2002 klagte der Arbeitnehmer beim Bezirksgericht Maloja gegen die Arbeitgeberin auf Zahlung von Fr. 4'501.30 zuzüglich 5 % Zins seit dem 31. Juli 2001 sowie auf Zahlung einer Entschädigung gemäss Art. 337c Abs. 3 OR von Fr. 10'000.--. Die Beklagte schloss auf Abweisung der Klage und machte eventualiter eine Verrechnungsforderung aus Darlehen in der Höhe von Fr. 10'000.-- geltend. 
 
Das Bezirksgericht Maloja hiess die Klage mit Urteil vom 12. November 2002 teilweise gut und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger einen Nettobetrag von Fr. 10'991.30 zuzüglich 5 % Zins seit 1. August 2001 zu bezahlen. Zur Begrünung führte es zusammengefasst aus, die fristlose Entlassung sei nicht gerechtfertigt gewesen, weshalb dem Kläger Lohnforderungen von insgesamt Fr. 10'991.30 und eine Entschädigung gemäss Art. 337c Abs. 3 OR in der Höhe von Fr. 10'000.-- zustehe. Da der Kläger den Verrechnungsanspruch der Beklagten in der Höhe von Fr. 10'000.-- anerkannt habe, verbleibe eine Restforderung von Fr. 10'991.30. 
 
Auf Berufung der Beklagten hin hat das Kantonsgericht von Graubünden am 17. März 2003 das Urteil des Bezirksgerichts bestätigt. 
C. 
Die Beklagte erhebt eidgenössiche Berufung und stellt dem Sinne nach die Anträge, das Urteil des Kantonsgerichts vom 17. März 2003 sei aufzuheben und die Klage abzuweisen. Eventuell sei die Streitsache zu neuem Entscheid an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Subeventuell sei die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger einen Nettobetrag von Fr. 991.30 nebst 5 % seit 21. August 2001 zu bezahlen. 
 
Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf eingetreten werden könne. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Nach Art. 55 Abs. 1 lit. c OG ist in der Berufungsschrift anzugeben, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie der angefochtene Entscheid verletzt. Unzulässig sind dagegen Rügen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen und gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanz richten, es sei denn, es werde dieser zugleich ein offensichtliches Versehen, eine Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften (Art. 63 Abs. 2 OG) oder unvollständige Ermittlung des Sachverhalts vorgeworfen (Art. 64 OG; BGE 126 III 191 E 2a mit Hinweisen). 
1.2 Gegen diese Vorschriften verstösst die Beklagte, wenn sie - ohne ein offensichtliches Versehen geltend zu machen - rügt, das Kantonsgericht habe gestützt auf die vorliegenden Akten fälschlicherweise den Schluss gezogen, eine wissentlich und willentlich ausgestellte Falschbescheinigung durch den Kläger sei nicht nachgewiesen. Auf diese Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung ist nicht einzutreten. 
2. 
Alsdann rügt die Beklagte, indem das Kantonsgericht gestützt auf die Prozessakten angenommen habe, die Unstimmigkeiten der Bescheinigung liessen nicht den Schluss auf eine vorsätzliche Falschbescheinigung zu, habe es Tatsachen rechtlich unrichtig beurteilt und damit Art. 43 Abs. 4 OG verletzt. Diese Rüge ist unbegründet, da Wissen und Willen des Klägers bzw. sein Vorsatz eine Tatfrage betrifft und daher insoweit eine Beweiswürdigung und keine rechtliche Beurteilung vorliegt. 
3. 
Weiter bringt die Beklagte vor, das Kantonsgericht habe die Untersuchungsmaxime gemäss Art. 343 Abs. 4 OR verletzt. 
3.1 Nach Art. 343 Abs. 4 OR hat der Richter den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Damit soll den Parteien die Durchsetzung und Abwehr streitiger Ansprüche aus sozialpolitischen Erwägungen erleichtert und ihnen die persönliche Prozessführung ohne Beizug von Anwälten mit entsprechendem Kostenrisiko ermöglicht werden. Die Untersuchungsmaxime befreit die Parteien jedoch nicht davon, an der Sammlung des Prozessstoffes aktiv mitzuwirken. Sie haben dem Richter das in Betracht fallende Tatsachenmaterial zu unterbreiten und die Beweismittel zu bezeichnen. Der Richter hat insbesondere durch Befragung der Parteien nachzuprüfen, ob ihre Vorbringen und Beweisangebote vollständig sind, sofern er sachliche Gründe hat, an der Vollständigkeit zu zweifeln (BGE 107 II 233 E. 2c; Urteil 4C.146/1995 vom 1. Februar 1996 E. 2a). Gelangt das Gericht aber in freier Beweiswürdigung zur Überzeugung, dass ein bestimmter Sachverhalt genügend abgeklärt ist, braucht es nicht weitere Beweise zu erheben. Es kann namentlich beantragte Beweismittel nicht abnehmen, wenn es diese zum Voraus für den Nachweis des rechtsrelevanten Sachverhaltes als unbeachtlich erachtet (Entscheid des BGer. 4C.56/1998 vom 3. Juni 1998 E. 2b). Die Regel von Art. 343 Abs. 4 OR hat auch nicht zur Folge, dass jede vom kantonalen Prozessrecht festgesetzte Beschränkung der Untersuchungsmaxime unbeachtlich wird. Den Kantonen steht insbesondere frei, eine Kognitionsbeschränkung der oberen Instanz vorzusehen, namentlich neue Angriffs- und Verteidigungsmittel auszuschliessen (BGE 107 II 233 E. 3; letztmals bestätigt in: Urteil 4C.245/2002 vom 14. März 2003 E. 1.2). 
3.2 Im Einzelnen führt die Beklagte dem Sinne nach an, zwar könnten die Kantone gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Rechtsmittelverfahren auch ausschliessen, wenn nach Art. 343 Abs. 4 OR die Untersuchungsmaxime zur Anwendung komme. Gemäss Art. 226 Abs. 3 ZPO/GR gelte jedoch diese Maxime auch für die Berufungsinstanz, weshalb das Kantonsgericht die von der Beklagten eingereichten Akten nicht gestützt auf das Novenverbot gemäss Art. 226 Abs. 1 ZPO/GR habe abweisen dürfen. Damit rügt die Beklagte eine unzutreffende Anwendung kantonalen Prozessrechts, was im Berufungsverfahren nicht zulässig ist (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). 
 
Alsdann bringt die Beklagte vor, das Kantonsgericht habe zusätzliche Sachverhaltsabklärungen treffen sollen, da es am subjektiven Tatbestand der Falschbeurkundung offenbar Zweifel gehabt habe und das Bezirksgericht diesbezüglich zu Unrecht keine Abklärungen vorgenommen habe. Diese Rüge ist unbegründet, da die Beklagte nicht darlegt, welche Beweiserhebungen das Kantonsgericht habe nachholen sollen. Zudem lässt die Beklagte ausser Acht, dass das Kantonsgericht angegeben hat, es erachte den Sachverhalt als genügend abgeklärt, wobei nicht ersichtlich sei, inwiefern die von der Beklagten verlangte erneute Befragung von Sven-Martin Altorder zu wesentlich neuen, entscheidungsrelevanten Erkenntnissen führen soll. Diese antizipierte Beweiswürdigung wird von der Untersuchungsmaxime nicht ausgeschlossen und kann im Berufungsverfahren nicht überprüft werden. Damit ist eine Verletzung von Art. 343 Abs. 4 OR zu verneinen, weshalb dem Antrag auf Rückweisung der Streitsache an die Vorinstanz nicht stattzugeben ist. 
4. 
Die Beklagte macht sodann geltend, das Kantonsgericht habe zu Unrecht einen wichtigen Grund gemäss Art. 337 OR verneint, da das vorsätzliche unrichtige Ausfüllen einer Arbeitgeberbescheinigung eine strafbare Handlung sei, welche eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen vermöge. Auf diese Rüge ist nicht einzutreten, weil gemäss den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz der Vorsatz hinsichtlich der Falschbeurkundung nicht nachgewiesen werden konnte. 
5. 
5.1 Art. 337c Abs. 3 OR sieht als Sanktion bei ungerechtfertigter fristloser Kündigung durch den Arbeitgeber eine Entschädigung von maximal sechs Monatslöhnen vor. Diese Entschädigung hat sowohl Strafcharakter als auch Genugtuungsfunktion und soll die durch ungerechtfertigte fristlose Kündigung erlittene Persönlichkeitsverletzung des Arbeitnehmers abgelten (BGE 123 III 391 E. 3c). Sie hat sich entscheidend nach der Strafwürdigkeit des Verhaltens des Arbeitgebers, der Schwere der Persönlichkeitsverletzung, dem Mass der Widerrechtlichkeit der fristlosen Entlassung, der finanziellen Situation der Parteien und der Schwere eines Mitverschuldens des Arbeitnehmers zu richten (BGE 123 III 246 E. 6a S. 255, 391 E. 3b/cc und 3c; 121 III 64 E. 3c; 120 II 243, je mit Hinweisen). Die Höhe der Entschädigung wird vom Sachgericht nach pflichtgemässem Ermessen auf Grund der Umstände des Einzelfalles festgesetzt (BGE 123 III 246 E. 6a S. 255, 391 E. 3c, je mit Hinweisen). Eine Entschädigung ist nur zu verweigern, wenn ausserordentliche Umstände vorliegen, die trotz ungerechtfertigter fristloser Kündigung keine Strafzahlung zu Lasten des Arbeitgebers rechtfertigen (BGE 121 III 64 E. 3c; 120 II 243 E. 3e S. 247; 116 II 300 E. 5a;). Solche Umstände können insbesondere darin liegen, dass der Arbeitgeber rasch entscheiden musste und den Sachverhalt deshalb nicht vollständig kennen konnte (vgl. BGE 123 III 86 E. 2a; 99 II 308 E. 5a; 97 II 142 E. 2a S. 146; vgl. zum Ganzen auch Urteil des BGer. 4C.67/2003 vom 5. Mai 2003 E. 4.3). Bei der Festsetzung der Entschädigung handelt es sich um einen Ermessensentscheid. Solche Entscheide überprüft das Bundesgericht im Berufungsverfahren grundsätzlich frei. Es übt dabei aber Zurückhaltung und schreitet nur ein, wenn die Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die zwingend hätten beachtet werden müssen. Ausserdem greift das Bundesgericht in Ermessensentscheide ein, falls sich diese als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 127 III 153 E. 1a S. 155, 351 E. 4a S. 354). 
5.2 Das Kantonsgericht nahm an, im vorliegenden Fall erscheine die Zusprechung einer Entschädigung gemäss Art. 337c Abs. 3 OR im Umfang von zwei Monatslöhnen als angemessen, da die Beklagte den Kläger leichtfertig einer strafbaren Handlung bezichtigt habe, ohne ihn vorgängig anzuhören. Die Beklagte habe denn auch für den Fall, dass die fristlose Kündigung entgegen ihrer Auffassung gerechtfertigt war, nicht vorgetragen, weshalb die von der Vorinstanz zugesprochenen Beträge nicht haltbar gewesen sein sollen. 
5.3 Die Beklagte stellt den Antrag, die gemäss Art. 337c Abs. 3 OR zugesprochene Entschädigung zu streichen oder stark zu reduzieren und wendet ein, ihr sei kein Verschulden anzulasten, weil sie auf Grund der Umstände allen Grund gehabt habe anzunehmen, der Kläger habe vorsätzlich eine Arbeitgeberbescheinigung falsch ausgefüllt. Dieser Einwand dringt nicht durch, da das Kantonsgericht der Beklagten als Verschulden anlastet, den Kläger vor der Kündigung nicht angehört zu haben und die Beklagte nicht darlegt, weshalb ihr dies nicht zuzumuten gewesen sein soll. Schliesslich bringt die Beklagte vor, gegen den klägerischen Anspruch auf eine Entschädigung spreche auch der Umstand, dass das vorliegende Arbeitsverhältnis nicht einmal ganz drei Monate gedauert habe. Dieses Vorbringen vermag der Beklagten nicht zu helfen, da eine Entschädigung nach Art. 337c Abs. 3 OR gemäss den genannten Grundsätzen keine bestimmte Vertragsdauer voraussetzt. Demnach hat das Kantonsgericht sein Ermessen nicht überschritten, wenn es dem Kläger eine Entschädigung in der Höhe von zwei Monatslöhnen zusprach. 
6. 
Nach dem Gesagten ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Da der Streitwert Fr. 30'000.-- nicht übersteigt, ist das Verfahren kostenlos (Art. 343 Abs. 3 OR). Die unterliegende Beklagte hat dem Kläger eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 5. November 2003 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: