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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
 
{T 0/2}  
8C_177/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 22. Juni 2016  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiber Grunder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
SWICA Versicherungen AG, 
Römerstrasse 37, 8400 Winterthur, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Advokatin Elisabeth Maier, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 21. Dezember 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1955 geborene A.________ war seit August 2008 bei der Stiftung B.________ als Betagtenbetreuerin angestellt und dadurch bei der SWICA Versicherungen AG, Winterthur (nachfolgend SWICA), obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 25. Oktober 2011 stolperte sie, stürzte auf die Hände und verletzte sich am rechten Ringfinger (Unfallmeldung UVG vom 1. November 2012). Die SWICA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld). Laut dem von ihr eingeholten Gutachten des Dr. med. C.________, Spezialarzt für Chirurgie, speziell Handchirurgie FMH, vom 12. Dezember 2012 bestand ein Status nach Stolpersturz mit Kontusion des rechten Ringfingers. Für die ungewöhnliche postprimäre Schmerzentwicklung, die zu einer anhaltenden Arbeitsunfähigkeit im zuletzt ausgeübten Beruf führte, gab es keine Erklärung, insbesondere fehlten Befunde, die für die Diagnose eines CRPS (Complex Regional Pain Syndrome) sprachen. Insgesamt war von einer Schmerzverarbeitungsstörung mit Symptomausweitung auszugehen. Mit Schreiben vom 11. Februar 2013 stellte die SWICA in Aussicht, sie werde die Taggeldleistungen längstens bis 30. Juni 2013 erbringen, hingegen werde sie weiterhin Heilbehandlung gewähren. Angesichts der von Dr. med. C.________ abweichenden Auffassung des behandelnden Dr. med. D.________, Spezialarzt Neurologie FMH, (vgl. u.a. Schreiben vom 12. Oktober 2013), veranlasste sie eine Begutachtung bei Dr. med. E.________, Chirurgie FMH, speziell Handchirurgie. Gemäss dessen Expertise vom 28. November 2013 war u.a. ein posttraumatisches CRPS Typ I mit Allodynie, Hyperalgesie und Hyperpathie zu diagnostizieren. Im angestammten Beruf als Betagtenpflegerin war die Versicherte nicht mehr einsetzbar, hiegegen war sie für eine den genannten Einschränkungen angepasste Tätigkeit zu 75 bis 80 % bezogen auf ein Pensum von 80 % arbeitsfähig. Mit Verfügung vom 2. Februar 2015 hielt die SWICA fest, nach der Rechtsprechung könne ein unfallbedingtes CRPS nur angenommen werden, wenn es u.a. ausweislich der echtzeitlichen medizinischen Akten innerhalb von sechs bis acht Wochen nach dem Unfall oder nach einer unfallbedingten Operation diagnostiziert worden sei. Erstmals am 6. November 2012 habe Dr. med. D.________ einen Verdacht auf ein CRPS geäussert, weshalb der natürliche Kausalzusammenhang mit dem Unfall vom 25. Oktober 2011 zu verneinen sei. Auf Einsprache hin zog die SWICA die Stellungnahme des Dr. med. C.________ vom 26. Juni 2015 zum Gutachten des Dr. med. E.________ vom 28. November 2013 bei. Mit Einspracheentscheid vom 10. Juli 2015 lehnte sie den eingelegten Rechtsbehelf ab. 
 
B.   
In Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt den Einspracheentscheid vom 10. Juli 2015 auf und wies die Sache zu neuem Entscheid entsprechend den Erwägungen an die SWICA zurück (Entscheid vom 21. Dezember 2015). 
 
C.   
Mit Beschwerde beantragt die SWICA, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. 
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) ist zulässig gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG) sowie gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren (Art. 92 Abs. 1 BGG). Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde nach Art. 93 BGG zulässig, sofern - alternativ - der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a) oder die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1 lit. b).  
 
1.2. Beim vorinstanzlichen Rückweisungsentscheid, mit dem die SWICA verpflichtet wird, entsprechend der Beurteilung des Dr. med. E.________ vom 28. November 2013 über die der Versicherten zustehenden gesetzlichen Leistungen neu zu verfügen, handelt es sich in der Terminologie des BGG um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil darstellt, weil die SWICA gezwungen würde, entgegen ihrer Auffassung die geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen als unfallkausal anerkennen und gestützt darauf weitere Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung erbringen zu müssen (vgl. dazu BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.). Daher ist auf die Beschwerde einzutreten.  
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257E. 2.5 S. 262; 130 III 136E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
2.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
3.   
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin an einem CRPS im Bereich des rechten Ringfingers leide, das als natürlich kausale Folge des Unfalls vom 25. Oktober 2011 anzusehen sei. Das kantonale Gericht hat die hiebei zu beachtenden rechtlichen Grundlagen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz hat erwogen, zur Beurteilung des Streitgegenstands sei auf das in allen Teilen beweiskräftige Gutachten des Dr. med. E.________ vom 28. November 2013 abzustellen. Er habe einlässlich dargelegt, weshalb - entgegen der Auffassung des Dr. med. C.________ - anhand der von der IASP (International Association for the Study of Pain) festgelegten Kriterien ein posttraumatisches CRPS zu diagnostizieren sei. Die Entzündungszeichen (Schwellung; vaskuläre Störungen; Hidrosis) seien anamnestisch zwar klinisch kaum je feststellbar gewesen, indessen seien andere massgebliche Befunde wie aussergewöhnlicher Schmerz, neurologische und motorische Störungen ausgeprägt vorhanden.  
 
4.2. Die SWICA bringt wie schon im kantonalen Verfahren vor, nach der Rechtsprechung seien Ätiologie und Pathogenese eines CRPS unklar, weshalb zur Bejahung des Kausalzusammenhangs mit einem Unfall drei anhand der echtzeitlichen medizinische Akten zu beurteilende Kriterien kumulativ erfüllt sein müssten: 1) Nachweis eines Körperschadens nach Unfall oder das Auftreten einer Algodystrophie nach einer wegen einer Unfallverletzung durchgeführten Operation; 2) Ausschluss anderer nicht traumatischer, ursächlicher Faktoren; 3) Kurze Latenzzeit zwischen Unfall und dem Auftreten der Algodystrophie (maximal sechs bis acht Wochen). Keiner der diversen Handchirurgen und anderen Fachspezialsten habe ein CRPS erwähnt. Erstmals Dr. med. D.________ habe im Bericht vom 6. November 2012 einen Verdacht darauf geäussert, welche Auffassung er nach Einsicht in das Gutachten des Dr. med. C.________ korrigiert habe (Bericht vom 28. Februar 2013), um sie - nach Ablehnung der Leistungspflicht der SWICA - gestützt auf die Expertise des Dr. med. E.________ erneut zu ändern. Angesichts dieser widersprüchlichen Auskünfte könne auf seine zuletzt gemachten Angaben, anamnestisch sei ausgewiesen, dass die Versicherte schon kurze Zeit nach dem Unfall an der für ein CRPS typischen Symptomatik gelitten haben müsse, nicht abgestellt werden. Offen gelassen werden könne, ob der medizinische Sachverhalt anhand des Gutachtens des Dr. med. C.________ oder desjenigen des Dr. med. E.________ zu beurteilen sei. Fest stehe, dass die allenfalls vorhandene typische Symptomatik eines CRPS nicht innerhalb der Latenzzeit von maximal sechs bis acht Wochen nach dem Unfall vom 25. Oktober 2011 anhand echtzeitlicher medizinischer Aktenstücke festgestellt werden könne.  
 
4.3. Die SWICA übersieht, dass Dr. med. C.________ mit der Stellungnahme vom 26. Juni 2015 die Befunde des Dr. med. E.________ in allen Teilen bestätigte. Er hielt fest, dass er die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung einzig aufgrund der Ziffer 4 der Proposed Diagnostic Criteria for CRPS gestellt habe, wonach ein CRPS nicht angenommen werden sollte, wenn andere Krankheitsbilder in Betracht zu ziehen seien; die Medizin sei keine exakte Wissenschaft, weshalb das schwierige Krankheitsbild letztlich keiner Diagnose schlüssig zugeordnet werden könne. Aus diesen Ausführungen ist zumindest zu schliessen, dass Dr. med. C.________ die Auffassung des Dr. med. E.________, es sei ein CRPS Typ I mit Allodynie, Hyperalgesie und Hyperpathie zu diagnostizieren, nicht nur nachvollziehen konnte, sondern implizit auch bestätigte, dass die Symptomatik, sei sie als somatoforme Schmerzstörung zu diagnostizieren oder aber als CRPS, bereits kurze Zeit nach dem Unfall vom 25. Oktober 2011 vorgelegen haben musste. Anders ist nicht zu erklären, weshalb die Versicherte während langer Zeit im angestammten Beruf als Betagtenbetreuerin aus ärztlicher Sicht vollständig arbeitsunfähig gewesen war. Zur Erhärtung dieses Umstands hat die Vorinstanz erwogen, Dr. med. D.________ habe im Bericht vom 24. Januar 2015 einlässlich dargelegt, er habe das CRPS erst im November 2012 verdachtsweise diagnostizieren können, weil er die Patientin erstmals über ein Jahr nach dem Unfall untersucht habe; sie habe bei der ersten Konsultation klare Angaben gemacht und insbesondere der Annahme der SWICA, wonach sie nach der Kontusion beschwerdefrei gewesen und das CRPS erst später, aus nicht geklärten Gründen, aufgetreten sein soll, deutlich widersprochen. In diesem Zusammenhang hat das kantonale Gericht weiter darauf hingewiesen, dass Dr. med. D.________ bei den klinischen Untersuchungen festgestellt habe, die arbeitswillige Versicherte wirke weiterhin nicht depressiv oder somatisierend und schildere ihre Beschwerden adäquat. Inwiefern sich Dr. med. D.________ widersprüchlich zum medizinischen Sachverhalt geäussert haben soll, ist angesichts der vorinstanzlichen Feststellungen und ausweislich der medizinischen Akten nicht ersichtlich. Insgesamt betrachtet ist festzuhalten, dass die Auffassung des Dr. med. E.________, wonach die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung nach der medizinischen Literatur nur gestellt werden dürfe, sofern kein anderes plausibleres somatisches - hier CRPS - Krankheitsbild die gesundheitlichen Beschwerden zu erklären vermöge, ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Damit ist auch geklärt, dass für die Annahme eines CRPS entgegen der Auffassung der SWICA nicht erforderlich ist, die Diagnose müsse von den Ärzten bereits innerhalb von sechs bis acht Monaten nach dem Unfall gestellt worden sein, um sie als unfallbedingt anzusehen. Entscheidend ist allein, dass anhand echtzeitlich erhobener mediznischer Befunde der Schluss gezogen werden kann, die betroffene Person habe innerhalb der Latenzzeit von sechs bis acht Wochen nach dem Unfall zumindest teilweise an den für ein CRPS typischen Symptomen gelitten. Etwas anderes ergibt sich aus der Rechtsprechung - entgegen den Vorbringen der SWICA - nicht und eine solche Annahme stünde zudem dem ärztlichen Auftrag entgegen, die betroffene Person schnellst- und bestmöglich zu therapieren. Darauf wies denn auch Dr. med. C.________ in der Stellungnahme vom 26. Juni 2015 explizit hin.  
 
4.4. Insgesamt betrachtet ist in Bestätigung des angefochtenen Entscheids der natürliche Kausalzusammenhang zwischen der beim Sturz vom 25. Oktober 2011 erlittenen Kontusion am rechten Ringfinger und dem in diesem Körperbereich bestehenden CRPS Typ I mit Allodynie, Hyperalgesie und Hyperpathie zu bejahen. Die Beschwerde der SWICA ist daher abzuweisen.  
 
5.  
 
5.1.   
Die Gerichtskosten sind der SWICA als unterliegender Partei aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
5.2. Sie hat die Beschwerdegegnerin angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).  
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 22. Juni 2016 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder